Im Park

Nachdem ich vor einiger Zeit über die grausamen Zustände in unserem Park geschriebennörgelt habe, ist nun mal ein Update fällig: Wie läuft es so bei unserem täglichen Spaziergang im Park mit Roma?

Park
Ort des Geschehens

Jut. Kann ich nur sagen. :yes:
Ich gehe immer noch jeden Tag gegen 17Uhr mit Roma in den Park, um mit anderen Kindern zu spielen und sie auf dem Spielplatz/dem Rasen herumtoben zu lassen. Anfangs war es eine Tortur: es gab weder Kinder in Romas Alter noch Eltern, mit denen ich mich hätte unterhalten können, zum Beispiel zwecks Gründung einer Krabbelgruppe. Die meisten Kinder, die im Park aufkreuzten, waren entweder viel älter oder stammten aus einem nahe gelegenen Slum. Sofern überhaupt Begleitpersonen dabei waren, handelte es sich meist um die Maids oder Großeltern. :yawn:

Doch dann begann sich das Blatt im März zu wandeln. Langsam kamen mehr jüngere Kinder im Alter so zwischen drei und fünf. Sie waren mit ihren Maids dort, die sich dort täglich zur Plauderstunde auf den Rasen setzten, doch das war schon mal ok: immerhin hatte Roma jemanden im ungefähren Alter. Ich hingegen langweilte mich zu Tode. :zz:

Dann begann man den Gemeinschaftsraum im Park für die Anmeldung für die indische Form des Personalausweises zu nutzen: eine neue Sache. Jetzt soll ganz Indien diesen Ausweis bekommen. Aadhaar UID (Unique Identification) nennt sich das und ist ein gigantisches Projekt. Dazu später mal mehr.
Durch diesen Vorgang jedoch strotzte der Park nur so vor Besuchern. Die standen natürlich alle in der Schlange zum Gemeinschaftsraum, doch ich denke, dass dies im Wesentlichen auch zur Popularisierung des Parks beigetragen hat. Inder sind meiner Meinung nach nicht so die Frische-Luft-Typen und genießen auch selten den Luxus genannt „Freizeit“, um im Park ein paar Runden zu drehen. Ich glaube, die meisten Bewohner unserer Nachbarschaft haben zuvor keinen Fuß dorthin gesetzt. 8|

Was auch immer der Grund gewesen sein mag (das Wetter sicher nicht, denn das wurde zunehmend schlechter): der Park füllte sich und es kamen immer mehr Kinder. Schließlich hatten wir auch Kinder in Romas Alter und – Hurra! Hurra! – sie wurden von ihren Mamas gebracht. So schloss ich auch endlich Freundschaften mit den Müttern, z.B. S. und S.
So sind Roma und Mama glücklich. :yes:

Das seltsame ist, dass S. zum Beispiel im Haus gegenüber wohnt. Wir sind uns in drei Jahren nie begegnet. Wie gesagt: Inder sind nicht so die Frische-Luft-Typen. Ihre Tochter ist zwei Monate jünger als Roma.
Auch traf ich L. aus Osteuropa. Sie wohnt nur um die Ecke. Ihr Sohn B. ist nur drei Monate jünger als Roma. Leider ist L. ganz, ganz, ganz sicher kein Frischer-Luft-Typ. Sie kam nie wieder in den Park, und obwohl ich ihr meine Adresse gab, kreuzte sie auch bei uns nie auf. Ihre Adresse hatte sie mir nicht gegeben. Nun ja. Wer nicht will, der hat schon.

Ich hab jetzt jedenfalls. Viel mehr Spaß am Park, zum Beispiel. Und Roma hat inzwischen – sehr zum Leidwesen meiner Fettpolster – auch den Spielplatz für sich entdeckt. Mit der Zeit wurde sie von der kleinen Rutsche zur größten befördert. Beziehungsweise hat sie das so beschlossen. Und da diese Rutsche … oder der ganze Spielplatz definitiv nicht für kleine 20-Monate-alte-Kinder gedacht ist, muss Mama immer hinterher die Leiter raufkrabbeln. Bei 35ºC und 90% Luftfeuchte ist das Extremsport. :yes:

Das macht aber nichts, da diese Rutsche auch langsam nicht mehr interessant ist. Schließlich kann meine Blume das schon. 😉 Was sie noch nicht kann – und darum logischerweise trotzdem tun will – ist die Kletterwand bezwingen.

Leider macht uns der Monsun nun häufig einen Strich durch die Rechnung. Etepetete darf man da nicht sein, wenn auf dem Rasen Sumpf herrscht und man von der Rutsche sofort in einen 10cm tiefen Pool fällt. Hm. Na ja. Die weißen Hosen waren auch schon mal weißer. :))

Mir egal. :lalala:

Indien in Bildern: Raubtierfütterung

Ein abendlicher Spaziergang förderte den tierischen Engel der Nachbarschaft ans Mondlicht: ein Anwohner mit einem verdächtig riechenden Beutel in der Hand. Seine Präsens gab Anlass zu einer milden Tierwanderung: es folgten ihm sämtliche Katzen der Umgebung, und selbst dieser Bengel hier kam aus seinem Versteck gekrochen und scharwenzelte dem Herren hinterher.
Es stellte sich heraus, dass der Herr als Tierliebhaber erster Güteklasse für alle Hunde und Katzen ein Fresspaket vorbereitet hatte. Jeder Hund bekam einen in ein Stück Zeitungspapier eingewickelten Batzen Reis mit Hühnchen serviert. Für die Kazten gab es dasselbe.

Raubtierfütterung
Raubtierfütterung

Auf Nachfrage hin erklärte er, dies sei sein tägliches Abendritual.
Wir beglückwünschten ihn für sein gute Herz, schauten eine Weile zu und setzten unseren Weg dann fort.

Es ist schön zu wissen, dass es hier* noch solche simple (im Sinne von unschuldige) Großherzigkeit gibt.

*im großen bösen Indien

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Eine weitere Wahrheit ist, dass die Muse sich eine Weile nicht unter den mich küssenden Personen befunden hat. Sehr unschön, zumal es sehr viele interessante Themen gibt, die ich – versprochen – aufzubereiten gedenke.
Bis dahin gibts Fotogeschichten.

Update: Hippiehund

Der schärfste Hund in I.C. Colony!

Hippiehund India TV style

Auf Anfrage hin gibt es den Hippiehund nun à la IndiaTV mit Pfeilen, die seine wesentlichen Merkmale ins Auge stechen lassen: Dreadlocks.

Unsere Pfade kreuzen sich, wann immer ich Roma in den Park chauffiere. Dann nämlich lümmelt Hippiehund gelangweilt auf der Straße herum. Als ich diesen Goa-Spätauswanderer das erste Mal sah, wurde I.C. Colony von herzhaftem lachen erschüttert; und nachdem dieser Ausbruch sich erschöpft hatte, musste ich glatt zurückgehen und ein Foto machen. Man kann mit Bestimmtheit sagen, dass es das nicht so oft gibt, zumal Hippiehund auf beiden Seiten gleichmäßige Dreads hat.

Verliebte Paare. Das ist ja eklig.

Indien macht echt Spaß und wie überall auf der Welt gibt es auch hier Personen, die eindeutig zu viel Zeit haben. Dreihundert von ihnen wohnen in I.C. Colony, unserem Stadtteil in Mumbai. Sie haben ihre Unterschrift für den Zweck gegeben, in I.C. Colony aufzuräumen. Den Abschaum zu beseitigen.

Der Abschaum – das sind

„junge Paare, Betrunkene und Drogenabhängige“

Zitat: Times of India

Erquickend, dass junge Paare im selben Satz mit Betrunkenen und Drogenabhängigen erwähnt werden. :yes: Ich habe zwar von letzteren hier noch nie welche gesehen, aber das liegt vermutlich daran, dass ich zu wenig Zeit habe.
Diese asozialen Elemente hängen jedenfalls allabendlich an der Bushaltestelle herum, die so ungünstig im Schatten der herrlichen Bäume verborgen liegt und geradezu dazu einlädt, dass sich junge Paare gegenseitig betatschen. Ein striktes No-No in Indien. Die Anwohner umliegender Hausgemeinschaften fühlen sich peinlich berührt und möchten nun, dass die Polizei aufräumt. Daher die Unterschriftenaktion.

Love Not

„Es ist beschämend, jungen Paaren mit ihrem notorischen Verhalten an der Bushaltestelle zu begegnen. Das ist hier zur Normalität geworden und sendet die falschen Signale an unsere Kinder, die durch solche Akte beeinflusst werden.“

Zitat: Vijay Sawant, Anwohner

Aha! 😳 Wie gesagt: Das ist ja voll eklig. U-(

Wessen westlich-verseuchter Gehirnbatzen nun meint, hier hingen Möpse und Pimmel in der dunklen Öffentlichkeit eines Bushäuschens an der frischen Luft, der irrt. Notorisches Verhalten junger Paare ist:
– Händchen halten
– umarmen
– womöglich noch Arme um die Hüfte/Taille legen

Mir wird schon vom Schreiben schlecht. Hat die Jugend denn gar keinen Respekt? Was soll aus den Kindern werden, deren unbedarfte Iris auf solche Obszönitäten fällt? |-|

Ewig währte der Kampf der Anwohner gegen die Ekelhaftigkeit in ihrem hübschen, grünen Stadtteil, doch nachdem die Unterschriften nun hochoffiziell bei Den Verantwortlichen abgegeben worden sind, verspricht die Polizei, die Gegend zu patrouillieren:

„Nachdem wir die Beschwerde erhalten hatten, begannen wir, hart durchzugreifen bei Paaren und Studenten, die in den Abendstunden in dieser Gegend frei herumlaufen. Wir gehen auch gegen Paare vor, die sich unanständig benehmen.“

Krishnaji Gaikwad, Senior Police Inspector

Gott sei Dank! Stellt euch nur vor: frei herumlaufende Jugendliche und Paare. Das hört sich doch verdächtig nach tollwütigen Hunden an, und denen möchte im Dunkeln schließlich auch niemand begegnen. 88|

Über die Drogenabhängigen und Besoffenen sagt der Polizist nichts.

Nun denn. Ich bin ja nur froh, dass jemand aufräumt in der Gesellschaft. :yes: Es wurde auch Zeit. Ständig wird man von freier Liebe belästigt. Der Anblick ineinander verknoteter Hände und die anhimmelnden LiebesBalzblicke junger Menschen verursachen dem gediegenen Geist schließlich Herzklopfen ganz anderer Art. Um nicht zu sagen Kammerflimmern!

Nicht so sicher bin ich mir hingegen, ob ich es jetzt noch wagen darf, mit Rahul abends mal einen Browny essen zu gehen. Das tun wir manchmal: Wenn kein anständiger schokoladenhaltiger Nachtisch im Haus ist, schlüpfen wir aus der Wohnung in die verträumte Dunkelheit der verschlungenen Pfade unserer I.C. Colony und laufen die 500m zum Brownygeschäft. Manchmal nimmt Rahul dabei meine Hand und ich glaube, wir lachen auch mal zusammen. Was nun, wenn in einem solch inopportunen Moment ein Polizist aus dem Gebüsch springt und „hart durchgreift“, weil unsere junge Vertrautheit die nächste Generation in moralische Bedrängnis bringen könnte? – – Nun ich glaube, bei mir purzeln in Zukunft die Pfunde! :))

Aus diesem netten Zeitungsartikel & dem noch netteren Blogbeitrag lernen wir wieder eine ganze Menge:
=> Erstens hatte ich doch Recht und schon breitet sich ein warmes, wohliges Gefühl in mir aus: Indien ist prüde. Es sind nicht nur opportunistische Politiker, die junge Paare zu Staatsfeinden erklären.
=> Zweitens: Christen verkörpern in Indien nicht den Fortschritt. Häufig falle ich dem Vorurteil anheim, Christen wären aufgeschlossener. Stimmt ja gar nicht. Schließlich ist I.C. Colony so eine Art christliches Bollwerk Nordmumbais.
=> Drittens: Offensichtlich passiert recht wenig in Mumbai, dass so eine Lapalie der Times of India drei Spalten und ein riesiges Foto wert sind.

Schritte am Morgen

An einem klaren Morgen, als die Hitze des Tages noch eine bloße Vorahnung ist, ziehen wir die Sneakers über und traten in das Gewirr von schmalen, gewundenen Straßen und Sackgassen hinaus, aus dem unsere versteckte Ecke Mumbais gebastelt ist.

Es war 7Uhr – eine Zeit, wenn Maids die Stufen vor den alten, träumerischen Bungalows oder die Balkons der Apartments mit ihren störrigen Reisigbesen in eine wirbelnde Staubwolke hüllen. Vor dem Geschäft eines Kiranawallahs um die Ecke unseres Hauses türmten sich die Zeitungen, die dort sortiert und mit Hausnummern versehen werden. Immer wieder kommt ein Junge mit Fahrrad vorbei und lädt sich wieder einen Stapel auf den Gepäckträger, um ihn auszutragen: vor Haustüren zu werfen oder kunstvoll zusammengerollt in die Türklinke zu stopfen – je nachdem, wie viel Zeit er an diesem Tag hat. Meist erreicht uns die Zeitung nicht vor 8Uhr.

Gleich daneben hat eine Transporterrickshaw (eine der knatternde Piaggios) mehrere riesige Plastikwannen voller Milchtüten abgeladen. Auch diese werden nach und nach ausgetragen: vor die Tür geklatscht oder in Plastikbeutelchen gesteckt, welche von den Bewohnern an ihre Türklinke oder an den Gartenzaun gebastelt wurden.

Durch das straff organsisierte Chaos dieser logistischen Aktivitäten eines ganz normalen Morgens hindurch flitzt hier und da ein Jogger. Eine Maid im geschickt zur Arbeit gewundenen Sari migriert zur nächsten Wohnung, um durchzuwischen und abzuspülen. Blumenverkäufer verteilen Ellenlängen Jasmingirlanden, die als Haarschmuck oder als olfaktorische Dekoration des Hauses genutzt werden. Und an der Bushaltestelle stehen schon fünf, sechs Leute Schlange – wie das in Mumbai, und nur hier, an der Bushaltestelle Tradition ist. Gedrängelt wird anderswo.

Während wir um Kurven biegen, an gestutzten Hecken, vernachlässigten Bungalows, neuen Fußwegen und prächtigen Gartentoren vorbeilaufen, hechtet ein Rudel Straßenhunde auf uns zu. Sie verfolgen imaginäre Schnitzel/Reispatties. Zwei von ihnen verlangsamen ihre quirligen Schritte und gucken uns an: so ein Hund weiß immer, wer ihnen wohlgesonnen ist. :yes: Einer der Flohbesen (ich hab ihn noch nie gesehen) springt an mir und hinterlässt ein nettes Druckmuster auf mir. Der andere schlappert mir mal eben die Hand ab. Lecker! 🙄

Natürlich sind wir nicht die einzigen Spaziergänger, sondern es watscheln ganze Trupps an gutgelaunten Morgenfreunden an uns vorbei. Über uns in den Wipfeln der Bäume zwitschert und raschelt es verdächtig, so dass wir unsere Schritte beschleunigen. Und aus den Fenstern einiger Wohnungen dringt das schrille (und auf Dauer unangenehme) Läuten heller Glöckchen, die zur Morgenpuja benutzt werden.

An den Häusern unserer Siedlung, die zu einer der ältesten Enklaven Mumbais gehört, prangen Namen, die man nur hier (oder in anderen christlichen Vierteln zum Beispiel in Bandra) findet: Casa Bello. Mary Immaculate Apartments. William’s Burg. Crystal Rose. Oder auch Lorenzo Mansion. Fast wie Goa. Nur ohne Strand. 😉

Eine Stunde später taucht die Sonne die Straßen in ein anderes Licht: es ist Zeit, sich in den Schatten des Hauses zurückzuziehen. Zurück vorbei an Leuten, die mit Gartenschläuchen ihre üppige Blumenlandschaft bewässern. Katzen, die faul auf ihren Säulen, Fenstervorsprüngen und niedrigen Dächern sitzen und auf den Machliwallah warten. Alles erwacht ganz langsam, macht sich gemächlich fertig für den Tag oder träumt bei einer Tasse Chai in den Vormittag hinein.

I.C. Colony

Ein Spaziergang durch I.C. Colony ist auch nach über einem Jahr noch interessant. Ich mag dieses kleine Nest einfach, dass sich wie ein Dorf anfühlt, mit engen, gewundenen Straßen, die überdurchschnittlich grün sind; mit etlichen Katzen, die sich um die Fischfrauen drängen, und vielen Straßenhunden; mit den kleinen Garagengeschäften, die ich alle schon kenne; mit dem Tomatenmann, der mich täglich mit einem gut gelaunten „Good Morning“ und einem Lächeln grüßt. Leider sitzt mein Gemüsemädchen schon seit einer Weile nicht mehr da. Üblicherweise hockt sie mit ihren zwei riesigen Körben neben dem Karren des Tomatenmannes und schaut mich schelmig an. Zudem stand heute in der Zeitung, dass Borivali die sauberste Luft in Mumbai hat. Das allein macht sie nicht sauber, aber sauberer. :.

Heute Morgen traf ich einen Mann, der bei uns um die Ecke wohnt und dessen Arme nicht voll ausgebildet sind. Als wir noch keinen Internetanschluss im Haus hatten – ein Schicksal, dass uns bald wieder bevorsteht 😥 – saß er manchmal da und ließ seine kurzen Finger über die Tastatur rasen. Die Kinder, die an der Straßenecke wohnen, gaffen ihm üblicherweise nach. Einmal beobachtete ich auch eine Gruppe Schulmädchen, wie sie allesamt stehen blieben, vom Donner gerührt, und dem Mann ohne Arme Löcher in die Schultern glotzten. 8|

Auf meinem Weg traf ich außerdem eine Frau im roten Kleid, welches sie schon am Dienstag getragen hatte. Es hat enorme Puffärmel und reicht ihr bis kurz unter die Knie. Schenkt man dem Internet Glauben, so weist I.C. Colony die höchste christliche Bevölkerungsdichte in Mumbai auf, was den Dress Code erklärt. Der Name stammt von der alten Kirche (soll aus dem 16. Jahrhundert stammen), die unsere Colony ziert: Church of the Immaculate Conception. Oder I.C.

Vor mir überquert plötzlich eine Frau mit einem Transistorradio die Straße. So alt ist das Ding, dass man es schon beinahe bei Christie’s als unschätzbare Antiquität verscharrern versteigern könnte. Kaum habe ich mich an diesem prähistorischen Plastikköfferchen satt gesehen, als ich beobachte, wie ein Mann sich auf den Stufen zu einem geschlossenen Geschäft sitzend eine Rasur verpassen lässt.

Gegenüber dem „Egg Center“ saß wieder dieselbe Bettlerin, die dort immer sitzt: mit dichten, weißen Haaren und einigen grauen Strähnen. Manchmal trägt sie die Überreste eines Saris. Manchmal eine Art Plastikdecke. Sie sitzt dort mit ihrer alten Wasserflasche und einem Becher und wartet auf Spenden. Am Dienstag steckte ihr der junge Mann vor mir einen Zehn-Rupienschein zu, den sie zwischen den Handflächen drückte wie einen Schatz.

Das Egg Center hatte gerade frische Lieferung bekommen. Entlang einer Wand erstreckten sich so viele Eierpaletten, dass ich zu zählen begann. 20×8 Paletten in einer Reihe. Zwei Reihen. Dreißig Eier pro Palette. 9.600 Eier. Und vermutlich genau so viel an der gegenüberliegenden Wand, aber das konnte ich nicht sehen. Schätzungsweise 20.000 Eier in einer kleinen Garage. Alle weiß. Ich ließ mir ein Dutzend in eine Papiertüte einpacken und marschierte davon.

Es ist ruhig hier, auch wenn die Rickshaws so scharf an einem vorbei zischen, dass sie einem fast das Fell rasieren. Am Straßenrand stehen Mütter mit ihren Zwergen und warten auf den Schulbus, der in Indien Kinder nicht von der Haltestelle sondern von zu Hause abholt. Überall stapeln Gemüseverkäufer ihre Ware übereinander und Fischmänner laufen mit großen Plastikwannen auf den Köpfen durch die Straßen und plärren ihren Verkaufscode, der selten einfach nur Machli (Fisch) lautet. Einer schrillt LöLöLö. Was auch immer das heißt. Es bringt mich zum Lachen. Das reicht doch. :yes:

Was zum Gucken: I.C. Colony

Kein Mumbaikar, der etwas auf sich hält, würde zulassen, dass ein abtrünniger Vorort wie unser Borivali zu Mumbai gezählt wird. Tatsächlich schlittern wir haarscharf an der Districtgrenze vorbei. Landkreis Mumbai, sozusagen.

Aber wohnen wir wirklich in der Pampa? Ist es gerechtfertigt, wenn ein Mumbaikar uns mit einem herablassenden Lächeln als Dörfler deklariert? – Aber wohl!

Nur Gruen im Westen
Blick vom Dach (8. Stock) unseres Hauses

Bei meinem ersten Besuch auf dem Dach unseres Hauses sah ich es: das große, weite, sumpfige Feld. Eine Mischung aus Grün, „viel Platz“ und Abgeschiedenheit. Natürlich wird auch dieser Morast früher oder später entwässert und bebaut werden; doch uns bleibt noch eine Galgenfrist, denn zur Zeit sind die Baukrähne lediglich bis Goregaon, Malad und Kandivili vorgedrungen – den nächsten drei Vororten südlich von Borivali.

Ausguck nach Osten
Noch ein Blick vom Dach, dieses Mal gen Osten, ueber den „Wald“ hinweg, der vor unserem Fenster waechst

Unsere kleine Ecke ist sehr grün und perfekt angeschlossen, denn direkt hinter unserem Haus verläuft die neue Umgehungsstraße New Link Road, die uns in kürzester Zeit tiefer in den Dschungel führt, der Mumbai heißt.
Die New Link Road ist brandneu. Auf unserer Stadtkarte (Eicher Map – nicht empfehlenswert) ist sie noch gar nicht eingezeichnet. Einige Teile der Straße sind noch nicht befahrbar, weil noch Wasserrohre verlegt werden müssen (macht man generell erst, nachdem die Straße gebaut worden ist). Die liegen bisher noch dicht an dicht auf den abgesperrten Abschnitten und beherbergen Familien.

New Link Road

Die Straße, die ich jeden Tag zum Internetcafé entlang schlendere, ist grüüüün und schön. Einige Bäume tänzeln mutig gen Straßenmitte und führen darum öfters mal zu halsbrecherischen Ausweichmanövern unter Verkehrsteilnehmern, die neu hier sind. Wundert sich noch einer, dass ich mal gegen so ein Dingens gerannt bin? … natürlich nur, weil mein Blick durch meinen Schirm obstruiert worden ist. Der Schirm ist übrigens immer noch kaputt. Und die Schrammen sind immer noch in unserem Auto. Wir haben uns schon wunderbar an die Klebeband-Mentalität gewöhnt, gelle? Das beißt sich eventuell mit meinen vehementen Instandhaltungsberichten, aber hey, man muss den Schein wahren.

Hauptstrasse

Ah, und dann sind da noch die Vögel…. die Zweigkacker. Ich hoffe täglich, dass ich den Granaten entrinnen kann, und bisher hat es mich auch erst ein Mal erwischt. Wenn ich die Gesichter anderer Fußgänger untersuche, sehe ich dort keine starre Angst. Keine bösen Vorahnungen. Sollte ich wirklich die Einzige sein, die – zurecht – ständig damit rechnet, mit Darmgeschossen attackiert zu werden; oder haben sich die anderen bloß schon dran gewöhnt?

Jeden Morgen gegen Zehn ziehen die Müllmänner und -frauen ihre Runden. An ihre Fersen hat sich ein Rudel protziger, brauner Straßenkleffer geheftet, die auf einen Leckerbissen hoffen.
Hin und wieder sehe ich ein kleines, grau gestreiftes Kätzchen im Vorhof eines Wohnhauses neben dem Internetcafé sitzen und überlege, ob es nicht an der Zeit ist, einen Gefährten für unsere Socke zu holen? Aber bisher ist der Schlawiner immer entwicht.