Service ist Böse

Vor einigen Tagen kursierte das Gerücht durch die indischen Zeitungen, ein Professor des berühmt-berüchtigten Institutes of Management der westindischen Stadt Ahmedabad hätte den Bringservice zu den Wohnheimen des Campus eingestellt. Das heißt, Pizza & Co werden nicht mehr ins Wohnheim geliefert.
Warum machen Professoren solche Sachen?

Die These des Professors war recht simpel: die Studenten würden verwöhnt. Sie würden ihre Hintern nicht mehr bewegen. Das wäre nicht gut für ihren Charakter. Es würde sie für die Zukunft ruinieren. Es würde sie weltentrücken.

Hm. Hmmm. Ich stimme zu, dass die Auswüchse des Service in Indien durchaus charakterliche Schwächen ausbauen können. Faulheit beispielsweise ist Nutznießer Nummer Eis dieser ganzen vermaledeiten Institution. Das liegt auf der Hand, und ich habe bereits davon erzählt, wie angenehm es ist, sich 22Uhr ne Flasche Cola an die Haustür liefern zu lassen.
Weil man Durst hat.
Weil man gerade zu ______ ist, selber aufzustehen.
Weil es möglich ist.

Das heißt nicht, dass ich den Gedankengängen des Professors folgen kann. Wieso würden die Studenten durch Lieferservice für die Zukunft ruiniert? Wieso würde es sie weltentrücken? Ist Service dieser Art nicht ein Grundpfeiler der indischen Gesellschaft? Wer trägt seine Taschen selbst? Wer lässt sich seine Lebensmittel et al nicht vor die Haustür liefern? Wer schnippt nicht mit dem Finger, um die Lästigkeiten des Alltags erledigen zu lassen?

Ich sage ja nicht, dass das richtig und gut und schön ist. Ich sage nur, dass die Gesellschaft großteilig so funktioniert. Service ist billig und allgegenwärtig, und es ist abstrus zu sagen, die Studenten, die sich ihre Pizzen vor die Tür liefern lassen haben, würden sich in der späteren indischen Realität nicht mehr zurechtfinden. Schließlich ist diese spätere indische Realität ihres Erwachsenenlebens genau dieselbe. Nur in den eigenen vier Wänden.

Komisch. Aber ein Beispiel für die Spannungen und gegenteiligen Bewegungen in Indien. Und kauzige Professoren. :))

Langeweile

Mal ehrlich: Langeweile ist was Fürchterliches. Und wenn man in einem Fahrstuhl steckt, ist Langeweile gar gesundheitsschädlich. Was soll man schon ankeilen, während man sich von der ersten zur fünften oder von der siebten zur ersten Etage chauffieren lässt? Die einzige Landschaft, die an einem vorbei zieht, ist die Stockwerkzahl im Display. Wenn der Lift keinen Spiegel hat, gibts auch nix zu gucken. Keine Krawatte zurechtzurücken. Keine Locke in Form zu zupfen. Kein Pickel aufzudrücken. Gähn. Gähn.

Was nun?

Wie wäre es, wenn man sich daran macht, den Fahrstuhl umzudekorieren? Zunächst mal kann man die Sicherheitshinweise abkratzen, denn die sind voll langweilig. Gähn. Gähn! Mit dieser Aktivität kann man prima 5-6 Fahrstuhlfahrten rumkriegen.

Hat man dieses Werk vollbracht, ersetzt man die langweiligen Sicherheitshinweise mit neuen, lustigeren Sicherheitshinweisen:

Langeweile im Lift

Der Rechtschreibfehler hält uns mindestens 10 bis 15 weitere Fahrstuhlfahrten bei Laune. Dann denken wir uns was neues aus!

Fleisch oder kein Fleisch. Das ist hier die Frage!

So, in einer kleinen Pause zwischen dem ganzen Hochzeitsstress ist es Zeit für einen leckeren Kakao von Dr. Oe. Doch nanu, was ist das nur?

nanu

Ein roter Punkt markiert Lebensmittel, die für den Verzehr durch Vegetarier ungeeignet sind, während ein grüner Punkt der Unbedenklichkeitsaufkleber ist.

Verdächtig, verdächtig. Aus Fleisch mach Reis, oder so.

Aber was in der Türkei (woher die Packung stammt) für Vegetarier ungenießbar ist, kann in Indien schon wieder ordentlich mit dem Grünen Punkt für Fleischlos versehen werden.

Ich habe momentan keine Muse, mir die Hintergründe dafür anzueignen. Ich bin müde. Das Katzentier hat mir heute Morgen eine geschlagene Stunde ins Ohr geblökt. Es kann ja sein, dass ich selber Schuld bin, da ich einfach hätte aufstehen, ihm mit Whiskas das jammernde Maul stopfen und mich dann wieder hinlegen können… Aber weiß ich das denn vorher, dass der so hartnäckig ist? :yawn:

socke futtaaa

Reserve Bank of India: Haltet die Geldgirlanden auf!

Es ist wahr: manche Traditionen sind einfach doof unschön. Beispielsweise diese hier:

money garland

Dem Bräutigam wird während einer indischen Hochzeit eine Girlande aus Geld umgehangen. Diese Praxis ist „auspicious“, also glücksverheißend. Für den Bräutigam. Nicht für die Geldnoten, deren Lebensspanne durch das Tackern und Falten erheblich verringert wird.

Das findet nun auch die Reserve Bank of India (RBI), die in einem offiziellen Statement Paare davon abzuhalten versucht, diese Geldgirlanden zu benutzen. Immerhin, so RBI, führt das nicht nur zur Verschandelung der Noten (etwas also, das durchaus strafbar ist), sondern auch zu einem Mangel an Scheinen in kleinen Beträgen. Zehner, Zwanziger und Fünfziger gehen so flöten heiraten.

Gleichzeitig schreibt man in Indien auch heute noch regelmäßig auf Geldscheine drauf. Diese Unart hat sich in den letzten zehn, zwanzig Jahren zwar erheblich verringert, aber es gibt immer noch Leute, die es nicht lassen könnenn, nach dem Zählen eines Stapels Geldscheine dann auf den obersten Schein die Summe ihrer Bemühungen zu kritzeln, bevor sie ein weiteres Verbrechen begehen, indem sie den Stapel zusammentackern. Gummiband und Notizzettel, irgendwer? Das tun übrigens nicht etwa Privatpersonen, sondern Banken.

Hunz und Karthik hingegen nutzen Geldscheine öfters mal als Notizzettel, so dass man kryptische Botschaften darauf findet. Telefonnummern. Namen. Ich warte noch auf einen Schein mit Einkaufszettel. :))

Ich fand den Hilferuf der RBI jedenfalls höchst interessant. Dass so ein paar Geldgirlanden gleich zum Banknotenmangel führen können… 8|

Fast wie Hawaii

Auch in Indien gibt es Straßenlaternen, selbst wenn diese fast ausschließlich tagaktiv sind. Und es gibt Strommasten, deren dutzend selbstgeknüpfte illegale Verbindungen sich wie Lianen durch die Häuserschluchten ziehen. Solche Konstruktionen bieten sich an, wenn es gilt, ein Werbeplakat aufzuspannen.

Schlecht für die Werbenden: das ist gar nicht erlaubt. Schlecht für die Stadt: das juckt doch hier keinen. Die Plakate werden trotzdem zwischen zwei Strommasten aufgehangen oder an einen einsam stehenden Laternenpfosten gebunden.

In regelmäßigen Abständen schickt die Stadt Leute los, die solchen Unfug mit einem Messer beenden. Sie klettern den entehrten Strommast hinauf und schneiden die Werbetafel oder das Plakat ab. Dann gehen sie zu dem Werbenden, von dem sie das Bußgeld kassieren sollten, holen sich ihr Schmiergeld ab und ziehen zum nächsten Strommast.

Zurück bleibt dann dieser Anblick:

crpark
Hält den Mast im Winter warm.

An einem sonnigen, strahlendblauen Tag sah ich irgendwo in Delhi einen Baum, der im Laufe der Zeit auf selbige Weise mit etlichen solcher schwarzen Bänder bestückt worden war. Die Enden der Bänder schwangen sanft im Wind wie die goldgelben Baströcke hawaiianischer Tänzerinnen.

Stempel für ne Gasflasche

Umziehen war noch nie eins meiner Hobbies. Aber da müssen wir zZ durch. Keine Zeit für gar nichts.

Heute haben wir unsere Gasflasche abgemeldet. Ja, richtig. Abgemeldet. Ganz offiziell.

Gas zum Kochen ist in Indien ganz wichtig. So gut wie niemand hat einen Elektroherd. Warum auch. Es gibt ja ständig Stromausfälle.

Damit mit den wenigen Gasflaschen kein Schindluder betrieben wird und sich der Schwarzmarkt in Grenzen hält, muss man sich bei einer Gas-Agentur anmelden. Diese Agenturen gibt es überall, und je nachdem, wo man wohnt (in welchem Stadtteil), wird man einer Agentur zugeordnet. Dort tanzt man dann mit Mietvertrag und Rationskarte an. Sozusagen der Nachweis: Ja, ich existiere tatsächlich, und ich wohne daundda.

(Ich habe heute mit Rahul über die Notwendigkeit und den Sinn einer Rationskarte nachgedacht.
Mein Argument: Wir sind doch nicht im Krieg.
Rahuls Argument: Ja, aber wenn, dann hat man ja gar keine Zeit, so einen Wisch zu erstellen.
Irgendwie haben wir uns dann am Ende darauf geeinigt „Das ist Indien“, und damit hat sich das. 🙄 )

Die Agentur stellt einem dann einen Wisch aus. Man bekommt ein kleines Büchlein, in dem alle zukünftigen Nachfüllflaschen eingetragen werden. Man erhält eine Identifiaktionsnummer. Schnell die Kaution (INR 800) für ne Gasflasche bezahlt und schwuppdiwupp, darf man so ein Teil mit nach Hause nehmen.
Ein Installateur kommt mit, um sich davon zu überzeugen, dass
– man da wohnt, wo man zu wohnen vorgegeben hat
– ein Gasherd existiert.
Findet der Installateur alles zu seiner Zufriedenheit vor, gibt er uns einen Regulator (INR 100) und die magische Verbindung zwischen Gasflasche und Herd wird erstellt.

Dann kann man fröhlich Chapatis ausrollen.

Was aber, wenn man umzieht? Schnappt man sich die Gasflasche, packt sie in den Umzugswagen und fährt damit nach Delhi?

Denkste!

Ab zur Agentur. „Hallo, wir ziehen um.“
Gasflaschenannahmestelle: Gasflasche abgeben. Zettel abholen.
Agentur: Zettel abgeben. Kaution in Empfang nehmen.
Regulator vorzeigen, abgeben. Kation in Empfang nehmen.

Und jetzt, ganz wichtig: NOC abstempeln lassen und nicht verlieren.

Dieses No Objection Certificate besagt, dass Daniela und Rahul einmal eine schöne Gasflasche in Bangalore besaßen. Diese Gasflasche zapften sie nur an, um Mutton Curry (Lammcurry) zu kochen, nicht aber um einen kleinen florierenden Schwarzmarkt hochzuziehen. Jetzt gefällt es Daniela und Rahul in Bangalore nicht mehr und sie versuchen in Delhi ihr Glück. Die Gasflasche und den Regulator haben sie ordnungsgemäß abgegeben. Kein Problem. Daniela und Rahul dürfen sich in Delhi eine neue Gasflasche und einen neuen Regulator (gegen Kaution und Vorlage des Mietvertrages) abholen.

Stempel drauf. (In Indien ist nichts offiziell ohne Stempel. Gefälschte Stempel gibt es für INR 20 pro Stück in ominösen Geschäften überall in der Stadt.)

Indien ist schön!

Morgenkacker

Ich stehe dieser Tage immer zwei Mal auf. Zuerst taumel ich Punkt 6 Uhr durch den Flur in Richtung Kühlschrank, um Fressbares für Socke zu suchen und zu präsentieren. Socke hat ein untrügbares Zeitgefühl, starke Lungen und sehr scharfe Krallen.

Danach entgleite ich dieser Welt sofort wieder und erwache erst, wenn ich richtig ausgeschlafen habe wenn Socke langweilig ist. Das ist so gegen 10.

Heute allerdings bin ich in dieser mir unbekannten 6-Uhr-Welt auf den Balkon gegangen. Vermutlich bin ich im Halbschlaf einfach nur falsch abgebogen, das kann ich jetzt nicht mehr so genau nachprüfen. Aber was ich da fand bestärkte mich in der Überzeugung, dass es sich einfach nicht lohnt, der Welt schon so früh meine Aufmerksamkeit zu schenken. Vor allem darum, weil um diese Uhrzeit wirklich nur Ferkel ihr Unwesen treiben. 🙄

Guckst du hier:

Geschäftig

Geschäftig

Der eine oder andere Leser findet es vielleicht ein bisschen seltsam, dass ich fremde Menschen beim Kacken fotografiere. Ich hingegen finde es viel seltsamer, dass fremde Menschen vor meiner Nase kacken. Außerdem wollte ich nur eine stimmungsvolle 6-Uhr-Landschaft fotografieren, mehr nicht.

So ist das in Indien. Täglich in den frühen, unmenschlichen Morgenstunden strömen die Leute aus ihren Hütten und düngen die Landschaft. Das ist auf dem Land so und ist in Bangalore nicht anders.

Darum geh ich auch nicht auf den Balkon und atme die frische Morgenluft ein, denn die olfaktorischen Botschaften stimmen mit den visuellen einfach nicht überein. Da schlaf ich doch lieber bis 10, wenn die Morgenkacker fertig sind.

Mich wundert es übrigens, dass die jeden Morgen eine noch unbenutzte Stelle finden. |-|

Ich bin schlau!

Wieder was entdeckt. Man glaubt ja gar nicht, welch tiefe Abgründe menschlichen Denkens sich auftun, wenn man mal eben irgendwo im Parkverbot herumlungert. So geschah es, dass wir im Zustand geistiger Umnachtung vor dem Tor einer netten Familie standen. Wir waren gerade dabei, unser Auto meistbietend zu verschachern und wussten nicht so recht, wohin wir nun noch kutschieren sollten. Da standen wir also herum… und ich bemerkte dieses Schild am Tor der o.g. netten Familie:

Schlauer gehts nicht

Aha, A.N. Gopal hat also einen B.Sc. Für die unwissenden unter euch (die offensichtlich keinen solchen Titel tragen), übersetze ich das mal eben: Ein Bachelor of Science!

Da stand mir die Kinnlade offen. Man sieht es zwar häufiger, dass sich jemand ein Schild mit seinem Titel bastelt, aber bisher hielt ich das in meiner intellektuellen Beschränktheit für ein Phänomen zur Selbstvermarktung von Ärzten und Anwälten.

Jetzt werde ich von Komplexen geplagt, denn ich bin ja noch nicht mal ein B.A. Und in Indien ist ein B.A. nur einer, der zu doof für BWL, zu arm für Medizin und zu wasauchimmer für IT war und darum den Deppenkurs z.B. in Psychologie gewählt hat. Ein B.Sc hingegen ist eine Person, die so schlau war, dass sie sich mit Chemikalien zudrönen lassen und trotzdem Examen bestehen konnte oder in den Eingeweiden verschiedener (im Sinne von ‚tot‘) Wühlmäuse herumwerkeln konnte. Da kann ich nicht mithalten.

Lieber Herr M aus G bei C, meine Vorliebe für soziale Klassifikationen ist keine Obsession, unter der ich leide, da ich in der Nähe der hübschen Karl-Marx-Stadt geboren worden bin, sondern es ist die tägliche Vorspeise indischer Mentalität. Auch die Wahl deiner Studienkurse lässt prima auf deinen geistigen Zustand (und sogar deine soziale Herkunft) schließen. Mit Jura bist du da fein raus. Herr Gopal hingegen ist dir sogar noch überlegen, denn Studenten der Naturwissenschaften sind ja viel schlauer als Juristen. Ich hingegen…. na, lassen wir das.

Ich fand es nur so lustig, dass sich jemand ein Schild an die Haustür kleben würde, dass davon zeugt, dass er drei Jahre lang auf modrigen Schulbänken hockte und diese verflixte Tabelle der Elemente (letzte Seite im Tafelwerk) kapiert hat, wo ich nur immer die Farben so schön bunt fand. Darum hab ich meine mündliche Prüfung ja auch in Kunst abgelegt, und nicht in Chemie.

Ende der Durchsage.