Indien ist kaputt

Vorbei die Zeiten, als die Medien Ängste schürten, indem sie die aufsteigende Macht Indien zur nächsten Weltmacht, zum nächsten Herrscher des Universums hochstilisierten. Rutsch rüber, Darth Vader. Hier kommt Rajkamal!! :wave: Damals, als es in diesem Blog tatsächlich regelmäßig Neuigkeiten gab, die dann auch gar nicht so selten kommentiert wurden: Jammer doch nicht! Indien ist so schön!

Irgendwie kann sich schon keiner mehr dran erinnern. Wenn heute jemand spitz kriegt, dass ich mal in Indien gelebt habe, dann weiten sich eher die Augen in Angst und Schrecken. Oje, du Arme. |-|

Indien. Ist das nicht da, wo die Kinder an Bäumen baumeln? Wo es so dreckig ist? Und so arm? Ich kann dann nur mit den Schultern zucken. :no: Genau genommen ist es noch dasselbe Land wie vor 5-10 Jahren, als sich in meinem E-Mail-Postfach die Anfragen stapelten, wie man am besten nach Indien auswandern kann. Nur ziemt es sich für die Journalisten heute eher etwas anderes zu publizieren.

Für uns macht es die Sache natürlich auch nicht unbedingt leichter. Da Indien heute als Land gilt, aus dem man ganz natürlich flüchten möchte, können wir doch nur froh sein, im schönen Deutschland leben zu dürfen – sogar bei dem Wetter! Komisch ist das schon irgendwie. U-(

Andererseits hat sich nicht nur die Wahrnehmung des Westens über Indien geändert. Selbstverständlich treffen wir in unserem täglichen Leben in der guten alten BRD weitaus weniger Indien-Aficionados als hier auf dem Indienblog. ;D Ist ja klar, dass man die gutbürgerliche Hausfrau mit Geschichten aus Indien höchstens in einen milden Schockzustand versetzen kann – Hausangestellte und Urlaub im Hyatt hin oder her. Das hören die gar nicht. Die sind dann schon im Delir. :lalala:

Faszinierend (obgleich auf eine unangenehme Art und Weise) ist an dieser Sache die gefühlte Festigkeit, mit der die vorgeformten Meinungen Bestand haben. Es ist gar nicht möglich, dass die wenigen, meist grausig-schlecht formulierten Nachrichten vom Subkontinent nicht die Wahrheit darstellen könnten. Das war so, als noch alle Inder von Top-Universitäten unsere Jobs klauten, und das ist jetzt so, als diese schmutzig-braunen Menschen einfach nur noch schmutzig, braun und ziemlich bemitleidenswert sind.* U-( Gleichzeitig existiert ein geschwürartiger Argwohn gegenüber den Nachrichten, wenn sie das eigene Land betreffen. Wobei… da weiß man’s ja auch besser. :yes:

——–
*Dies ist ein Klischee. Ich weiß das. :yes: Es wurde als stilistisches Mittel eingesetzt. Es ist keine Volksverhetze. Ehrlich. Mummy-Promise.** ;D
**Des is a klaaner Insiderwitz. :b

Die Spannung steigt

Sonntag, 5:53Uhr
„Mama? Ich will Cornflakes.“
Ein leises Stimmchen bohrt sich in mein Ohr. Verdammte Amygdala. Glaubt der winzige Hirnglibber doch tatsächlich, diese Information sei wichtig, und lässt mich davon aufwachen. |-|
Was mach ich jetzt? Nachdenken. Zeit schinden. Gute Idee!
„Wie heißt das?“
„Bitte.“ Ein wenig Petulanz mischt sich dem Stimmchen bei. Verflixt und zugenäht. Schnelle Auffassungsgabe… nicht gut. :no:
„Hmmpf.“

5:57Uhr
„Mama! Ich will jetzt Cornflakes!“
Hmmm. Bin ich doch tatsächlich weg ge dö….st.
„Mama! Gib mir jetzt Cornflakes.“
Ah, die Kunst zu schlafen. Immer. Überall. Egal wie laut die Umgebung. Herrlich. :yes:

So ein Sonntag ist eine ziemlich dämliche Erfindung. So viel Zeit. So unendlich viel Zeit.
Fingerfarben.
Wasserfarben.
Glückwunschkarte für Uroma basteln.
Boah, ist nicht bald mal Abend?
:yawn:

Tick. Tock. Tick. Tock. 23. Februar. Rechne, rechne. Kopfrechne. …
„Mama?“
Rechne….
„Mama!“
Noch ziemlich genau….
„Mama, ist heut Angucktag?“
„Was?“
„Ist heut Angucktag?“
8| „Nein.“ Rechne… Zehn… zwanzig…
„Aber ich will was angucken.“
„Nein.“ Reichlich zwei Wochen bis zur Prüfung. 88|
„Aber ich will!“
Minus Wochenende. Kindergartenfreitage. Feiertage. Faschingshalbtage. U-(
„Aber ich will angucken!“

Shrek Teil 1.
Memokarten durchgehen.
Weiß ich.
Weiß ich nicht.
Ich habe wunderschöne, übersichtliche, farblich codierte Memokarten zum Lernen gemacht. Das ist sinnvoll, pädagogisch äh… sinnvoll. Und man meint, man würde nebenbei was lernen. Und natürlich versetzt der Glaube Berge, einschließlich Berge zu bewältigenden Prüfungsstoffs. Nur nicht notwendigerweise auf den Weißich-Berg.

Mittag. Sonntag Mittag. Das Highlight der Woche.
Ich bereite voller Liebe eine Mahlzeit aus Pasta mit Zucchini und Shrimps zu. Wenig später lächelt uns auf den Tellern der heißeste Anwärter auf das miserabelste Essen 2014 an.
Oh Jerbina, wenn du wüsstest, wie sehr wir dich vermissen. Nach all der Zeit. :yes:

Nachmittag. Höhle bauen. Memory spielen (Kind gewinnt. Wir werden alt.) Basteln. Spielplatz. Baden.

Prüfungsfragen durchschauen. Weiß ich nicht. Weiß ich nicht. Weiß ich nicht. |-|

17:30Uhr
Endlich. Abendessen. Da niemand kochen wollte, gab es nur Käsebrot. Ich weiß nicht, was köstlicher war: Bentleys Gesichtsausdruck oder der Fraß vom Mittag. :))
18:30Uhr
Juhu. Madam entschindet in ihr Bett. Tasse Milch. Geschichte. Schicht im Schacht.

Happy Hours.

Um mich herum türmen sich Memokarten, Ordner, diverse Bücher. Ein strategisch platziertes Kissen federt den Aufschlag meines Schädels ab, als er nach hinten wegknickt. Lernen. Jetzt? :**:
Die Worte kullern im Kopf hin und her. Aber die Farben sind echt schön. Gelb für Intelligenz. Braun für Methodik. Rot für…. Die Wäsche muss noch in den Trockner! Schlurf. Schlurf.
Plötzlich wird alles klar: ich geh einfach schlafen. Der Gedanke allein ist kuschlig schön. Bentley rügt mich, dass 10 Stunden Schlaf eine ziemlich blöde Idee sind. Blöd sagt man nicht! :>>
Ist es wirklich erst 20:30Uhr? :zz:

Die Autorin, die früher einmal recht elegante Blogbeiträge verfasste, zögerte den Tag dank Game of Thrones noch bis 22Uhr hinaus, überflog das orangene Kapitel (Selbstkonzept & Selbstwertschätzung) und stempelte dann aus.
Sonntage. Gehören in der Prüfungszeit verboten. :yes:
Zusammen mit Samstagen. Feiertagen. Kindergartenschließtagen.
Und überhaupt.
:yes:

Geschlechtsspezifisches Verhalten

Es dämmert draußen, als frau zum Fenster hinausschaut. Und erschrickt. Draußen werkelt gerade eine fette Spinne mit ihrer Beute herum, die hilflos im Netz baumelt.
Zu Hilfe!
Merke: Ekliges Insektenproblem aus Indien (Kakerlaken) wurde durch ekliges Insektenproblem in Deutschland (Spinnen) ersetzt.
Merke ebenfalls: Sinn und Unsinn der Insekten sind frau völlig einerlei. Krabbeliges Zeugs mit Haaren an den Beinen muss weg.

Sie ruft nach der ihr angetrauten Hälfte. „Da ist eine fette Spinne auf dem Balkon“, weint sie und hält dies für eine umfangreiche, aussagekräftige Aufforderung.

In der Tat.

Mann tritt zunächst gelangweilt ans Fenster. „Wo denn?“ Plötzlich entdeckt er das Vieh mit den viel zu vielen Beinen. „Boah, wo ist meine Kamera!?“

Etwas benommen beobachtet frau, wie die ihr angetraute, insektophile* Hälfte mit dem Fotoapparat auf den Balkon tritt. Klar, es ist schon irgendwie beeindruckend, wie er sich todesmutig so weit an die Bestie herantraut, dass diese in einem Moment überartiger Fresssucht auf ihn überspringen und damit beginnen könnte, ihn in ihren Seidenstricken einzuweben. Mutig. Männlich. Schön. Aber andererseits hätte ich mir gewünscht, er hätte das Teil mit einem Pantoffel erledigt. |-|

*Die Rechtschreibprüfung beanstandet dieses Wort. Völlig zurecht! Pfui!

Das Resultat dieses Abends:

Spinne

Das Comeback der Religion

So. Die erste Probeausgabe der Zeit liegt vor mir und was veranstaltet das Blatt mit mir, anstatt sich ordentlich zwecks Verlängerung des Abos bei mir einzuschmeicheln? Bluthochdruck auf dem Titelblatt. U-(

Es geht um den Artikel „Hilfe, die glauben!“, den ich nicht online finden konnte – mit Ausnahme des bezahlbaren Audio-Abos. Darin wird eindeutig für mehr – nennen wir es euphemistisch – Einfühlungsvermögen gegenüber unserer religiösen Mitmenschen plädiert (was an sich schon komisch ist, wenn man bedenkt, dass die Mehrheit der Deutschen durchaus religiös und somit mitnichten eine Minderheit ist).
Instigiert wurde der Artikel durch das momentan debattierte Gesetz, welches in seiner objektiven Interpretation darauf hinausläuft, dass Beschneidungen in Deutschland ohne zünftigen medizinischen Grund nicht erlaubt sind. Der Einfachheit halber sprechen die meisten leider Gottes (kleines Wortspiel in Ehren) von einem „Verbot“ der Beschneidung.

Der Artikel nun versuchte angestrengt, sich nicht vordergründig mit diesem Thema zu befassen, sondern uns hinterrücks zu überzeugen, dass jedwedes Verbot der freien Religionsausübung ziemlich mies von „uns“ sei, und zwar auf einer moralischen Ebene, weil wir dem Gläubigen etwas, das ihm wichtig ist, wegnehmen.

„…für sie geht es um Gewissensfragen, um etwas Kostbares und vielleicht Unersetzliches, um den Kern ihrer Person“ heißt es da.

Aha.

Ich betrachte diese Entwicklung mit Besorgnis. Meinetwegen darf jeder glauben, was er möchte. Er darf seinen Glauben meinetwegen auch in vollen Zügen ausleben – sofern er sich damit im Rahmen der gegebenen rechtlichen Möglichkeiten befindet. Dieser Rahmen darf bis zum letzten Millimeter ausgeschöpft werden. Wo die rechtlichen Möglichkeiten aber aufhören, da hört auch die religiöse Freiheit auf.

Ich betrachte es mit Besorgnis, dass die öffentliche Meinung heute medial in Deutschland in eine Richtung gesteuert wird, in der mehr sichtbare Religion zwingend akzeptabel gemacht werden soll, und wo aktiv darum gebeten wird, die religiösen Bedürfnisse, welche sich außerhalb des rechtlichen Rahmens befinden, zu ermöglichen, indem beispielsweise die Gesetze geändert werden. So steht es auch deutlich im Artikel der Zeit.

Wo kommt sie her? Diese Angst davor, dem religiösen Menschen dieselben Gesetze abzuverlangen, weil diese Gesetze seine Freiheiten einschränken könnten? Was ist das für eine Entwicklung, wonach Religion per se mit Samthandschuhen anzufassen ist, weil man Gefühle verletzen könnte; wonach zwanghaft nach Wegen gesucht werden muss, um alle wie auch immer gearteten Wünsche und Lebensstile unterzubringen, wenn sie religiöser Natur sind?

Ich betrachte das mit Besorgnis, weil ich lange genug in einer Gesellschaft gelebt habe, in der Religion gern mal als Schlupfwinkel genutzt wird; in der Religion offen und öffentlich zelebriert wird. Wenn mir jemand sagt, dass es keinen Zwist unter den Menschen verursacht, wenn jeder seinen Glauben auf dem Hemdsärmel trägt (Jawohl, Anspielung!), dann muss ich leider sagen: ich weiß es besser. Wenn Religion derart karamellisiert wird, dass wir nicht mehr darüber reden können aus Angst, jemandes „Kern seiner Person“ zu verletzen, befinden wir uns ganz schnell in einer Gesellschaft, in der nicht Inklusion und Offenheit zelebriert wird, wie die Medien so gern tagträumen, sondern Aus- und Abgrenzung.

Indien lebt es vor: Die seit Jahrhunderten bestehende Religionsfreiheit hat nicht zu einer friedlichen, heterogenen Gesellschaftsstruktur geführt. Wie kommen die Menschen darauf, dass das in Deutschland anders sein würde? Weil wir cleverer sind? Wohl kaum.
Das Gesetz ist es, das uns alle gleich macht. Das ist gut so. Das ist richtig so. Das darf sich nicht ändern. Es ist falsch, eine solche Entwicklung anzustreben.

Wohin soll das führen?
Ein Beispiel aus Indien: Für jede Glaubensrichtung gibt es verschiedene Gesetze zur Eheschließung, Scheidung und Adoption. Die Menschen sind nicht mehr gleich. Anerkannte Gründe für eine Scheidung oder die Art und Weise der Scheidung variieren, wenn man beispielsweise Hindu, Christin oder Muslima ist. Ist das richtig? Darf das sein?

Wollen wir das in Deutschland etwa auch? Ich will das nicht.

Ich bin besorgt.

Religionsvielfalt

Über Kinderfeindlichkeit

Nichtsahnend besuchte ich heute die Postfiliale. Madame Blümchen saß im Buggy und wurde von mir chauffiert. Am Schalter traf ich einen Mann mit drei Paketen unterm Arm, der mich prompt vorwinkte. Während ich mit der Postangestellten am Schalter sprach, schaute er das Blümchen an, das gerade hingebungsvoll an einem kleinen Schokoweihnachtsmann lutschte.

„Na du, Kirschäuglein!?“ sagt er.

Ich dreh mich um: „Na das ist aber mal ein süßes Wort“, antworte ich. „Wir werden es uns merken.“

„Sie ist doch ein kleines Kirschäuglein!“ protestiert er und lächelt.

KirschäugchenKirschäuglein.

Kein Einzelfall. Genau genommen sogar der Regelfall. Wir sind noch nicht lange in Deutschland, und daher fällt es mir sehr stark auf: die vielen Blicke. Wildfremde Menschen fangen an, mit dem Blümchen zu sprechen, nennen sie alle möglichen niedlichen Dinge und stecken uns häufig sogar Freebies zu. Von Taschentüchern über Süßigkeiten/Snacks und kleinen Spielsachen war schon alles dabei. Kleinigkeiten, natürlich, aber sie haben alle eins gemeinsam: sie sind Ausdruck einer positiven, willkommen heißenden Grundstimmung gegenüber Kindern.

Das überrascht mich nicht. Ich gehe eigentlich nicht davon aus, dass die Menschen garstige Kreaturen sind. Aber es erinnert mich an den oft benutzten Spruch: Deutschland sei kinderfeindlich. Und ich frage mich, was damit wohl gemeint ist?

Das Land per se kann ja nicht gemeint sein. Es gibt für Familien unzählige Zusprüche und Vergünstigungen. Öffentliche Verkehrsmittel sowie die meisten Geschäfte und Einrichtungen sind mit Kinderwagen leicht begehbar. Enorm viele Arztpraxen, Geschäfte, öffentliche Einrichtungen wie Ämter etc. sind mit Spielecken ausgestattet. Überall bekommt man Freebies für Kinder hinterher geworfen. Es gibt gute Kinderbetreuung.
Wo ist die Kinderfeindlichkeit?

Auch der Grundtenor in der Haltung der Menschen ist meinen Beobachtungen nach nicht im geringsten negativ oder gar ablehnend. Bisher hatte ich nur eine einzige offene Anfeindung, und das war von einem Zweierpack alter Schrannen, die – dem verbeulten Gesichtsausdruck nach zu urteilen – sogar George Clooney davon gescheucht hätten. Und da weiß man ja, was von man solchen Leuten zu halten hat. 😉

Auch erliege ich nicht dem Irrglauben, meine Tochter sei die Schönste von allen und ernte darum so viel Zuspruch. Wie absurd das wäre. Sie ist einfach nur ein Kind, mit durchschnittlich gutem Benehmen. Wir sind weder VIPs noch Sonderfälle. Ich glaube, wir sind die Norm.
Und ich glaube, das Verhalten, das ich bisher beobachtet habe, ist auch die Norm.
Wo ist die viel beschworene Kinderfeindlichkeit?

Herbstgold

Vor unseren Fenstern hängt immer noch ein dichter gold-roter Vorhang. Dann taucht ein Fahrzeug in konkurrierender Farbe auf und saugt die gefallenen Taler weg. Unser Blümchen bestaunt die Show. Kein Wunder: Kinder werden vereint durch die unstillbare Faszination durch Bau- und Räumfahrzeuge aller Art. Und keine zehn Minuten später regnen bereits die nächsten Taler herab.

Der Herbst strahlt uns an, und Bentley fragt sich, ob die Luft wirklich so frisch (im Sinne von rein) oder einfach nur kühl ist. Blümchens zweiter Geburtstag kommt und geht. Ein Klassentreffen kommt und geht. Nur Indien bleibt weg. Dafür kommt der Winter: nicht bremsbar. Leise. Behutsam. Das Blümchen macht ihre ersten Schritte in der KiTa in einem wahrlich neuen Lebensabschnitt für sie, und sie liebt es. Den Trubel. Die Kinder. Das neue Spielzeug. Einen Hund mit Rollen, den sie an einer Leine spazieren führen kann. Ein Spielzeugtelefon. Die dicken Kinderbuntstifte. Nur die neuen Regeln sind doof: Beim Essen hinsetzen? Kein Spielzeug? Da isst sie lieber nichts. :no: Kaum ist die Mahlzeit vorbei, hat sie ihre Leiden schon vergessen. Die Mama auch. Aber das soll ja auch so sein. :yes:
Sie kann bis drei zählen. Einen Luftballon und ein Gesicht malen. Wie Picasso: So schräg. Und so wertvoll.

Wir kommen kaum hinterher, die vielen Veränderungen der letzten drei bis vier Monate zu verarbeiten. Zu überdenken. Gleichzeitig zu planen für die Zukunft. Wir rudern wild in dieser neuen Zeitrechnung. Bentley bemerkte kürzlich sehr treffend, dass er noch nie zuvor in so kurzer Zeit so viele Dinge zum ersten Mal getan hätte. Und kurioserweise trifft das auch auf mich zu. Bizarr. Schön. Überwältigend. Und angenehm. Wir sind wie staunende Kinder.

Herbstlaub

Witterungsgerechte Kleidung

Es könnte so einfach sein, wenn wir Übung hätten. Haben wir aber nicht. Und so scheitern wir häufiger mal an einer recht einfachen Aufgabe, nämlich der, witterungsgerechte Kleidung aus dem Schrank zu zerren.

In Indien war das immer sehr einfach: für die warme und die heiße Jahreszeit wählte man Baumwolle. In der feuchten Jahreszeit, also während der Regenzeit/Monsun, kam zusätzlich noch die Auflage hinzu, dass es möglichst Kleidung wäre, die nicht abfärbt. Für die kühlen Morgen und Abende Bangalores genügte ein übergeworfener Pullover oder schlimmstenfalls eine dünne Jacke.
In Delhi dann wurde es bis 5ºC kühl, so dass durchaus ein Arsenal an Pullovern nötig war. Im Haus Decken. Außer Haus eine anständige Jacke.
In Mumbai war das ganze Jahr über T-Shirt-Zeit (mit Ausnahme des Jahres 2007, als eine sog. „Kältewelle“ 12ºC kalte Luft nach Mumbai wehte).

Doch es war einfach, die passende Kleidung aus dem Schrank zu ziehen. Einen institutionalisierten Wetterbericht gab es nicht. Man wusste, die Temperaturen und Witterungsverhältnisse würden recht konstant bleiben. Warm. Heiß. Nass. Oder kühl. Man musste nicht den Himmel studieren. Oder die Windrichtung. Oder den Frühnebel. Oder… so.

Witterungsgerechte Kleidung
Sommerrock & Herbstjacke. Das ist jetzt Mode.

In Deutschland nun haben wir den Salat. Mal ist es warm. Mal ist es kalt. Strahlt der Himmel im verführerischsten Azurblau, heißt das noch lange nicht, es wäre auch warm. Ein ganzes Arsenal von Kleidung ist nötig, um der Wechselhaftigkeit die Stirn zu bieten. Eine dünne Jacke. Eine leicht dickere Jacke. Eine wind- und regenfeste Jacke. Eine wattierte Jacke. Eine Übergangsjacke. Eine Polarjacke. 🙄

Und wer soll sich da entscheiden?
Ich brauche einen Computer. Wie aus Clueless.

Zudem ist unsere Wohnung gen Osten gerichtet. Da kommt es schon mal vor, dass ich im Haus vor Kälte klappere, mich entsprechend auf frostige Lüftchen vorbereite und in der dicken Winterjacke und Schal aus dem Haus segele, nur um in einer Dunstglocke aus Sonnenschein steckenzubleiben und kurzärmelige Menschen an mir vorbeiziehen zu lassen. Gut, das war ein Mann, und von daher ein ungültiges Beispiel – aber die Tatsache allein, dass es sich hierbei um ein echtes Beispiel von vor-gar-nicht-allzu-lange handelt, sollte dem Leser zu denken geben. 😳

Ich vermisse die Zuverlässigkeit Indiens. Wenn ich morgens aufwachte, wusste ich schon, wie warm es werden würde. Nämlich ca. 32-35º. Genau wie gestern. Und letzte Woche. Und in drei Wochen. Ich weiß auch, dass ich mir für die Rickshaw einen Haar-Schal einpacke (man denke nur an Bridget Jones!), welcher dann in der Mall als Hals-Schal fungiert, um mir über die dort herrschenden 21-26ºC zu helfen (je nach Mall). Und ins Kino nehm ich ne Jacke mit. Einfach. :yes:

Hier in Deutschland hab ich besonders bei winterlichen Temperaturen regelrechte Angst, in ein Geschäft zu gehen. Letztens begann ich im zweiten Obergeschoss eines Buchladens gar arg zu transpirieren, während ich wenige Tage später im Wartezimmer eines Arztes einem Hitzschlag nur knapp entging. Dort saß ich kurzärmelig und war – wie ich später verdattert im Spiegel feststellte – puterrot!

Schwer. Sehr schwer. Schweres Thema. Wir üben noch. :yes:

Äpfel und Birnen

Ich weiß, man soll es nicht machen, aber mal ehrlich: diese Verlockung! Einen Tag nach unserer Rückkehr nach Mumbai fühle ich mich geradezu verpflichtet, ein paar Vergleiche anzustellen.

schubladendenken
Schubladendenken?

In Deutschland schießen mir Ausdrücke wie „Status Quo“ in den Kopf. Dieser Fluss der Gleichheit. Fertig. Alles sieht so aus, als wäre es schon immer fertig gewesen. Gebäude und Straßen und Städte. Und. So. Alles rastet ineinander wie lauter herrlich bunte Legosteine. Nur dass sie nicht immer bunt sind. Man denke nur an den grässlichen Farbmangel des Münchener Flughafens. Aber egal, von gelben und grünen Wänden kann sich auch keiner was kaufen. Wie wäre es mit der nächsten Assoziation? Glatt. So nämlich fühlt sich das Land an. Als wäre es komplett mit einer dieser chicen Nano-Oberflächen behandelt. Oder Spray-Imprägniert… welches Wort mich immer ans englische Schwängern erinnert und mich darum immer von dem ablenkt, was ich eigentlich sagen wollte. Also schnell weiter: Modelleisenbahn. So nämlich sieht alles aus, wenn man mit 180 Sachen auf der Autobahn durch die Landschaft braust und Bäume und Büsche und Hecken so kuschlig grün sind wie lauter kleine Bastelstücke. Und erst die Häuser und Straßen und geometrisch angelegten Felder. Klar. Das ist noch so ein Begriff, der mit in den Kopf springt. Die Luft ist klar. Das Wasser im Fluss ist klar. Die Wolken und Wälder und die Anleitung zum An-der-Kasse-stehen… alles ist so klar.

Dann landen wir in Indien und die Assoziationen verlaufen etwas anders. Das Wort Amöbe kommt mir in den Sinn. Nein, ich meine nicht das Entwicklungsniveau, sondern die Form von allem. So nicht-gerade. Definitionslos. Nichtstatisch. Also das genaue Gegenteil zum Status-Quo-Schild, das in Deutschland aufleuchtet. Dann schließt sich hier nahtlos ein anderer Gedanke an. Nämlich Oberflächen. Texturen. Anfassen. Ein Fotoapparat wahllos in die Landschaft gehalten wird unglaublich viele verschiedenen Texturen aufnehmen. Das führt unweigerlich zum nächsten Punkt: Dissonanz. Erst gestern las ich einen Bericht, in dem es um Gentrifizierung in Berlin ging. (Hallo, Anja! :wave:) Passt auch auf Indien, läuft aber parallel zur Verslumung. Geht nicht? Gibt’s nicht. Auch ein Hinweis auf das, was mir durch den Kopf schießt, während wir in der Taxe unserer Wohnung entgegen brausen. Ich komme auf die Amöbe zurück. Die ist so weich und formbar. Kuschlig. Wackelpudding. Götterspeise. Instabil. Und wo wir schon beim Essen sind: Eintopf.

Ich glaube, damit ist alles gesagt. 😉

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Wer in diesem Beitrag eine Wertung erkennt, muss das mit seinem eigenen Gewissen abrechnen. Dieser Artikel ist völlig neutral verfasst und will auch so verstanden werden.

Gewöhnungssache

Zurück aus dem Deutschlandurlaub erzähle ich euch von dem Satz, den ich dieses Mal am häufigsten hörte:

Das seid ihr doch gewöhnt.

Wir sprechen – glasklar – von der Hitze. Mal ehrlich: die gemäßigte Klimazone maßt sich so einiges an dieser Tage, wenn ich in einer wütenden befreienden Geste meine Brille von mir werfe, da das Vieh ja wohl nicht richtig funktionieren kann: 46ºC in Deutschland? Schatten/Sonne hin oder her, das kann nicht richtig sein.

Meine Hand tastet verschwitzt an der Wand entlang. Nanu. Wo ist denn der Schalter? Na der für die Klimaanlage!! Wie jetzt, gibts nicht? Und wo ist der Schalter für den Deckenventilator? Ich guck nach oben: Deckenstrahler. Wer braucht denn so was? Ich brauch Miefquirl, aber zackig.

Ich wundere mich ein bisschen. Puh, ist das heiß. Deutschland Einig Brutzelstand.

Einmal laut ausatmen darf ich nicht. Das hat Folgen: Es steht schon jemand parat: Wie jetzt, heiß? Ihr seid das doch gewöhnt!!

Nein, korrigiere ich. Sind wir nicht. Wenn es in Indien heiß ist, dann schalte ich den Ventilator an. Der rührt den Sud dann um. Der gaukelt mir eine leichte Brise vor. Und wenn ich indischen Besuch habe, bin ich aus Höflichkeits- und Gastgebergründen dazu verpflichtet, ihn ein paar Stufen höher zu drehen. Aber nicht, bevor ich DreiWetterTaft benützt habe, denn dann gibts ne steife Brise.
Und wenn es richtig heiß ist, dann schalte ich die Klimaanlage an. Das Ding, das ich nie haben wollte, weil ich ahnte, dass man, wenn mans einmal hat,
a) nicht mehr ohne kann will
und es
b) den Stromverbrauch mit Vier multipliziert.

Wo ist der Smiley, dem die Augen gleich rauspoppen? Ah ja, hier: 8|

Ja, heißt es dann, das mag wohl sein. Aber draußen gibts auch keine Klimaanlage!

Richtig, antworte ich. Aber in Indien geht man doch nicht raus. Nicht zwischen März und Juni, anyway. Da geht man ins Einkaufszentrum, ins Kino, ins Café. Jedenfalls geht man „in“ irgendwas, vorzugsweise mit Klimaanlage.

Hm. Heißt es dann. Trotzdem. Ihr seid das doch gewöhnt.

Nein, aber ich könnte mich dran gewöhnen, denk ich mir, während ich in nicht-dem-indischen-Moralverständnis-entsprechender Kleidung Sonne und Bräune tanke.

Lizard

Ja genau. Mir macht das Spaß. Ein bisschen schnaufen will ich trotzdem. Da schmeckt der Eisbecher dann besser. :yes: