Hobby-Künstler im Nationalpark

Meines Wissens haben nur sehr wenige Inder wirklich ein Hobby, das sie mit Haut und Haaren verspeist. Zu anstrengend ist der Alltag, zu viel Zeit verplempert man im täglichen Pendeln, als dass man zu Hause noch groß viel Freizeit hätte. Hinzu kommt die viel größere indische Familie (zumindest im traditionellen Stil), so dass man immer jemand durchs Haus hüpfen hat, mit dem es zu schnattern gilt. Ein Hobby zum Zeit totschlagen braucht man also gar nicht.

Im Borivali Nationalpark fanden wir daher auch etwas Besonderes: nämlich einen Malclub, wenn ich das mal so nennen darf. Hier trafen sich vornehmlich ältere Herren am Sonntag in der Früh, packten ihren Malblock und ihre Wasserfarben aus, und malten die Vista des Tages jeder in seinem eigenen persönlichen Stil.

Auserwähltes Motiv an jenem Sonntag war diese Brücke:
Vista

Ich war insofern überrascht, als dass man solche Ruhe und ein Hobby, das viel Zeit und Geduld erfordert, in Indien wirklich nur selten sieht. Zumindest nicht in der Stadt – und ein anderes Leben kennen wir nicht.

Die Hobby-Künstler:

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Hausangestellte in Indien (Teil 2)

Im letzten Beitrag schrieb ich über die neue Sorte Hausangestellten, die heuer in Indien aufkeimt. Es ist eine erst kürzlich begonnene Entwicklung, welche bisher lediglich in den Metropolen um sich geschlagen hat.
Traditionell ist die Maid eine andere Dame. Aus einem Slum um die Ecke. Man hat sie vor Jahren von Nachbarn, vom Vormieter, vom Wachmann oder von anderem Personal empfohlen bekommen, und seitdem kommt sie beinahe täglich vorbei, wischt ihre Runde durchs Haus und zieht dann wieder ab. Meist wechselt man kein Wort mit ihr. Sie ist – obwohl sie jeden Tag zusieht, wie man lebt – kein Teil der Familie und wird daher nicht in Entwicklungen einbezogen oder über Vorgänge informiert.
Oder aber die Hausdame teilt den Nachbarschaftstratsch mit der Maid. Auch das ist eine mögliche Variante. Und auch das macht die Maid nicht zum Familienmitglied, wohl aber zur Mitverschwörerin auf Zeit.

Unsere Maid ist noch eine andere Sorte. Ich nenne sie J. Sie wohnt nicht im Slum, sondern in meiner Parallelstraße. Dort nämlich steht ein Konvent, in dem etliche junge Frauen in J’s Alter leben. Man mag christlichen Missionen gegenüber stehen, wie man möchte, doch das Konzept dieses Konvents ist für meine Begriffe großartig:
J. wohnt dort und zahlt 25% ihres Gehaltes an den Konvent für Verpflegung und Unterkunft. Den Rest kann sie behalten (sie hat ein eigenes Konto) oder an ihre Familie schicken. Sie stammt aus einem dieser miserablen nordindischen Staaten, in denen kein Halm mehr wächst und die Zukunft schon lange abgelaufen ist.
Sie wohnt mit lauter gleichaltrigen Mädchen in einem sauberen Steinhaus mit fließend Wasser und Strom. Das ist mehr, als die meisten Mädchen von J.s Schlag und Herkunft vorweisen können.

Jeden Morgen pünktlich um 8Uhr klingelt J. an der Tür. Pünktlichkeit und vor allen Dingen Verlässlichkeit liegen üblicherweise nicht in der Natur einer Maid. Keine unserer früheren Maids konnte sich mit solcherlei Eigenschaften brüsten. Wenn man überhaupt per Telefon informiert wurde, dass heute nicht mit der holden Anwesenheit der Dame zu rechnen sei, konnte man sich glücklich schätzen. Meist tauchten sie einfach nicht auf, und es galt, selbst den exakten Moment zu erraten, in welchem es sich lohnte, die Hoffnung gegen den Kittel auszutauschen und den Aufwasch selber zu erledigen. Wie 99% aller Inder haben wir schließlich keinen Geschirrspüler.

J. allerdings kommt aus einem geregelten Haus. Wenn sie krank ist, dann informiert uns die Schwester Oberin darüber, und wir können uns sicher sein, dass J. nicht nur einen freien Tag schinden möchte.
Frei hat sie darüber hinaus jeden Sonntag.

18Uhr ist Schicht im Schacht. Dann kann J. nach Hause gehen. Meist allerdings schicke ich sie kurz nach 17Uhr weg. Offiziell und vom Konvent vorgegeben sind also Arbeitszeiten von 10 Stunden pro Tag. Das erscheint nur auf den ersten Blick lang. Zum einen genießt J. täglich 1-2 Stunden Pause. Zum anderen gibts sowieso nicht den ganzen Tag was zu tun. Sie liest dann Zeitung etc. Zum Dritten würde kein Mensch auf die Idee kommen, einer Hausfrau&Mutter vorzuwerfen, sie würde sich in ihrem 18-20-Stunden tot rackern, man solle das verbieten, strengere Gesetze erlassen und überhaupt. :yes:

Kaamwalli
Eine Kaamwalli, die „niedere“ Arbeiten wie das Kehren durchführt. Läuft auch unter der Kategorie Sweeper.

Das allerdings ist nicht J.s Zukunft. Wenn J. Pause hat, dann holt sie ihre Bücher und ihren Taschenrechner aus ihrem Rucksack. Denn J. ist auch Studentin. Sie studiert als Fernstudent auf einen Bachelore in Wirtschaft. Momentan befindet sie sich in ihrem ersten Studienjahr. Dieses Studium wird vom Konvent finanziert, und während der Konvent einer jungen Frau eine Zukunft bietet, verdient sie sich sozusagen den Unterhalt. Wir zahlen also unserer Maid, welche fließend Englisch spricht und in ihrer Freizeit über Wirtschaftsfragen brütet, mit gutem Gewissen ein deutlich über dem Marktpreis liegendes Gehalt UND eine Zukunft. Binnen drei Jahren sollten sich ihr bei erfolgreichem Studienabschluss andere Türen und Tore öffnen.

So wie J. studieren die meisten der Konventbewohner nebenbei. Andere der Mädchen absolvieren Vollzeitstudien, wobei ich nicht zu sagen vermag, nach welchen Kriterien entschieden wird, wer voll und wer teils studiert. Und wer überhaupt studiert, denn es gibt wohl auch welche, die nichts nebenbei lernen. Die Möglichkeit jedoch besteht, und ich kann nicht sagen, dass J. zu der Sorte Maid gehört, die man bemitleiden muss. Im Gegenteil.

Hausangestellte in Indien (Teil 1)

Sie sind ein fester, essentieller Bestandteil vieler städtischer Haushalte in Indien: Die Ein-Personen-Putzkolonne, die unter vielen Namen läuft: Maid. Bai (in Maharashtra). Kaamwalli.
Zum Beispiel.

Sie kommt morgens für ein paar Stunden in den Haushalt geschneit, fegt, putzt, wäscht ab, erledigt eventuell noch die Wäsche. Dann flitzt sie weiter zum nächsten Haushalt und erledigt dort dasselbe.
Oder aber sie hat einen Vollzeitjob bei einer Familie, so dass sie den gesamten Tag dort verbringt. Eventuell wohnt sie auch dort. Auf einer Matratze im Wohnzimmer. In einer Abstellkammer. Oder in ihrem eigenen Quartier.

Das Leben der Maid (wie ich sie in diesem Beitrag der Einfachheit halber nennen werde) unterscheidet sich von Stadt zu Stadt, von Familie zu Familie.
Meena zum Beispiel ist 44 Jahre alt und arbeitet Vollzeit im Haushalt einer Expatfamilie in einem feinen Viertel Neu Delhis. Sie verdient monatlich 10.000 Rupien zzgl. Überstunden, wenn sie Parties betreut. Samstag arbeitet sie nur den halben Tag und Sonntag hat sie ganz frei. Sie wohnt in einer Einliegerwohnung im ersten Stock und genießt sowohl eine Klimaanlage als auch andere Annehmlichkeiten.
Suvarna hingegen ist 45 Jahre alt und arbeitet Teilzeit in vier Haushalten in Mumbai. Es sind die Wohnungen der oberen Mittelklasse, die sie putzt. Sie verdient pro Haus 700 Rupien monatlich, wäscht ab, fegt und wischt den Fußboden und wischt Staub. Sie arbeitet sieben Tage die Woche. Noch drei weitere Mitglieder ihrer Familie arbeiten und schaffen es monatlich auf Meenas Gehalt.

So driften die Welten der Maids auseinander. Es ist ein unorganisierter Sektor, in dem nicht einmal die Arbeitsstunden reguliert sind, wobei die Regierung sich momentan mit dieser Problematik (z.B. einem Mindestlohn für Maids) auseinander setzt.. Manche Maid verdient besser als ein Studienabgänger (wie Meena), andere wiederum werden ausgenutzt, sind unterbezahlt und überarbeitet und sind ihren Arbeitgebern gänzlich ausgeliefert.

Nun jedoch entwickelt sich das Thema in eine gänzlich neue Richtung:
Immer mehr Inder wollen nicht nur ihren Haushalt in Schuss gehalten sehen, sondern auch einen gewissen Servicestandard dazu. Sie sind bereit, sich diesen Spaß etwas kosten zu lassen. Aus diesem Grund sprießen immer mehr Agenturen aus dem Boden, die Maids anlernen und ihnen eine gewisse Etikette beibringen. Denn viele der Maids werden ganz unverblümt in Slums angeworben. Es sind (junge) Frauen, die keine Arbeit haben, oder frische Migranten aus anderen Landesteilen. Sie nehmen an Orientierungskursen teil, in denen ihnen Haushaltsgegenstände erklärt werden, die ihnen gänzlich neu sind. Toilettenpapier zum Beispiel, welches sich in Indien immer größerer Beliebtheit erfreut, auch wenn es nur eine Funktion „zum Abtrocknen“ erfüllt. Oder Staubsauger. Aber auch scheinbar „einfache“ Dinge wie Silberfolie, ein Staubwedel oder eine Schürze.
Desweiteren gibts Nachhilfe in Körperhygiene: sich gepflegt halten, das Haar kämmen und zusammenbinden, sich nicht zu viel Sindoorpulver in den Scheitelansatz schmieren, damit es nicht in der Wohnung der Arbeitgeber wieder heraus krümelt.

Diese Art von Kursen werden inzwischen in mehreren Großstädten Indiens angeboten. Die Firma Empower Pragati zum Beispiel führt 160-Stunden-Kurse durch, die normale Unterklasseinderinnen zu kleinen Haushaltsengeln macht. Diese dann finden Anstellungen mit einem Mindestgehalt von 5500 Rupien pro Monat – entschieden mehr als eine Maid „von der Straße“.

Die anfallenden Kosten werden von den zukünftigen Arbeitgebern getragen. Diese zahlen eine Mitgliedsgebühr an die Agentur sowie eine Art Provision, wenn eine Maid eingestellt wird.

Da die typische Großfamilie von vor einer Generation inzwischen dank der Ansprüche des modernen Stadtlebens vom Aussterben bedroht ist, stehen junge indische Familien noch vor einem anderen Problem: Es gibt in Indien keinerlei Kinderbetreuung für Kinder unter 18 Monaten, die nicht auf den Namen „Oma“ oder „Opa“ hört. Außer der Maid. Die ist inzwischen zur Nanny und Ersatzmutter geworden. Das heißt, diese neue Supermaid der städtischen Moderne ist eine Art Mädchen für alles: sie kann putzen und kochen und babysitten.
Aus diesem Grund beinhalten die Kurse der Agenturen auch wesentliche Trainingseinheiten zum Thema Kinderbetreuung.

Selbst Krankenhäuser bieten inzwischen solche Weiterbildungen an. Cloudnine Maternity Hospital in Bangalore zum Beispiel bietet einen sehr einfachen Grundkurs von sechs Stunden für zwei Personen für 1500 Rupien an, und sieht regen Zulauf von Mutter-Maid-Kombinationen. Was auch sonst will die arbeitende Mutter tun?

Demnächst: Persönliche Erfahrungen mit Hausangestellten in Indien (Teil 2)

Der Polizist

Vorsicht, Melancholie.
Heute beschäftigte mich das Gesicht eines Mannes, den ich an einer Kreuzung sitzen sah. Es war nicht irgendeine Kreuzung, sondern eine riesige Kreuzung entlang des Western Express Highways. Und es war nicht irgendein Mann, sondern ein Polizist.

Er saß dort in seiner Uniform auf einem selbstgebastelten Stuhl aus übereinander geschlichteten Backsteinen. Die Knie formten ein solides Dreieck. Seine Unterarme stützten auf seine Oberschenkel. Eine robuste Körperhaltung. Und doch so verloren.

Wir befanden uns unter einer Überführung. Dort ist es lichtlos. Suspekt. Dort scheint keine Sonne. Wächst kein Gras. Um uns herum nur übrig gelassener Bauschutt. Überführung fertig, Baumaterial über, kammanixmachen. Bleibt dort liegen. Ruine. Für immer.
Dort saß er, in dieser trostlosen Einsamkeit zwischen übrigem Schotter, den kein Mensch mehr braucht. Und er saß auch ein bisschen dort, als ob ihn keiner mehr brauche. Das Gesicht leer. Die Augen ins Nichts der Stadt gerichtet. Der Blick fraglos. Antwortlos.

Dieses Bild füllte mich mit unendlicher Melancholie.

Polizei
Andere Polizisten während eines Volksfestes in Mumbai.

Vielleicht ist das Bild des Mannes für den Leser nicht ausreichend, um das nachvollziehen zu können. Die landschaftliche Szenerie hab ich beschrieben, nicht aber die gesellschaftliche.

Polizisten. Das sind so Witzfiguren. In Filmen sind sie entweder bösartig oder dumm. Mitunter auch beides. In der Gesellschaft werden sie nicht respektiert. Das liegt an der bizarren Mischung aus Macht und Hilflosigkeit, die sie beschreibt. Sie können z.B. im Straßenverkehr jeden für ein Vergehen anhalten und theoretisch auch bestrafen. In der Praxis aber werden sie belöffelt. Gestern sah ich jemanden bei Rot über die Ampel fahren. Ein Moped. Der Polizist auf der Kreuzungsmitte fuchtelte tadelnd zum Mopedfahrer hin. Der Mopedfahrer fuchtelte zurück: Kommt doch keiner, deutete er mit seinen Gesten an. Was soll ich da warten?
Respektlosigkeit. Immer. Zu jeder Zeit. Das liegt – und im indischen Kontext muss ich hier das Wort „natürlich“ benutzen – das liegt natürlich daran, dass Polizisten aus der Unterschicht stammen. Sie sind genau genommen für unsere europäischen Verhältnisse arm. Sie verdienen einen lachhaften Lohn dafür, dass sie Recht und Ordnung aufrecht erhalten sollen, und werden verhöhnt, wenn sie korrupt sind, um diesen lachhaften Lohn aufzubessern. Dabei sind ihre Schuh, wenn sie nicht schon total zerfleddert sind, zumindest komplett abgelaufen. Sie verbringen ihren Tag in maroden, überfluteten oder stickigen oder mit Ratten infizierten „Polizeidienststellen“ oder in der Mitte des Straßenverkehrs. Den normalen indischen Bürger regen sie nur auf, weil sie ihn herumkommandieren. Das ist ihre Arbeit, aber es beschneidet die Freiheiten des Ampelüberspringers und Schnellfahrers, und dann muss man auch noch 50 Rupien rüberwachsen lassen, wenn man erwischt wird. Impertinent!

Dieser Polizist also saß dort. Mit dem melancholischen Gesichtsausdruck. Vermutlich wird er nicht so viel Zeit haben, sich diese Fragen zu stellen, die ich mir stelle. Für ihn.

Es ist ein Glücksfall, dass ich die Antwort nicht kenne.