Einkaufen in Dwarka

Eine englische Floskel lautet: Shop till you drop. Gemeint ist damit ein Einkaufsmarathon bis zur Besinnungslosigkeit. In Dwarka herrschen allerdings andere Gesetze. Bevor man sich hier pleite gekauft hat, wurde man schon xmal von vorbei zischenden kleinen Marutis* umgemäht, von Kühen aufgespiest oder von sich plötzlich auftuenden Abgründen verschluckt.
(*beliebter indischer Kleinwagen, der meist von Menschen gefahren wird, die vom Fahren keine Ahnung haben)

Dwarka ist streng in Wohnblocks aufgeteilt, die an großen Kreuzungen von Märkten aufgelockert werden. Das ist besonders sicher für Fußgänger :yes: und super praktisch für einen flotten Verkehrsfluß :yes: und sieht von oben so aus:

Dwarka Sector 10 Market

Die meisten Geschäfte sind kleine Onkel-Ekram-Läden und natürlich Fachgeschäfte. Spezialisierung beherrscht das Land: Ein Geschäft für Plastik. Eines für elektronische Artikel (meist einer bestimmten Marke, manchmal auch gemixt). Dann ein Bäcker. Ein Schneider. Wieder ein Onkel-Ekram-Laden. Ein Klamottengeschäft. Und so weiter und so fort.

Auch auf den Fußwegen wird fleißig verkauft. Hier baut ein Händler sein Schuhgeschäft auf:

Dwarka Sector 6 Market

Dwarka ist voller Kleinstunternehmer. Von Glitter und Glanz keine Spur, auch wenn es inzwischen einige nationale und internationale Marken hierher geschafft haben. Und natürlich die Pizzabäcker. Hurra! Pizza Hut, Domino’s und Pizza Corner versprechen Erlösung, wenn ich mal wieder keinen Bock zum Kochen habe. Und natürlich eine schwindelerregende Anzahl indischer Restaurants, die im Großen und Ganzen auf nordindische (und manchmal chinesische) Küche spezialisiert sind.

Noch ein typischer Anblick sind die Mehendi-Guys, die der Eitelkeit der Damenwelt entgegen kommen und allzeit bereit sind, um hübsche Motive auf die Hand zu zaubern. Dabei würde ich immer so einen Straßenmensch empfehlen und kein Geld in irgendwelchen Parlours rausschmeißen:

Mehendi

Bei einem Mall-Menschen wie mir lösen die Märkte in Dwarka keinen Endorphinschub aus, aber was solls. Das ist jedenfalls der Inbegriff der indischen Mittelklasse Delhis.

Dwarka Secotr 6 Market

Kuh ohne Rücklicht

Winter heißt in Delhi Nebel. Wie gefährlich das ist, wurde neulich bei einer Fahrt durch Dwarka deutlich.

Die Nebelsuppe ist so dicht, daß man den Straßenrand kaum sehen kann. Die flackernden Lichter des Vordermanns geben den Weg an. Aus dem Nichts tauchen ab und an in der Luft schwebende Straßenlampen auf und gleich wieder unter. Es ist stockdunkle Nacht auf den verlassenen Straßen Dwarkas.

Wir halten an ein paar Geschäften an, um noch ein paar essentielle Lebensmittel wie Fanta und Eier einzukaufen. Als Opfer der heimtückischen Krankheit Eiszapfenzehen darf ich im Auto sitzen bleiben, während Rahul durch die dunkle Kälte nach Softdrinks jagt. Da seh ich sie:

Eine unbeleuchtete Kuh

Nebelkuh

…die sogar ohne Reflektoren durch die neblige Landschaft zieht. Die gemeine (im Sinne von hinterlistige) indische Kuh parkt sich ganztägig am Straßenrand und schiebt plötzlich bellende Hunde als Grund vor, um über die Straße zu sprinten wie ein übergewichtiges Kitz. Ohne auf den Folgeverkehr zu achten. Ohne zu blinken. Ohne Handsignal.
Die Fahrradrickshaw, die ebenfalls ohne vorschriftsmäßige Beleuchtung unterwegs ist, kann gerade noch einen Zusammenstoß mit der amoklaufenden Geisterkuh verhindern. Dann ist plötzlich alles wieder normal.

Wild warnblinkende* Autos schieben sich im Schleichgang durch die Straßen. Meine Frostbeulen wandern in Richtung Knie. Rahul ist zurück…

*Remember: Nebelscheinwerfer gehören in Indien nicht zur Grundausstattung eines Fahrzeuges.

Indien durch die Windschutzscheibe

Wir halten vor dem Indane-Büro an. Dort registrieren wir uns für ne neue Gasflasche. Unsere Unterlagen aus Bangalore und einen Nachweis über unsere neue Wohnung (nämlich die Telefonrechnung) haben wir parat. Während Rahul den Papierkram erledigt, sitze ich im Auto, wos schön warm ist, und beobachte Indien. Version 3.0

Vor mir steht ein Motorrad. Ein Mann sitzt drauf, reißt eine Tüte Kautabak auf und schüttet sich den Inhalt in den Mund, bevor die Verpackung zu Boden segelt. Dann kommt der Fahrer des Motorrads dazu. Beide sitzen auf. Das Motorrad steht noch auf dem Ständer, also werfen sich beide mit aller Kraft nach vorn, um den Ständer einzuklappen. Immer wieder. Da der Ständer nicht willig ist, wippen sie weiter schwungvoll vor und zurück, bevor der Hintermann endlich absteigt (widerwillig) und dem Gefährt einen kräftigen Schubser gibt.

frau in rostrosa sari

Eine Frau in einem rostrosa Baumwollsari, der dünn und abgetragen ist, tritt auf der Stelle. Der Sari ist schmutzig und hat Löcher Ich frage mich, ab wann man sich keine Gedanken mehr über sein Auftreten und Aussehen macht. Wie arm muß man sein, bevor die Löcher in der Kleidung keinen Unterschied mehr machen?
Sie lehnt sich gegen ein Schild. Es gibt nicht nach, erinnert mich aber daran, daß viele Schilder in Indien krumm und schief aus dem Erdboden ragen. Da hat sich wohl dann einer zu viel angelehnt.
Einige ihrer Haarstränen hängen in einem verblichenen Braunton wirr vom Kopf. Das sah zwar schön aus, aber ich weiß, daß es sich um die Folgen von Mangelernährung handelt. Seltsam, daß sich die Kinder reicher Eltern genau solche Strähnen färben lassen. Beim Frisör meines Vertrauens kostet das 1.500 Rupien (30€).

Sie hebt einen Ziegelstein auf. Es ist einer der handgemachten Ziegel, die das Siegel der Hersteller tragen. Meist zwei bis drei Initialien. Und die an den Kanten abgerundet sind. Sie setzt sich darauf und stützt die Ellenbogen auf die Knie. Unter dem verblichenen Sari schaut ein grüner Unterrock mit Rüschen. Im Modekatalog hieß das letzten Sommer Volant und war mächtig Mode. Genau solche Unterröcke hab ich auch im Schrank, aber meine sind sauber und neu.

Ihre Füße sind mit Henna verziert. Kein richtige Henna sondern chemisches, das der Haut einen stechenden Fuchsiaton verleiht anstatt eines satten Orange-Brauns. Dann ist ihr das Aussehen also doch nicht egal. Ihre Fußkettchen sind aus silber, genau wie ihre Ohrringe.

frau in rostrosa sari mit mann

Dann gesellt sich ein alter Mann in gleicher Aufmachung zu ihr. Schmutzige, abgetragene Kleidung. Er könnte jeder sein. Ein Bekannter. Ihr Vater. Ein Fremder. Ein Nachbar. Sie erzählen. Über den hereinbrechenden Winter. Über die Spatzen, die überall herumtollen. Über die schlechte Arbeitssituation. Über irgendetwas, daß ich nicht weiß. Und von dem ich nichts verstehe.
Sie sieht traurig aus. Legt das Gesicht in die Handflächen. MÜde. Ein bißchen neben der Spur.

Ich krame in meiner Handtasche nach einem Fetzen Papier, auf dem ich schreiben kann, denn meinen Block hab ich vergessen. Ich finde ein paar alte Kassenbons. Eine Rechnung vom American Diner. 900 Rupien für ein Frühstück. Auf der Rückseite schreibe ich weiter.
Die Frau sitzt immer noch da und schnattert mit dem Mann in seiner schwarzen Weste. Rahul kommt von der Gasregistrierung zurück. Wir fahren jetzt in die Pizzaria und essen Cheese-Burst-Pizza. Eine neue Erfindung von Domino’s.

teegeschäft dwarka

Nach dem Mittag fahren wir in den Markt von Sektor 10, Dwarka. Dort beobachte ich einen alten Mann in seinem Teegeschäft auf dem Gehweg. Er hat ein paar Ziegelsteine um sich aufgebaut undseine Utensilien dahinter verstaut. Rahul schickt den Scheck mit der Monatsmiete per Kurier an den Vermieter. Ich beobachte die die Teetrinker und mache Fotos. Die gibts dann morgen.

Indien Version 3.0

In meinem 5. Jahr in Indien wohne ich nun am 3. Ort. Und gleichzeitig in einem komplett neuen Indien. Indien – Version 3.0

Adieu Wattebausch. Adieu Condominium.
Harte Landung. Version 3.0 ist die Rache der Mittelklasse, über die ich immer läster.

Wir sind jetzt wieder live dabei. In Dwarka, wo depressive Menschen von Balkons springen und realitätsferne Söhne depressive, vom Balkon springende Menschen auffangen wollen und dabei ums Leben kommen. :no:

Statt einem Park gibts Beton und einen Rasen, der, wie das in Indien üblich ist, braun geschoren wird.

Brauner Rasen

Manchmal ist auch in Indien der Farbeimer leer:

Buntes Indien

Statt himmlicher Ruhe gibts jetzt allabendlich einen Trupp reifer Frauen, die auf einer Decke auf dem braunen Rasen sitzen, singen und klatschen und … na ja, wahrscheinlich Spaß dran haben. Anstelle eines Zimmers mit Aussicht auf Morgenkacker gibts jetzt solide Bautechnik:

Beton
Zimmer mit Aussicht – nur das Original ist schöner!

Die glanzvolle Schickimicki-Ära endete abrupt und mündete ungeschickt in der Hardcore-Version des einfachen Indiens. Wahrscheinlich näher dran an dem, was man sich unter dem urbanen Indien vorstellt. Was man sich als Indien-Erstling wünscht. Zum Beispiel so:

oder so.

Fahrradrickshaw

An die Stelle ohrenbetäubender, preisgeiler Rickshaws sind jetzt die leisen, umweltfreundlichen und verkehrsfeindlichen Fahrradrickshaws getreten. Diese spindeldürren, mit Schweißflecken übersäten Strampler widerlegen jede These, die etwas mit dem Recht des Stärkeren zu tun hat. Von wegen, in Indien hat immer der Größere und Schnellere Vorfahrt. Diese Spezialisten haben immer Vorfahrt. Immer. Grüne Welle. Lebenslänglich.

Ja, der Umzug in die Hauptstadt – ein Downgrade mit Folgen. Plötzlich sind die Supermärkte in die Ferne gerückt. 20km, um genau zu sein. Zwangsweise und zähneknirschend geht es ab in den Tante-EmmaOnkel-Ekram-Laden. Dort ist der Joghurt öfters mal schlecht, wenn man ihn kauft. Pancake-Mix führen die nicht. Auf Fruchtsaft gibts keinen Rabatt. Man muß ganz tief in die Trickkiste des positiven Denkens greifen, um lächelnd aus dem Laden wieder rauszukommen.

Food-Bazaar
Das waren noch Zeiten!

Zwar sind Ketten wie Subiksha und Reliance Retail dabei sich in Delhi und NCR zu etablieren und Subiksha wirbt sogar damit, Indiens „largest retail chain“ zu sein, aber hundert kleine Geschäfte (und hundert sinds) machen kein großes. Kleine Ladenfläche, kleine Produktauswahl, kleine Freude. Kann man nichts machen.

Grooooße Umstellung:
Nahrungsmittel werden jetzt nicht mehr im Supermarkt um die Ecke gekauft, sondern im Krutschladen. Dazu gehört der Besuch eines Geschäfts für Paneer/Käse (und zwar ist das meist ein Süßigkeitengeschäft oder Bäcker… indische Logik halt!), eines weiteren Geschäfts für Brot und Eier und noch vielen weiteren Geschäften für viele weitere Dinge. Alle zwei bis drei Wochen schaffen wir es vielleicht, einen Zwischenstopp im Big Bazaar in Gurgaon einzulegen.
Gemüse wird jetzt nicht mehr im Supermarkt um die Ecke gekauft, sondern auf dem Gemüse-Markt um die Ecke. (siehe oben) Jeden Tag findet in Dwarka ein Gemüsemarkt statt, dessen Standort sich je nach Wochentag ändert. Sonntags ist er eben um die Ecke, da gehen wir dann hin.

Version 3.0 hat noch mehr Asse im Ärme. Im Fernsehen gibts jetzt nur noch 6 Englische Kanäle. Das liegt natürlich an unserem Kabelfritzen. HBO und andere nette Kanäle bietet der nicht an, weil das außer uns niemand sehen will. Im Norden dominiert Hindi, und in unseren Mittelklassebaracken wohnen nicht so viele Hollywoodfanatiker außer uns.

Hier wird Indien auch ein Stück realer: Aus dem Hahn kommt statt Wasser öfters nur ein furzendes Geräusch. An solche Zustände muß man sich erst mal (rück)gewöhnen.

Zur Zeit komme ich allein nicht sonderlich oft raus. Die Malls gehen in der Ferne ohne mich ihren Geschäften nach. Problematisch: Zwischen Delhi und dem im südwesten an Delhi angrenzenden Zuckerdorf Gurgaon fahren keine Rickshaws, weil es ein anderer Bundesstaat ist. Demnach komm ich allein dort nicht hin. Die Einkaufspassagen in Delhi kann man entweder unter Ulk verbuchen oder sie sind zu weit weg. Was also fehlt ist Mobilität.
In Version 3.0 braucht man schon ein Auto, um von A nach B zu kommen. Ich spiele jetzt mit dem Gedanken einen alten Ambassador

zu kaufen, denn davor hat jeder Angst. Das liegt daran, daß ein Ambassador vor niemandem Angst hat. Er fährt und fährt. Er bleibt liegen, aber hält nie freiwillig an. Sowas wäre das Richtige für mich. Damit fahr ich dann zu meinem Glitzerindien und halte erst auf dem Parkplatz an, wo ich ohne Angst einparke, denn dem Ambassador tut kein Kratzer weh. :yes:
Der Ambassador gibt niemals klein bei. Er ist eine rollende, hustende, total zerbeulte Legende mit einer durchgesessenen Sitzbank vorn und einem meterlangen Schaltknüppel. Perfekt für mich, damit ich ohne Angst vor Gegenverkehr, Lackkratzern und indischen Kreuzungen ans Ziel gelange. Unser Auto ist mir dafür ja zu schade.

Während ich also von meinem neuen, mich in die Unabhängigkeit der Version 3.1 tuckernden Ambassador tagträume, stelle ich fest, daß ich gerade neu in Indien in einem neuen Indien angekommen bin. Wo ist mein Bentley? Jemand hat ihn mir weggenommen, dafür ne Kinetic Honda gegeben und mir gute Reise gewünscht. Ich glaub, mein Schwein pfeift meine Kuh röchelt.

Kinetic Honda
Ein bißchen Spaß muß sein. :wave:

Warten wir ab, was Version 3.0 noch zu bieten hat. :yes:

Gedankengänge eines Elektrikers

Knobelspaß mit indischen Elektrikern

Wie ihr wißt, wohne ich bei meiner Schwägerin in Dwarka. Ich habe den ganzen Tag nichts zu tun. Ich starre die graumelierten Wände an. Wenn es nicht zu heiß ist, lese ich The World According to Garp und lache mich halb tot. Aber meistens ist es zu heiß, also verblöde ich einfach nur ganz langsam und unaufhaltsam.

Darum widme ich meine wirren Gedanken den wirrsten Dingen der Welt: Zum Beispiel einer ganz speziellen Schalterfläche im Haus meiner Schwägerin. Ein Foto hab ich gemacht, aber hochladen kann ich es nicht, darum stellt euch bitte eine Reihe von… muß mal kurz zählen gehen … ah ja, eine Reihe von fünf Schaltern vor. Klein, weiß. Sehen alle gleich aus. Nebeneinander.

Links der Schalterfläche geht es in die Küche. Rechts davon ins Bad.

❓ So, jetzt kommt die Logik. Wenn alle 5 Schalter gerade nebeneinander liegen, und wenn es links zur Küche und rechts ins Bad geht, mit welchem Schalter geht dann das Licht im Bad an?

=> Richtig, mit dem Schalter ganz außen links.

❓ Wenn also der Schalter ganz links für das Bad rechts gedacht ist, mit welchem Schalter geht dann das Licht in der Küche auf der rechten Seite an?

=> Wieder richtig! Mit dem zweiten von rechts.

❓ Wenn es 5 Schalter und 2 Lichter gibt, wofür sind dann die anderen 3 Schalter gut?

=> Absolut korrekt: Für gar nichts.

Tja, ihr seid richtige Knobelprofis, ich bin wirr im Kopf. Alle sind glücklich. Zeit für Abendbrot.

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Dieser Beitrag ist ironisch gemeint und versucht nicht, alle indischen Elektriker über einen Kamm zu scheren. Die o.g. Schalterflächen waren einfach zu lustig, um unkommentiert zu bleiben. Und obwohl die o.g. Schalterflächen in Kreativität kaum zu überbieten sind, habe ich selbstverständlich auch ganz normale, wohl durchdachte Exemplare derselben gesehen, die o.g. Meisterwerk numerisch überwiegen.

Mit dem Makler durch Dwarka

Wie funktioniert die Wohnungssuche in Indien überhaupt?

Hier regieren immer noch die Makler. Der Immobilienmarkt ist noch nicht ins Internet umgezogen, und Zeitungsanzeigen kann man sich sparen, weil die meisten davon sowieso von einem Makler stammen.

Also ab zum Makler. Mit diesen Geschäften verhält es sich wie mit allem anderen in Indien auch: jeder darf das. Jeder Schuster, der plötzlich von Schnürsenkeln die Nase voll hat, kann morgen ein Immobilienbüro aufmachen.

Drinnen sitzen ein paar Männer hinter eintausend Telefonen. Wir nehmen Platz, sagen, was wir wollen. Der Makler schlägt ein Buch mit Telefonnummern auf. Er beginnt hier und da anzurufen. Wir warten. Dann schickt er einen seiner Laufburschen mit uns los. Der Laufbursche steigt zu uns ins Auto und dirigiert den Weg. Vor den Toren einer Society halten wir und warten auf den Mann mit den Schlüsseln. Wer das ist, wissen wir nicht. Gehört er zum Wohnungseigentümer? Ist er einer der Makler? Gibt es sog. Schlüsselboys? Wir wissen es nicht. Aber wir warten auf ihn. Mal kurz, mal lang. Wenn er kommt, gehen wir in die Wohnung. Meist lohnt es sich, auf dem Absatz wieder kehrt zu machen. Ist ja schon wieder ein Dreckloch. Dann verlassen wir die Society. Der Schlüsselboy fährt weg. Der Laufbursche steigt wieder zu uns ins Auto.
Ab zur nächsten Wohnung. So geht das den ganzen Tag.

Da man jedes Mal auf einen Schlüsselboy warten muss, und da man kreuz und quer durch die Stadt fährt und nicht systematisch die Gegend abarbeitet, braucht man pro Haus ca. 30min. Manche Makler haben bloss 2 Angebote. Ab zum Nächsten. Der hat vielleicht 5. Ab zum Nächsten.

So verbrachten wir unser Wochenende. Die ganze Zeit über ist der Agent am Telefon. Er ruft seinen Chef an, der derweil im Büro sein Buch mit den Telefonnummern wälzt und Angebote für uns heraussucht. Dann ruft er die Schlüsselboys an, um ein Treffen zu arrangieren. Es ist anstrengend, es ist ermattend.

Das Schlimme ist, dass es mit der Kommunikation hapert. Wir sagen dem Makler, er soll uns nur saubere Wohnungen zeigen. Aber er zeigt uns immer wieder dieselben Sachen.

Willkommen im Arbeiterlager

Willkommen in Dwarka!

Es ist Samstag Morgen. Voller Enthusiasmus machen wir uns auf in die brütende Hitze, um eine Wohnung in Dwarka zu finden.

Viele verseuchte Küchen, verrostete Duschköpfe, verfaulte Klos, abgenagte Wände und unzählige Flüche später ist es Sonntag Abend. Wir haben noch keine Wohnung.

Unsere Habe verrottet derweil in einem Lagerhaus der Umzugsfirma. Wie viele Kakerlaken es sich in den Kartons inzwischen bequem machen, wage ich nicht abzuschätzen.

Die bisherige Bilanz ist erschreckend. Bereits früher hab ich davon gesprochen, dass Dwarka ein Ghetto ist. Das ist natürlich komplett untertrieben. Es ist ein Mittelklasseslum.

Dwarka hat keine Kultur. Keine Bars. Keine Cafés. Keine Jugendtreffpunkte. Keine Spielplätze. Keine Parkanlagen. Keine Nachtclubs. Keine Restaurants, die sich für ein romantisches Dinner eignen. Dwarka hat zwei Dinge: Wohnblocks und Geschäfte. Es ist eine Art Umsiedlung auf freiwilliger Basis, denn Delhi gehen so langsam die Grundstücke aus. Also hat man im Westen der Stadt die verbleibende Fläche in 29+ Sektoren aufgeteilt. Diese Sektoren wurden wiederum in Grundstücke aufgeteilt. Alles ist durchnummeriert. Dazwischen grosse, breite Strassen (sogar relativ glatt) und eine Straßenbahn. Fertig ist das durchgeplante Auffangbecken für die Mittelklasse. Eine Arbeiterkolonie.
(Besser gestellte Delhiites, die ich bisher befragt habe, würden nie und nimmer hier her ziehen. Sie sprechen „Dwarka“ aus wie das Wort „Kakerlake“, nachdem man gerade eine erschlagen hat.)

Die meisten Plots beherbergen Wohnblocks. Die wurden entweder von der Regierung gebaut und nennen sich DDA Flats (Delhi Development Authority). Oder sie gehören sog. Societies. Über die DDA Flats hab ich mich bereits ausgelassen. Zur Zeit wohne ich in einer. Es ist die Hölle nicht schön.

Bei den Societies handelt es sich um so eine Art Wohnungsmafia. Eine Gruppe Leute tut sich zusammen, baut einen Wohnblock. Die einzelnen Wohnngen werden dann von den Gruppenmitgliedern gekauft, und so kreiert man eine Mininachbarschaft, die relativ statisch ist. Um eine Wohnung zu vermieten, muß der Vorstand der jeweiligen society informiert werden. Man paßt sehr genau auf, wer eine Society betreten darf und wer nicht. Vom Prinzip her sind Gated Communities sehr ähnlich, aber man plustert sich nicht so auf. Wir bekommen hier nicht mal offizielle Stromrechnungen, sondern einen vom Vorstand ausgefüllten Wisch. Irgendwie erinnert alles an einen kleinen, verzwickten, unsympathischen Club.

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