FGM in Indien

Zehn Jahre habe ich in Indien gelebt. Zehn Jahre. Und erst jetzt – drei Jahre „danach“ – habe ich erfahren, dass es in Indien tatsächlich weibliche Genitalverstümmelung (FGM) gibt.

Das Thema erschien meines Wissens nicht in den Medien, so lange ich dort war. Zumindest nicht in den Medien, die ich konsumiert habe – und das waren nicht wenige: Unser Haushalt abonnierte zeitweise vier Tageszeitungen und unzählige Nachrichtenmagazine, darunter die überaus kritische Tehelka. Nirgendwo las ich davon. Auch Bentley hatte bis vor zehn Minuten keine Ahnung. Wir dachten, Reza Aslan hätte Recht, als er sagte, FGM sei ein afrikanisches Problem und kein muslimisches. Das stimmt dann so wohl nicht.

Die eigene Unwissenheit ist immer ganz besonders bitter.

Offensichtlich betreibt die Gemeinschaft der Dawoodi Bohra (vorrangig in Maharashtra und Gujarat ansässig und ca. 1 Million Mitglieder stark) weibliche Genitalverstümmelung genau so, wie man das aus Dokumentationen über Afrika „kennt“: mit Rasierklingen an Siebenjährigen, damit sie sich später auch daran erinnern und das Ritual an ihren Töchtern fortführen können. – Das zumindest las ich eben in einem Artikel, der 2013 in der Times of India erschienen ist und von einer halbstündigen Dokumentation zum Thema von einer Filmstudentin vom NID Ahmedabad berichtet. Und hier erschöpft sich bereits mein Wissen dazu.

Ich werde also in den nächsten Tagen versuchen, diese Dokumentation bzw. anderes Material aufzutreiben.

Indien ist kaputt

Vorbei die Zeiten, als die Medien Ängste schürten, indem sie die aufsteigende Macht Indien zur nächsten Weltmacht, zum nächsten Herrscher des Universums hochstilisierten. Rutsch rüber, Darth Vader. Hier kommt Rajkamal!! :wave: Damals, als es in diesem Blog tatsächlich regelmäßig Neuigkeiten gab, die dann auch gar nicht so selten kommentiert wurden: Jammer doch nicht! Indien ist so schön!

Irgendwie kann sich schon keiner mehr dran erinnern. Wenn heute jemand spitz kriegt, dass ich mal in Indien gelebt habe, dann weiten sich eher die Augen in Angst und Schrecken. Oje, du Arme. |-|

Indien. Ist das nicht da, wo die Kinder an Bäumen baumeln? Wo es so dreckig ist? Und so arm? Ich kann dann nur mit den Schultern zucken. :no: Genau genommen ist es noch dasselbe Land wie vor 5-10 Jahren, als sich in meinem E-Mail-Postfach die Anfragen stapelten, wie man am besten nach Indien auswandern kann. Nur ziemt es sich für die Journalisten heute eher etwas anderes zu publizieren.

Für uns macht es die Sache natürlich auch nicht unbedingt leichter. Da Indien heute als Land gilt, aus dem man ganz natürlich flüchten möchte, können wir doch nur froh sein, im schönen Deutschland leben zu dürfen – sogar bei dem Wetter! Komisch ist das schon irgendwie. U-(

Andererseits hat sich nicht nur die Wahrnehmung des Westens über Indien geändert. Selbstverständlich treffen wir in unserem täglichen Leben in der guten alten BRD weitaus weniger Indien-Aficionados als hier auf dem Indienblog. ;D Ist ja klar, dass man die gutbürgerliche Hausfrau mit Geschichten aus Indien höchstens in einen milden Schockzustand versetzen kann – Hausangestellte und Urlaub im Hyatt hin oder her. Das hören die gar nicht. Die sind dann schon im Delir. :lalala:

Faszinierend (obgleich auf eine unangenehme Art und Weise) ist an dieser Sache die gefühlte Festigkeit, mit der die vorgeformten Meinungen Bestand haben. Es ist gar nicht möglich, dass die wenigen, meist grausig-schlecht formulierten Nachrichten vom Subkontinent nicht die Wahrheit darstellen könnten. Das war so, als noch alle Inder von Top-Universitäten unsere Jobs klauten, und das ist jetzt so, als diese schmutzig-braunen Menschen einfach nur noch schmutzig, braun und ziemlich bemitleidenswert sind.* U-( Gleichzeitig existiert ein geschwürartiger Argwohn gegenüber den Nachrichten, wenn sie das eigene Land betreffen. Wobei… da weiß man’s ja auch besser. :yes:

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*Dies ist ein Klischee. Ich weiß das. :yes: Es wurde als stilistisches Mittel eingesetzt. Es ist keine Volksverhetze. Ehrlich. Mummy-Promise.** ;D
**Des is a klaaner Insiderwitz. :b

Das andere Indien

Es ist unglaublich schwer, wenn nicht gar unmöglich, Indien wirklich als Einheit zu erfassen. Nicht nur ist es durch seine schiere Größe reich an beeindruckender Vielfalt, sondern auch kulturell gibt es so viele regionale Abweichungen, dass einem schwindlig werden kann. Zusätzlich drückt sich eine Vielzahl verschiedener religiöser, sozialer und kultureller Facetten in Indien herum, so dass es, ganz egal, was man nun schreibt/sagt/erlebt, immer jemanden geben wird, auf den das Gegenteil zutrifft.

Indien ist also so eine Art Sammelbox für Alles und Nichts. Man kann so ziemlich jeden Unfug in den Raum werfen, weil es garantiert ein Fleckchen Erde in diesem Land gibt, welches genau diesen Unfug schon einmal live erlebt hat. Dieser Rummel aus Realitäten fasziniert nicht nur den ausländischen Beobachter, der von einem wilden Erlebnis ins nächste taumelt und ungläubig die dramatische Vielschichtigkeit dieses Subkontinents in sich aufzunehmen versucht, sondern er führt auch regelmäßig unter Indern zu Bestürzung. Man kann hier geboren und aufgewachsen sein, ohne diesen Kulturkoloss wirklich zu kennen.

In letzter Zeit gab es einige Gelegenheiten, während denen verschiedene Indiens aufeinanderprallen konnten. Das geschah vornehmlich in den Medien, mit dem urbanen, elitären Indien hinter und dem abstrusen Indien vor der Kamera. Aberglaube diente als Aufhänger.

Zunächst hatte die anhaltende Dürre in Indien dazu geführt, dass statt der Landschaft der Aberglaube blühte. So wurden zum Beispiel Frösche verheiratet, weil dies den Regengott milde stimmen sollte. Kleine Kinder planschten in einem anderen Ritual im Moor/Schlamm herum, und Frauen trollten sich auf die Felder zum Pflügen. (Anders als westliche Medien dies berichteten, taten sie dies nicht nackt, wie das früher einmal war.)

Zweiter Anlass für ein paar abfällige Bemerkungen über den irrsinnigen Aberglauben „Hinterindiens“ lieferte die kürzliche Sonnenfinsternis. Nachrichtensender beleuchteten das Phänomen vorrangig von zwei Seiten: einerseits schipperte die urbane Elite in speziellen Flugzeugen über den Himmel, um die beste Sicht auf die Sonnenfinsternis zu bekommen. Andererseits hüpften Gläubige Hindus in heiligen Flüssen herum, zertrampelten sich, fasteten und beteten und murmelten heilende Sprüche gegen die bösartige Strahlung der verdunkelten Sonne. Milde Belustigung seitens der Nachrichtensprecher bezeugten das Unverständnis dieser Schicht von Menschen, die beinahe beschämft darüber wirkten, sich ein Land mit solchen ignoranten Holzköpfen teilen müssen.

Der vorerst letzte Anlass für ein bisschen niederträchtigen Kulturgaudi bot das gestrige Fest Gotmaar Mela, welches im zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh stattfand. Gotmaar Mela im Distrikt Chhindwara eignet sich dank der an den Tag gelegten, sinnlosen Brutalität ganz besonders, um sich über die Rückständigkeit Hinterindiens zu beklagen. Es geht darum, dass man sich gegenseitig mit Steinen bewirft. Dabei stehen die Teilnehmer zu beiden Seiten des Flusses Jam und bewerfen sich gegenseitig ohne Rücksicht auf Verluste. Das Ritual ist dreihundert Jahre alt und geht auf eine alte Liebesgeschichte zurück. Nachdem letztes Jahr ein Mann zu Tode gekommen war, hatte man das Fest dieses Jahr verbieten wollen. Doch statt sich wie zivilisierte Menschen zu verhalten, die ihre und die Gesundheit ihrer Mitmenschen zu schätzen wissen, bewarfen die Dorfbewohner einfach auch die eingerückte Polizei mit Steinen. Es gab 48 Verletzte, darunter zwei Polizisten.

Der Nachrichtensprecher, der diese sensationelle Geschichte vortragen durfte, hatte vorsorglich einen zermürbten, schockierten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Unfassbar, meinte er, dass diese Dinge im heutigen Indien geschehen. Etwas muss auf der Stelle getan werden, um den Aberglauben zu beseitigen. Um die Menschen zu bilden.

Obwohl ich dem durchaus zustimme, kann ich nicht umhin anzunehmen, dass die Nachrichtensender eher am Einschaltenquoten-bringenden Schockeffekt dieser bunten Nachrichten interessiert sind als am Bildungsauftrag für die Nation.
Weitaus eklatanter als das zugegebenermaßen dämliche Verhalten der Dorfbewohner in Chhindwara finde ich allerdings, dass ein kleiner Teil Indiens aufgehört hat, sich für den größeren Teil zu interessieren. Dass die „Nachrichten aus Hinterindien“ so eine Art Unterhaltung für die zynische Klasse Indiens geworden ist, die gemütlich vor dem Fernseher ihr Abendessen einnimmt und dabei gern ihre Hirnzellen ganz mild nur stimuliert wissen möchte. Das gibt mir zu denken.

Selbstverständlich darf man über dieses „Ritual“ ebenso bestürzt sein wie über jenes, in dem Eltern ihre Kinder von Dächern in ein Auffangtuch werfen. Oder in dem Gläubige sich Kokosnüsse auf dem Schädel aufschlagen lassen, weil das Glück bringt. So absurd dieses Verhalten auch sein mag, so beschämend ist es für Indien als Gesellschaft, dass man sich wenig dafür interessiert, Bildung bis in den letzten Winkel zu tragen, als dass man diese Begebenheiten als guten Gag für zwischendurch ansieht, während man sich konzentriert die Zahnzwischenräume nach dem Dinner reinigt.

IndiaTV: UFO saugt Kühe ins All

Über den ganz normalen Wahnsinn im indischen Fernsehen habe ich bereits berichtet, doch indische Nachrichtensender sind ein Minikosmos für sich. Dass dabei Hindisender wirklich nur für Fans des schlechten Geschmacks genießbar sind, hat sich in Indien inzwischen insbesondere unter der gesellschaftlichen Amöbe herumgesprochen, die fälschlicherweise häufig als „Englischsprachige Elite“ bezeichnet wird.
Um zu beweisen, dass ich nicht einfach nur ein ödes Wochenende hatte und mich infolgedessen schändlichst über die indische Nachrichtenlandschaft lustig mache, gibt es hier eine der vielen bunten Sendungen, die auf IndiaTV laufen. IndiaTV wird als Nachrichtensender (Hindi) kategorisiert:

IndiaTV 001
UFO saugt Kühe in den Himmel.

IndiaTV 002
Bisher konnte man für keine der Kühe auch nur die geringste Spur finden.

IndiaTV 003
IndiaTV stellt die Frage: Wo sind die Kühe?

IndiaTV 004
UFO
(Man beachte die Markierung. Pfeile, rote Kreise und ähnliche Grafiken, bei deren Betrachtung man davon ausgehen muss, IndiaTV hält seine Zuschauer für unterdurchschnittlich intelligent, findet man auch bei Nachrichten über Morde. Dann ist beispielsweise ein Blutfleck rot eingekreist. Oder bei einem Unfall, wenn das beschädigte Fahrzeug o.ä. mit einem wild blinkenden Pfeil hervorgehoben wird.) „IndiaTV: UFO saugt Kühe ins All“ weiterlesen