Hochzeitsmarathon (3)

Zwei Hochzeiten innerhalb von 48 Stunden an 744km entfernt gelegenen Orten in Indien. Das bedarf etwas Planung.

Wir entschieden uns dazu, am Morgen des 18. Aprils von Delhi nach Bhopal zu fahren. Mit dem Zug. Wir suchten uns den Shatabdi Express aus, der als exzellenter Zug mit neuen Waggons berühmt und berüchtigt ist und eine Spitzengeschwindigkeit von 145km/h aufweist. Somit sollten wir innerhalb von acht Stunden in Bhopal sein, wo Herr S Frau A ehelichen sollte. Eine gemischte Ehe, denn S ist Bengali und A nicht. Eine „Liebeshochzeit“ also, die in Indien so oft verpönt werden. Unter anderem von Bollywoodpaar Ajay Devgan und Kajol, die „Liebeshochzeiten“ doof finden. Außer ihre eigene, vermute ich.

Schwamm drüber. Wir verließen pünktlich 5:05Uhr das Haus und suchten eine Rickshaw, hüpften 10 Minuten später in einen Bus, wechselten dann in eine Rickshaw über, als wir eine fanden, und erreichten so pünktlich 6Uhr den Bahnhof, von dem 6:12Uhr unser Zug nach Bhopal losfuhr. Der neue, hübsche, glänzende Shatabdi Express. Nur hatten wir nicht bedacht, dass Delhi-Bhopal keine Premiumstrecke ist und in diesem Sektor darum die alten Züge fahren, während die neuen Prachtexemplare zwischen Delhi und Lucknow und Delhi und Amritsar (u.a.) pendeln. Hmmm. Macht nichts.

Acht Stunden im Halbschlaf. Es war verdammt kalt im Zug. So kalt, dass der Bentley und ich uns zunächst um meine Dupatta (Schultertuch) stritten, bis sich Bentley dafür entschied, sich lieber mit einem der Zugboys zu streiten, damit jemand die Klimaanlage zurückdreht. 😉 Irgendwann wurde es entweder besser oder wir bekamen das nicht mehr mit, denn wir dösten und wachten nur zu den Mahlzeiten auf. Oh, und einmal an der Bahnstation in Jhansi, wo ich einen Touristen mit Sack und Pack über den Bahnsteig hechten sah, während er vergnügt rauchte, was an indischen Bahnhöfen strengstenssss verboten ist. :yes:

14:25Uhr in Bhopal. Die Sonne brannte. 42Grad herrschten dort und nachdem ich acht Stunden in arktischer Kälte verbracht habe, kribbelte mir die Haut im Gesicht, als wir eine Stunde lang im offenen Jeep durch Bhopal kurvten und endlich, endlich das Haus des Bräutigams S erreichten, das zu diesem Zeitpunkt bereits mit rund 50 Verwandten gefüllt war, die sich in Vorbereitungen ergingen, Poojas durchführten, Mittag aßen oder der Hitze in einer dunklen Ecke schlafend trotzten.
Wir schlichen uns zu S ins Zimmer, schafften es gerade noch aufs Bett und verfielen dort in ein durch Temperatur und Erschöpfung bedingtes Wachkoma, das nur durch das ständige Eintreten von Verwandten unterbrochen wurde, die in Schränken herumwühlten und dann wieder gingen.

Irgendwann war es 17Uhr und Zeit zum Aufputzen. 50 Verwandte verbarrikadierten sich in Zimmern und zogen sich um. Erstaunlicherweise nahm niemand die Dienste eines Schönheitssalons in Anspruch. Das war sowohl schön weil familiär als auch stressig, denn wenn man sich zu fünft, sechst, siebt in einem Zimmer umzieht, dann fliegen die Stofffetzen, die Lippenstifte, Kämme und Bürsten, Schnürrsenkel und dergleichen nur so herum. Es war das bunteste Chaos, das ich bisher erleben durfte. Überall wuselten Frauen in dicken Saris halb oder ganz fertig durch die Gegend, während das Bügeleisen im oberen Stockwerk heiß lief 😉 und sich vor dem Bügelbrett eine Schlange bildete, in der ich mich ebenfalls einreihte, um meinen Sari zu bügeln. Gegenstände für die Hochzeiten wurden zusammen gesammelt. Es roch nach Deo, nach Ghee (also Butterschmalz von den Öllämpchen) und nach Vorfreude. Ein Stimmengewirr hallte durch die Zimmer. Türen flogen auf und zu. Es wurde hinter Vorhängen hervor geäugt. Sicherheitsnadeln und Klemmen wurden herumgereicht. Kinder rannten schreiend durchs Haus und ich beging einen großen Fehler:
Ich stand etwas verloren im Foyer und starrte in Richtung Wohnzimmer, wo eine mittelgroße Menschenmeute saß und zurück gaffte. Ich war nach einer Woche Familientreff in Delhi bereits längst über den Punkt hinaus, an dem ich mir neue Gesichter merken konnte, und da ich mich nicht erinnerte, wen ich bereits getroffen hatte und wen nicht, und da ich niemanden unabsichtlich schneiden wollte, lächlte ich einfach in die Runde. Schon sprang ein älterer Mann auf, kommandierte zwei Kinder ab, die er mir vorstellte, und drängte sich mir dann höchst unangenehm auf. Iiieeh, dachte ich mir, und verschwand in einem der Damenankleidezimmer, wo ich sicher war.

Die nächsten zwei Stunden verbrachten wir alle damit, wild durchs Haus zu flitzen. Bei meinem ersten Anprobeversuch im Bad, wo fünf Minuten vorher jemand geduscht hatte, fiel mir meine Bluse runter und war klitschnass. |-| Tief durchatmen. Rauf ins erste Stockwerk: noch eine Bügelrunde einlegen. Wieder runter. Gucken obs Bad frei ist. Zweiter Anprobeversuch. Dieses Mal erfolgreich.
Die jungen Hüpfer teilten sich alle einen Raum. Sie beäugten sich gegenseitig neugierig. Wir teilten alle höfliche Komplimente aus, bewunderten unsere Garderobe, bestätigten uns gegenseitig, dass wir alle ganz prima aussahen, wühlten in unseren Schminktaschen herum, stolptern über unsere Sarifalten, mussten alles noch einmal wickeln und waren irgendwann fertig. Fix und fertig.

sa wedding 3

Es war Zeit, den Bräutigam zu verabschieden. Eine kleine Pooja (Segnung) fand im Foyer statt. Wir waren zwei Stunden zu spät dran. S’s Mutter segnete ihn. Eine Tante bließ in eine Muschel. S verließ das Haus. Draußen wartete schon der mit Blumen aufgemotzte Wagen. Es gab noch mehr Poojas. Die Frauen der Familie segneten S noch einmal und warfen bunten Reis in alle vier Himmelsrichtungen. Ein paar gerührte Tränen flossen. Dann füllte sich der Wagen, und die anderen 50 Verwandten krabbelten in einen gemieteten Bus, der bereits wartete. Wir machten uns alle auf den Weg ins Hotel, das den Pataudis gehörte. Das ist ein altes, muslimisches Adelsgeschlecht, zu dem u.a. Saif Ali Khan gehört.

Leider hatte es niemand geschafft, vorher mal den Weg zu erfragen. Und so geschah, was geschehen musste. Aber erst im vierten Teil! :wave:

Der Hochzeitsmarathon:
Teil 1 „Verlobungsfeier – Ohne Braut aber mit grüner Limo“
Teil 2 „Mehendi und Ladies‘ Sangeet“

Teil 4: „Wo ist meine Hochzeit?“
Teil 5: Das bittere Ende

12 Kommentare zu „Hochzeitsmarathon (3)

  1. wird’s nicht langsam zeit fuer einen kurs gedaechtnistraening fuer hochzeit 1 und 2 *gg* und der bestimmt noch anstehenden life events?

    *super* dein bericht, wir haben das ‚aufbrezel’chaos durch unsere ’stitched’saris‘ noch chaotischer gemacht. die sari- wickel-assistentinnen, die eigens angeheuert wurden waren durch unsere genaehten saris wirklich sehr verwirrt *gggg*

    Lieben gruss aus AMS,
    Sabine

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    1. Ohhhh „stitched Saris“…. hab ich anfangs auch mal überlegt, aber die Genugtuung, auf die „Kannst du selbst einen Sari wickeln?“ mit Ja antworten zu können, ist einfach zuuu groß! 😉

      LG
      Daniela

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      1. solche fratzen wie genaehte saris kannst du dir natuerlich NICHT erlauben *gg*.

        dein blauer sari ist sehr schoen!

        LG
        Sabine

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  2. Die Episode mit einem aufdringlichen Mann hatte ich auch bei einer Hochzeit in Rajasthan, als ich dumm von der Seite angemacht wurde. Leider war es der Bräutgam und er saß auf der Bühne neben seiner Braut, die defintiv verstand was er gesagt hatte, das war wirklich peinlich. Ich dachte nur was für ein A**** ist das, denn zumindest auf der eigenen Hochzeit sollte man(n) andere Frauen noch nicht mal sehen – aber das ist wahrscheinlich zu altmodisch gedacht von mir …

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