Indien wird häufig mit den gewaltfreien Lehren Gandhis in Verbindung gebracht. Seine Taktiken und Methoden werden durch den relativ neuen Begriff „Gandhigiri“ beschrieben. Wer also durch einen gewaltfreien Sitzprotest sein Ziel erreicht, der kann gern behaupten, er wäre mit Gandhigiri erfolgreich gewesen.
Diese erhabene Fachsprache hat in Verbindung mit den immer häufiger auftretenen Fällen von Mobgewalt dazu geführt, dass ein neuer Begriff aus der Taufe gehoben wurde: Goondagiri.
Ein Goonda ist ein Gauner, häufig ein Ganove mit politischen Verbindungen. Ein Kleinkrimineller.
Raj Thackeray, der in diesem Blog schon mehrfach Erwähnung fand, wird in den Medien inzwischen als Goondaraj gehandelt. Ein Raja ist ein König, und Raj ist der König der Ganoven.
Seit Sonntag Abend ist es in Mumbai wieder zu Ausschreitungen gekommen. In Fotos sieht das so und so aus. Die politischen Hintergründe der immer wiederkehrenden Gewalt nach einer aufwühlenden Ansprache des Ganovenkönigs kann man hier nachlesen. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass Raj Thackeray und seine inzwischen drei Jahre alte Partei MNS (Maharashtra Navnirman Sena) den stetigen Migrantenzustrom nach Mumbai nicht ertragen können. Ihrer Meinung nach strömen Menschen aus den ärmeren, nördlichen Bundesstaaten Indiens wie Bihar und Uttar Pradesh in Scharen in die Finanzhauptstadt Indiens und nehmen der Lokalbevölkerung die Arbeit weg. Als Antwort auf dieses durchaus realistische soziale Problem nehmen Anhänger der MNS Schlagstöcke, Steine und brennende Reifen in die Hand und zeigen es den Migranten.
Am Montag Morgen wurde Raj Thackeray wegen Aufwiegelung des Volkes mit der Intention, Unruhe und Gewalt zu stiften verhaftet und nach Mumbai gebracht, wo er die Nacht in einem Gefängnis im Stadtteil Kalyan verbracht hat. Zuvor hatte Raj gemeint, Mumbai wird in Flammen aufgehen, würde er verhaftet. Dem war dann tatsächlich so, und inzwischen sind diesen Unruhen zwei Menschen zum Opfer gefallen.
Was ich all diesem regelmäßig auftretenden Kuddelmuddel (Raj wurde zuvor schon verhaftet, auf Kaution freigelassen, etc.) nicht so ganz verstehe, ist die lasche Attitüde der Landesregierung. Warum lässt man Raj nicht im Kerker versauern? Theoretisch und mit viel Fantasie sowie einer willigen Justiz könnte man ihn sogar wegen Anstiftung zum Mord drankriegen. Alle Attentäter und Unruhestifter, die ja im Großteil der Fälle durch stark präsente Fernsehkameras auf Band festgehalten worden sind, sollten ebenfalls die Höchststrafe absitzen.
Die Schlagworte des Ganovenkönigs und seiner Partei sind durchaus treffend. Mumbai muss – wie Delhi auch – einem ständigen Zustrom von Migranten Stand halten. Diese kommen, wie die Protagonisten in Lapierres City of Joy, aus Armut und Frustration in die Städte. Landwirtschaft ist weder ertragsreich noch erträglich. Also fahren diese Männer Rickshaws, Taxen oder verkaufen Waren, während ihre Familien im Dorf bleiben und mehrheitlich von dem Geld leben, das ihre Männer ihnen schicken. Ein Rickshawwallah verdient ca. 3500 Rupien im Monat.
Beim Durchforsten des Internets nach diesem Problem sind mir besonders zwei Dinge aufgefallen.
Erstens scheinen sich Marathen, also die Lokalbevölkerung Maharashtras, von Migranten nicht nur jobtechnisch bedroht zu fühlen, sondern sie haben Angst davor, dass ihre Kultur, ihre Sprache und ihre Identität von Außenseitern überrannt wird. Einige der Erfahrungsberichte von Marathen erzählten davon, wie sie besonders kurz nach der Gründung des Bundesstaates in den frühen 60ern gehänselt wurden. Marathen hatten einen schlechten sozialen Status. Man möchte nicht von Bihari Migranten verachtet werden, oh nein! Außerdem wird bemängelt, dass niemand Marathi lernt. Die Sprache und Kultur des Bundeslandes, in dem sie leben, scheint die Migranten nicht zu jucken.
Zweitens sind die Belange der Marathen ganz einfach Belange, die jede Gemeinde betrifft, die ständig neue Zuwanderer aufnimmt. Warum sich erst radikale und gewaltbereite Gruppen bilden müssen, um die doch zutreffenden Ängste und Probleme der Lokalbevölkerung zu addressieren, erscheint mir nicht ganz logisch. Genauso gut könnte sich die Landesregierung mit diesen Problemen auseinandersetzen. „Goondagiri – Das Gesetz des Mobs“ weiterlesen