Coronahaustiere

Corona macht einsam. Der erste Besuch, den wir im Jahr 2021 empfangen haben, war die Schornsteinfegerin heute morgen – und sie wollte nur in den Keller.

Knut & Beocca

Im ersten Lockdown 2020 waren Blümchen und Bienchen sehr einsam. Und es wären ja nicht unsere Kinder, hätten sie nicht genau den richtigen Moment abgepasst, in dem unsere Verletzlichkeit am größten war. Das ist die Kurzversion von: Juhu, wir haben zwei Kater. Coronakater. Knut und Beocca.

Das war auch gar nicht so leicht, immerhin waren die Tierheime geschlossen. Auf eBay wurden stinknormale Europäisch Kurzhaar Katzenbabies locker für 150 Euro gehandelt – und selbst dann war es notwendig, binnen Minuten ein Tierchen ungesehen zu „reservieren“. Auch schienen sich selbst die Katzen an die Kontaktbeschränkungen gehalten zu haben, denn es gab keine Jungtiere im Bekanntenkreis. Geburteneinbruch.

Nach einigen spannenden Wochen fanden wir schließlich trotzdem zwei hübsche Jungs, die im Alter von zwölf Wochen von einem Bauernhof bei uns einzogen. Sie fühlten sich zwar im Stroh bei Kühen wohl, aber Menschen waren ihnen anfangs nicht geheuer. Wir ließen sie in Ruhe … und zwei, drei Wochen später entspannten sie sich so weit, dass wir sie kraulen durften.

Aber Vorsicht, Menschenskind, Vorsicht!!

Kein Mensch braucht Reiseführer

Wir haben es gewagt: Wir waren zurück in Indien. Und wie es sich für deutsche Touristen gehört, die mit Kleinkindern reisen, hatten wir sogar Desinfektionsmittel dabei. Man will sich in den schmuddeligen Ländern ja nichts einfangen, gelle.

Ich greife mal ganz euphorisch vorweg: Das Klebeband, das ich um die Desinfektionsmittel (eins für Oberflächen und eins für die Hände) geklebt hatte, um einem Flugzeug-Koffer-Booboo präventiv entgegen zu treten, entfernte ich erst nach dem Urlaub wieder. Solches Zeug braucht man einfach nicht. Weder in Indien noch sonstwo*.

Jeder Reiseführer, der jemals über Indien geschrieben wurde, erwähnt irgendwann Die Zustände. Die hygienischen Zustände. Da hat sich auch in unserer Abwesenheit nichts getan. Nichts. Auch nicht, wenn es inzwischen solche Aktionen gibt. Echt. Es ist alles wie immer. Deshalb packen Touristen ja auch Desinfektionsmittel ein.

Nun haben wir ja den uns gegebenen, evolutionären Auftrag erfüllt und uns quotengerecht fortgepflanzt. Das Bienchen war zum Reisezeitpunkt 14 Monate alt. Es war noch nie in Indien. Und wie es sich für 14monatige Kleinkinder gehört, schleckern sie alles ab (außer Lebensmittel, logisch). Auch in Indien.

Kaum hatten wir den Flughafen verlassen und – depperte Touristen, die wir waren – ein Black & Yellow Government Taxi** gebucht, begann das Drama: Das Bienchen leckte und saugte jede Oberfläche ab, die sich ihr bot. Jede. Tür, Griffe, Fensterscheibe und Polster im Taxi. In der halben Stunde, die wir im nach Beedi-riechenden Monstrum gefangen waren, besiedelten Millionen neue Bakterien das Kind.

Es kam natürlich, wie es kommen musste. Jeder Reiseführer warnt davor. Wäscht, kocht und schält man es nicht, sollte man es nicht konsumieren. Das gilt auch für die flohigen Polster eines Maruti Vans. Wie also verbrachten wir unseren Urlaub in Indien mit einem lutschenden Kleinkind? Die Antwort liegt auf der Hand: Schwitzend, aber gesund.

Obwohl das Bienchen jede Gelegenheit nutzte, um für Touristen-in-Indien suizidale Verhaltensweisen an den Tag zu legen, passierte nichts. Nicht mal Durchfall. Das gibt uns zu denken. Hat das Bienchen irgendeine Pro-Version der Abwehrkräfte vorinstalliert? Ist sie ein Mutant, der in 17 Jahren zusammen mit den X-Men die Welt retten wird? Sind die Abwehrkräfte längst vergangener Keime auch 5 Jahre später in der Muttermilch übertragbar? Oder ist das Papas Beitrag zum Kind? Oder ist das mit dem tödlichen Indien einfach alles ein Mega-Schmarrn?

Können die in Nordindien jetzt dazu übergehen, Reiseführer – diese obsoleten Textwerke eines paranoiden Zeitalters – für die Befeuerung ihrer Herde zu nehmen und auf Kuhfladen verzichten?

Können Touristen gar aufhören, ihre Nahrungsmittel in Jodlösung zu ersäufen? Ja, bestimmt. Bienchen hat alles überlebt: Auch dass sie jeden Tag ihre und anderer Leute Straßenschuh abgelutscht hat. Nur um sicher zu gehen, dass sie keinen Keim übersehen hat. Wäre ja schade. So ein Urlaub geht schließlich nicht ewig.

Schön aber giftig: Schuhe in Indien 🙂

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*Für die Erbsenzähler mache ich diverse Ausnahmen: Im OP kann das schon ganz nützlich sein. Und wenn man einen Ausflug zur Göttin nach Vaishno Devi macht und der Hubschrauber mal wieder nicht fliegt: dann braucht man definitiv Desinfektionsmittel. Aber sowas von!

**Wir hatten einfach irgendwie vergessen, dass es Radio-Cabs gibt. Und Uber. Kann ja mal passieren.

Mumbai – Stadt auf Müllbergen

Juhu, eine Dokumentation über Mumbai. Doch die Begeisterung schwindet, Ernüchterung macht sich breit: Es geht um Müll. Ach was, seien wir ehrlich: Mumbai & Müll, das Thema ist naheliegend. Die Stadt ist schmutzig. Als es der Sprecher der Doku sagt, zucke ich innerlich zusammen. Mumbai – dreckig? Wenn andere das sagen, ist es immer irgendwie komisch. Aber warum eigentlich? Es stimmt ja. Und auch die deutsche Tugend, jedes politisch inkorrekte Thema irgendwie schönreden zu müssen, kann an der Tatsache auch nichts ändern.

Die Doku ist interessant: Auch für den eingefleischten Mumbaikar wirft sie noch neue Themen auf. Weder Bentley noch ich wussten beispielsweise, dass es in Mumbai Goldschürfer gibt. Oder dass die Briten Müll nutzten, um die sieben Fischerinseln zu Bombay aufzuschütten. Ach so. Diese Ferkel.

Weniger schön finde ich, dass der Schnitt sehr ungeduldig ist. Besonders zu Beginn, wenn durch beinahe epileptischen Szenenwechsel versucht wird, die Aufmerksamkeit eines flüchtigen Publikums zu halten: das nervt. Wer die ersten verstörenden Minuten durchhält, wird später mit einigen guten Geschichten belohnt. In den Bildern schwelgen kann man dennoch bis zum Schluss nicht – die Kamera schwenkt leider viel zu schnell weg. Irgendwie sehen auch Dokumentationen in letzter Zeit eher aus wie Popmusikvideos.

Trotzdem: Schaut Euch die Doku an. Auch wenn das Thema traurig ist. Es nützt ja nichts, vor der Realität die Augen zu verschließen. Und faszinierenderweise schafft man es, einen durchaus heiteren Erzählstil beizubehalten.

Die Doku findet Ihr in der Mediathek des ZDF.

Hello. Goodbye.

Heute morgen ist es mir wieder aufgefallen: indische Eigenheiten, die ich übernommen habe und einfach nicht loswerde. So wie ein hässlicher Pullover, den man nie anzieht, aber von dem man sich trotzdem nicht trennen kann, weil… ja, weil halt.

Worum gehts?

Männer begrüßen. Und zwar Bekannte, die man schätzt, aber bei denen man sich nicht sicher ist, ob sie jetzt schon dicke Kumpels sind, dass man sie umarmt. In Deutschland macht sich darüber vermutlich keiner einen Kopf. Wen man kennt, den knuddelt man. Aber obwohl es mich tierisch nervt, stehe ich mit einem Bein trotzdem noch in Indien. Nach all der Zeit. Umarme ich den jetzt? Oder strecke ich ihm schützend die Hand entgegen? Das ist aber für mein Gegenüber mitunter schockierend. Hände schütteln? Das ist doch was für Fremde. Frauen ja, aber Männer? Hmmmmm.

Ich find das doof. Dass Sozialisierung, selbst wenn sie im Ausland erfolgt ist, so hartnäckig den ursprünglichen sozialen Code überschreiben kann.

Vielleicht ist das aber auch ein Thema zum Beitrag Integration. Und das ist ja ein Wort, das heutzutage jedermann leicht über die Lippen geht. Aber dann im Bart hängen bleibt. Einfach. So.

Ausdruck der Hände

Ausdrucksvolle Hände?

Unberührbarkeit

Generell geht man davon aus, dass sich die Situation der Unberührbaren/Dalits in Indien – also der in der hinduistischen Hierarchie ganz unten platzierten Menschen – grundlegend und weitreichend verbessert hat. Besonders in den Städten ist dies unter den gebildeten Unberührbaren durchaus richtig, denn die können heute in Büros arbeiten, wo nur selten (aber nicht „nie“) gefragt wird, zu welcher Kaste sie gehören.
Das trifft allerdings nur auf einen sehr kleinen Teil der Unberührbaren zu. Nämlich jenen Teil, der es im Laufe der letzten sechzig Jahre geschafft hat, von den neuen Gesetzen zum Schutz der Dalits zu profitieren und seine Kinder beispielsweise mit Hilfe von Quoten in Bildungseinrichtungen zu bekommen, während man selbst als Elter ebenfalls mit Hilfe von Quoten einen Beamtenjob erwarb.

Auf dem Land – im viel größeren Teil Indiens also – sieht es unterdessen ganz anders aus. Dort herrscht Unberührbarkeit wie eh und je. Allerdings handelt es sich dabei um ein Thema, das es nur sehr selten in die Nachrichten und noch viel seltener in die Psyche der Stadtmenschen schafft. Man geht eben davon aus, dass es sich beim Dalitproblem um etwas handelt, das sich irgendwie im Laufe der Jahre von alleine gelöst hat, weil man es selbst nicht mehr sieht. Das heißt, dass man einmal im Jahr von einer Mauer hört, die irgendwo in Indien um einen Tempel herum gebaut worden ist, damit die unteren Kasten und Dalits nicht mehr in eben jenen Tempel hineinkönnen. Wenige später erscheint die Nachricht, die Mauer wäre eingerissen worden. Oder aber es gebe einen Gerichtsbeschluss. Die Mauer muss gehen – denn es ist laut Gesetz in Indien verboten, auf Grund von Kastenzugehörigkeit zu diskriminieren. Da das Problem durch das Verschwinden der Mauer gelöst zu sein scheint, verpufft auch das Interesse daran.

Wie aktuell das Thema ist, beschreibt ein Artikel mit dem Titel „How does India’s caste system work in the 21st century“? Guter Stoff!

Aus Indien? Kauf ich nicht!

Indien. Das ist ziemlich weit weg, aber ein bisschen weiß der allgemeine Verbraucher trotzdem darüber. Zum Beispiel, dass die Menschen in Indien arm sind. Und Kinderarbeit natürlich. Die armen Kinder. Die arbeiten da unter „sklavenähnlichen“ Bedingungen. Schrecklich. Es ist darum auch völlig unverantwortlich, ein Produkt zu kaufen, dass in Indien gefertigt wurde. Im Zweifelsfall muss man den Herstellungsort nur schnell googeln und man findet garantiert einen Bericht zum Thema Kinderarbeit in genau dem Ort. Das kann kein Zufall sein.

Ich kann nicht genau sagen, welcher Aspekt es nun genau ist, der mich an dieser Herleitungskette gutmenschlicher Argumentationskraft ins Wanken bringt, aber ich gestehe, dass es mir säuerlich aufstößt. Wenn die Welt so einfach wäre, dann wäre es eine andere Welt – ganz eindeutig.

Leider ist „einfach“ schlichtweg zu einfach, um nicht darauf hereinzufallen. So kann es passieren, dass eine Mutti – nennen wir sie Mamamiez vom gleichnamigen Blog – bei dm einkaufen geht und bei der Lektüre des Herstellungslabels einer Textilie gleich einen Sherlock-Holmes-Moment hat. Sie hat eine Sauerei aufgedeckt. Eine große Sauerei: Die Textilie wurde nämlich in Indien hergestellt. Und das ist ganz automatisch eine Sauerei, ganz besonders, wenn man Google hat und den Herstellungsort fix eingibt. Da kommen dann, wie oben zitiert, Berichte von sklavenähnlichen Herstellungsbedingungen in genau dem Ort in Indien. Sauerei! So sieht das die Mutti und ein Großteil der Kommentatoren auf ihrem Blog.

Aber warum eigentlich? Warum ist es per se verwerflich, ein Textilprodukt in Indien herstellen zu lassen, zu verkaufen oder zu kaufen? Und es ist per se verwerflich, denn weder hat die Mutti zuerst bei dm angefragt (und eine Antwort abgewartet), bevor sie gewettert hat, noch irgendeiner der Kommentatoren, die das „heftig“, „entsetzlich“ und „unverschämt“ finden. Das ist ja auch alles völlig unwichtig. Wichtig ist, dass dm in Indien herstellen lässt. Vermutlich, weil es da so schön billig ist. Vermutlich hat die Tasche in der Produktion gerade ein paar Cent gekostet und jetzt verhökert der Herr dm das Teil für 2Euro – dieser schlaue Kapitalist. Es interessiert ja keinen Menschen, dass die Produktion zwar in einem Textilzentrum stattfindet, jedoch von einer unabhängigen Kontrollinstanz auf soziale Faktoren überprüft und zertifiziert wird. Und – was für eine Ironie: mit dem Kauf dieser indischen Tasche unterstützt man ein Projekt zur Reintegration ehemaliger Kinderarbeiter. Ist doch egal. Und was heißt hier zertifiziert – vermutlich ist das eh alles eine Lüge. Also, aus Indien würde ich nie etwas kaufen!

Ja. Das ist eine sozial verantwortliche Einstellung, die doppelt gut ist, da sie nur ein Mindestmaß an Kognition erfordert. |-|

Möchte ich Kinderarbeit verteidigen? Nein, natürlich nicht. Ist sie notwendig? Nicht für uns. Für die Kinder, die in sklavenähnlichen Bedingungen hocken und Taschen für DM Textilien für den indischen und den Weltmarkt nähen? Ja natürlich. Stell dir vor: Es gibt Armut auf dieser Welt, die wir nicht wegradieren, indem wir Fairtrade Bananen kaufen, Kik boykottieren oder den dm-Gründer beschimpfen. Manche Eltern schicken (oder verkaufen) ihre Kinder in Textilmühlen, in denen sie in sklavenähnlichen Bedingungen schufften. Das tun sie meistens nicht, um ihren Bub zu bestrafen, weil der keinen Bock auf Hausaufgaben hat.
Sie tun es meist aus etwas Ekligem, von dem wir (einschließlich mir) nur ein begrenztes Vorstellungsvermögen haben. Gott sei Dank! Es nennt sich Armut und W. Somerset Maugham hatte Recht, als er meinte, es sei nicht Geld, dass die Menschen verderbe, sondern Armut, die sie bitter und zynisch macht. So zynisch (oder verzweifelt), dass sie glauben, es sei besser, in sklavenähnlichen Bedingungen Textilien zu nähen als sofort zu verhungern. Ich würde das jetzt nicht gleich verurteilen. Wobei es Alternativen gibt…. man kann sie ja auch in Ziegelfabriken, Glasfabriken, Feuerwerksfabriken oder auf den Strich schicken oder ihre Hände in siedendes Öl stecken und sie dann zum Betteln an die Kreuzung schicken, wie der Junge, der an der Kreuzung vor unserem Haus in Delhi gebettelt hat. Niemals, egal, wie alt ich werde, werde ich das vergessen: der Anblick seiner Hand, die er in mein Gesicht steckte, und die über die Monate heilte… langsam… Bis sie eines Tages wieder – und dieses Mal bis auf die Knochen – verbrannt war.

Das ist die Welt, in der wir leben. Sie ist ziemlich komplex. Ich habe diesem Bettler nie eine Rupie gegeben. Nicht eine. Ich wollte seine verbrannte Hand nicht legitimieren. Und ich habe noch nie eine Tasche bei dm gekauft, weil die mir zu teuer sind… äh, weil ich zu geizig bin. Dafür hat dm mir mal eine geschenkt, als ich beim Mittermeier-Konzert war. Gratis. Mit Büffet und Sekt. Ich habe also so eine tolle Tasche von Manomama. Ich bin quasi doppelt beschenkt. …. und vom Thema abgekommen. Nein, wirklich, liebe verärgerten Menschen. Ich kann das gut verstehen. Kinderarbeit ist schlecht. Das wissen nicht nur Muttis wie ich. Aber Hunger ist auch ziemlich blöd, vor allen Dingen, wenn man ihn nicht stillen kann. Ein bisschen online Stimmung machen ist dabei allerdings genau so billig wie die Tasche in der Produktion. Und noch dazu völlig sinnlos. Ich finde es immer frech, wenn Leute glauben, nur weil sie irgendwo einen wütenden Kommentar hinterlassen haben, hätten sie etwas Gutes getan. Das ist mir zu eitel.

Eitel ist es auch zu glauben – Armut hin oder her – dass alles von kleinen, geschundenen Kinderhänden genäht wurde, nur weil es aus Indien stammt. Das hat auch mit sozialer Verantwortlichkeit nichts mehr zu tun, wenn man so denkt, sondern mit etwas ganz anderem. Es geht mit I los und endet auf gnoranz. Auch wenn das für Mamamiez und ihre Kommentatoren schier unvorstellbar ist: Auch in Indien gibt es Erwachsene, die arbeiten gehen. Manche können sogar nähen.

Alter, wirklich aaalter Beitrag zum Thema, der – abscheulicherweise – brandaktuell ist:
http://nosianai.blog.de/2006/10/10/keine_kinderarbeit_mehr~1206626/

FGM in Indien

Zehn Jahre habe ich in Indien gelebt. Zehn Jahre. Und erst jetzt – drei Jahre „danach“ – habe ich erfahren, dass es in Indien tatsächlich weibliche Genitalverstümmelung (FGM) gibt.

Das Thema erschien meines Wissens nicht in den Medien, so lange ich dort war. Zumindest nicht in den Medien, die ich konsumiert habe – und das waren nicht wenige: Unser Haushalt abonnierte zeitweise vier Tageszeitungen und unzählige Nachrichtenmagazine, darunter die überaus kritische Tehelka. Nirgendwo las ich davon. Auch Bentley hatte bis vor zehn Minuten keine Ahnung. Wir dachten, Reza Aslan hätte Recht, als er sagte, FGM sei ein afrikanisches Problem und kein muslimisches. Das stimmt dann so wohl nicht.

Die eigene Unwissenheit ist immer ganz besonders bitter.

Offensichtlich betreibt die Gemeinschaft der Dawoodi Bohra (vorrangig in Maharashtra und Gujarat ansässig und ca. 1 Million Mitglieder stark) weibliche Genitalverstümmelung genau so, wie man das aus Dokumentationen über Afrika „kennt“: mit Rasierklingen an Siebenjährigen, damit sie sich später auch daran erinnern und das Ritual an ihren Töchtern fortführen können. – Das zumindest las ich eben in einem Artikel, der 2013 in der Times of India erschienen ist und von einer halbstündigen Dokumentation zum Thema von einer Filmstudentin vom NID Ahmedabad berichtet. Und hier erschöpft sich bereits mein Wissen dazu.

Ich werde also in den nächsten Tagen versuchen, diese Dokumentation bzw. anderes Material aufzutreiben.

MODIfizierte Schauspielerei

Ich freue mich wie ein kleiner König, dass ich es heute schaffen werde, einen Eintrag zu Indien mit einem Verweis auf John Oliver zu kombinieren:

Narendra Modi, indischer Premier, hielt in New York eine Ansprache. Die Rede selbst war nicht der Rede wert ;D Wenn ich mich zwei Tage später nicht mehr an das Kernargument einer Ansprache erinnern kann, dann kann das keine gute Ansprache gewesen sein – aber das ist natürlich nur mein persönliches Anspruchsbarometer.

An eine Sache kann ich mich jedoch sehr genau erinnern – und wie man im kurzen Video von John Oliver hören kann: es ging nicht nur mir so.
Am Ende seiner Rede bedankte sich Modi nämlich bei Hugh Jackman, der aus unbekannten Gründen auf dem Podium stand, und fügte hinzu: May the Force be with you. Blöd nur, dass das haarige Ding in Star Wars ganz bestimmt nicht Wolverine war. Vielleicht ist das ein ganz guter Hinweis, dass Politik und die Schauspielerei sich tunlichst aus dem Weg gehen sollten.

Zum Video:
http://www.youtube.com/watch?v=hkYzuHMcP64&list=PLmKbqjSZR8TZa7wyVoVq2XMHxxWREyiFc

"Stay away from India"

…. sagte David Cameron zu TopGears Jeremy, Richard & James, doch die drei Halunken beschlossen, den britischen Premier einfach zu ignorieren. Stattdessen kauften sie drei gebrauchte britische Karren und machten sich auf, die britisch-indischen Handelsbeziehungen zu verbessern. :yes:

Dazu machen sie sich auf in einem Rolls Royce, einem Mini Cooper Sport und einem Jaguar. Ihre Mission führt sie durch Mumbai, Delhi und hinauf in den Himalaya. Die ganze Show ist eine Mischung aus herrlichem Wiedererkennungswert und Momenten expliziten Fremdschämens – alles untermalt von exquisitem Humor.
Für uns ist es natürlich noch ganz besonders toll, dass wir die Orte kennen, die Straßen selbst befahren haben, sogar die Strecke Mumbai – Himalaya. :yes:

Komischerweise hatten wir in Indien nie etwas von diesem Teil gehört. Doch der Beste der besten Freunde zeigte mir diese herrliche Episode TopGear aus dem Jahre 2010 erst neulich auf seiner extrem bequemen Ledercouch ;D und – tja – was soll ich sagen: Britischer Humor auf dem indischen Subkontinent – das ist das Non-Plus Ultra jeder Reiseberichterstattung.

Wer die Folge also noch nicht gesehen hat, sollte sie sich schleunigst anschauen:
TopGear hat sie freundlicheweise online gestellt.

Auf Deutsch gibt’s das Ganze auch auf DMaxx, doch deren Suchfunktion hat bereits vier kostbare Minuten meines Lebens gefressen. Bitte selber suchen. 😛

Indien ist kaputt

Vorbei die Zeiten, als die Medien Ängste schürten, indem sie die aufsteigende Macht Indien zur nächsten Weltmacht, zum nächsten Herrscher des Universums hochstilisierten. Rutsch rüber, Darth Vader. Hier kommt Rajkamal!! :wave: Damals, als es in diesem Blog tatsächlich regelmäßig Neuigkeiten gab, die dann auch gar nicht so selten kommentiert wurden: Jammer doch nicht! Indien ist so schön!

Irgendwie kann sich schon keiner mehr dran erinnern. Wenn heute jemand spitz kriegt, dass ich mal in Indien gelebt habe, dann weiten sich eher die Augen in Angst und Schrecken. Oje, du Arme. |-|

Indien. Ist das nicht da, wo die Kinder an Bäumen baumeln? Wo es so dreckig ist? Und so arm? Ich kann dann nur mit den Schultern zucken. :no: Genau genommen ist es noch dasselbe Land wie vor 5-10 Jahren, als sich in meinem E-Mail-Postfach die Anfragen stapelten, wie man am besten nach Indien auswandern kann. Nur ziemt es sich für die Journalisten heute eher etwas anderes zu publizieren.

Für uns macht es die Sache natürlich auch nicht unbedingt leichter. Da Indien heute als Land gilt, aus dem man ganz natürlich flüchten möchte, können wir doch nur froh sein, im schönen Deutschland leben zu dürfen – sogar bei dem Wetter! Komisch ist das schon irgendwie. U-(

Andererseits hat sich nicht nur die Wahrnehmung des Westens über Indien geändert. Selbstverständlich treffen wir in unserem täglichen Leben in der guten alten BRD weitaus weniger Indien-Aficionados als hier auf dem Indienblog. ;D Ist ja klar, dass man die gutbürgerliche Hausfrau mit Geschichten aus Indien höchstens in einen milden Schockzustand versetzen kann – Hausangestellte und Urlaub im Hyatt hin oder her. Das hören die gar nicht. Die sind dann schon im Delir. :lalala:

Faszinierend (obgleich auf eine unangenehme Art und Weise) ist an dieser Sache die gefühlte Festigkeit, mit der die vorgeformten Meinungen Bestand haben. Es ist gar nicht möglich, dass die wenigen, meist grausig-schlecht formulierten Nachrichten vom Subkontinent nicht die Wahrheit darstellen könnten. Das war so, als noch alle Inder von Top-Universitäten unsere Jobs klauten, und das ist jetzt so, als diese schmutzig-braunen Menschen einfach nur noch schmutzig, braun und ziemlich bemitleidenswert sind.* U-( Gleichzeitig existiert ein geschwürartiger Argwohn gegenüber den Nachrichten, wenn sie das eigene Land betreffen. Wobei… da weiß man’s ja auch besser. :yes:

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*Dies ist ein Klischee. Ich weiß das. :yes: Es wurde als stilistisches Mittel eingesetzt. Es ist keine Volksverhetze. Ehrlich. Mummy-Promise.** ;D
**Des is a klaaner Insiderwitz. :b