Pinki Virani: Bitter Chocolate

Bitter Chocolate
Bitter Chocolate: Child Sexual Abuse in India
Pinki Virani

Bitter Chocolate ist eine Penguin-Publikation aus dem Jahre 2000. Die Autorin Pinki Virani taucht ein in die Abgründe sexuellen Kindesmissbrauchs in Indien. Sie beschreibt die ganze Bandbreite des Themas: Ausmaß. Folgen. Ahndung. Hintergründe. Sie wartet mit Statistiken und Zahlen auf, und streut immer wieder Fallbeispiele ein. Rund 100 sind es, die teils in grafischer, nüchterner Prosa, teils in Geschichtenform dargestellt werden.

Virani greift sehr viele Aspekte sexuellen Missbrauchs auf. Sie beschränkt sich nicht aufs bloße Beschreiben, sondern widmet auch mehrere Kapitel dem Kampf gegen den Missbrauch. Unter anderem beschreibt sie spezielle Institutionen in anderen Ländern, die mit wenig Aufwand im indischen Kontext repliziert werden könnten. Sie detailliert außerdem, wie der Stand des Gesetzes Indiens eine effektive Bekämpfung des Ausmaßes an Kindesmissbrauch verhindert, und was sich tun muss, um dies zu ändern.
Das Buch ist nicht mehr ganz druckfrisch und dennoch unglaublich aktuell: denn seit über einer Dekade kämpft Virani für umfassende Gesetzesänderungen, und erst im Oktober 2011 hat Indien einen Gesetzesentwurf zustande gebracht. Mehr dazu im Interview auf im4change.com

In den letzten Kapiteln des Buches widmet sie sich der Betreuung von Opfern und adressiert sowohl Angehörige als auch Betroffene. Sie meistert den Drahtseilakt zwischen erhobenem Zeigefinger und gutem Journalismus in diesen Kapiteln und jenen, in denen es um die Gesetzeslage geht, nicht immer; sie beschimpft Täter ganz offen und unverblümt und dramatisiert auch hin und wieder. Das tut ihrem Werk m.E. allerdings keinerlei Abbruch. Es ist nicht notwendig – und beinahe unmenschlich – eine klinische Abhandlung zum Thema zu schreiben.

Einige der Szenen haben sich mir in den Kopf gefressen. Ich sehe sie förmlich vor mir. Wie das schmerzverzerrte Gesicht eines 8jährigen Mädchens, auf dessen pornografisch-explizites Fotos Virani während ihrer Recherchen stößt. Sie hat es dem Leser nicht erspart. Man könnte sich fragen, ob das Not tut? Aber: warum den Leser schonen. Die Kinder wurden auch nicht geschont. Manche Themen eignen sich nicht für eine Light-Version.
Nichts für schwache Nerven also.

Warum sollte man so etwas lesen wollen?
Ich stieß bereits vor zwei Jahren in einem Zeitungsartikel der Times of India auf dieses Buch. Damals war gerade unser Blümchen geboren worden und ich schaffte es nicht über das eingangs eingefügte Fallbeispiel eines missbrauchten, dreimonatigen Babies hinaus.
Warum also sollte jemand die spärliche Freizeit einem solchen Buch widmen?
Die Frage ist berechtigt.
Die Antwort ist typisch indisch: nicht geradlinig.
Beim täglichen Genuss derselben scheinen indische Zeitungen voll zu sein von Berichten über sexuellen Missbrauch, an Kindern und Erwachsenen. Aber wenn man sich in harten Debatten mit der Frage konfrontiert sieht, wie umfassend und akut das Problem denn nun wirklich sei, dann kommt man argumentativ ins Straucheln. Die Zahlen unterstützten den Grad der Besorgnis nämlich nicht.
Das liegt zum einen an den Zahlen. Sie sind nicht vollständig. Der Begriff „Dunkelziffer“ sollte in Indien nicht so heißen, sondern „Wahrheit“, weil dazwischen Welten liegen. Welten und Weltanschauungen.
Denn Zahlen sind nicht das ganze Problem, wenn es in Indien um das Thema Sex, sexuelle Gewalt und Missbrauch geht. Es ist die Gesellschaft. Pinki Virani macht daraus auch keinen Hehl. Sie legt sich zu Beginn des Buches auf die Zahlen 40 und 25 fest. 40% der Mädchen Indiens haben Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch und 25% der Jungen. Noch Besorgnis erregender als diese Zahlen ist die Art und Weise, wie in Gesellschaft, in Familien und Gesetz mit dem Thema umgegangen wird. Es ist die Reaktion auf sexuellen Kindesmissbrauch, die das Thema in Indien so dramatisch macht.

Grundsätzlich vertrauen sich die Kinder ihren Eltern nicht an. Das liegt unter anderem an den Familienkonstellationen in Indien. Die Eltern sind nicht zum Vertrauen da, sondern zum Respektieren.
Zweitens sind Familien eng verbandelt. Der Missbrauch findet größtenteils in der Familie statt, und somit ist ein Familienmitglied ein Täter. Diese Gegebenheit muss man nun in großfamiliäre Strukturen hineininterpretieren, in die finanziellen und strukturellen Abhängigkeiten. Zudem herrscht das Prinzip von izzat, wofür es keine wirklich treffende Übersetzung gibt. Es ist Familienehre. Würde. Ein in ganz Indien (glaubt nicht Wikipedia!) herrschendes Prinzip, dass die äußere Unversehrtheit der Familie über der inneren Unversehrtheit der Individuen zu stehen hat. Es hat etwas mit dem indischen Konzept von Verschmutzung zu tun. Und Reinheit. – -Da bedeutet Kindesmissbrauch einfach nicht mehr dasselbe.
Indische Eltern also, die von ihrer achtjährigen Tochter erzählt bekommen, der Cousin oder Onkel o.ä. hätte sie angefasst, reagieren nicht notwendigerweise nur mit Schock und Beschützerinstinkt, sondern auch mit Selbstschutzinstinkt. Wie kann man damit umgehen, ohne dass dies nach Außen dringt? Kann man das irgendwie ausbügeln? Drüberpinseln?
Hinzu kommt noch die Auffassung, was Familie in Indien überhaupt bedeutet. Es ist für viele Menschen unvorstellbar, dass ein Vater oder Bruder oder Großvater so etwas tun könnte. In einer zitierten Studie gilt dies auch für Richter: sie haben Fälle abblitzen lassen, weil es ihnen nicht in den Kopf wollte, dass Großväter Enkel und Enkelinnen vergewaltigen könnten.

Das ist eine Seite der Grausamkeit des Themas in Indien. Wohin sollen sich die Kinder wenden? Wer beschützt sie, nachdem sie sich offenbart haben?

Ein weiterer von Pinki Virani sehr deutlich zum Ausdruck gebrachter Aspekt ist das kaputte und korrupte System: sie schreibt von Hilfsorganisationen, die nicht helfen. Die wissen, dass Kinder in ihren Heimen vergewaltigt werden. Dass sie diese Kinder einfach ins nächste Heim abschieben. Dass es keine Untersuchungen und keine Konsequenzen gibt, wenn so etwas passiert.
Und sie schreibt vom Rechtssystem. Dass es 15 Jahre dauert, bis so ein Fall endlich vor Gericht auftaucht. Dass die Gesetze nicht greifen. Weil die Richter und Anwälte nicht sensibilisiert sind. Weil die Strafen zu lasch sind. etc pp.

Das sind nun für mich zwei riesige Gründe, warum sexueller Kindesmissbrauch in Indien schlimmer ist, als nackte Zahlen ihn je darstellen könnten.

Dieses Buch sagt viel über das Thema aus. Aber auch über die Gesellschaft. Über die „heile indische Familie“. Über Korruption. Über gesellschaftlichen Glanzeffekt.
Ich halte es für sehr lesenswert.

Den Göttern zum Trotz

So kurz vor den indischen Parlamentswahlen im April/Mai diesen Jahres lohnt es sich, ein Buch wie Edward Luces „In Spite of the Gods – The Strange Rise of Modern India“ herauszukramen. Ein bisschen Politik, ein bisschen Wirtschaft, ein bisschen Gesellschaftskunde und ein guter Schuss (nicht immer erfolgreicher) Ironie machen den 362-Seiten-Wälzer (zzgl. Anhang) zum flüssigen Lesespaß, der eine ganze Menge interessanter Fakten über Indien beinhaltet.

Luce, der zwischen 2001 und 2005 für die Financial Times in Neu Delhi stationiert war und in dieser Zeit nicht auf der faulen Haut gelegen hat, deckt eine ganze Bandbreite von Themen ab – ordentlich in Kapitel unterteilt:
Der schizophrene Charakter der indischen Wirtschaft
Der Aufstieg der unteren Kasten
Hindu-Nationalismus
Südasiens geteilte Muslime
Neues Indien, Altes Indien
und einige mehr, wobei besonders das vorletzte Kapitel leider veraltet ist. So clever Luces Analysen im Erscheinungsjahr 2006 auch geklungen haben mögen, so sind seine Ausführungen und Prognosen hinsichtlich der Beziehungen zwischen China, Indien und den USA heute einfach nur eine Zusammenfassung der vorgestrigen Nachrichten. Doch trotz dieses lahmen Kapitels lohnt sich Luces kleine Ballade auf Indiens Widersprüche definitiv.

Es geht um soziale Ungerechntigkeit, um korrupte Politiker und Polizei, um seltsame/archaische/bizarre Gesetze und Regelungen, um sagenhaften Aufschwung und ein unglaublich zielgerichtetes Vorwärtsdrängen in Rahmenbedingungen, die dies eigentlich unmöglich machen sollten. In Spite of the Gods ist sowohl unterhaltsam als auch aufwühlend; voller lyrischer Betrachtungen, süffisanter Abrechnungen und energischer Sätze, die Ungereimtheiten beseitigen wollen.

Vollgestopft bis zur letzten Zeile mit höchst interessanten Interviews, einigen zündenden Ideen und Anekdoten sowie gut recherchierter Statistiken, steht In Spite of the Gods doch sehr solide im Regal „Bücher über Indien von ausländischen Autoren“. Erfrischend ist Luces kritischer und doch positiver Blick, der sich nicht davor scheut, unschöne Details beim Namen zu nennen, der gleichzeitig den Kopf aber nicht in den Sand steckt. Luce nennt Indiens Aufstieg im Buchtitel „sonderbar“, aber er nimmt ihn ernst. Das gehört sich auch so, denn bei all der Widersprüche, der Zwistigkeiten und absonderlichen Nachrichten, die aus Indiens weiten Landen herausfiltern, so steht das asiatische Jahrhundert – Klopf, Klopf – vor der Tür, und Edward Luce hat eine sehr angenehme Einleitung dafür geschaffen. :yes:

AIDS Sutra (Update)

Seit zwei Tagen stecke ich meine Nase in jeder freien Minute ins AIDS Sutra, eine Sammlung von 16 Essays rund ums Thema „AIDS in Indien“. Es handelt sich um eine Inititive der Bill & Melinda Gates Foundation, und der Erlös des Buches fließt in die AIDS-Stiftung Avahan.

aids sutra

Schon nach den ersten vier Geschichten kann ich zweifelsfrei sagen, dass es sich um eine lohnende Investition handelt, dieses Buch zu kaufen. Im Local Train zu sitzen und dabei über Frauen zu lesen, die sich selbst als randi bezeichnen und sich für 30 Rupien verkaufen, lässt Incredible India verpuffen wie den Rauch der beedis, die hier so gern geraucht werden. Randi ist ein Begriff in Hindi, der in Richtung „Nutte“ geht, der aber so herabwürdigend ist, dass es dafür kein Äquivalent in Englisch gibt und ich daher auch keins auf Deutsch finden kann.
Es geht um die kriminalisierten Prostituierten Indiens, die teilweise aufgeklärt sind und selbst dann nicht immer auf Kondomen bestehen können. Es geht außerdem um die brutale Polizei Mumbais, welche Berichterstattung so unterkühlt-ehrlich ist, dass nach der Lektüre von AIDS Sutra kein Polizist mehr im selben Licht erscheinen wird (das ging mir allerdings bereits bei Maximum City so). Es geht gleichzeitig um die gut betuchten Inder, die mit demselben Stigma umgehen müssen, das AIDS in Indien zu einer noch viel ernsteren Bedrohung macht, da es Infizierte in den Untergrund treibt, wo sie vor sozialer Unterdrückung/Diskriminierung sicher sind, wo sie aber gleichzeitig keine Medikamente erhalten. Es geht um Identitätsverlust, um Gerichtsverfahren, skrupellose Krankenhäuser und eine Gesellschaft, die davon ausgeht, AIDS passiert nur den anderen. Vorgestellt wird auch ein gesamtes Dorf in Andhra Pradesh, das von Prostitution lebt; wo jeder entweder Zuhälter, Kunde oder Teil einer alten Tradition ist – Mitglied einer Kaste, die früher Tempeltänzerinnen waren und heute mit deutlich weniger Firlefanz dem ältesten Gewerbe der Welt nachgehen. (Tempeltänzerinnen waren schon immer die Prostituierten der Priester.)

AIDS Sutra deckt ein weites Spektrum ab: viele Staaten Indiens. Sprachen. Soziale Schichten. Die Autoren treffen Charaktere, die unterschiedlicher nicht sein könnten, und entwirren ein Knäuel aus AIDS-Geschichten, die ganz nebenbei einen tiefen Einblick in die Gesellschaft geben. Einige der Erfahrungen sind nichts für zarte Gemüter. Dafür bemühen sich die Autoren um eine einfühlsame Schreibweise. Lediglich Kiran Desai machte bei mir den Eindruck, als ginge es ihr vorrangig darum, ihre literarischen Qualitäten um jeden Preis in den Vordergrund rücken zu müssen; zudem konnte sie sich den einen oder anderen abfälligen Kommentar offenbar nicht verkneifen. Schade. Aber kein Grund, AIDS Sutra nicht lesen. Es gibt so wenig zuverlässige, ehrliche Informationen zum Thema AIDS in Indien.

Update (10. September 2008)
Auf der Seite von InfoChange India – News and Analysis on Social Justice and Development Issues in India fand ich heute eine Ausgabe des Magazins Agenda (herausgegeben von InfoChange India), welches ganz dem Thema HIV/AIDS gewidmet ist. Agenda steht online in voller Länge in Englischer Sprache zur Verfügung (auch als .pdf) und kann auf Wunsch auch entgeltlich als Druckausgabe bestellt werden.
Link:
HIV/AIDS: Big Questions

Die ungeschriebenen Gesetze der indischen Bürokratie

Die ungeschriebenen Gesetze der indischen Bürokratie wurden inzwischen aufgeschrieben.  Und zwar von Barun Kumar Sahu, dessen langjähriger Aufenthalt in indischen Amtsstuben ihn dazu bemächtigte, 248 Seiten lang darüber zu philosphieren und uns zu erklären, warum die indische Bürokratie einen so verflixt schlechten Ruf hat.
Warum Akten in ihren verbeulten Schränken verwesen.
Warum man niemals in wilder Verzweiflung „Warum nicht?“ zu einem Beamten sagen darf, der gerade ohne Begründung und mit einem nach unbeteiligter Langeweile riechenden Gesichtsausdruck eine Anfrage abgelehnt hat.
Warum es Not tut, einen Antrag telefonisch voranzustupsen, damit die werten Beamten ihn auch nicht vergessen, während man zu Hause sitzt und ungeduldig Dellen in die Tischplatte trommelt.
usw.

Ich hielt das Buch kürzlich in Händen und war beinahe, aber wirklich nur beinahe aus dem Häuschen. Man gewöhnt sich schließlich einen gewissen Stumpfsinn an, wenn man hier lebt, damit man nicht ständig so herumläuft: :woohoo:

Gekauft habe ich den Schinken nicht, denn ich weiß ja eh alles besser ich hatte bereits genügend Bücher auf dem Arm. Empfehlen kann ich es dennoch. Wenigstens zum Anlesen. 

Eine Vorschau gibts hier: Google Books
Dort findet man das Buch (unvollständig) online und kann sich besonders in Vorbereitung auf einen Besuch in den gemütlichen Ämtern Indiens etwas Beistand für die kommenden Anstrengungen aneignen. Ich stelle mir vor, wie es sich beispielsweise angefühlt hätte, solch ein Werk der Beobachtungsgabe zu lesen, während ich Stunde um Stunde um Stunde auf dem Foreign Registration Office in Delhi verbracht hatte. Wir erinnern uns ungern, aber verflixt deutlich. 

Unwritten Flaws of Indian Bureaucracy
von Barun Kumar Sahu
ISBN: 8122308759
248 Seiten
ca. Rs. 250

Gebrauchsanweisung für Indien

So. Es war wieder einmal Zeit für Lektüre über Indien, die nicht von mir stammt. :>> Also griff ich (Anja sei Dank) zur Gebrauchsanweisung für Indien.

Der gute Ilija, so prophezeit der Buchdeckel, erzählt uns etwas aus seiner langjährigen, persönlichen Erfahrung „zwischen Kerala und Kalkutta, Kapital und Karma“. Also alles. Und nichts. Neun Kapitel gilt es aufzusaugen, von Mantra über Aum, Guru und Maya hin zu Masala, Tamasha, Artha, Googly und Monsun. Diese kryptischen Überschriften expandieren zu Erzählungen zu Themen wie Mythologie, indisches Essen, Lebensstil, Bollywood und Cricket. Und es stimmt: der Autor erzählt uns jede Menge. Nur erklärt er höchst selten etwas. Das führt nun dazu, dass ich von den voller Gurublubber steckenden ersten Kapiteln die eine Hälfte übergähnt habe, während die andere mir nur schleierhaft etwas sagte. Immerhin gibt es kein Glossar, doch der Text steckt voller Begriffe, die ich als Mythologienovize gern erklärt gehabt hätte. So dient das Buch in diesen ersten Kapiteln dazu, eine enorme Wunschliste für Amazon zu erstellen, weil man mehhhr lesen möchte.

Nach den ersten 40 Seiten geht es dann bergauf im Unterhaltungswert, aber wer schon in Indien war, wird dem Buch kaum etwas abgewinnen können außer ein „Kenn ich“ hier und ein „Been there, done that“ da. Und gegen Ende dann sehr häufig „Stimmt ja gar nicht…“Maha boring, wie die hippe indische Mittelklasse sagen würde. Sehr langweilig. Dabei schreibt Trojanow flüssig und elegant und bringt viele Anekdoten unter. Das Problem für mich lag einfach in der mangelnden Ausführung und den zusammenhanglosen Absätzen.
Die junge Madhureeta beispielsweise erzählt Trojanow, dass man in ihrem Haus erst nach Jaaahren eine Waschmaschine kaufte, und auch nur, weil die Putze von einem auf den anderen Tag davon lief. Tragisch. Heute allerdings besitzt die Familie wieder eine Putze und nutzt die Waschmaschine nur für Handtücher et al. Absatz Ende. Und was lernen wir daraus? Nichts. Wo ist das schulterzuckende Smiley? :??:

Solche Lückenfüller gibt es ständig. Hinzu kommt das Gefühl, Trojanows Buch sei so eine Art Allmanach des Hörensagens. „Mein Freund sagt…“ und aus dem Gesagten des ominösen Freundes reflektiert Trojanow. Nur weil er einen Künstler in Südmumbai kennt, der kein Sofa besitzt und ein solches als überflüssig bezeichnet, schließt Trojanow, die indische Mittelschicht kümmere sich nicht um sozialen Status. Bitte? Wo doch jeder Inder, ob reich, arm oder ganz arm, sich mit Angst und Bange darum sorgt, was der Nachbar wohl über ihn denkt?

Ich sage euch, meine lieben Leser, dass Rahuls Großvater mit den anderen Opas des Wohnblockes im Garten saß und sich über die Gehälter ihrer Enkel unterhielten. Völlig aufgelöst kam der Opa dann beim nächsten Besuch auf Rahul zu und sagte ihm, der Enkel eines Nachbars verdiene doppelt so viel wie Rahul. Wie kann das sein?
Der geneigte Leser darf nun aus meinem Hörensagen schließen, dass Inder höchst peinlich auf ihren sozialen Status achten, diesen aber nicht unbedingt in Form von Sofas ausdrücken. 😉

Macht ja nix. :lalala: Trojanow erzählt uns viel von schönen, anstrengenden, beseelenden, interessanten Momenten, und an vielen Stellen hätte ich mir gewünscht, er würde etwas weiter ausholen. Das Buch ist sehr kurz (schade) und unterhaltsam geschrieben, aber wenn es Gebrauchsanweisung für Indien heißt, muss man sich an eine der Gebrauchsanweisungen aus den 90ern erinnert wissen, die made-in-china-Produkten beilagen. Man wusste, da steht was Wichtiges drin, aber man konnte die verborgenen Botschaften einfach nicht entziffern. Gelesen haben wir sie trotzdem alle, weil sie so lustig waren. :))

Gebrauchsanweisung für Indien
von Ilija Trojanow
aus dem Piper Verlag für 12,90Euro (Kostenlos in der Bücherei. Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.)
ISBN-13: 978-3-492-27552-1
ISBN-10: 3-492-27552-4

Heilige K…uh!? – Ein Verriss.

Sarah Macdonald, die Kultmaus aus Australien, hat mit ihrer Heiligen Kuh Ruhm und Anerkennung unter Indienreisenden erlangt. Und während ich dieses mit dem Kitsch aus schweißgebadeten Pahar Ganj*-Albträumen bedruckte Cover ihres Buches Holy Cow/Wo bitte gehts hier zur Erleuchtung misstrauisch beäuge, frage ich mich, woran das wohl liegen mag?

*Touristengegend in Altdelhi

pahar ganj

Hin und wieder greife ich zu: Ich schnappe mir das Buch und nehme mir vor, mindestens einen Paragraphen zu lesen, ohne zwischendurch aufzuspringen, wild fluchend durchs Haus zu rennen und „Waaaarum?“ zu schreien. 🙄

Geht nicht.

Gestern bin ich auf Seite 38 nur knapp einem Infarkt entkommen. Rahul meint trocken, ich sollte eine 290seitige Rezension schreiben.

„My Australian friends ring and tease me about having a cook and a cleaner but my days of feeling like a dickhead (language, sweety, language!) are fading fast. I’m already so desperately dependent that when I’m alone on weekends I feel quite helpless. The sickness is slowing me down but so are India’s idiosyncrasies.“

Für Leser, deren Englisch nicht so gut ist, übersetze ich das mal:

„Ohohohoh ich will nach Hausäääää!“

„It takes hours to put the tap water through the jingling purifier…“
„Es dauert Stunden, das Leitungswasser durch den singenden-klingenden Wasserfilter laufen zu lassen“

💡 Die Melodie des Wasserfilters – meist eine sehr hässliche – lässt sich durch das Betätigen eines Knopfes abschalten.

Aber diese Melodie – obwohl meist eine sehr hässliche – ist nützlich. Ich habe sie oft abgeschalten. 15Minuten später schoss es mir dann durch den Kopf: Da war doch was. Und ich schwamm in die Küche, in der zu diesem Zeitpunkt bereits die dritte Generation Frösche gelaicht hatte, und schwor, die Melodie – leider eine sehr hässliche – nieeee mehr abzuschalten.

Zudem dauert das auch keine Stuuunden. :no: Je nach Stärke des Wasserdrucks dauert das maximal ne Minute pro Flasche. Den Wasserdruck kann man erhöhen, indem man den Wasserhahn stärker aufdreht. Schwamm drüber. Nächster Satz:

„….boil it [the water] to kill the remaining bugs….“
„…. (anschließend) Wasser kochen, um die verbleibenden Keime abzutöten“

Bittä? :??: Ein Wasserfilter filtert Wasser. Da sind danach keine „bugs“ mehr drin.
Kann Sarah Macdonald Indien für ihre Mysophobie verantwortlich machen?

„All the tired-looking vegetables have to be washed with purified water and purple iodine, and even then I’m not sure what to do with them…“
„Die ganzen müde drein blickenden Gemüse müssen mit gefiltertem WAsser und lila Jod gewaschen werden, und selbst dann weiß ich nicht, was ich damit machen soll“

💡 Wenn man damit fertig ist, das Gemüse mit gefiltertem Wasser und Jod zu waschen, spült man es noch mit Desinfektionsmittel ab, schält die äußeren 5cm weg und wirft es für mindestens 90 Minuten ins kochende Wasser. Es empfiehlt sich außerdem, das Gemüse mit einem Schuß Ethanol zu servieren. Um ganz sicher zu gehen.

„I can’t buy Pasta…“
„Ich kann keine Pasta kaufen“

Was nicht dasselbe ist als zu sagen, es gäbe keine Pasta in Indien. Arme Sarah. :**:

Mittelklasse Masala
Alle lieben Masaaaalaaaa!

„I have to watch the washing machine because it clicks off every time the power cuts and it takes four hours to clean one load.“
„Ich muss ein Auge auf die Waschmaschine halten, denn sie schaltet jedes Mal ab, wenn der Strom ausfällt, und sie braucht vier Stunden für eine Ladung.“

Dass elektronische Geräte ausgehen, wenn der Strom ausfällt…. Na ja, was rede ich da. Die gehen auch wieder an… |-|

Zu diesem Zeitpunkt kribbelt es bereits in meinem linken Arm und ich weiß nicht, ob ich lachen oder heulen soll. Alles verschwimmt um mich herum. Nachdem ich gelesen habe, dass „ein paar Haushaltsaufgaben den ganzen Tag beanspruchen“, frage ich mich, ob das der Grund dafür ist, warum mein Fußboden so schön glänzt und ich gerade genüsslich Kakao trinke. Ob ich übernatürliche Fähigkeiten besitze, von denen ich ja noch gar nichts ahnte. Ja, das muss es sein. :. Ein Schleier legt sich über mich. Oh dieser Stress. Das Leben als Frau eines Expats mitten im Diplomatenviertel in Delhi mit drei Hausangestellten ist so… so… unfair. Tränen des Mitleids ergießen sich auf meine Tastatur.

Merkwürdigerweise verschwinden diese Symptome, sobald ich das Buch Holy Cow zuklappe.

Ich bastel jetzt an einer Strohpuppe. Ihr wisst schon….:

Es ist ja ok, dass Sarah Macdonald auf so peinliche Weise versucht, witzig zu sein oder uns in jedem Satz etwas vorjammert oder ihre Naivität ständig unter Beweis stellt. Nicht ok ist, dass viele der Sachen einfach nicht stimmen. Nachdem ihr Visum beispielsweise nicht verlängert werden konnte, weil man als Verlobte keinerlei Recht auf so etwas hat (und nicht nur in Indien), kommt ihr Mann Jonathan und „spricht mit dem Manager“. Wie viele Rupien er gesprochen hat, schreibt Sarah nicht. Sie schreibt aber später über die pöse, pöse Korruption. Schon klar, Süße.
Oder „Manche Leute kaufen eine Sirene und stecken sie sich aufs Autodach in der Hoffnung, den Verkehr damit besiegen zu können“. = Unsinn. Das dürfen nur Ambulanzen und Politiker.
Oder „Die Fleischer halten ihre Messer zwischen den schwarzen Zehen.“

Muss …. aufhören …. Kribbeln …. beginnt …. wieder.