Alibag – Teil 4

Alles hat ein Ende – ganz besonders, wenn es viel Spaß gemacht hat. Und so fusselte unser Urlaub gegen Sonntag Nachmittag bereits aus. Wir mussten zurück nach Mumbai.

Wir hatten uns von unserem waghalsigen Rickshawfahrer am Vortag die Handynummer geben lassen, und „buchten“ nun eine Rickshaw zurück vom Ressort zum Kai. Ich erlitt schreckliche Tagträume während der Zeit, in der wir auf besagtes motorisiertes Dreirad warteten. Ich sah uns an einem der majestätischen Bäume kleben. Ich sah uns in einem der ausgedorrten Felder liegen. Ich sah uns von einer der Klippen purzeln. Das ist das schöne daran, sich vorher die Abartigkeit der Zukunft in grausamen Bildern auszumalen: man kann nur positiv überrascht werden. Und so fuhren wir entspannt zurück zur Anlegestelle in Mandwa, da der Fahrer unter keiner wie auch immer geartete Wahrnehmungsstörung litt. :yes:

Das war schön.

Mit dem Fährenticket bereits in der Hand, marschierten wir in der glühenden Nachmittagshitze am Kai entlang bis zur Anlegestelle. Es war Flut. Die bei unserer Ankunft entblößten Stufen waren nun vom Wasser verschluckt, und es war ein traumhafter Anblick, wie die etwas braunen Wellen an dieser menschlichen Konstruktion leckten.

Traumhaft blieb es nicht lange. Es war verdammt heiß. Wir hatten uns vom Ressort einen Schirm geborgt, den wir nun als Sonnenschirm nutzten, und standen in der Schlange, die aufs Boot wartete. Zehn Minuten. Fünfzehn Minuten. Zwanzig Minuten. Das Boot hätte schon angekommen sein sollen. Die Schlange wuchs, es war heiß, die Gemüter begannen einen Sonnenstich zu erleiden.
Kutter

Schließlich kam das Boot und der letzte Rest Anstand versickerte im porösen Material der Anlegestelle. Die Schlange verformte sich zur Traube. Hier nun Ausstellungsstück Eins:
Ein Satz aus dem Buch „Games Indians Play“ von Prof. Raghunathan drängte sich mir auf. Er schreibt, wie eine Strategie des Vordrängelns in einer Warteschlange darin besteht, andere anzumachen, wie sie es wagen können, sich vorzudrängeln. Und war das nicht genau das, was passierte? Die Schattenschmarotzer von hinter uns standen plötzlich ganz weit vor uns und schrieen herum, was es wohl mit dem Drängeln anderer auf sich hatte. Es könnte lustig sein, war es aber nicht.

Skyline

Eine Stunde Fahrzeit später über eine etwas aufgewühltere, stoische See waren wir zurück in Mumbai, wo eine ebenso große Traube von Menschen bereits darauf wartete, das Boot stürmen zu können. Es fühlte sich durchaus an wie ein Piratenangriff. Nur gut, dass einer der aussteigenden Passagiere beinahe ins Wasser stürzte – das verpasste der Meute den notwendigen Dämpfer.

Nur gut, dass wir ein Taxi vorbestellt hatten, in das wir uns nun ganz beruhigt fallen lassen konnten, denn am Gateway war gerade Sonntag-Abend-Touristen-Hölle los.

Schon erzählt:
Teil 1
Teil 2
Teil 3

Alibag – Teil 3

An der Rezeption des Ressorts fielen wir aus der Rickshaw und stolperten kopfüber in Gelassenheit und Entspannung. Schon allein die vollkommene Stille der Umgebung legte sich wie eine seidene, geschmeidige Hülle um uns, die kühlend auf unser Gemüt wirkte. Ja, das war Urlaub.

Wir befanden uns tatsächlich mitten im Nirgendwo, welche Pampa nur gezähmt wurde durch zivilisatorische Eingriffe wie Büffets, Pools, viele strategisch aufgestellte, bequeme Sitzgelegenheiten, und diverse Einrichtungen wie ein Fitnessstudio, das man sich von außen anschaute und zu sich selbst nickte: Ja, das ist schön. Vielleicht steh ich ja morgen mal zeitig auf. 😉

Mein lieber Leser, wir waren nicht faul. Wir spielten Billards. :yes:

Zudem wissen Eltern, dass Eltern niemals faul sein können, selbst wenn sie es sich ganz fest vornehmen. Nanu, kein seufzendes Smiley? Hach…

Doch das alles waren Nebensächlichkeiten. Wirklich herrlich empfand ich die Kombination aus Natur und Stille. Freilich muss ein sorgfältig geplantes Arrangement aus Hügeln, Tälern und Teichen mit entsprechender Bepflanzung als Natur gelten, doch wenn wir uns ein Dschungelcamp wünschen, buchen wir entsprechend. Hier hingegen hatte Roma endlich die Gelegenheit, durchs Grüne zu tanzen. Problematisch an einer Stadt wie Mumbai empfinde ich als Kleinstadtkind nämlich den Fakt, dass Natur fast gänzlich aus unserem Leben wegrationalisiert wurde. Es gibt keine Parks, die in irgendeiner Weise echt aussehen mit alten knorrigen Bäumen zum Anfassen und Herumtoben, und auf den Wiesen liegt immer Müll herum, zum Beispiel weggeworfene Verpackung von Kautabak. 🙄

Kaum verwunderlich also, dass sich Roma schon im Paradies wähnte. Herumtoben, sich auf den Boden fallen lassen, im Gras herumkrabbeln können und echte Frösche sehen. Yay!

Ein echter Baum

Da geht sie hin

Zwei ihrer absoluten Lieblingstätigkeiten sind erstens das Treppensteigen und zweitens das Baden, und da es sowohl drei Pools als auch unzählige kurze oder lange Treppen gab, konnte ihrer Freude kein Abbruch getan werden. Oder doch? Das Betreten geschlossener Räumlichkeiten verursachte meist erst mal einen kurzen Trotztanz, der von den Bewegungen in etwa an eine störrige Ziege erinnerte, aber Mama und Papa gaben dem meist die kalte Schulter. Kalt, denn drinnen gibt es schließlich Klimaanlage.

Die herrlichste aller Lieblingstätigkeitenkombinationen allerdings bot die Treppe in den Pool. Was könnte diesen Zustand der Vollkommenheit noch topen? Da hatte ein Erwachsener zur Abwechslung mal mitgedacht. :yes:

Der Leser merkt: wir hatten Spaß. Kurioserweise gehören die Dinge, die uns am meisten Spaß machten, zu denen, welche es im Glorreichen Europa kostenlos gibt. Ne Wiese mit nem Baum in der Mitte zum Beispiel. 🙂

Blümchen

Hügellandschaft

So verstrich das Wochenende viel zu schnell, viel zu bequem, viel zu genüsslich. Fast gewöhnte man sich an die Abwesenheit jeglichen Lärms.

Aber nur fast.
Denn alles hat ein Ende.

Siehe Teil 4.

Alibag – Teil 2

Wie bereits im ersten Teil angekündigt, hatten wir uns für die urindischste Reisevariante entschieden: Public Transport Hopping. Ausschlaggebend für diese im Nachhinein eher weniger günstige Art des Forwärtskommens war die Annahme, eine Fahrt würde Stuuunden dauern. Das ist auch wahr, aber aus Gründen, die ich im Folgenden offenbaren möchte, ist ein klimatisierter Stau mit Airbag und ABS doch irgendwie viel schöner. 😳

Die Rickshaw
Pünktlich 6:10Uhr nahmen wir uns eine Rickshaw zum Bahnhof. Kurze Strecken (vermutlich
höchstwahrscheinlich garantiert nicht geheuer, doch es ist, wie es ist. Wir fuhren Rickshaw. Die Luft am Morgen war noch frisch und angenehm, die Straßen leer.

Der Zug
Der Bahnhof war nicht ganz so leer, doch dafür lagen noch die schlafenden Obdachlosen herum. Wir kauften Tickets für die Erste Klasse, die zu dieser unmenschlichen Tageszeit fast vollständig leer war. Dies war Romas erste Bahnfahrt. Geheuer war ihr das alles am Anfang nicht: das komisch Drahtgestell. Die neuen Geräusche. Viele Menschen. Als sich der Zug endlich in Bewegung setzte, machte ihr das Ganze dann trotzdem Spaß.

Marine Lines
Vom Zug aus: Blick auf Cricketspiel an den Marine Lines, im Hintergrund der Marine Drive

Das Taxi
Zu so morgendlicher Stunde eine Taxe am Churchgate Bahnhof zu erwischen, ist gar nicht so einfach. Wir schafften es dennoch und fuhren damit zum Gateway of India, von wo aus die Kutter nach Alibag fahren. Auch mit einem ordinären Black-and-Yellow Cab (also die alten Schabracken ohne Klimaanlage, dafür mit durchgerostetem Boden und fragwürdigen Blumenmustern auf den felligen Sitzbezügen) ist Roma bereits mehrmals kurze Strecken gefahren. Nichts Neues also an dieser Front.

Das Boot
Am Buchungsschalter dann wurden wir hinterrücks in unserer Urlaubsstimmung überrascht: die klimatisierten Katamarane nach Alibag waren ausverkauft. Damit war die schnellste Reisemöglichkeit von flotten 45min schon mal vom Plan. Stattdessen buchten wir das nächstbeste, das verfügbar war: ein normales Boot, das eine Stunde benötigt.

Der Anblick des Wassers versetzte Roma sofort in Verzückung. Es konnte ihr gar nicht schnell genug gehen.

Mich jedoch versetzte die Situation in eine völlig andere Stimmung.
Es begann mich furchtbar aufzuregen. Einmal abgesehen vom Zustand des Kutters, den ich nur als desolat bezeichnen kann, fand ich auch das Verhalten der Passagiere unmöglich. Es gibt n Fahrkarten für n Plätze, doch alles stürmt los. Dasselbe Verhalten bemerkt man während eines Schlussverkaufs, wenn man vom Wühltisch aufschaut, nur mit dem Unterschied, dass es da keine glitschigen Stufen ohne Geländer gibt und keine sehr reale Unglücksgefahr. Als ich die Rettungsringe zählte, musste ich an die Titanic denken.

Gateway of India mit Taj im Hintergrund

Der Blick auf das Gateway of India und das Taj Hotel im Hintergrund ist natürlich hübsch, aber mit dieser Erfahrung sehr hoch bezahlt. Postkarten sind günstiger. Außer auf der Mahalaxmibrücke im Dhobi Ghat, wo Fliegende Händler 300 Rupien für ein Postkartenbuch verlangen, was eine Fahrkarte nach Alibag ums Mehrfache übersteigt. Im Unterdeck kostet ein Platz 90 Rupien, im Oberdeck 110 Rupien und in der kleinen, eisgekühlten Kabine auf dem Oberdeck kostet die Überfahrt 120 Rupien. Wie man zu solchen Preisen (staatlich festgelegt) ein Boot so instandhalten soll, dass es keiner Fahrlässigkeit gleichkommt, ist mir ein Rätsel. Ebenso ist mir ein Rätsel, wie die zwei Kakerlaken in die klimatisierte Kabine des Kutters gelangten, doch sie waren dort.

Auf dem Boot werden Snacks verkauft. Tee und Kartoffelchips, Somas (gefüllte Teigtaschen, frittiert), usw.

Nach einer Stunde legten wir an der Mandwa Jetty an. Das ist ein winziger Ort ca. 18km von Alibag entfernt. In der heißen Vormittagssonne kämpften wir unseren Weg entlang des Anlegestegs und buchten in einem kleinen Reisebüro Kabuff am WegesStraßenrand eine Rückfahrkarte. Als unbedarfter Tourist möchte ich solcherlei Dinge nicht erledigen müssen, denn selbst etwas, das sich so einfach anhört, ist eine harte Nuss, die man mit Geduld, Finesse, Hindi und Geduld knacken muss. Das Reisebürokabuff war nämlich leer. Es war heiß. Roma kletterte über den Müll am Straßenrand. Es war heiß. Als schließlich jemand im Reisebüro auftauchte, meinte er nur lapidar, er hätte ja keine Schlüssel für die Schublade mit den Tickets. Es war heiß. Nach 15min in der heißen Sonne buchten wir unsere Rückfahrttickets (was zwingend notwendig ist, sonst steht man Sonntag Abend dort und die Boote sind voll), und nahmen uns eine Rickshaw ins Resort.

Die Höllenfahrt
Jemand sagte mir einmal, Mumbai mache hart. Nach nur zwei Jahren in dieser Stadt sei man nicht nur hart (im Nehmen oder Geben, das sagte er nicht), sondern man könne auch nicht mehr raus aus dieser Stadt. Man würde sie trotz allem vermissen.
Ich kann diese Weisheit widerlegen. Nicht nur fällt es mir routinemäßig sehr leicht, Mumbai den Rücken zu kehren, sondern es hat mich auch nicht hart gemacht. Ein Weichei bin ich stattdessen. Ich saß in der Rickshaw und starrte dem Tod ins Auge. Wir rollten im Affenzahn einen recht steilen Berg hinab, es gab unangenehme Mengen Gegenverkehr, die Bremsen der Rickshaw klangen komisch und es zog wie Hechtsuppe. Glücklicherweise war ich einfach zu wütend, um mir vor Angst einzupinkeln. Stattdessen wurde ich den Rest des Tages von einem grausamen Kopfschmerz begleitet. So’ne olle Mimose. 🙄

Leider gibt es zu Rickshaws (privat oder Sammelrickshaws) keine Alternative in Mandwa es sei denn, man hat selbst etwas arrangiert. Es gibt keine Taxen dort. Wir hatten nichts arrangiert, denn unser Resort bietet keinen Taxiservice an.

Doch dann… nach all diesen Tests, ob wir des Urlaubs auch würdig sind, schlugen wir im wahrsten Sinne im Resort auf. :wave:

IMG_0497

Mehr dazu in Teil 3.

Alibag – Teil 1

Wir sind zurück aus unserem viel zu kurzen, viel zu schönen Urlaub in Alibag, und es gibt so viel zu erzählen!

IMG_0503

2007 hatten wir uns bereits einmal in dieses kleine Küstenstädtchen südlich von Mumbai aufgemacht. Ich berichtete davon. Damals fuhren wir mit dem Auto, was einen ziemlichen Umweg darstellt, da man die Bucht von Thane umfahren muss. Hat man den zähflüssigen Stadtverkehr hinter sich gebracht, der sich durch das Geschwür aus Mumbai, Navi Mumbai und Panvel schlängelt, findet man sich zwar plötzlich auf einer lächerlichen Landstraße wieder, und darf so nach Alibag tuckern.

Wir entschlossen uns darum, dieses Mal den Fährenservice zwischen Gateway of India in Südmumbai und der Mandwa Anlegestelle nahe Alibag zu nutzen. Das dauert je nach Boot zwischen 45 und 90 Minuten. Aus diesem Grund bastelten wir einen fünfteiligen Reiseplan:
01 Rickshaw zum Bahnhof in Borivali
02 Zug von Borivali nach Churchgate
03 Taxi von Churchgate Bahnhof zum Gateway
04 Fähre nach Alibag
05 Rickshaw zum Resort

Nun ja. Schon allein das ist einen Beitrag wert. Doch aus Zeitmangel belassen wir es momentan dabei und sagen nur so viel: es war eine schöne Auszeit, und in Kürze gibt es mehr Fotos und viel, viel mehr Worte zum Thema. :wave: