Indien. Frei von Polio?

Momentan entfleucht Indien die Nachricht, das Land hätte Polio (Kinderlähmung) besiegt. Es soll offiziell keine Neuansteckungen gegeben haben. Im Jahr 2010 waren es noch 42 Fälle.
Im Jahr 2009 waren es 741.
Im Jahr 1999 waren es schockierende 50.000 Fälle.
Und nun soll das Wunder geschafft sein: keine Neuansteckungen mehr. Damit schafft es Indien runter von der WHO-Liste der Länder, in denen Polio endemisch ist. (Zum Vergleich: Pakistan, Afghanistan und Nigeria stehen noch drauf.)

Grund zur Freude.

Irgendwie. Mein persönlicher Pessimismus hinsichtlich offizieller Statistiken in Indien verbietet mir derweil solcherlei Glückseligkeit. Dabei unterstelle ich weder Fälschung noch böse Absicht. Es ist nur einfach so, dass Indien unglaublich groß ist. Unglaublich weitflächig. Dass viele Menschen in schlecht verwalteten Gebieten einfach unter den Tisch fallen. Und dass es jede Menge schlecht verwalteter Gebiete gibt. Ich kann dem nicht trauen, auch wenn Berichten zu Folge das letzte offizielle Polio-Opfer ein kleines zweijähriges Mädchen in Kolkata war. Das war im März 2011. Bereits seit Ende 2010 soll kein Poliovirus mehr in Abwasserproben festgestellt worden sein. Es klingt zu gut, um wahr zu sein.

Ich gönne es Indien. Und ich hoffe, dass – trotz noch einiger ausstehender Wasserproben – das poliofreie Indien Realität ist. Aber ich bin skeptisch. Hochoffiziell jedoch ist es wahr: Indien. Frei von Polio!

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Meines Wissens wird diese Skepsis von den populären Medien nicht geteilt. Ein gutes Zeichen.

Hep-B Impfung ab April Standard für Neugeborene

Ab April erhalten alle Neugeborenen Indiens Impfungen gegen Hepatitis B unter dem National Immunisation Plan (NIP). Momentan erhalten die jährlich ca. 26 Millionen Babies eine Dreifachimpfung gegen Diphtherie, Keuchhusten und Tetanus; Impfungen gegen Masern und Tuberkulose, sowie eine Schluckimpfung gegen Polio.

In Indien sind ca. 43 Millionen Menschen mit dem HBV infiziert, wobei ca. 10% davon als hochansteckend gelten. Hepatitis B wird für rund 80% aller Lungenkrebsfälle und 1% aller Todesfälle verantwortlich gemacht.
Laut Times of India werden Impfdosen gegen den HBV zur Zeit nur in zehn indischen Bundesstaaten verabreicht, darunter Tamil Nadu, Kerala, Karnataka, Gujarat, Himachal Pradesh, Andhra Pradesh, Punjab und Westbengalen.

Das Gesundheitsministerium hat bereits rund 100 Millionen Impfdosen bestellt und bildet das staatliche Krankenpersonal weiter, um einen reibungslosen Ablauf des neuen Impfplans zu gewährleisten.

Hausgeburt in Indien

Wo bringt man in Indien am besten seinen Wonneproppen zur Welt? Diese Frage beschäftigte uns eine ganze Weile. Wir sorgten uns weniger um Sauberkeit, denn in den grossen, privaten Einrichtungen wägt man sich durchaus im blitzeblanken Europa, so dass Angst vor bestialischen Keimen keine Rolle spielen muss. Allerdings fungieren diese privaten Krankenhäuser auch wie Unternehmen, die im Patienten einen Kunden sehen.

Austausch mit anderen Frauen, deren Kinder in Indien zur Welt gekommen waren, sowie ein bisschen Informationssuche zum Thema brachten mich zu der Überzeugung, dass ein Krankenhaus in Indien nicht unbedingt der optimale Ort für eine Geburt ist. Zu viele unnötige Eingriffe. Zu viel Fliessbandmentalität. Zu wenig Spielraum. Und stets das Mädchen-für-alles unter den Argumenten: Krankenhauspolicy. Damit kann man jedes noch so einfältige Handlungsverfahren entschuldigen.

Zum Beispiel ist es Standard, diverse Bluttests während der Schwangerschaft durchführen zu lassen. Unter anderem einen HIV-Test. Das ist in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, dass – wenn man zwischendurch den Arzt wechselt, wie ich das tat – man den Test noch einmal durchführen muss: im neuen Krankenhaus. Das führt dann zu interessanten Schlagabtauschen:

Schwester: Sie müssen noch einen HIV-Test machen lassen.
Kugelrunde Mama: Hab ich schon machen lassen. Hier sind die Resultate.
Schwester: Den müssen Sie noch mal machen lassen.
Kugelrunde Mama: Wieso? Das ist doch erst drei Monate her.
Schwester: Den müssen Sie in diesem Krankenhaus noch mal machen lassen.
Kugelrunde Mama: (Bissig auf Pudelniveau) Was genau meinen Sie denn, was ich in den letzten drei Monaten getrieben habe?
Schwester: (Krantig auf Rottweilerniveau) Das ist Krankenhauspo-li-cy.

Na wenn das so ist! |-|

Nun gut. Abgesehen von den vielen lustigen Tests, so dass man sich schon manchmal zur Ader gelassen vorkommt, finden auch beim eigentlichen Geburtsvorgang viele lustige Eingriffe statt, für die man anschliessend viele lustige Rechnungen schreiben kann, damit sich das Management freut. Krankenhauspolicy! So sind Dammschnitte und Wehentropf schon beinahe Standard in Indien, und Zeitungsberichten zu Folge liegt die Kaiserschnittrate in privaten Krankenhäusern in Indien bei 75%. Man muss davon ausgehen, dass Inderinnen ganz besonders unfähig sind, ihre Kinder normal zur Welt zu bringen, und neigen zu allen möglichen Komplikationen.

Ich gehe allerdings davon aus, dass es sich um Krankenhauspolicy handelt.

Obwohl ich weder zu der Fraktion gehöre, die Geburten romantisieren und danach davon schwärmen, wie einfach alles war und wie fix die Schmerzen vergessen sind (Alles Lüge!), und obwohl ich auch ganz selten dabei ertappt werde, mit Blümchen im Haar um einen Baum zu tanzen und “Zurück zur Natur” zu summen, begannen wir damit, uns mit Hausgeburten zu beschäftigen, da ich wenig Lust hatte, die Kontrolle über Roma und mich in die Hände tollwütiger Ärzte und tollwütigerer Buchhalter zu legen. Ich hätte mich sonst nicht dafür entschieden, weil ich schlicht und ergreifend nicht auf die Idee gekommen wäre.

Bei Ärzten muss man für einen solchen Stunt nicht nach Unterstützung suchen. Und auch Hebammen sind in Indien verdammt schwer zu finden, da der Beruf der traditionellen Dai stark in Verruf gekommen ist. Das Krankenhaus ist die Antwort auf alle Fragen in Indien. Wir fanden unsere Hebamme Lina schliesslich durch das Netzwerk Birth India, das sich für die Förderung natürlicher Geburten in Indien einsetzt. Für eine Hausgeburt sollten optimalerweise zwei Hebammen dabei sein, damit im Falle des Falles sowohl Mutter als auch Baby gleichzeitig versorgt warden können. Lina organisierte eine zweite Hebamme, Sonia.

Sowohl Lina (ursprünglich aus Grossbritannien) als auch Sonia (aus Peru) waren lange Zeit in Krisengebieten tätig. Lina hat mehrere Jahre Erfahrungen in Slums in den Phillipinen gesammelt, und Sonia kam gerade frisch aus dem Sudan zurück. Sie wussten beide mit Notfällen umzugehen. Romas Geburt war hingegen schon fast langweilig. Für die Hebammen. :)) In acht Stunden war alles vorbei. Alle bereits Wochen zuvor im Haus gebunkerten Notfallmittel wie Sauerstoff und Medikamente konnten getrost in ihrer Ecke stehen bleiben. Lina und Sonia, die mich fünf der acht Stunden lang begleiteten, hatten relative wenig zu tun.

Es ist nicht üblich, dass Väter in indischen Kreisssälen dabei sein dürfen. Man muss das vorher beim Management erfragen, denn es könnte ja sein, dass einem die Krankenhauspolicy mal wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Zudem ist es beinahe undenkbar, dass Väter die Nabelschnur durchschneiden dürfen oder sich hinterher hochinteressiert die Nachgeburt erklären lassen. Wir konnten uns alle diese Freiheiten nehmen, und das war gut so. :yes:

Selbstverständlich hatten wir auch Notfallarrangements mit umliegenden Krankenhäusern. Man muss sich in Indien vorher im Krankenhaus anmelden. Krankenhäuser sind keine humanistischen Einrichtungen, und Patientinnen müssen nicht angenommen warden – auch nicht, wenn sie in den Wehen sind. Eine vorherige Registrierung einschliesslich Hinterlegung einer beträchtlichen Kaution sind notwendig. Im Falle einer geplanten Hausgeburt sollte man ausserdem einen Arzt finden, der Lust dazu hat, sich einer “stecken gebliebenen” oder schief gegangenen Geburt anzunehmen. Die meisten Ärzte werden das von vorn herein ablehnen.

Wer sich für eine möglichst natürliche Geburt in Indien interessiert, dem seien folgende Optionen empfohlen:
Das Geburtszentrum in Goa, Assagoan
Phoenix Hospital in Delhi (für Wassergeburten)
Das Netzwerk Birth India
JustLink – meine Hebamme Lina (Sitz in Mumbai)

Ausgeräuchert: Malaria Prophylaxe

Der Regen, der Mumbai seit einigen Tagen heimsucht, breitet die Lebensgrundlage für Malaria übertragende Mücken wie eine sanfte, weiche Decke über die gesamte Stadt. In Kanälen, Gräben und anderen Rillen & Ritzen staut sich das Wasser; und über den urbanen Riesenkoloss zieht sich ein dichtes Netz aus lauter Mücken-Gebärmüttern: alte Blumentöpfe, herumstehende Eimer, vergessene Container usw. Überall.

Die indische Regierung ist bei rund zwei Millionen Malariafällen im Jahre 2000* notwendigerweise bemüht, den summenden und stechenden Massenkillern den Garaus zu machen. Zu diesem Zweck wird gesprüht: Mit knarrenden Motoren tuckern Kleintransporter durch die Straßen & Gassen Mumbais und räuchern mit Hilfe einer enormen Kanone die Mückenkultur aus. Dabei wird die gesamte Nachbarschaft vernebelt. Das sieht dann in Etwa so aus:

malaria phrophylaxe
Der im Nebel zu erkennende, kleine gelbe Transporter ist der Übeltäter/Retter. Von der offenen Ladefläche schaut eine enorme Gaskanone heraus (nicht im Bild).

Trotz dass sich der Qualm relativ schnell verzieht, ist es durchaus gesünder die Fenster zu schließen, wenn man das Getobe und Gebrause des Verneblungstuckers bereits von Weitem vernimmt, denn in Indien wird u.a. mit DDT, HCH & Malathion geräuchert. In Industrienationen ist DDT beispielsweise bereits seit den 1970ern verboten, da man sich der gesundheitsschädigenden Wirkung dieses Pestizids bewusst ist, doch allein in meiner Wohngegend in Mumbai wurden wir dieses Jahr bereits mindestens fünf Mal mit dem Mückenvernichtungsgas beglückt. Manchmal fährt der kleine Transporter, ein andermal läuft ein Mann mit Gaswaffe auf dem Rücken von Grundstück zu Grundstück und nebelt auch die letzte Ecke aus. (Über Arbeitsschutzkleidung dieses Mannes möchte an dieser Stelle nicht sprechen.)

Und es wirkt: wir haben deutlich weniger Mücken hier als in unserer alten Wohnung, in deren Umgebung nie geräuchert wurde. Dennoch haben wir Mücken. Und Malariafälle. Obwohl der Monsun gerade erst begonnen hat, sind bereits erste Fälle bekannt. Deshalb ist es in Indien bei Fieberfällen Routine, dass ein Malariatest durchgeführt wird. Dieser ist mit 60 Rupien im guten, privaten Krankenhaus für jedermann erschwinglich oder im staatlichen Krankenhaus kostenlos. Das hat sein Gutes.

*Quelle: National Malaria Eradication Programme

Indische Gesundheitsversorgung für Arme

Über die medizinische Versorgung von einfachen (armen)  Menschen in Indien zu schreiben heißt, sich durch einen unendlichen Wust von Geschichten zu lesen, die immer gleich beginnen. Immer gleich verlaufen. Immer gleich enden.

  • Eine Frau in den Wehen geht zum staatlichen Gesundheitszentrum, wo sie zunächst finanziell erpresst wird und – als sie nicht mehr zahlen kann – auf die Straße geworfen wird, wo sie eine Totgeburt erleidet.
  • Ein Junge mit gebrochenem Bein bekommt im staatlichen Gesundheitszentrum kein Röntgenbild und muss in eine private Klinik, wo er eine stolze Rechnung präsentiert bekommt. Später kommt es zu einer Infektion des Bruches, verzögerte Diagnosen, mehr Rechnungen.
  • Ein Mann, der sich bereits im staatlichen Gesundheitszentrum behandeln lassen wollte, wird erst in einem privaten Krankenhaus mit Tuberkulose diagnostiziert. Die Rechnungen beginnen sich zu stapeln, so dass er seinen Ochsen verkaufen muss, eine Hypothek auf sein Land aufnimmt und von Verwandten borgt. Sein Zustand hat sich nur zu 50% verbessert, und er wird noch ein volles weiteres Jahr teure Medikamente einnehmen müssen.
  • Eine Frau gebärt im Kreißsaal des staatlichen Gesundheitszentrums allein und ohne medizinische Hilfe. Nach der Geburt wird das Baby nicht untersucht. Niemand passt auf, dass es atmet. Ein halbes Jahr später wird das Kind mit starken Hirnschäden diagnostiziert.
  • Kinder sterben an Schlangenbissen, weil die staatlichen Gesundheitszentren kein Gegengift vorrätig haben. Minenarbeiter sterben an Silikose, weil sie im staatlichen Gesundheitszentrum fehldiagnostiziert und falsch behandelt werden.

Die Schicksale wiederholen sich ständig.

Indiens staatliche Gesundheitsversorgung

Indiens staatliche Gesundheitsversorgung soll die Bevölkerung mittels drei Arten medizinischer Einrichtungen erreichen: Community Health Centres (CHC), Primary Health Centres (PHC) und Sub-Centres.
Pro 5.000 Einwohner (3.000 in bergigen Regionen) soll es ein Sub-Centre geben. Das heißt, es sollten 148.303 vorhanden sein, doch es gibt nur 137.311 solcher Sub-Centres.
Pro 30.000 Einwohner (20.000 in bergigen Regionen) soll es ein PHC geben. Statt der 24.717 benötigter PHCs gibt es lediglich 22.842.
Pro 120.000 Einwohner (80.000 in bergigen Regionen) soll es ein CHC geben, doch statt der gebrauchten 7.415 CHC verfügt Indien über weniger als die Hälfte, nämlich 3.043. (Rural Health Services Infrastructure 2000-2001)

Doch selbst da, wo die Infrastruktur vorhanden ist, mangelt es am Personal. Dies lässt sich sehr gut am Beispiel der CHCs zeigen: Von den 3.043 CHCs, die es in Indien gibt, haben lediglich 440 Kinderärzte; 704 Allgemeinärzte, 780 Gynäkologen und 781 Chirurgen. Derselbe Personalmangel trifft auch auf Krankenschwestern, Hebammen, medizinische Assistenten, Apotheker, Labortechniker etc. zu.

Abgesehen vom nicht vorhandenen Personal herrscht auch ein weit verbreitetes Anreiseproblem, so dass Patienten in ländlichen Gebieten oftmals (laut NCAER in 20% der Fälle) 10km und mehr reisen müssen, um die staatlichen Gesundheitszentren überhaupt zu erreichen. Dort angekommen, können sie nicht sicher sein, dass sie behandelt werden.

Seit 1991 hat die Regierung Ausgaben im medizinischen Bereich für den ländlichen Sektor stark zurückgefahren, so dass das Wachstum der staatlichen Gesundheitszentren deutlich zurückgegangen ist. Gleichzeitig beginnen immer mehr Menschen notwendigerweise damit, sich auf das seit den 70er Jahren schnell wachsende, private Gesundheitssystem zu stützen, wohin es auch Ärzte zieht. Immerhin ist der private Sektor lukrativer. Der private medizinische Sektor wächst besonders dort, wo potenzielle Patienten ihn bezahlen können, nämlich vorrangig in städtischen Gebieten und wohlhabenden Dörfern. In den übrigen ländlichen Gebieten sind selbst private Einrichtungen/Ärzte spärlich gesät.

Privatisierung

Die indische Regierung unterstützte den Trend hin zur Privatisierung des Gesundheitssektors.
In den 80er Jahren wurden Zölle auf medizinisches Gerät halbiert. Private Kliniken erhielten kostenfrei Land, wenn sie sich dazu bereit erklärten, 10% ihrer stationären und 40% ihrer ambulanten Patienten kostenlos zu behandeln. Der private Sektor wuchs so rasant, dass 1995-96 54,6% aller stationären Behandlungen in ländlichen Gebieten (56,9% in städtischen Gebieten) im privaten Sektor stattfanden. Bei ambulanten Behandlungen ist das Wachstum sogar noch deutlicher: 81% aller ambulanten Behandlungen in ländlichen Gebieten (82,6% in städtischen Gebieten) fielen dem privaten Sektor zu. In armen Staaten allerdings sind staatliche Gesundheitszentren immer noch wichtiger, auch wenn sie völlig unzureichend ausstaffiert sind, da die Bevölkerung sich private Behandlungen nicht leisten kann und es daher – zum Beispiel in Uttar Pradesh – zu einem deutlich geringeren Wachstum im privaten Sektor gekommen ist.


Kostenloses HAAT-Programm der Regierung

Landesweit erhalten 4.000 HIV-positive Inder kostenlose Medikamente durch ein Regierungsprogramm. (Das Ziel des Programmes liegt bei 100.000 Patienten.) Auf diese Weise erhalten sie Zugang zu hochaktiver antiretroviralen Therapie (HAAT), die sie sich andernfalls nicht leisten könnten. JJ Hospital in Mumbai ist eins der 25 Zentren in Indien, die dieses Programm durchführen, und teilt Medikamente an 1.000 HIV-Patienten aus. Dies ist jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein in Hinblick auf die Tatsache, dass weitere 250.000 Patienten in Indien diese Medikamente dringend benötigen. Auf dem Markt kosten diese zwischen 2.000 und 7.000 Rupien pro Monat und befinden sich deshalb außerhalb der Reichweite der meisten Menschen in einem Land, in dem das durchschnittliche Monatsgehalt bei 2.000 Rupien liegt. Der Pharmakonzern Cipla schätzt, dass derzeit weniger als 20.000 Inder optimale Medikamentierung für HIV/AIDS erhalten.

Armut durch Krankheit

Unzureichende medizinische Versorgung seitens des Staates sowie teure private Versorgung sind u.a. dafür verantwortlich, dass
Familien in Armut gedrückt werden bzw. sich ihre finanzielle Situation weiter verschlechtert. Die Weltbank schätzt (anhand von Daten der National Sample Survey aus der Mitte der 90er), dass medizinische Kosten 2,2% aller Nutznießer sowie ein Viertel aller stationären Patienten innerhalb eines Jahres in Armut stürzen können. Obwohl der Prozentsatz relativ gering erscheint, steckt dahinter eine große absolute Zahl von Patienten; zudem werden Kranke, die ihre Symptome ignorieren oder keinen Arzt aufsuchen, nicht in dieser Schätzung erfasst.

Eine Studie von 12 Dörfern in den Distrikten Rajsamand und Udaipur in Rajasthan hat gezeigt, dass medizinische Ausgaben für den sozialen Abstieg von 55% von 109 betroffenen Haushalten verantwortlich gemacht werden konnten. In einer Studie von 20 Dörfern in den Distrikten Vadodara (Baroda) und Panchmahal im Bundesstaat Gujarat waren 85% der 134 abgerutschten Haushalte durch medizinische Ausgaben in die Armut gefallen. Im Bundesstaat Andrah Pradesh wurden 36 Dörfer in den Distrikten Nalgonda, Khammam und East Godavari besucht, in denen 335 Haushalte in Armut gefallen waren – 74% von ihnen durch Krankheit und dadurch verursachte Ausgaben.

Für die Verschlechterung der gesundheitlichen Versorgung in Indien können vor allen Dingen drei Faktoren verantwortlich gemacht werden:

Erstens sind die Kosten für Medikamente durch systematische Derugulierung der pharmazeutischen Produktion und Preiskontrolle drastisch gestiegen. (s.u.) Zweitens stagnierten staatliche Investitionen in
den Gesundheitssektor, so dass staatliche medizinische Einrichtungen nicht länger ausreichen, nicht gut ausstaffiert sind, keine Medikamente vorrätig haben und es nicht länger eine gute Alternative zur Privatversorgung gibt. Drittens wurde die Privatisierung des Gesundheitssystems staatlich unterstützt ohne Rücksicht darauf, dass sich ökonomisch schwache Schichten der Gesellschaft diese private Versorgung nicht leisten können und deshalb keinen Nutzen von dieser Entwicklung davontragen. Der Verfall staatlicher Gesundheitszentren hat sich auch in der Nutzung bemerkbar gemacht: zwischen 1987 und 1996 ging der Patientenzustrom in staatlichen Einrichtungen um 30% zurück – sowohl in ländlichen als auch in städtischen Gebieten. Gleichzeitig stieg die Sterblichkeitsrate.

80% der Krankenkosten stammen aus privater Tasche

Nachdem selbst in staatlichen Krankenhäusern sog. User Fees eingeführt wurden, schwand der Zugang zu medizinischer Versorgung für die Armen weiter. In Andhra Pradesh hat die Gesundheitskrise dazu geführt, dass arme Dorfbewohner, meist Farmarbeiter, sich das Leben nehmen, weil sie hoch verschuldet sind. Ein großer Teil ihrer Schulden stammt aus medizinischen Rechnungen, die sie nicht mehr tragen können. Selbst wenn sie im Osmania Hospital in Hyderabad kostenlos behandelt werden können, fallen ihnen die Anreisekosten sowie Arbeitsausfall zur Last. Um Arztkosten abzudecken, sind viele Bauern dazu gezwungen, Kredite von privaten Geldverleihern aufzunehmen, die von solch exorbitanten Zinssätzen begleitet werden, dass an Rückzahlung nicht zu denken ist.

Während in Industrienationen ein Großteil der Gesellschaft Zugang zu medizinischer Versorgung hat und 80% der Kosten derselben entweder durch staatliche Investitionen und/oder durch ein soziales Versicherungssystem abgedeckt werden, tragen in Ländern wie Indien Privatpersonen 70-80% der Kosten für ihre Krankenversorgung: Das indische Gesundheitssystem ist heute 1.500 Mrd. Rupien wert (oder US$ 34 Mrd.), was sich in 1.500 Rupien pro Kopf und 6% des Bruttoinlandprodukts übersetzt. 15% davon werden staatlich finanziert, 4% stammen aus Sozialversicherungen, 1% aus privaten Versicherungen und 80% von Bürgern. 70% davon sind arm und müssen sich die Kosten für ihre Genesung anderswo absparen: am Essen, an der Schulausbildung ihrer Kinder, an Kleidung, usw. Oder aber sie verkaufen ihr Hab und Gut. Oder enden in der Schuldenfalle.

User Fees für Patienten

Eine Umstrukturierung im öffentlichen Gesundheitssystem hat dazu geführt, dass Behandlungen in staatlichen Gesundheitszentren nicht mehr kostenlos sind. Dem Patienten wird eine sog. User Fee abverlangt. Durch die Einführung Gelber Karten, die von der Regierung ausgestellt werden sollten, wollte man verhindern, dass auch sehr arme Menschen zur Kasse gebeten werden, doch dieses System ließ sich in der Praxis nicht durchführen.

Studie: In Bhatinda, einer Stadt mit 270.000 Einwohnern im Bundesstaat Punjab, wurden seit 1996 keine Gelbe Karten mehr ausgestellt, und nur 44 existierende Karten wurden seit 1998 erneuert. Zwischen Juli und Dezember 2000 (Zeitpunkt der Studie) gab es keine einzige kostenlose Behandlung in Bhatinda für Arme. Im Gegenteil, es wurde festgestellt, dass nur eine von 150 Slumfrauen aus der Stadt je von diesen Gelben Karten gehört hatte. Das System hat dazu geführt, dass sich die Bettenbelegung im Krankenhaus um 20% reduzierte, während die Nutzung ambulanter Dienste um 20-40% zurück ging.

Das heißt, User Fees verringern deutlich den Zugang der Armen zu medizinischen Behandlungen. Gleichzeitig haben Studien gezeigt, dass User Fees keine sinnvolle Lösung sind, um Kosten zu sparen. 1992-93 konnten lediglich 1,4% der Krankenhausausgaben durch User Fees abgedeckt werden.

Selbst wenn Krankenhäuser die User Fees erlassen, muss ein Patient weiterhin für diagnostische Tests und Medikamente aufkommen. Staatliche Gesundheitszentren haben häufig keinen Vorrat an Medikamenten, so dass Patienten genötigt sind, Medikamente im privaten Sektor zu kaufen.

Der Preis für Medikamente

1979 lag die Zahl der Medikamente, deren Preis direkt kontrolliert wurde, noch bei 347. 2004 waren es lediglich 74. Inzwischen wird mit den Preisen für Medikamente gespielt, ohne dass sich der Patient dessen bewusst wäre. GSK stellt bspw. Cefuroxime unter zwei Markennamen her: Ceftum und Supacef, wobei Ceftum für Rs. 80.91 und Supacef für Rs. 63.01 verkauft wird. Das heißt, dasselbe Produkt wird mit einer Preisdifferenz von 17 Rupien verkauft. Obwohl diese unverblümte Patientenabzocke bei armen Menschen lebensbedrohlich sein kann, wurde die Preiskontrolle für Medikamente 2002 weiterhin verringert. Verkauft wird den Bürgern diese Strategie unter dem Banner freier Marktwirtschaft und der Annahme, dass Wettbewerb die Preise senken würde, doch es hat sich gezeigt, dass der Marktführer für gewisse Medikamente häufig auch ein teures, nicht selten sogar das teuerste Produkt verkauft.

Anurag Bhargava (LOCOST, „Impoverishing the Poor„) hat ausgerechnet, wie sich diese Medikamentenpreise in die Realität eines Arbeiters übersetzt, der Rs. 60 pro Tag verdient. Er müsste zwei Tage arbeiten, um Halsschmerzen behandeln zu lassen. Mehr als zwei Monate für Blutarmut. Mehr als zwei Jahre für (resistente) Tuberkulose. Und einen Monat für Diabetes.

Aktueller Stand

Für das Finanzjahr 2008-09 wurde das Gesundheitsbudget um 15% erhört. Besonderes Augenmerk soll auf HIV/AIDS, Polio und die Versorung der Armen liegen. In absoluten Zahlen heißt das, dass dem öffentlichen Gesundheitssektor Rs. 165.34 Mrd. zur Verfügung stehen – 1,15% des Bruttoinlandprodukts.

Kürzlich wurde das Universal Arogya Medical Insurance Scheme ins Leben gerufen. Es soll Familien unterhalb der Armutsgrenze versichern. Eine Einzelperson zahlt demnach Rs. 300 im Jahr; eine Familie mit fünf oder weniger Mitgliedern zahlt 545 Rupien und eine Familie mit sieben oder weniger Mitgliedern zahlt 600 Rupien im Jahr. Durch diesen Mitgliedsbeitrag sind Familienmitglieder für sämtliche Krankheiten versichert und erhalten außerdem ihren Arbeitsausfall zurückerstatt. Das Höchstalter für das neue Versicherungsprogramm wurde auf 70 Jahre festgelegt. Zudem werden auch bereits bestehende Krankheiten abgedeckt.

Ähnliche Programme gab es bereits in einigen Staaten, zum Beispiel Kerala, Karnataka und Andhra Pradesh. Inwieweit das neue Programm erfolgreich sein wird, muss sich zeigen.

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Fallstudien rund um Korruption im Krankenhaus, Vernachlässigung, unzureichende medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern usw. gibt es (in englischer Sprache) unter dem folgenden Link:
Aus Delhi und Calcutta (Kolkata):
http://infochangeindia.org/200506185561/Agenda/Access-Denied/Safdarjung-Hospital-New-Delhi.html

– Danke fürs Lesen –

Dieser Text kann in Auszügen kopiert und (unter Angabe der Quelle) verbreitet werden. Alle Daten/Zahlen entstammen dem Magazin „Agenda“ (herausgegeben von InfoChange India).

Indische Gesundheitsversorgung für Arme

Über die medizinische Versorgung von einfachen (armen)  Menschen in Indien zu schreiben heißt, sich durch einen unendlichen Wust von Geschichten zu lesen, die immer gleich beginnen. Immer gleich verlaufen. Immer gleich enden.

  • Eine Frau in den Wehen geht zum staatlichen Gesundheitszentrum, wo sie zunächst finanziell erpresst wird und – als sie nicht mehr zahlen kann – auf die Straße geworfen wird, wo sie eine Totgeburt erleidet.
  • Ein Junge mit gebrochenem Bein bekommt im staatlichen Gesundheitszentrum kein Röntgenbild und muss in eine private Klinik, wo er eine stolze Rechnung präsentiert bekommt. Später kommt es zu einer Infektion des Bruches, verzögerte Diagnosen, mehr Rechnungen.
  • Ein Mann, der sich bereits im staatlichen Gesundheitszentrum behandeln lassen wollte, wird erst in einem privaten Krankenhaus mit Tuberkulose diagnostiziert. Die Rechnungen beginnen sich zu stapeln, so dass er seinen Ochsen verkaufen muss, eine Hypothek auf sein Land aufnimmt und von Verwandten borgt. Sein Zustand hat sich nur zu 50% verbessert, und er wird noch ein volles weiteres Jahr teure Medikamente einnehmen müssen.
  • Eine Frau gebärt im Kreißsaal des staatlichen Gesundheitszentrums allein und ohne medizinische Hilfe. Nach der Geburt wird das Baby nicht untersucht. Niemand passt auf, dass es atmet. Ein halbes Jahr später wird das Kind mit starken Hirnschäden diagnostiziert.
  • Kinder sterben an Schlangenbissen, weil die staatlichen Gesundheitszentren kein Gegengift vorrätig haben. Minenarbeiter sterben an Silikose, weil sie im staatlichen Gesundheitszentrum fehldiagnostiziert und falsch behandelt werden.

Die Schicksale wiederholen sich ständig.

Indiens staatliche Gesundheitsversorgung

Indiens staatliche Gesundheitsversorgung soll die Bevölkerung mittels drei Arten medizinischer Einrichtungen erreichen: Community Health Centres (CHC), Primary Health Centres (PHC) und Sub-Centres.
Pro 5.000 Einwohner (3.000 in bergigen Regionen) soll es ein Sub-Centre geben. Das heißt, es sollten 148.303 vorhanden sein, doch es gibt nur 137.311 solcher Sub-Centres.
Pro 30.000 Einwohner (20.000 in bergigen Regionen) soll es ein PHC geben. Statt der 24.717 benötigter PHCs gibt es lediglich 22.842.
Pro 120.000 Einwohner (80.000 in bergigen Regionen) soll es ein CHC geben, doch statt der gebrauchten 7.415 CHC verfügt Indien über weniger als die Hälfte, nämlich 3.043. (Rural Health Services Infrastructure 2000-2001)

Doch selbst da, wo die Infrastruktur vorhanden ist, mangelt es am Personal. Dies lässt sich sehr gut am Beispiel der CHCs zeigen: Von den 3.043 CHCs, die es in Indien gibt, haben lediglich 440 Kinderärzte; 704 Allgemeinärzte, 780 Gynäkologen und 781 Chirurgen. Derselbe Personalmangel trifft auch auf Krankenschwestern, Hebammen, medizinische Assistenten, Apotheker, Labortechniker etc. zu.

Abgesehen vom nicht vorhandenen Personal herrscht auch ein weit verbreitetes Anreiseproblem, so dass Patienten in ländlichen Gebieten oftmals (laut NCAER in 20% der Fälle) 10km und mehr reisen müssen, um die staatlichen Gesundheitszentren überhaupt zu erreichen. Dort angekommen, können sie nicht sicher sein, dass sie behandelt werden.

Seit 1991 hat die Regierung Ausgaben im medizinischen Bereich für den ländlichen Sektor stark zurückgefahren, so dass das Wachstum der staatlichen Gesundheitszentren deutlich zurückgegangen ist. Gleichzeitig beginnen immer mehr Menschen notwendigerweise damit, sich auf das seit den 70er Jahren schnell wachsende, private Gesundheitssystem zu stützen, wohin es auch Ärzte zieht. Immerhin ist der private Sektor lukrativer. Der private medizinische Sektor wächst besonders dort, wo potenzielle Patienten ihn bezahlen können, nämlich vorrangig in städtischen Gebieten und wohlhabenden Dörfern. In den übrigen ländlichen Gebieten sind selbst private Einrichtungen/Ärzte spärlich gesät.

Privatisierung

Die indische Regierung unterstützte den Trend hin zur Privatisierung des Gesundheitssektors.
In den 80er Jahren wurden Zölle auf medizinisches Gerät halbiert. Private Kliniken erhielten kostenfrei Land, wenn sie sich dazu bereit erklärten, 10% ihrer stationären und 40% ihrer ambulanten Patienten kostenlos zu behandeln. Der private Sektor wuchs so rasant, dass 1995-96 54,6% aller stationären Behandlungen in ländlichen Gebieten (56,9% in städtischen Gebieten) im privaten Sektor stattfanden. Bei ambulanten Behandlungen ist das Wachstum sogar noch deutlicher: 81% aller ambulanten Behandlungen in ländlichen Gebieten (82,6% in städtischen Gebieten) fielen dem privaten Sektor zu. In armen Staaten allerdings sind staatliche Gesundheitszentren immer noch wichtiger, auch wenn sie völlig unzureichend ausstaffiert sind, da die Bevölkerung sich private Behandlungen nicht leisten kann und es daher – zum Beispiel in Uttar Pradesh – zu einem deutlich geringeren Wachstum im privaten Sektor gekommen ist.

„Indische Gesundheitsversorgung für Arme“ weiterlesen

Illegale und Unsichere Abtreibungen in Indien

In den letzten Wochen entfachte ein junges Paar in Mumbai eine landesweite Debatte zum Thema Abtreibung. Mrs. Mehta, deren ungeborenes Kind mit schweren Herzproblemen diagnostiziert worden war, hatte vor dem Gericht in Mumbai um eine Abtreibung gebeten. In Indien sind Abtreibungen seit 1971 legal, allerdings nur bis zur 20. Schwangerschaftswoche – Mrs. Mehta war zu diesem Zeitpunkt bereits in der 24. Woche schwanger. Ausnahmen gibt es auch bei gesundheitlichen Problemen nicht, und das Gericht lehnte den Antrag der Mehtas aus diesem Grund ab.

Im Anschluss an diese hitzige, moralische Diskussion hat die Hindustan Times einen Bericht zum Thema Illegale Abreibungen in Indien veröffentlich. Darin heißt es, der Subkontinent verzeichnet jährlich die weltweit höchste Zahl unsicherer Abtreibungen, denn obwohl Schwangerschaftsabbrüche bis zur 20. Woche völlig legal sind, haben nur sehr wenige Frauen Zugang zu medizinischen Einrichtungen, die eine sichere Operation gewährleisten würden.

Jährlich finden in Indien 6,7Mio Abtreibungen statt, wovon 5,7Mio illegal durchgeführt werden. (Quelle: Parivar Seva Sanstha, eine Hilfsorganisation, die eng mit dem Ministerium für Gesundheit und Familie zusammenarbeitet)
Der überwiegende Teil dieser Schwangerschaftsabbrüche findet unter unhygienischen Konditionen statt und trägt nicht unerheblich zur hohen Sterblichkeitsrate unter Müttern von 498 pro 100.000 Frauen bei. Gründe für die hohe Zahl von Abbrüchen in Indien sei zum einen die mit 25% recht hohe Rate unerwünschter Schwangerschaften, die u.a. auf einen akuten Mangel an Verhütungsmethoden und Aufklärung zurückzuführen ist; und zum anderen die im indischen Geschlechtsverständnis verankerte Aussortierung weiblicher Föten. Doch das allein erklärt noch nicht den überwältigend großen Anteil der unsicheren Abtreibungen: Nur ein Viertel der Kliniken, die medizinische Schwangerschaftsabbrüche anbieten, fallen in den staatlichen Sektor und sind somit für die ärmere Bevölkerung zugänglich. Das heißt, dass dem überwiegenden Teil der Frauen nur ein Abbruch unter höchst ominösen Zuständen bleibt.

Zudem ist vielen Frauen in Indien gar nicht bewusst, dass Schwangerschaftsabbrüche legal sind. Im nordindischen Bundesstaat Jharkhand zum Beispiel wussten 82% der befragten Frauen nicht, dass sie theoretisch einen legalen, medizinisch überwachten Abbruch durchführen lassen könnten.

Ein ausführlicher Bericht von Manushi, einer Bürgerrechtsorganisation, zum Thema Abtreibung in Indien führt weitere Gründe für die Vielzahl unsicherer Schwangerschaftsabbrüche auf:
– Staatliche Krankenhäuser sind schlecht ausgerüstet, um sichere Abbrüche durchzuführen.
– Die meisten Ärzte kennen lediglich die Methode der Ausschabung/Kürettage, die komplizierter und gefährlicher ist als die von der WHO empfohlene Absaugungsmethode. Das heißt, Frauen werden einem zusätzlichen Risiko ausgesetzt.
– Besonders arme und arbeitende Frauen meiden staatliche Krankenhäuser, um die extrem langen Wartezeiten zu vermeiden. Sie bevorzugen es, „Quacksalber“ und Hebammen aufzusuchen. Zudem fühlen sie sich von Ärzten und Schwestern in staatlichen Krankenhäusern schlecht und degradierend behandelt, wohingegen ihnen bekannte Hebammen vertrauenswürdiger erscheinen.
– Der Mangel an Privatsphäre in staatlichen Krankenhäusern ist der größte Grund für Besorgnis unter Frauen, die darum lieber diskrete private Krankenhäuser aufsuchen, sofern sie sich diese leisten können, oder zu „Bekannten“ gehen. Zudem werden besonders unverheiratete Frauen in staatlichen Einrichtungen drangsaliert und erpresst. Eine Abtreibung sollte kostenlos sein, doch im Fall unverheirateter Frauen verlangen staatliche Krankenhäuser hohe Summen von den Frauen.
– Staatliche Krankenhäuser verbinden einen Abbruch häufig mit Sterilisation, die den Frauen oftmals von übereifrigen Ärzten als verbindliche Kondition aufgeschwatzt wird.

Artikel:„Most unsafe abortions in India“ (Hindustan Times)
„When law shuts door, quacks enter“ (Hindustan Times)
„Legal but not available – The Paradox of Abortion in India“ (India Together)
„Over Five Million Illegal Abortions in India“ (MedIndia)
„Socio-demographic problems of unsafe abortion“ (Dr MC Kapilashrami, NIHFW)

Private Indische Krankenhäuser

Das indische Krankensystem“ – Drei Worte, die selten einen Anfall von Vertrauen verursachen. Dabei gibt es in Metropolen wie Mumbai inzwischen eine Vielzahl kleine Zahl sehr guter Einrichtungen, die mit erfahrenen Ärzten und Gerätschaften ausstaffiert sind und mit jedem Krankenhaus der Welt mithalten können. Nicht umsonst ist der Medizintourismus in Indien mittlerweile gut etabliert.
Was stimmt also nicht mit indischen Krankenhäusern? :??:

Vermutlich sollte ich nicht Krankenhaus sagen sondern Polyklinik, denn das kommt dem Ganzen am Nächsten. Nicht alle Krankenhäuser besitzen beispielsweise eine Notaufnahme. Tatsächlich handelt es sich um so eine Art medizinischen Supermarkt: Allgemeinarzt. HNO. Kinderarzt. Optiker. Herz-/Kreislaufspezialisten. Gynäkologen. Urologen. Etc. Alles unter Dach und Fach. Große Spitäler besitzen zudem ein eigenes Labor, während kleinere Krankenhäuser auf Anbieter wie Ranbaxy und Dr. Reddy zurückgreifen.
In Indien, wo jeder in seinem kleinen Hinterhof alles machen/herstellen kann, hangeln wir uns auf der Suche nach vertrauenswürdigen Adressen von Marke zu Marke. Auch im medizinischen Bereich. Demnach gibt es in Indien viele Krankenhäuser und Kliniken, die zur Apollo-Gruppe gehören, oder Fortis, Wockhardt, Hiranandani, Manipal, etc. Davon abgesehen hat jede Stadt weitere angesehene private Krankenhäuser, wie Lilavati in Mumbai. Das größte Krankenhaus in Indien ist das staatliche All India Institute of Medical Sciences, kurz AIIMS. Um dort einen Termin zu bekommen, ohne sich die Beine in den Bauch Geschwüre in den Magen zu stehen, hat man am besten Beziehungen.
Hier soll es ausschließlich um private Krankenhäuser gehen. „Private Indische Krankenhäuser“ weiterlesen

Krankenpause (Update)

Mir gehts in Etwa so:

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Darum gibts bis auf Weiteres auch erst mal keine Beiträge mehr im Blog.

Update

Zunächst mal Danke für die vielen Glückwünsche!

1. Das indische Krankensystem ist nicht schön. :no:

2. Ich bin immer noch nicht wieder auf dem Dampfer. Kleine Anekdote vom HNO gestern:
Ich sinke bar jeder Eleganz auf den Stuhl. Arzt sitzt sich diese tolle Schachtwerkerlampe HNO-Lampe auf, schaltets Licht ein, positioniert meinen Kopf, greift zu diesem lustigen Metalldingel, mit dem man die Zunge runterbiegt und bittet mich, den Mund aufzumachen. Mach ich doch glatt. Er guckt. Nach schätzungsweise 0,3 Sekunden zuckt er ruckartig zurück und denkt (da bin ich sicher) „Das seh ich auch ohne Licht!“ Pfui. |-|
Er fragt mich, warum ich kein Fieber habe? Esse ja fleißig Paracetamol seit Montag!
Dann fragt er mich, wie ich bei den Blutwerten noch hier sitzen kann? – Ein Arzt nach meinem Geschmack. :yes:

Er drohte mir mit Einweisung ins Krankenhaus, sollte sich bis Samstag nichts gebessert haben, und ich nehme jetzt artig Antibiotika et al (15 Tabletten pro Tag!!!) und hoffe. forum smileys

Er schickte mich weiter zu einer Untersuchung, weil er, wie er meinte, meine Bakterien züchten möchte, um auf eine eklige Krankheit zu testen. Ich frage mich, warum er solche Sachen sagt? Meine Bakterien stehen in voller Blüte. Da geht man ins Gewächshaus, das mein Rachen ist, und schneidet sich einen schönen Strauß zusammen. Wie Tulpen. Nur nicht so hübsch. Und riechen tuts auch etwas anders. :))

Die arme Krankenschwester hat seit gestern bestimmt gekündigt und arbeitet als Pathologin. Oder Leichengräber, weil das nicht so abstoßend ist ;D Armes Ding. Sie konnte gar nicht glauben, dass ich noch lebe und fragte mich, seit wann ich schon so rumrenne.

Wie immer, wenn ich gut drauf bin, habe ich gleichzeitig akute Magenübersäuerung, und Dinge, die gut für meinen Magen sind, passen nicht mehr durch meinen Hals. Das macht Spaß. Ich rolle mich jetzt also wieder fix zur Seite und klage Socke mein Leid forum smileys, und Mitte nächste Woche sollte es hier dann weitergehen. Vermultich nicht so bissig. Aber immerhin.

Indien: 70.000 Fälle von MDR-Tuberkulose

Berichten der WHO zufolge gibt es inzwischen 70.000 Fälle von multi-drug resistenter Tuberkulose (arzneiresistent); weltweit waren es 2006, dem letzten Jahr, für das vollständige Daten vorliegen, 400.000 Fälle. Nani Nair, regionaler Berater für Tuberkulose der WHO, weist deutlich darauf hin, dass MDR-TB ein hausgemachtes Problem ist, da Patienten sich entweder nicht an die Richtlinien zur Medikamenteneinnahme halten, oder den Kurs vorzeitig abbrechen. Ein regulärer TB-Kurs dauert volle sechs Monate.

Weiterhin besagt der 12. jährliche Bericht zur Tuberkulosekontrolle der WHO, dass Indiens niedrige Diagnoserate von TB die weltweiten Anstrengungen zur TB-Eindämmung hindert. Tatsächlich sei die Erkennungsrate von TB von 6% auf 3% gefallen.

Die WHO gab außerdem bekannt, dass jeder dritte Inder mit latenter TB infiziert ist, es aber durch ein starkes Immunsystem nicht zum Ausbruch kommt. („Tuberculosis in the Southeast Asia Region 2008“-Report)

Inzwischen hat sich TB zur führenden Todesursache in Indien entwickelt. Rund 1.000 Menschen sterben pro Tag in Indien an TB; 2 Inder alle 3 Minuten.
Zudem hat sich gezeigt, dass TB hauptsächlich zu Lasten der armen Bevölkerung fällt, da diese ungünstigen Bedingungen ausgesetzt sind und Schwierigkeiten mit den medizinischen Programmen der Regierung haben. Ein Spezialreport über TB in den Teeplantagen Assams zeigt auf, dass viele Teeanbauer in Assam durch mangelhafte Ernährung, harte Arbeitsbedingungen und den ständigen Kontakt mit Pestiziden besonders anfällig für TB sind. Im vergangenen Jahr wurden 36.777 neue TB-Fälle allein in Assam identifiziert.
In den TB-Zentren den Regierung wird das sog. DOTS-Programm angeboten: Directly Observed Treatment – Short Course, das einen sechsmonatigen Medikamentenkurs für Patienten vorsieht. In Assam gibt es 65 spezialisierte TB-Zentren und 5.000 weitere Einrichtungen, die das DOTS-Programm anbieten. Doch Dr. Rajen Roy, Mediziner auf der Sonabeel Teeplantage, weist darauf hin, dass es oft zu Rückfällen kommt, da Patienten ihren Kurs nicht beenden. Ärzten zu Folge sind hoher Tabakkonsum und der Genuss unreinen bzw. gepanschten Alkohols weitere Gründe für die hohen TB-Raten in Assam. Patienten hingegen beschweren sich über schlechte Aufsicht und die Qualität der Medikamente, die ihnen angeblich Übelkeit und andere Symptome verursachen, so dass sie den DOTS-Kurs abbrechen.

Die WHO hat TB bereits 1993 zur weltweiten Gesundheitsnotlage erklärt und es bleibt abzuwarten, wie Indien in Zukunft mit dem Fakt umgeht, 30% der weltweit infizierten TB-Patienten zu behausen.

Immer mehr junge Menschen stecken sich mit TB an (Hndustan Times)

Artikel im Hindu

„Foul Air in The Gardens“ (TB in den Teeplantagen Assams, ein Bericht von TEHELKA)