Bitte hier regnen. Über dem X.

Es regnet in Strömen. Seit Tagen schieben sich übergewichtige Wolken von Südwesten über die Stadt, wälzen ihre Wampe über die vor uns liegenden Hügel des Borivali Nationalparks und lassen sich von Petrus ordentlich melken. Es gießt mal heftig, mal richtig wütend, mal geduldig und langanhaltend. Die herrlichsten Wolkenformationen necken uns mit ihrer fotogenen Formvielfalt. Ein gigantischer Anblick jagt den nächsten, wenn von der schwächelnden Sonne angeschienene Wände aus kondensiertem Wasser in AchDuSchreck-Grau und DuGrüneNeune-Dunkelblau ihre üppigen Massen über die Grünen Wälle vor uns hieven. Ein andermal reicht der Blick in Novembergrau gerade mal bis Nachbars zersplitterter Fassade, und da das selten zu Euphorieanfällen führt, lassen wir die Vorhänge zufallen und spielen Roma-wirft-runter-Mama-hebt-auf.

Der Monsun, so scheint es, hat dieses Jahr langen Atem und wir hoffentlich strapazierfähige Regenschirme. Doch dem ist nicht so. Voller Entrüstung lese ich vom schwachen Monsun, der Mumbai und ganz Indien im Regen in der Sonne stehen lässt. Die Wasserspeicher sind leer. Das deckt sich nicht mit dem, das ich sehe.

Doch man muss den Monsun mal so betrachten, wie die Stadtwerke: Es regnet. Es regnet viel und es regnet heftig. Leider regnet es weder viel noch heftig über dem See, der das Wasser auffangen soll, sondern 300m weiter drüben. Die Straßen stehen unter Wasser. Busse und Züge saufen ab. Erdrutsche demolieren Slums und schütten Reihenhäuser zu.
Aber über den Wasserspeichern ist Sense. Da pupsen die Wolken in blanker Verachtung drüber, und das Geräusch hört sich so an wie mein Wasserhahn zwischen 12Uhr mittags und 18Uhr abends. RöchelHarrHarrHarrRöchelHust.

Ich find das nimmer schön. Regenwasser aufzufangen ist nur so eine Idee. Das wird hier nicht oder kaum durchgeführt. Private Condos und Gated Communities haben zwar heutzutage große Wasserauffang- und -Weiterverarbeitungsanlagen, aber die paar Yuppiehorte machen das indische Kraut nicht fett. Das macht das verbotene Hormon Oxytocin, aber das ist ein anderes Thema. Fakt ist, dass man sich nicht wirklich Gedanken darüber macht, ob und wie man das Wasser, das Unterführungen verstopft und regelmäßig die Bahn abgluckern lässt, nicht auch sinnvoller einsetzen könnte. Und somit schwimmen wir alle im Regenwasser auf der Straße, aber nicht in der Badewanne, denn dafür reichts nicht.

Heute Morgen dann die vermeintlich beruhigende Nachricht: Zwei der großen Wasserspeicherseen Mumbais laufen gerade über. Das wäre eine sehr gute Nachricht, wenn heute der 30. September wäre. Dieser gilt als Stichtag. Laufen die Seen am 30. September über, kann man davon ausgehen, dass die Wasserreserven bis zum nächsten Monsun genügen. Als zertifizierte Meckertante bin ich der Ansicht, es sollte sich doch eine Möglichkeit finden lassen, das heute überlaufende Wasser aufzufangen und aufzuheben. Aber dem ist nicht so. Darum werden wir hoffen müssen, dass auch am Stichtag die Seen überlaufen, damit die bestehenden Wasserkürzungen vielleicht endlich mal ein Ende haben.

Die Schönheit

Reiflich habe ich überlegt: Sonne, Sommer, Strand und Meer? Oder doch lieber Dschungel, tief hängende Wolken, Nieselregen und Grün? Tja, was soll ich sagen: Der Monsun hat gewonnen. angel smileys
Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass keine Reisezeit für weite Teile* Indiens besser ist als der Monsun. Daran kann ich mich einfach nicht satt sehen. :yes:

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Dieser Mach-schnell-ich-kann-hier-nicht-anhalten!-Aus-dem-Autofenster-Schnappschuss stammt aus Lonavla. Ein paar Meter weiter verschwanden wir dann erst mal im Hochnebel, und als wir wieder auftauchten und etwas sehen konnten, rollten grüne, schmatzend-nasse Hügel zu beiden Seiten auf herrliche, steile Abgründe zu und stürzten sich in Wolken-gefüllte Schluchten. Kann kein Foto zeigen. Muss man sehen. :yes:

Goa, Goa, Gone.

Land unter in Goa. Highways abgesperrt. Evakuierung im vollen Gange. Sieht schlecht aus mit Urlaub. :no:
Das ist natürlich traurig, aber immer noch besser, dass wir diese Botschaft jetzt erhalten als unterwegs davon gespült zu werden, denn dieses Schicksal ereilt in Indien derzeit auch monströsen Fahrzeugen wie Lastern, die mal eben baden gehen. Der Monsun plustert sich noch einmal richtig derbe auf und verwüstet ganze Landstriche. 8|

Wir bleiben also vorerst auf dem Trockenen. Zumindest fast, denn auch in Mumbai regnet es beinahe pausenlos, während der Wind besonders nachts lauter als die Straßenhunde heult. Einziges Opfer der Jahreszeit in unserem Haushalt ist bisher ein Schirm, den ich heute früh im Mülleimer begraben habe. Er war zerbrochen, als Rahul gestern in den Local Train einstieg und ein anderer Fahrgast in den Schirm sprang. Kann ja mal passieren.

Ich habe zudem heute drei Rakhis an meinen Bruder abgeschickt:

rakhi

Das obere und einfache Band (Kostenpunkt: 15 Rupien) kann man vielleicht auch in Deutschland tragen. Das Froschband (10 Rupien) ist zu witzig, um es nicht zu kaufen. Die Froschkönigin! Und das dritte Band mit dem Jungen (20Rupien) ist sooo niedlich, dass ich es ebenfalls in den Umschlag gequetscht habe. Somit ist auch gut sichtbar, wie weit gefächert die Auswahl bei diesen Dingern ist. Es gibt sie auch abgepackt im Supermarkt oder mit Diamanten besetzt beim Juwelier.

ReBoot

Langsam kehrt der schmerzfreie Alltag zurück – zumindest für mich. Heute Morgen nämlich schrie und quiekte es aus dem Dschungel vor unserem Haus. Es waren die Wildschweine, die auf einem unbebauten, dicht bewaldeten Grundstück schräg gegenüber hausen, welches (wie so viele unbebaute Grundstücke) in ein Endlager für Produkte umgewandelt wurde, die eine nutzertechnische Sackgasse erreicht haben. Also Exkremente. Verpackungen. Alte Klamotten. Plastikflaschen. Kurzum: Müll.

Das Grundstück ist von einer hohen Mauer umgeben, und drinnen quiekt es mehrmals täglich. Mal fröhlich. Mal ärgerlich. Heute Morgen aus schierer Panik, denn zwei der Müllschweinchen bekamen Besuch vom Schlachter. Zumindest wurden sie mit frischem Müll (sah aus wie Kartoffelschalen) angelockt, kaltblütig über die Mauer gezogen, bekamen ihre Beine verbunden, wurden in einen Sack gesteckt und wurden abtransportiert. Der Rest ist Spekulation.

Jetzt ist wieder Ruhe im Karton. Also zurück zu wirklich wichtigen Themen: mir. :yes:

Mir gehts besser, aber nicht gut. Immerhin möchte der Arzt am liebsten das Skalpell schwingen. U-( Aber ich bin retrospektive auch froh, genau letzten Montag krank geworden zu sein. Immerhin flogen uns in Bangalore und Ahmedabad die Bomben um die Ohren. Als ich vergangenes Wochenende in der Mall fröhlich meine Idlis aß und auf einem der vielen Fernseher (welche heutzutage dichter gepflastert sind als Pflastersteine auf indischen Straßen!) schon wieder was von Bomben hörte, wurde mir gleich ganz anders. So mitten in der vollen Mall mit vielen potenziellen Opfern fühlt man sich irgendwann nicht mehr wirklich wohl. Und warum sollte man selbst ausgerechnet immer Schwein haben? Fragt die Wildschweine! 8|

Der Bentley fährt jeden Morgen und Abend mit dem Zug, und Mumbais Locals sind traditionell beliebte Angriffsorte. Da darf man sich schon mal Sorgen machen. Ich war also nicht wirklich traurig, als ich am Montag so krank war, dass der Bentley zu Hause blieb. :yes:

Zusätzlicher Montagbonus war der Regen. Jetzt mal ehrlich. Da macht man sich mal fünf Minuten Gedanken zu Dingen, die nicht unmittelbar etwas mit dem eigenen Wohl zu tun haben (Dürre in Maharashtra), und schon öffnen sich die Schleußen, die halbe Stadt schwimmt fort und die Schuhe schimmeln dir an den Füßen weg. (Habe schon drei Paar entsorgt! Gott Inflation sei Dank ist gerade überall Sale.)

monsun in borivali
Die Situation in Borivali.
monsun in borivali 2
Und vor unserem Haus.

Auch der Bentley war froh, dass er nicht ins Büro musste, denn nicht nur hatten die Züge Verspätung, sondern die halbe Stadt stand im Stau. Als wir im Krankenhaus waren, wussten wir noch nicht, dass die Situation 2km vom Krankenhaus entfernt im Stadtteil Kandivali so aussah. Glück gehabt.

Den Rest der Woche verbrachte ich mit der heiligen Dreifaltigkeit (Bananen, Tomaten, Kartoffeln) auf dem Sofa, redete mir ein, die vielen bunten Pillen seien M&Ms und jammerte schlief. Leider bin ich ausgerechnet während der schönsten politischen Skandale ausgefallen, die gutes Futter fürs Blog gewesen wären, aber stattdessen gibts bald einen Bericht über das indische Gesundheitssystem. :yes:

Die Große Dürre (Update)

Es herrscht Regenzeit in Maharashtra. Nur Regen herrscht keiner. Bereits am 9. Juli hatte man in 15 Gebieten des Staates eine Dürre erklärt, die angeblich schlimmer sein soll als die Dürre von 1972. In einigen Gebieten war noch kein einziger Tropfen gefallen, während andere Gebiete weniger als 50% des normalen Niederschlages für diese Jahreszeit erhalten hatten. Und dabei haben wir bereits Halbzeit beim Monsun.

In Mumbai regnet es heute zum ersten Mal seit Tagen wieder richtig, zumindest in Borivali. Inzwischen war es gar so weit gekommen, dass wir unseren Schirm zu Hause ließen (normalerweise ein No-Go während der Regenzeit) und auch keine wasserfesten Schuh mehr trugen. Für uns war der Sonnenschein angenehm, aber bei einer Inflationsrate von ohnehin knapp 12% muss man sich fragen, welche Folgeschäden wir in den kommenden Monaten zu spüren beommen werden? U-( Beispielsweise hat in den von der Dürre betroffenen Gebieten die Saat noch nicht begonnen, besonders was Linsensorten anbelangt, die in Indien zum Täglich Brot gehören.

Ich bin darum froh, dass es heute so richtig schüttet und hoffe, wir bekommen wenigstens in den nächsten Wochen noch die Portioin Regen ab, die man uns Anfang Juni versprochen hatte, als die Metereologen von einem durchschnittlich guten Monsun mit 100% der üblichen Regenfälle sprachen.

Wolke1
Nichts als Sonnenschein

Weiterführender Link: „Doughts in Maharashtra“ (Engl.)
(Das Dokument liegt auch als .pdf vor, lässt sich aber nicht öffnen, weswegen ich die HTML-Version verlinkt habe.)

Update:
Durch die anhaltende Dürre wurde die Stromerzeugung durch Wasserkraft erheblich eingeschränkt, und Stromausfälle nehmen neue Dimensionen an. In Stadtteilen wie Thane und der Satelittenstadt Navi Mumbai ist täglich bis zu sechs Stunden zappenduster, während gestern der drastische Schritt verabschiedet wurde, den Stromausfall für Industrien auf 40 Stunden pro Woche zu erhöhen. Zusätzlich werden Stromschlucker wie Einkaufsmeilen et al angepeilt, und jede zweite Straßenlaterne soll abgeschalten werden.

Derweil haben Bauern im Hinterland verlauten lassen, dass es für die Saat der üblichen Linsensorten bereits zu spät ist, selbst wenn der Regen einsetzen sollte. Die Situation spitzt sich auch im Bereich Wasserversorgung Mumbais zu. Wir werden sehen, wo das hinführt. U-(

Kein heißes Blechdach

Zwei Wochen war der Monsun 2008 über Mumbai nichts als Luftikus. Zwischenzeitlich gab es sogar Wort, es solle doch fix mal regnen, denn sonst müsse man die Wasserversorgung für Mumbai rationieren.

Alldieweil wurde fleißig geschustert. Denn die Regenzeit ist auch die Jahreszeit, während der alles ein bisschen unschön aussehen darf. Provisorische Überdachungen. Ein bisschen Abdeckplane hier. Etwas Plastik dort. Das Bedürfnis für trockene Füße et al ist stärker als jenes für Ästhetik.
Aus diesem Grund basteln viele Einkaufszentren über ihren offenen Parkplätzen ein Dach: Ein Provisorisches. Mit viel Abdeckplane. Und Plastik.

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Drunter ist es etwas duster, und während das Zelt steht, siehts etwas unfertig, etwas temporär aus, und ich möchte gar nicht wissen, wie viele Lackschäden diese vielen Stämme verursachen, aber es dient seinem Zweck, dieses Monstrum.
Die Stämme werden übrigens nicht jedes Jahr neu geholzt, sondern während der Trockenzeit gelagert. Sonst würde ich den Bau eines einfachen Aludaches auch für sinnvoller erachten.

Inzwischen ist der Bau abgeschlossen und der Regen hat wieder eingesetzt. Ich habe immer noch keinen chicen Regenmantel finden können. :no:

Killer Karma

Der Monsun ist nun dreieinhalb Tage alt, und wir zählen bereits neun Opfer. Ich befürchte, die Gesamtzahl der diesjährigen Regenzeit wird alle meine wildesten Vorstellungen übertreffen.

Die Rede ist von Rickshaws, deren Motor abgesoffen ist. Das, so der zynische Europäer, kann kein Kunststück sein. Trotzdem finde ich, dass das Ningeln eingeschnappter Motoren unerwartet häufig genau vor unserem Haus zu hören ist. Dabei gibt es in der Nähe weder eine Pfütze, die groß genug ist, eine Rickshaw zu ersäufen, noch muss man einen garstigen Berg erklimmen oder andere terraintechnische Widrigkeiten bestehen. Woran soll es also liegen, dass die Rickshaws vor unserem Haus wie die äh Fliegen verenden?

Es muss etwas mit unserem Haus zu tun sein, davon bin ich überzeugt. Kann ja wohl nicht wahr sein, dass die Motoren bei uns nur so röcheln und husten. :no: Ganz besonders, ohne du schöne ausgleichende Gerechtigkeit, in der Nacht halb zwei. :wave:

Wolken über Mumbai

Ein Sturm braut sich an: der Monsun rückt näher. Die ersten Wolken sehen wunderschön aus, spiegeln allerdings auch die sich annähernde Gefahr wider. Wir kennen das ja schon.

Von unserem gestrigen Besuch in Thane gibt es nichts Neues zu berichten: Thane ist m.E. hässlich. Stromausfall ein tägliches, drei Stunden währendes Vorkommnis. Wasser ist angeblich jeden Freitag ein Problem. Überall Hindi und Marathi und Chaos. Wenigstens die Straßenschilder möchte ich bitte lesen können. :yes: Die zielstrebigen Menschenmassen, die man sonst aus Mumbai kennt, vermisst man in Thane. Sah doch alles recht dörflich aus.
Die Wohnung, die wir besichtigten, war nur so-la-la und hatte keinen Balkon. Das geht ja schon mal gar nicht. Wo soll man da seine Sachen trocknen? In Mumbai werden die Klamotten zwar irgendwie ins Fenster gequetscht, doch auch das war dort kaum möglich, und so riet man uns dazu an, quer durch den Flur ein paar Leinen zu spannen. Das habe ich bereits bei anderen Leuten in der Wohnung gesehen und bin spontan dagegen, das ganze Jahr über durch einen Wäschedschungel zu pirschen. Wie sieht das denn aus? Und überhaupt: das stinkt doch. 🙄

Leben in Indien ist nicht immer leicht. Ningeln (sächsisch für jammern) hilft nicht, also suchen wir weiter und lassen den wunderbaren Pool, das Fitnessstudio, die herrlichen weißen Liegestühle et al links liegen. Luxus ist nicht alles. Wäscheleinen sind mir wichtiger. :))

Wir müssen das ganze notgedrungen mit Galgenhumor nehmen. Und ich mit Kopfschmerztabletten. Ehrlich, ich denke mir das nicht aus. :no: Wenden wir uns also den Schönen Dingen im Leben zu, so spärlich gesäht und Unheil verheisend sie auch sein mögen: Wolken in Mumbai.

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Alle Fotos gestern aufgenommen. Bild 1: 12Uhr mittags. Bild2: 18Uhr. Bild3: 18:30Uhr. Bild4: 19:30Uhr.
Schön, gelle?

Monsun – Eine Anleitung, wie mans nicht macht

Um diese Monsunlektüre vollends zu genießen, empfiehlt es sich, Beiträge wie diesen hier nochmals zu überfliegen.

Es ist ein verregneter Dienstag Morgen, der sich einer verregneten Nacht anschließt. Die sich einem verregneten Montag anschließt. Der sich einem verregneten Wochenende anschließt. Monsun halt.

monsun kriegt jeden

Nichts Schlimmes. Man muss nur wissen, wie man damit umzugehen hat. Schön und schlau ist es bspw., vom Fenster aus andere Menschen dabei zu beobachten, wie sie den Pfützen ausweichen.

Aber alles hat ein Ende. So auch die Croissants (5 Stk., 57 Rupien, Le Marché, Jogeshwari (W)). Ich sehe nun ein, dass sich an den verregneten Dienstag ein verregneter Mittwoch anschließen wird. Gefolgt höchstens noch von Schlimmerem, nämlich auch noch einem verregneten Donnerstag. Wenn ich Rahul den Rest der Woche zum Frühstück Cornflakes vorsetze, schließt sich am Freitag womöglich das Allerschlimmste an: Das Trennungsjahr.

Also zücke ich meinen Schirm und wage mich ins Freie. Wahrlich, Regen ist auch nicht besser als eine bitterkalte, Schnee bedeckte Winterlandschaft: das sieht nur vom Fenster idyllisch aus.

Monsun – Eine Anleitung, wie man’s nicht macht

Um meine zarten Füße vor den hereinbrechenden Fluten zu schützen, stülpe ich mir meine Sneakers über. Nee, nicht nur meine Sneakers :no: – meine neuen Sneakers. :yes:

Ich sehe schon die Ersten schmunzeln. Aber warum nur? Die Sneakers halten doch und ich laufe geschwind von A nach B über C zu D, wobei A = Internetcafé, B = Fleischer, C = Bäckerei und D = Postamt. Kurz vor A werde ich, das Gesicht unterm Schirm verborgen, beinahe von einer Rickshaw erfasst, die ich nicht sehen konnte, da ich so damit beschäftigt war, die Spannplane der Regenrichtung anzupassen. Brett Schirm vorm Kopf. Nicht gut. :no:

Aber Madame möchte nicht nass werden, also bleibt der Schirm tief ins Gesicht gezogen, und ich verdrücke mich auf den Gehweg, wo ich vor dem Verkehr sicher bin.

Zehn Meter später ramme ich meinen Schirm in einen ebenfalls auf dem Fußweg befindlichen Baum. Natürlich mutwillig. Ich mochte das Ding noch nie. :no:

Aber Bäume haben ja sowieso die Angewohnheit, ständig im Weg herumzustehen. Das dachte sich vermutlich auch der Fahrer eines weißen Maruti Vans, der kürzlich seinen Wagen in einen fröhlich auf der Haupstraße wachsenden Baum gesteuert hatte. Wenn man sich den Stamm dieser Unpflanze (im Sinne von Untier und Unmensch) anschaut, wird man sofort gewahr, dass das Biest schon viele auf dem Gewissen hat. Rahul meinte im Vorbeifahren, die Bewohner der umliegenden Häuser schließen wahrscheinlich täglich Wetten ab, wie vieles denn heute sein werden. Sofort erschließt sich mir die Geschäftsidee: ein Wettbüro für diesen Baum in Kandivali. Rahul meint, Wetten sei in Indien illegal. Prima! Dann sparen wir sogar Einkommenssteuer.

Ich habe meine Geschäftsidee bereits zur Kreditbewilligung an die Bank geschickt, doch so lange ich von meinem Wettbüro noch keine Einnahmen verzeichnen kann, werde ich weiterhin mit meinem verbeulten Schirm herumlaufen. Ich vergrabe meinen Kopf noch tiefer unter dem Schirm – nun ists ja eh egal. Hoffentlich hat das keiner gesehen!

Zwischen B und C befindet sich bereits ein reißendes Bächlein zwischen Fußgängerweg und Straße, und nirgendwo eine Brücke in Sicht. Ich erkenne meine Narretei: Sneakers, liebe Monsunanwärter, sind nicht gleich Gummistiefel. Man sollte sich bei der Kleiderwahl nach den Einheimischen richten. Die tragen – logisch – Floaters. Aus Gummi. Auch logisch. Und somit sieht man sie auch nicht wie kleine Karnickel von Schlammhügel zu Schlammhgel hüpfen (jetzt weiß ich endlich, warum in Indien ständig Schotter auf der Straße liegt), sondern sie waten vergnügt umher und halten inmitten einer pubertierenden Stromschnelle an, um einen Plausch zu führen.

Als die Bäche zwischen C und D immer größer und tiefer werden, laufe ich in der Mitte der Straße, wo das Wasser nur 5cm tief ist. Und stelle fest, dass auch Jeans keine gute Monsunidee sind, denn sie saugen sich voll. Und dann sind die Dinger schwer und baumeln dir wie Gewichte um die Waden. Und dann fangen sie auch noch an zu rutschen…

Teilweise ist das Wasser knöcheltief. Das schmatzende Geräusch in meinen Sneakers lässt mich verdächtig aufhorchen: die werden doch wohl nicht etwa innen nass sein? Vorsichtig taste ich mit den Zehen nach vorn … hm. Und rühre dabei den Sud Borivalis um.

Wieder driften meine Gedanken ab: Zu den armen Menschen Indiens, die auf die Straße kacken. Letzten Samstag sah ich sie im hippen Stadtteil Bandra, wie sie alle in Reih und Glied auf die Straße machten. Aber nicht alle auf einmal, denn man will sich ja nicht gegenseitig zugucken. Übrig blieb eine ordentliche parallele Zweierreihe hellbrauner Kleckse immer schön im gleichen Abstand. Die liegen dann da, bis jemand die Spülung betätigt.

Wie komme ich jetzt nur darauf?

Ich hüpfe dort, wo es einen Fußweg gibt, auf selbigen und kann so dem Gröbsten entgehen. Meinen verbeulten Schirm trage ich mit unverwüstlicher Anmut – immerhin: mein Kopf ist noch trocken!

Es stinkt!

Der Monsun ist im Gange und es gießt sintflutartig, so dass die Luftfeuchte auf klebrige, zähe 90% getrieben wird. Und wir müssen die Fenster schließen – ganz besonders die, die gen Westen öffnen, denn mit jedem Atemzug saugen wir den unappetitlichen Güllegestank ein, der zur Monsunzeit schelmisch um die Häuser schleicht. |-|

socke gaehntWäääääääh!

Man erklärt uns, dass es das Marschland sei, dass nur wenige hundert Meter von unserem Haus ungeniert seine Ausdünstungen auf die wehrlose Bevölkerung hetzt, doch uns schwant, dass es wohl eher der darin herum dümpelnde Müll sein würde, dessen olfaktorische Charakteristiken ein Stück Mumbai ausmachen. Und ohne Vorwarnung taucht die Erinnerung an einen frühen Abend an einem populären Strand an der Westküste Karnatakas, unweit von Udupi, auf.

Malpe

Der dunkle grobe Strand war durchschnittlich stark verschmutzt; was mit Kühen, Hunden, Pferden – ja, einem ganzen Bauernhof, der da am Meer entlang flanierte. Und Krähen. Die Müllvernichter jeder Touristenansammlung, deren unschöne Schnäbel in leeren Chipspackungen herum stochern. Lang lebe die Esskultur snackender Strandbesucher. :no:

Von einer in die Böschung eingesenkten Hütte her spatzierte ein Mann mit einer großen, prall gefüllten Mülltüte. Ernst, unbewegt, tief in seine Arbeit versunken schlängelte er sich seinen Weg durch die paar Sitzgruppen, die der Abenddämmerung Tribut zollten, hielt genau da an, wo die Wellen am Land züngelten, und schüttete seine Mülltüte dort aus. Dann wandte er sich zum Gehen. Erledigt!

Wenn man einen skurrilen Moment wie diesen in seinem Lebenslauf verbuchen kann, versteht man endlich, wie irgendwelche Drehbuchschreiber ihren dummen Hühnern in Filmen Szenen zuschreiben, in denen sie fassungslos, regungslos einer Handlung zusehen, der man besser Einhalt gebietet. Beim Zuschauen regt man sich über diese Teilnahmslosigkeit, Orientierungslosigkeit, Handlungsunfähigkeit auf. Vorübergehende Lähmung? Synapsen kaputt? Dumme Hühner!

Und da standen wir – Huhn und Gockel – und regten uns nicht.

Die leeren, ausgefransten, überflüssigen Abfallstücke flatterten im sanften Wasser herum, bis eine größere Welle an ihnen zog, sie ins Meer fort nahm und dann wieder an den Strand spuckte.

Rahul stolperte dem Müllmann hinterher und fragte ihn, warum er das getan hatte? Der Mann zuckte mit den Achseln: Das Meer räumt den Müll weg. Morgen wird er nicht mehr da sein. Dann drehte er sich wieder um und stampfte auf seine Hütte zu. Alberne Touristen. Mischen sich in alles ein!

Wir beobachteten an diesem Abend noch den Sonnenuntergang. Und wie der Ozean den Müll weg schaffte. Und wie der Mond schön und stolz und prall hinter den dunkelgrünen, mit blauen und schwarzen Schatten versetzten Bäumen hinter der Hütte des Müllmanns aufging, lange nachdem sich die Sonne und ein Großsteil der Touristen aus dem Staub gemacht hatten.

Und nun stecke ich den rechten Nasenflügel zum Fenster hinaus und schäzte die zähe, stickige Marschbrise ab. Ja, genau. Der Müllmann von Malpe hatte Recht. Der Ozean räumt den Abfall weg. Gemächlich, aber zuverlässig. Und wo schafft er den ganzen Dreck hin? Ins Borivali Marschland. Riecht man doch. Es gibt halt Dinge, die einem der Vermieter verschweigt. 😉