Mumbai hat nur ein einziges Problem, das es sprichwörtlich in den Untergang treibt: Immobilienpreise. Die sind noch viel höher als die mitunter 40 bis 50 Stockwerke in die Höhe reichenden Apartmentkomplexe, die dieser Tage im Hinterland gebaut werden.
Die Preise sind nicht nur enorm, sie sind auch völlig unangebracht. Daraus resultiert u.a. der Drang, hoch, hoch hinaus zu bauen, und wer hoch mauert, der stürzt tief ein. Das kommt während des Monsuns hier täglich vor. Haus eingestürzt. n Personen tot. Haus teilweise eingestürzt. n Personen tot. Inzwischen hat man vorgeschlagen, dass Häuser alle fünf Jahre auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden sollten.
Wie vielerorts wird in Indien beim Bau geschludert, und das Wort Instandhaltung ist gänzlich
völlig
absolut
weitestgehend unbekannt.
Ignorieren wir die langweilig intonierte Anweisung des GPS, das uns schnurstracks auf das heutige Architekturdilemma zusteuert, und biegen wir an dieser Stelle einfach mal falsch ab. Links, zum Beispiel, und werfen einen Blick auf das obszöne Mietrecht in Mumbai, wie es anno dazumal existierte und bis heute seine fransigen Schatten wirft. Pfui!
Demzufolge wurde 1947 die Miete festgesetzt, und es wurde verboten, eine Wohnung fuer einen hoeheren Betrag zu vermieten als im September 1940. Hast du deine Wohnung also im Sept 1940 fuer 200 Rupien monatlich vermietet, so blieben dass trotz wachsender Immobilienpreise auch 1950, 1955, 1960 usw. 200 Rupien.
Bombay Rent Act, 1947
Leider konnte ich bisher keine textliche Variante des Gesetzes finden. Bitte selber googeln.
Das Mietrecht wurde inzwischen geändert, aber es gibt immer noch alte, hässliche, vom Einsturtz bedrohte Häuser, die sich alljährlich zitternd durch die Regenzeit schleppen und sich Zentimeter um Zentimeter mit dem Morast vollsaugen, auf dem sie so schlampig gebaut worden sind: Denn die Mieter wollen nicht ausziehen. Warum nicht? Wegen weil – da steckt viel Geld drin. Wenn ein Bauunternehmen sich ein Fleckchen in Mumbai ausgesucht hat, auf dem es gern etwas Anständiges (sprich: Teures) bauen möchte, dann muss das Alte erst mal weg. Um die Mieter aus der alten, zu entfernenden Baracke zu locken, zahlen Bauunternehmen astronomische Summen – an die Mieter. Nicht den Eigentümer. Vor gar nicht all zu langer Zeit stand in der Zeitung, dass jede Partei in einem Mietshaus in Südmumbai 5,5 crore Rupien ausgezahlt bekommen hat, nur damit sie ausziehen. Das sind 1Million Euro!
Es ist zudem unschwer zu erkennen, dass man als Wohnungseigentümer Schrägstrich Vermieter unter diesem alten Mietrecht der Depp war. Der Idiot. Der Spinner, sozusagen, um das mal oberhalb des Gürtels zu halten. Als Depp Schrägstrich Eigentümer erhielt man nämlich gar nichts.
Nuuuun. Daraus erklären sich mehrere Dinge.
1. Weswegen in Mumbai immer noch so viele alte, schwankende, wankende Häuser herumstehen.
2. Weswegen an Stelle der alten, schwankenden, wankenden, inzwischen abgerissenen Häuser lediglich die teuersten Apartmentkomplexe gebaut werden, die auf ein Reißbrett passen. Wenn man 1 Million Euro pro Wohnung zahlt, zuzüglich Baukosten, muss man die neue Wohnung logischerweise für 1+ Million Euro wieder verscheppern.
3. Weswegen Menschen sich weigern, aus offensichtlich gefährlichen Wohnungen auszuziehen. Sie warten auf zweierlei Dinge: Dass ein Bauunternehmen es ihnen ermöglicht, frühzeitig in Rente zu gehen, und dass die Bude über ihren gierigen Köpfen zusammenbricht. Was auch immer zuerst passiert.
So, und endlich, endlich kommen wir zurück auf den architektonischen Ofenschuss: Wenn so viel Geld im Spiel ist, wenn der Boden, den ein einfacher Schuhabstreicher einnimmt, schon mehr wert ist, als sich Hunz und Karthik leisten können, dann ist kein Platz für Balkons. Sollte das Bauunternehmen wider jeder Intelligenz einen Balkon gebaut haben, dann nehmen die Wohnungskäufer ein paar Ziegelsteine und billige Fenster, und schon morgen ist das Ding unfachmännisch zugekleistert. Voilà, ein extra Zimmer. Klein aber fein. Kein Platz für Balkons.
Genau so wenig bleibt Platz für Abstellkammern, Rumpelkammern, Stauraum. Wo man Sachen wie Staubsauger und Bügelbretter abstellt. Wo man das olle Zeitungspapier sammelt, bis der Stapel so hoch und wackelig ist wie das durchschnittliche Mauerwerk Mumbais. Wo man als Frau seine 19 Paar Schuhe vor dem Gatten versteckt. Wo der Gatte seine nun in Indien frei verkäuflichen GQs, FHMs und Maxims versteckt (Playboy und Penthouse nur unter der Hand). Das Leben steckt voller Gerümpel, das einerseits zu schade ist, um dem Recyclingprozess inderLandschaftaufschütt-Prozess beigefügt zu werden, und das aus verschiedenen Gründen niemals in der Vitrine landen wird. Das liegt unter anderem daran, dass Vitrinen in Indien nicht sonderlich populär sind.
Was tun? Kein Balkon bzw. Abstellraum, wo man den ganzen Mist stapeln kann. Zurück zum Beitrag über Gitterfetische. So sieht es aus:
Nun, es bleibt kein Platz für einen Liegestuhl, auf dem man herumlümmeln kann, aber ein paar Dreiräder, Klimaanlagen, Topfpflanzen und provisorische Wäscheleinen passen allemal hin.
Ich finde das hässlich. Gegessen wird im Esszimmer. Geschlafen wird im Schlafzimmer. Gewohnt wird im Wohnzimmer. Und gerümpelt wird in der Rumpelkammer. Aber hey, der Preis ist heiß!
Schmankerl:
Wie heiß der Preis wirklich ist, wollt ihr wissen? Sag ich euch glatt. Ein paar der neuen Projekte, die in Mumbai gebaut werden:
Lodha Bellissimo:
230-700m² Wohnungsgröße, ca. 820.000-2,45Mio Euro
Ellora Castle:
640m² Wohnungsgröße, ab 820.000Euro
Signature Island:
560m² Wohnungsgröße, ab 4,5Millionen Euro
Oberoi Skyz:
740m² Wohnungsgröße, ab 5Mio Euro
Lodha Solitaire:
670-1347m² Wohnungsgröße, ab 7,3Mio Euro
Zu Lodha Solitaire steht im Prospekt: „Die Boutique-Wohnungen sind an die vermögende Unternehmerklasse gerichtet. Alle neun Apartments (mehr fasst das Gebäude nämlich nicht) sind super-groß (!!!) und bereits verkauft.“ 88|
Übrigens hat mir beim Errechnen der Wohnungspreise der Taschenrechner in meinem Handy den Stinkefinger gezeigt: Das Resultat ist zu groß, um angezeigt zu werden. Jaaaa, das weiß ich doch!!!