Vierbeiner

Gestern schnappte Jumpywieder nach meiner Hand. Jumpy ist einer der vier Straßenhunde, die vor unserem Haus wohnen, und die von allen Bewohnern, den Sicherheitsbeamten und Nachbarn gefüttert werden. Jumpy ist der frecheste (und gesündeste) von allen. Er „beißt“ mir spielerisch in die Hand und hüpft an mir hoch, was momentan des Monsuns wegen wenig Spaß macht. Aber er bekam, was er wollte. Ich ging wieder ins Haus, holte die Hundekekse und spielte wieder eine Runde Ein Herz für Mongrels.

Straßenhunde werden in Indien „Mongrels“ genannt.

Alle Vier tauchten auf. Die schwarz getupfte Hündin, von deren kürzlichem Wurf nur noch ein Welpe übrig ist. Ein ganz süßer, weicher kleiner Japser, für den ich am liebsten sofort ein Zuhause suchen würde, wenn ich nicht wüsste, dass Inder keine Mongrels adoptieren. Dabei ist er wirklich hübsch.
Der braune, struppige Hund war wie immer ganz zurückhaltend, während Jumpy(der einzige mit Namen und Halsband) alles wegschnappte. Mein Liebling ist allerdings der schwarze, dürre Hund. Ihm ist ein Auto über die Pfote gefahren, die zwischenzeitlich geheilt war (natürlich platt und deformiert), die aber seit dem Monsun wieder entzündet zu sein scheint und ich weiß nicht, was man dagegen tun soll, weil jeder Verband im Regen aufweichen würde.

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Als die Hundekekse alle waren, hörte ich es Miauen. Die Schar hatte eine kleine Katze einen Baum hinauf gejagt, und dort saß sie seit zwei Stunden, wie der Sicherheitsbeamte mir erklärte. Sofort kraxelte ich halb hinauf, holte das Tier mit Hilfe von Rahul und dem Sicherheitsbeamten herunter, trug das schreiende Vieh in den Flur und sperrte die Hunde aus. Dann gabs Milch und Whiskas (ein Bild für die Götter). Und dann gab es nichts mehr zu tun. Wie wir aus der Episode mit Nummer Zwei gelernt haben, möchte Socke keine Gesellschaft, also können wir das Tier nicht annehmen, und ich kenne niemanden, dem ich noch ne Katze andrehen könnte. Das Kätzchen vibrierte unter lautem Schnurren. Ich spielte noch eine Weile mit ihm, dann schaffte ich ihn in den Park gegenüber. Es begann zu regnen, also setzte ich ihn unter einen Dachvorsprung eines verlassenen Wachhauses und ging wieder. Das Kätzchen brüllte mir noch eine Weile hinterher.

Und es war nicht leicht, mir ins Gedächtnis zu rufen, dass ich ihm geholfen habe. Für einen kurzen Moment. Es erscheint mir nicht genug.

Tata, Number Two!!!

Ich muss ja mal ganz laut schniefen: Number Two hat jetzt ein neues Zuhause. 😥 Es bestand ueberhaupt keine Hoffnung, dass es mit Socke und ihm klappen wuerde. Wer meine aufgeschlitzten Arme sieht, wird lediglich wissentlich nicken. Das sind Kampfspuren, die mir die liebe Socke zugefuegt hat, als ich ihn vor seinem eigenen Halsband retten musste, dass ihm – wie auch immer – zwischen die Kiefer gerutscht war, als er sich mit Number Two gekempelt hat. Awwww und jetzt ist Socke wieder allein, fetter schwarzer Kater Herr im Haus. Der alte goonda sitzt schon wieder auf seinem Thron und schaut auf uns herab. Herab, jawohl. Wer weiss, was in seinem Hirn vor sich geht? Na, habt’r den oll’n Quaelgeist weg’schafft? Haette wohl eher ihn abgeben sollen :))

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Number Two (3)

Es ist Futterzeit. Aus dem Kühlschrank schwebt eine Dose Whiskas auf den Küchencounter, und Number Two schwebt über Umwege – er ist zu klein, um direkt hochzuspringen – eben jener Dose entgegen. Entweder krabbelt er über die Gasflasche und hopst dann elegant über den Herd, oder er springt auf eine kleine Papptonne, dann hinauf auf den Counter auf der anderen Küchenseite. Von da aus geht es ab auf die Mikrowelle, die neben dem Fenster steht, und von der aus er über den Fenstersims stolziert und auf der Whiskasversprechenden Seite auf den Küchencounter springt. So umrundet er die Küche im Hufeisenformat. Cleverer, hungriger Bursche.

Number Two 06

Futterzeit ist Chaoszeit. Es ist der Moment, in dem ich mich frage, warum ich so wenig von Entspannungstechniken halte. Warum Yoga für mich unter dem Begriff Zeitverschwendung läuft. Warum nur? Warum? U-(

Zwei Schälchen werden mit Futter gefüllt. Der Löffel, den ich benutze, muss sofort gespült oder in einem bereits in der Spüle lauernden, mit Wasser gefüllten Behälter versenkt werden, sonst kommt Number Two später wieder und leckt den Löffel ab. Das Geräusch eines in der Spüle malträtierten Löffels erkenne ich inzwischen, und die auf den glänzenden Fließen verteilten Pfotenabdrücke kenne ich auch. 8|

Schnell Whiskasdose wieder abdecken und außer Reichweite stellen. Umdrehen. Schälchen in der Hand. Inzwischen habe ich Number Two bereits mehrere Male im hohen Bogen vom Küchencounter auf den Boden gefledert. Er ist der Katzenterminator, der wie ein unerschütterlicher Lemming wieder den Parcour betritt. Wieder gen Whiskas hechelt. Wieder zum Küchencounter schleicht.

Number Two 07

Nun tänzeln zwei Katzen zu meinen Füßen. Brüllen mich an. Gucken mich an, als sei ich der Teufel persönlich. Es ist schwer, nicht zu stolpern. Zuerst setze ich Number Twos Schälchen ab. Seine Bewegung zum Futternapf ist zu schnell für mein Auge. Dann gibt es Futter für Socke. Ich warte hinter Number Two. Kein Sportwagen kann sich mit Number Two messen. Seine Schüssel ist leer, da inspiziert Socke noch, was heute auf dem Menu steht, und ob ihm das überhaupt schmeckt.
Jetzt ist Schlammcatchen angesagt. Number Two schlenkert zur Seite, Socke sitzt erschrocken auf. Number Two hat bereits zwei herzhafte Bissen verschlungen, bevor Socke überhaupt weiß, was los ist. Es ist der Moment, in dem ich zuschnappe und das strampelnde, quiekende, boxende Tier in die Rumpelkammer schaffe und die Tür zuschlage. Die „Rumpelkammer“ ist eigentlich ein zweites Schlafzimmer, aber ich bin der Meinung, keine Wohnung kann ordentlich aussehen und/oder funktionieren, ohne eine Ecke zu besitzen, in die man all die Sachen schmeißt, bei denen man einfach nicht weiß, wohin damit?

Socke widment sich seiner Mahlzeit, während es an der Rumpelkammertür wetzt. In wenigen Tagen wird Number Two die Katzentür fertig haben, an der er mit so viel Hingabe arbeitet.

Ich warte derweilen, bis Socke fertig ist. „Fertig“ bedeutet, dass Socke aufsteht und geht. Wenn er aufessen wollte, müsste er es sofort tun, denn ich habe wenig Geduld, mir das Kreischen von Number Two lange anzuhören. Sobald Socke also die Küche verlässt, öffne ich die Tür zur Rumpekammer. Man sieht eine Rauchwolke. Man riecht den bekannten Geruch verbrannten Gummis bzw. abgelederten Katzenfußballen, als Number Two elegant auf seinen storchigen Beinen die U-Kurve manövriert und sofort auf Sockes Futternapf zuschießt wie eine Rakete. Er vernichtet alles und leckt das Schüsselchen aus. Seit wir Nummer Number Two haben, muss ich kein Geschirr mehr spülen. :>> Socke sitzt am Kücheneingang und putzt sein Gesicht. Aus den Augenwinkeln beobachtet er mit einem leicht angeödeten Gesichtsausdruck die Vorgänge.

Und dann ist alles vorbei. Socke schmeißt sich auf einen Stuhl. Number Two lümmelt auf dem Fußabtreter vor dem Bad. Während ich noch eventuell durch Katzenmägen verwertbare Materialien aus der Küche räume. Es wird ruhig bleiben. Bis zur nächsten Mahlzeit.

Number Two (2)

Da die Nachrichten in und über Indien derzeit so niederschmetternd sind, schreibe ich lieber noch ein bisschen über Number Two:

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Hauptgewinn an unserem neuen Katzentier ist seine (er ist ein „er“) Nonchalance. Bereits am Tag seiner Entführung dauerte es nicht lang, bis er sich seiner Situation vollkommen hingegeben zu haben schien. Stichwort: Stockholm Syndrom!
Zunächst rumpelte er in einem kleinen Karton vor sich hin. Wirklich zu klein für das arme Tier, aber Nariman Point, wo wir Number Two aufgelesen haben, ist so verdammt „sauber“, dass es bereits schwierig genug war, diesen Karton aufzutreiben. Der Wachmann eines Bürogebäudes drückte ihn uns in die Hand, nachdem er 10 Minuten lang im Haus verschwunden war und wir bereits davon überzeugt waren, er käme niemals wieder.

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Das kleine dürre Gehecke kratzte, schrie und boxte, bis es tatsächlich ein Loch in den Karton gefetzt hatte, durch dass es seinen ausgemergelten Körper quetschen konnte. Nun saß das Tier im Taxi, Rahul und ich guckten uns an, die Autofenster herunter gekurbelt, Stau – was nun? Wir setzten Number Two zurück in den Karton, ließen ihn dieses Mal offen, und – siehe da – Number Two machte erst mal ein Nickerchen.

Wir holten unser Auto aus der Werkstatt ab (nieder mit der Klebebandmentalität: endlich sind sämtliche Beulen und Dellen weg!) und Number Two sprang sofort aufs Amaturenbrett, wo er die ganze verbleibende Stunde Fahrt lag und döste.

Und das ist die Essenz von Number Two. Ihn geht das alles nichts an. So lange sein Magen zum Bersten gespannt ist, lümmelt er überall dort herum, wo es ihm Spaß macht. Am liebsten vor Sockes Futternapf. Dann fliegen die Fetzen, und ich darf alle paar Minuten in die Küche fegen, um Schiedsrichter zu spielen und rote Karten zu verteilen. Mannomann.

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Vielleicht sollte ich sie streiten lassen, aber das Problem ist, dass Socke in seinem ganzen Leben lediglich mit Taubenfedern, Plüschmäusen und Wattestäbchen gekämpft hat. Number Two hingegen ist ein echter Bully und war bisher der Einzige, der irgendwelche Treffer gelandet hat. Socke hingegen hat keine Ahnung, wie man richtig kämpft. Es sieht ulkig aus, wie er sich seitwärts mit großen Augen anschleicht und jedes Mal zusammenzuckt, wenn sein Schwanz versehentlich gegen Zeitungspapier oder andere raschelnde Objekte streift. Aber er holt nie aus. Im letzten Moment, wenn er Number Two (inzwischen fauchend und mit zurückgelegten Ohren) in die Ecke gedrängt hat, springt er mit lauten Brrrrrrr-Geräuschen wie eine Gazelle davon. Genau so, wie er immer spielt. Ich könnte mich bekrümeln vor Lachen, aber es scheint nicht fair, dass sich unser Einzelkater vor einer Straßenmiez zum Affen macht.

Number Two kuschelt auch gern, und er unternimmt ständig Versuche, Socke für sich zu gewinnen. Socke allerdings ist das ganz und gar nicht geheuer.

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Was die 17 Mägen der Straßenmiez anbelangt, kann ich nur sagen: |-|
Gestern hat er mir den Rotiteig angefressen. Sah zwar lustig aus, wie seine Beißspuren in einem kleinen Teigball klafften, aber es nervt tierisch. So schnell kann ich gar nicht gucken, wie Number Two angehopst kommt. Nachdem er mir dann auch noch auf meinen Teller gesprungen ist und im ganzen Haus Tomatensoßenpfotenabdrücke hinterlassen hat, gab das erst mal Einzelhaft. Genau das Richtige für einen ausgeglichenen Menschen wie mich mit meinem Überschuss an Geduld.

Number Two

Wir haben es getan! Eigentlich ueberhaupt nicht beabsichtigt. Wir schlenderten am Nariman Point entlang, reichlich unpaesslich, weil wir gerade keine Lust auf gar nichts hatten, uns aber langweilig war :crazy: … und da war er. Number Two. Er lag auf der Strasse, und sprang auf, um uns den Weg zu versperren. Mit lautem Schnurren und ganz viel umdieBeineherumschmieren hat er uns ueberrumpelt, dieser Flohbesen. Eine halbe Stunde spaeter hatten wir von irgendwoher einen Karton organisiert, sprangen ins Taxi, verbrachten ganze drei Stunden in einem nervenaufreibendem Stau, der sich Navratri und Eid al-Fitr sei Dank, durch ganz Mumbai zog, und kamen zu Hause an. Socke hat sich gefreut: er wusste nicht, mit wem er mehr zicken sollte: Rahul und mir oder mit Number Two.

Number Two ist ein weiss-gelber Kater. Spindelduerr. Total verdreckt. Voller Floehe. Mit bernsteinfarbenen Augen. Dauerschnurrend.

Natuerlich wissen wir seit 2 1/2 Jahren, als wir Socke adoptierten, dass Socke kein Kater mit herausragenden sozialen Faehigkeiten ist. Er mag keine anderen Katzen. Oder Besucher. Ueberhaupt gibt es wenige Leute, denen Socke bisher sein huebsches Gesicht gezeigt hat. Haetten wir es nicht besser wissen sollen, als einen schaetzungsweise 3 Monate alten Strassenkater anzuschleppen? 🙄

Vermutlich. :yes: Aber bisher gab es keine groesseren Kaempfe. Sie beschnuppern sich. Sie aergern sich gegenseitig. Number Two frisst alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Socke, der Feinschmecker, isst zu langsam. Number Two steigt ueber mein Radieschenbeet, springt ins Spuelbecken, ackert durch den Muelleimer… ueberhaupt hat er gar keine Manieren. Erst jetzt bemerken wir, was fuer ein anstaendiger Kater Socke doch ist. :yes: Ein Spass!

Sooooo. Number Two wurde bereits geimpft. Mit Palmolive Duschgel gebadet, auch wenn er immer noch von einem Grauschleier ueberzogen ist. Krallen geschnitten. Entwurmt. An den Floehen arbeite ich noch. Wenn Number Two nicht gerade damit beschaeftigt ist, alles zu fressen – alles! – dann sitze ich mit Pinzette da und durchforste das Fell. Bisher hat Number Two Reis gefressen, den ich eigentlich zum Kaltwerdenlassen offen stehen lassen hab. Woher sollte ich wissen…. Socke wuerde sich nie zu etwas wie Reis herablassen! Was freue ich mich, dass unsere Kueche keine Tuer hat! U-(
Heute morgen hat er Ueberreste von Ruehrei aus der immer noch heissen Pfanne geklaut. Was so alles in einen Katzenmagen passt! 8|
Ausserdem muss ich mir jetzt etwas mit dem Muelleimer ueberlegen. Number Two wuehlt darin nach Essbarem. Er frisst sogar trockenes Brot. Ich hoffe, in ein paar Wochen wird er kapiert haben, dass es bei uns immer was zu fressen gibt. Man muss mir nur genug auf den Keks gehen.

Alles in Allem bisher viel Spass. Wir wissen noch nicht, ob wir Number Two behalten werden. Kommt drauf an, inwieweit sich die zwei arrangieren. Socke ist – logisch – unsere Nummer Eins, und unser Gutmenschentum wird ihn nicht kompromittieren. Wenn es also nicht klappt, werden wir fuer Number Two ein neues zu Hause suchen. Auf die Strasse setzen wir den Kleinen natuerlich nicht wieder!

Und falls wir Number Two behalten, steht die Frage, ob Number Two auch weiterhin Number Two heissen wird. Es ist doch etwas lang… Haldiram steht auch auf der Namensliste. Haldi heisst gelb und Ram steht fuer Gott. Die Kombination Haldiram bezieht sich allerdings auf einen Lebensmittelhersteller und ist darum lustig. Mal sehen… ich muss jetzt wieder zurueck nach Hause und gucken, ob noch alles ganz ist….