Das Gewissen

Seife. Zahnpasta. Spülmittel. Haarwäsche Shampoo. Mundspülung. Gesichtsreiniger. Waschmittel. Gülle Toilettenspülung. Desinfektionsmittel. Bleiche. Weichspüler. Duschgel. Haarspülung. Haarfarbe. Pflegespülung. All das und noch viel meer mehr rinnt jetzt durch die Abwasserrohre. Rein in die Kanalisation/Gräben. Dreimal links und fünfmal rechts abbiegen. Rein in die Sturmwasserkanäle. Und dann ab… ins Meer. Ins weite, weite Meer.

Indien hat nicht genug Abwasserkläranlagen für den Dreck, den wir produzieren. Nur 35% des Abwassers werden behandelt. Der Rest fließt so, wie Haushalte und Industrie ihn geschaffen haben, unbehandelt ins weite, weite Meer.

Das Meer
Das weite, weite Meer vor Carter Road, Bandra (Mumbai/Bombay)

Gänsehaut. Aufgestelltes Nackenhaar. Migräne. Ekel. All das und noch viel mehr.

Ich halte eine Probepackung Cif in Händen. Das ist so ein Mädchen für alles. Alles, das sauber sein soll. Drei Tropfen auf den Herd. Rubbel-rubbel. Strahlender Glanz. Lappen auswaschen. Cif im Meer. Im weiten, weiten Meer. Was wohl die Fische dazu sagen? Zwei Fischfilet im Gefrierfach. Lecker.

Cif und all die anderen Produkte, die Indien heute – werbeinduziert – benutzt, stets auf der Suche nach dem weißesten Weiß, 99,9% toten Bakterien und streifenfreien Glanz: All das fließt ins Meer. Ein Primetime-Werbeblock auf einschlägigen Unterhaltungskanälen befördert ein äußerst bedrückendes Bild zu Tage: Indien bekommt die Angst vor Killerbakterien und Schmutz eingehämmert, auf das in Zukunft noch mehr Desinfektionsmittel benutzt werden. Das ist toll. Für die Fische. Die haben schließlich auch ein Hygienebewusstsein.

Das heißt nun also, dass man bei jedem Tropfen Spülmittel ein seltsames Ziehen verspürt. Und es stellt sich die Frage: Lass ich die Mundspülung heute mal weg? Brauch ich wirklich eine Pflegespülung? Nehm ich einfach „273 in 1“-Shampoo. Oder? Oder? Oder?

Biologisch abbaubare Produkte gibt es hier nicht. Die Waschnuss vielleicht, doch so etwas benutzt in den Städten niemand. Was tun? Wie verklickere ich das meinem Gewissen? Wie viele Giftstoffe habe ich heute schon ins weite, weite Meer gejagt? Und gestern? Und letzte Woche? Und in den vergangenenn acht Jahren?

Und dann… ah ja dann fällt mir ein, dass ich ja noch ganz viele Videos zu bearbeiten habe. Dass mein Artikel noch nicht fertig geschrieben ist. Dass ich noch unbeantwortete Emails habe. Dass das Leben weitergeht. Hoffentlich auch im weiten, weiten Meer. – Die Kunst der Verdrängung ist eine Notwendigkeit. Wie der Bau von Kläranlagen.

Die Wut

Außerdem ist Indien beschäftigt. Wir feiern Ganesh Chaturthi. Ich gebe mir Mühe, die religiösen Bedürfnisse meiner Mitmenschen zu respektieren. Aber ich kann nicht. Es kotzt mich an, dass die Idole des Elefantengottes Ganesha am Ende dieses zehntägigen Festivals ins Meer geworfen werden. Zum Cif, sozusagen. Traditionell waren das vielleicht mal Lehmidole, die man mit natürlichen Farben angemalt hatte. Heute ist das stinknormaler industrieller Gips (PoP) mit bleihaltigen Farben. Es kotzt mich an.

Muss Indien so tun, als müssten sie erst noch Erfahrung machen? Wieso kann man nicht mal zur Abwechslung anderer Leute Erfahrung nutzen? Die der westlichen Welt zum Beispiel, die während der Industrialisierung dann schon bemerkte, dass den Fischen das Wasser nicht mehr schmeckt. Ich komme aus einer ehemaligen Textilstadt. Das Flusswasser hatte während der Besatzungszeit durch unsere Kammeraden jeden Tag eine andere Farbe. Nur Fische hatte es keine. Dann fiel das mal jemandem auf, und heute kann man wieder auf den Grund des Flusses blicken – es sei denn, ein Fisch schwimmt im Weg herum.

Muss Indien das erst lernen? Dann schlage ich vor, die „Verantwortlichen“ nehmen sich ihre Lieblingstasse aus dem Küchenschrank, gehen mal zum nächsten Fluss und nehmen einen Schluck der Plörre.

Aber wie gesagt, ich hab Videos zu bearbeiten und eigentlich gar keine Zeit. :lalala:

Wens interessiert:
Status of water supply and wastewater generation and treatment in Class-I cities and Class-II towns in India
A report by Central Pollution Control Board (2009)

Tragödien (Commonwealth Games)

Die Commonewealth Games fallen ins Wasser!
Es ist Showtime für Pessimisten. Übertreibung unmöglich. Die Realität ist unschlagbar. Seit Tagen werden wir bombardiert mit täglich neuen Eskapaden der am 3. Oktober 2010 anstehenden Commonwealth Games in Delhi. In einem früheren Bericht ging es um die Vorbereitungsarbeiten, die dafür laufen. Es sieht ganz danach aus, als wäre der Optimismus die Gutgläubigkeit mit mir durchgegangen. Damals behauptete ich noch, Delhi würde das schon schaffen. Heute weiß ich: Nee du, das wird nix mehr. Denn drei Monate später sieht Delhi noch genau so aus wie auf den damals von mir geknipsten Fotos, und man muss davon ausgehen, dass sich daran in den 48 noch verbleibenden Tagen bis zum Beginn der Spiele nichts ändern wird.

Was ging schief?
Selten passt in Indien alles in ein Wort, aber bei dieser Frage gehts ganz kompakt: alles!
Sportstadien sind nur halbfertig. Bereits beendete Stadien fallen wieder auseinander. Durch die Decke regnet es durch. In einer Schwimmhalle fiel gar ein Stück Putz runter. Parkettfußböden sind aufgeweicht. Die gesamte Vorbereitung für die Spiele ist ein Desaster.

Auch Projekte, die zur Verschönerung der Stadt galten (wie die Vereinheitlichung des Stadtzentrums Connaught Place) lahmen traurig hinterher. Der Stichtag zur Beseitigung herumliegenden Schotters wurde bereits mehrmals nach hinten verschoben. Er verstrich jüngst letzte Woche und wurde nun auf den 20. August gelegt, aber das muss man sich nicht merken, denn am Ende wird es eh wieder nix.

Neben der Tatsache, dass alles irgendwie überhaupt nicht fertig ist, blubbern jeden Tag neue wilde Korruptionsgeschichten an die schottrige Oberfläche. Gelder wurden veruntreut und fanden sich plötzlich auf britischen Bankkonten wieder. Bauaufträge gingen an Bogusfirmen. Ah, und der Einkauf. Am schönsten sind die Geschichten von den inflationären Preisen, zu denen diverse Gegenstände für die Commonwealth Games gekauft worden sind. Klopapier zum Beispiel. Für knapp 80€ pro Rolle. Seifenspender. Für reichlich 70€. Da hat jemand ordentlich verdient.

Zudem wurden Laufbänder gemietet, damit die Sportler sich nicht auf den nicht-existenten Gehwegen die Beine brechen, wenn sie trainieren. Wie läuft das hier so?
1. Das Organisationskomitee beschließt: Laufbänder müssen her.
2. Der Auftrag dafür geht an Tunichtgut.
3. Tunichtgut tritt an Raffzahn heran, der die Laufbänder von diversen Fitnessstudios anmietet.
4. Dem Steuerzahler werden dafür 2.900.000 Rupien in Rechnung gestellt. Das sind nach heutigem Kurs 48.378 Euro und 88 Cent.
Pro Laufband.

Ich kenn mich mit Laufbändern nicht so aus. Aber ich stelle dennoch die tollkühne Behauptung in den Raum, dass man für 48.378,88 Euro diverse Laufbänder käuflich erstehen kann.

Selbstverständlich hat niemand erwartet, dass die CWG so ganz ohne Korruption ablaufen. Das ist hier schließlich Indien, und man hat sich den 84. Platz auf dem Transparency International Index schwer erkämpft. Aber vielleicht hat man sich gedacht, es würde so laufen wie immer. Etwas Schmiere hier. Etwas Bakshish da. Eine Rupie in die CWG Kasse und drei in meine Hosentasche. – – Und nun stehen wir dem bizarren Ausmaß der Korruption gegenüber, die so überwältigend ist, dass sogar Indien erschrocken ist. Mal ehrlich. 80€ für Kackpapier?
Hinzu kommt noch, dass Korruption zwar üblicherweise jede Menge Kohle auffrisst, dass man am Ende aber trotzdem etwas vorzuzeigen hat. Hier, neue Überführung. Hat nicht x Rupien gekostet sondern 20x, und hat nicht ein Jahr gedauert sondern fünf, aber … hier ist die neue Überführung. Viel Spaß damit.
Dieses Mal jedoch ist dem nicht so. Noch 48 Tage ticken vorbei, dann ist Schluss mit „Come back tomorrow, Madam!
Dann hat es sich aus ge-„Chalta-Hai“t. (Chalta Hai ist die destruktive Form des „Laissez Faire“.)
Dann kommen die Kamerafritzen mit ihren Megaobjektiven und sehen die Risse in den Wänden. Den Schotter auf der Straße.

…und während das alles passiert, küssen sich im Hafen Mumbais zwei Frachtschiffe. Is ja auch kein Platz auf dem Wasser. Etliche Container plumpsen ins Wasser. Einige davon enthalten Kekse und Kaffee und werden wieder an Land gespült. Der Inhalt gehört jetzt den Findern. Andere Container sind noch verschollen. Sie enthielten Pestizide und andere lustige Chemikalien, die bei Kontakt mit Leben dieses welches auslöschen oder ungünstig beeinflussen.

Außerdem ist die Bucht voll Öl. Die Mangroven voll Öl. Die Fische voll Öl. Die Zugvögel voll Öl.

Aber seien wir mal nicht ganz so schwarzseherisch… Ich glaube an das Gute in Allem, vor allen Dingen aber in einer Klopapierrolle für 80 Euro. Deren Saugfähigkeit muss der Ölschicht einfach gewachsen sein! Hurra. Hurra. Problem gelöst.

Als nächstes: Cricket.

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Mehr zum Thema Commonwealthspiele.

Die Sulabh-Komposttoilette

Nachdem ich die Hygieneprobleme indischer Großstädte angesprochen habe, lohnt es sich m.E., etwas zu der genialen Erfindung der Sulabh-Toilette zu sagen. Sulabh ist inzwischen ein Synonym für die öffentliche Toilette in Indien, und dahinter verbirgt sich eine sehr einfache, denkbar günstige, unweltschonende Alternative zum stinkenden Kloproblem.

Unter diesem Link wird das Prinzip der Sulabh-Komposttoilette sehr ausführlich mit allen technischen Details erklärt (Englisch). Kurz und knackig zusammengefasst klappt das System so: Eine herkömmliche Toilette wird mit zwei Auffangkammern verbunden, deren Größe von der Anzahl der Nutzer abhängig ist. Normalerweise wird eine solche Auffangkammer für eine 3jährige Nutzung konzipiert. Ist die erste Kammer voll, wird diese versiegelt: Die Endprodukte verwandeln sich ohne den Zusatz von Chemikalien et al binnen zweier Jahre in direkt nutzbaren Dünger. In der Zwischenzeit nutzt man die zweite Kammer.
Die Sulabhtoilette ist so gebaut, dass man nur anderthalb bis zwei Liter Wasser pro Spülung verbraucht. Nichts stinkt; nichts müffelt.

Inzwischen hat die Sulabhorganisation eine Million solcher Kompostklos für individuelle Haushalte in Indien gebaut.

Es gibt allerdings auch öffentliche Toiletten (E) von Sulabh. Deren Tanks sind natürlich größer, aber diese Einrichtungen funktionieren auch gleich viel extravaganter. Licht und Ventilatoren werden mit dem aus den Tankern stammendem Biogas (E) betrieben. Wasser stammt aus der hauseigenen Kläranlage. In diesem Sinne sind öffentliche Sulabhtoiletten kleine, unabhängige Inseln im oft unzuverlässigen Netz der beinahe-kollabierten, urbanen Infrastruktur. Da frage ich mich doch, warum die Stadtverwaltung immer noch herkömmliche Klos baut – ganz besonders in Slums, wo es doch kein Wasser zum Spülen gibt, und wo 80% der Toiletten vollkommen nutzlose, bestialisch stinkende Ruinen sind? Wer ein paar Mal die öffentlichen Toiletten zum Beispiel an Bus-/Bahnhöfen in Indiens Klein- und Großstädten aufgesucht hat, der kann sich den Geruch in Etwa vorstellen.

Dr. Bindeshwar Pathak (E), der diese ganze Klobewegung ins Leben gerufen und zehntausenden von traditionellen Scheißewegräumern Safaikaramcharis geholfen hat, ist ein internationaler Held. Aber in Indien feiert man ihn nicht. Nicht genug.

Diese kleine Erfindung passt so hervorragend ins indische Klima mit all seinen Nachteilen (also Wassermangel, Platzmangel, Elektrizitätsmangel etc pp), dass ich es für eine anständige Idee halte, wenn die zukünftige öffentliche Toilette Indiens generell von Sulabh stammen würde. Auch im Bereich Slum-Redevelopment: Ich habe bereits ausführlich beschrieben, wie das Redevelopmentprogramm für Slums in Mumbai ausschaut, und ich habe mich dabei immer gefragt, woher die Resourcen für die ganzen Toiletten stammen sollen? Wäre es nicht gut, wenn die neuen Häuser für rehabilitierte Slumbewohner anstatt mit einem normalen Klo mit einer Sulabhtoilette ausstaffiert wären?

Ein Tag im Slum

Wenn der Sommer seine klebrigen Tentakel über dem indischen Subkontinent ausstreckt, dann heißt das früher oder später, dass das Wasser knapp wird. Die Stadtverwaltung Mumbai (BMC) rationiert das Wasser dann, und es gibt in weiten Teilen der Stadt nur für wenige Stunden am Tag Wasser aus der Leitung. In einigen vielen Stadtteilen ist dies gar Routine, und im Sommer werden die Stunden der Wasserversorgung nochmals verkürzt.

In letzter Zeit häuften sich die Berichte über die Wasserknappheit, und letzte Woche ließ sich die BMC sogar dazu herab, einzugestehen: Ja, es sieht eng aus. In sonst so hoch gelobten Vororten wie Bandra und Andheri gab es gar mehrere Tage hintereinander gar keinen Tropfen mehr, und die auf Wahlfang befindlichen Politiker schimpften, dass die Leute den einstudierten Wahlreden gar nicht mehr zuhören würden. Sie wollten nur übers Wasser reden, diese ignoranten Trottel. :))

Nun kam der Tag, an dem man auch uns den Saft abdrehte. Ein schelmischer Sonntag. Ein Tag wie kein anderer. Man fühlt sich ein bisschen wie im Slum, wo es schließlich auch (hin und wieder) Strom gibt, und Kabelfernsehen, und Klimaanlagen. Nur Wasser gibt es nicht.

Wir hatten natürlich Glück. Nicht nur dauerte unsere Wasserknappheit nur einen Tag, und 21:30Uhr lief die Brühe unter Gurgeln, Spritzen und Räuspern wieder recht normal. Sondern wir verfügen auch über zwei Wasserversorgungen. :yes: Die eine stammt von der BMC – das „saubere“ Wasser, das man zum Kochen & Duschen nutzen kann, und welches während der Versorgungsstunden auf den Vorratstank auf unserer Dach gepumpt wird. Die zweite Wasserquelle ist eine Grundwasserpumpe – also eine der Einrichtungen, die für den dramatischen Abfall des Grundwasserpegels in ganz Indien verantwortlich ist:

In Delhi fällt der Grundwasserspiegel zwischen 8 und 10 Meter pro Jahr. 8|

Befindet sich unsere Hausgemeinschaft mit der Bohrvorrichtung, die das Grundwasser anzapft, also auf der falschen Seite des Gesetzes? Mitnichten. Im Gegenteil. Die BMC verbietet die Nutzung des von ihnen zur Verfügung gestellten Wassers zur Betreibung von Toilettenspülungen. Für die Toilette darf man nur das Wasser der Grundwasserpumpe nutzen oder aber Regenwasser.

An jenem Tag also, als wir etwas Slumluft schnupperten, da der Wasserhahn nur ein lustloses Röcheln ausstieß, funktionierte zumindest die Toilette weiterhin anstandslos, und wer sich vor dem ganz leicht rötlichen Wasser nicht fürchtet, der kann sich damit auch die Hände waschen. Wir verfügen schließlich über mehrere Grundwasser-Wasserhähne im Haus. :yes:

Also doch kein Tag wie im Slum?

Nachdem ich nun fertig gejammert habe über mein schweres Los in einem indischen Wohnblock, stelle ich Videos ein:

Das erste, „Der Eimer“, beschäftigt sich mit der Abwesenheit von Toiletten in Slums, und was das für Frauen bedeutet.
Das zweite Video (2 Teile) handelt von sanitären Einrichtungen in Slums: von solchen, die nicht funktionieren, und von solchen, die man tatsächlich nutzen kann.
Das dritte und beeindruckendste Video (The Scavengers) erzählt von den Safairkaramcharis, die in diesem Blog bereits Erwähnung fanden, und für das Wegräumen von Exkrementen Scheiße – menschlichen wie tierischen Ursprungs – verantwortlich sind. Ebenfalls ausführlich erwähnt wird die Sulabh-Bewegung in Indien.

Der Eimer

Erster Teil der Doku „Slum Sanitation in Mumbai“ (Girish Menon)

Teil 2

The Scavengers
(Dieses Video kann nicht eingebunden werden, daher der Link.)

Toilet, Toilet? (Rajasthan 14)

– Eine Klogeschichte aus Bikaner

Am Busbahnhof in Bikaner versuchten wir, eine Toiilette ausfindig zu machen. Da ich des Hindis nicht mächtig bin, lief ich erst mal stur los. Von weitem erspähte ich einen hellen Raum mit weißen Fließen. Dieses Bild assoziierte ich mit sanitären Einrichtungen, also hielt ich Kurs. Es kam eine mollige Frau heraus, und da nahm ich an, sie wüsste, worum es sich bei diesem Raum handelte. Schilder gabs ja nicht. Sie schüttelte bei meinem „Toilet, Toilet?“ aber nur den Kopf.

Entmutigt drehte ich ab. Da sah ich einen Frauenkopf, der etwas schief aber erkennbar an eine Wand gemalt worden war. Wieso sollte jemand einen Frauenkopf irgendwohin malen, wenn es sich dabei nicht um die Kennzeichung einer Toilette handelte? Keine wasserfeste Logik, aber in einem Moment der Verzweiflung ein durchaus akzeptabler Strohhalm.
Es handelte sich dabei um eine Art Schneckenhaus: In der Mitte angekommen gab es keine Tür, sondern nur Tatsachen: Viele braune Würstchen auf einem Haufen. Die gute Nachricht war, dass ich die Toilette gefunden hatte. Die schlechte Nachricht war, dass ich es nicht über mich bringen konnte, mich an diesem kommunalen Kunstwerk zu beteiligen.

Diverse Sinne waren nach diesem Erlebnis im Schneckenhausklo betäubt, also taumelte ich zurück in den weiß gefließten Raum, den ich zuvor schon einmal erblickt hatte. Es konnte doch wohl kaum schlimmer sein! Es handelte sich letztlich doch um eine Toilette. Ich weiß nicht, warum die mollige Frau von vorhin mir nicht geantwortet hatte, denn „Toilet, Toilet“ ist so gut wie Hindi. Wenn man in Indien etwas will, muss man es nur zweimal hintereinander sagen. „Wo bitte finde ich die Toiletten?“ übersetzt sich als o.g. Satz. „Kann ich bitte die Rechnung haben?“ ist „Bill, Bill!“ und „Wo entlang geht es nach Bikaner“ heißt so viel wie „Bikaner, Bikaner!“ Dabei ist zu beachten, dass man das erste Bikaner in normaler Lautstärke als Aussage rüberbringt, und das zweite Bikaner lauter und als Frage mit leicht genervtem Unterton herausquetscht.

Aber halt, Sprachkurs beiseite, meine Blase war immer noch randvoll. Ich machte von diesen herrlich weißen, nur moderat riechenden Einrichtungen Gebrauch, stellte aber wie so oft fest, dass es keine Spühlung gab. Warum, oh warum, würde jemand eine Toilette bauen, die wohlgemerkt kein Plumpsklo ist, ohne einen manuell zündbaren Wasserfall einzubauen?

Ein Mann machte die Runde und spritze die Klos mit einem Schlauch sauber. – Das verstehe ich nicht, aber ich war dennoch glücklich.

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Unsere Rundreise durch Rajasthan
Teil 1 – „Die Erkenntnis, dass ich Dorf heiße(Chokhi Dhani in Jaipur)
Teil 2 – „Der Maharaja und ich
Teil 3 – „Pushkar
Teil 4 – „Busgeschichten
Teil 5 – „Udaipur
Teil 6 – „Mit dem Rücken zur Wand
Teil 7 – „Tanz in Udaipur
Teil 8 – „Nacht&Nebel-Aktion in Jodhpur
Teil 9 – „Meherangarh – Festung in Jodhpur
Teil 10 – „Sandsturm?
Teil 11 – „In die Wüste geschickt…
Teil 12 – „Dinge, die man im Leben gemacht haben muss
Teil 13 – „(K)ein Knigge für Kamele
Teil 14 – „Toilet, Toilet?
Teil 15 – „Deshnoke: Rattentempel
Teil 16 – „Rajasthan: Und was lernen wir daraus?

Nacht & Nebel-Aktion (Rajasthan 8)

Um die großen Distanzen in Rajasthan zeitsparend zu bewältigen, buchten wir eine weitere Nacht im Schüttelbus. Dieses Mal war ich echt froh, dass es in unserem Schlafkabuff kein Licht gab, denn es fanden sich seltsame Substanzen am Fenster; der Vorhang war vor Dreck bereits steif und wurde von mir mit Fingerspitzen weggetackert, damit ich ja nicht damit in Berührung kam; auf der Matratze befanden sich insgesamt 500 Gramm Erdnüsse (gleichmäßig verteilt) und Schalen einer alten Zitrusfrucht.

Aber es war alles nicht so schlimm, denn die nächste Nacht würden wir in einem echten Bett in Jodhpur verbringen. Darum lohnte es sich, sofort nach unserer Ankunft in Jodhpur ein Zimmer zu buchen. Dann konnten vielleicht noch ein paar Stunden natzeln, bevor wir uns auf den Weg machten.

Leider kam alles ganz anders. Es sollte die verrückteste Nacht in Rajasthan werden!
Morgens 4Uhr kamen wir an. Es war erwartungsgemäß kalt. Alles schlief, nur wir nicht, weil wir zuerst ein Bett brauchten. Mit der Rickshaw gings ab zum Hotel Durag Villas. Es waren zwei wunderschöne Gebäude mit allerlei rajasthani Volkskunst. Im Mondschein sah es geradezu märchenhaft aus.
Da gabs nur ein Problem: Der Mann an der Rezeption schnarchte! Und überhaupt: Auf dem Boden des ersten Hauses lagen überall Leute auf Matratzen herum. Für diesen bizarren Anblick gab es dennoch eine gute Erklärung: Es waren die Fahrer der Touristen. Warum die nicht im Bett schlafen, ist eine andere Geschichte.

Unser Rickshaw-Wallah weckte den Mann an der Rezeption auf und fragte, ob ein Zimmer frei war. Der Mann grunzte, schnaubte, sagte „Nein“ und drehte sich um. Wie jetzt, kein Zimmer frei? Vielleicht hätten wir buchen sollen? Hmmm.

Wir gingen ins Nebenhaus und stellten unser Gepäck in der Lobby ab. Der Rickshaw-Wallah weckte den Mann an der zweiten Rezeption und wieder gabs ne Abfuhr für uns. Erstens hatten wir nicht damit gerechnet, dass die Leute an der Rezeption schlafen würden, und zweitens waren wir komplett unvorbereitet, dass es eventuell keine freien Zimmer mehr geben könnte. Wir hofften allerdings, dass die Rezeptionsjungen einfach nur nicht im Schlaf gestört werden wollten und darum vorgaben, dass keine Zimmer mehr frei waren. Darum wollten wir warten, bis hier alles zum Leben erwachte.

Rahul verhandelte mit dem Rickshaw-Fahrer, dass er 6Uhr wiederkommen sollte, falls das mit den Zimmern stimmte. Uns leuchtete ein, dass wir um diese Zeit keine geöffnete Rezeption vorfinden würden, und so beschlossen wir bis zum Sonnenaufgang im Durag Villas zu verweilen. Die Rickshaw brauste davon, und da standen wir: Mitten in der Nacht, alles dunkel, alles schlief.

Auf der Suche nach einem Klo ging ich zurück ins Nebengebäude. Ich stolperte über die Schlafenden in den Innenhof, wo mir das einfallende, bläuliche Licht einen freundlich-zurückhaltend mit dem Schwanz wedelnden Hund zeigte, der im Mondschein auf einem Diwan ruhte. Obwohl ich sämtliche Türen inspitzierte, wurde ich leider nicht fündig.

Dann kam auf einmal ein Holländer die Treppe herunter und frage, ob er mir helfen könne. Ich fragte nach einem Zimmer, und er führte mich in den ersten Stock. Dort fand ich mich auf einmal in einem Märchen wieder: Auf dem Balkon stand ein großes Himmelbett mit den bunten, im Mondlicht glitzernden Stoffen aus Tausendundeiner Nacht. Ein Terracottakübel mit Rosenblättern, ein Dschungel aus Pflanzen, seidene, wehende Vorhänge und der Sternenhimmel.
Leider hatte ich es mir etwas privater vorgestellt, denn es gab keine Tür und die Nachtluft war nicht wirklich kuschlig warm. – Der Holländer verschand im Dunkel der Nacht.

Unverrichteter Dinge lief ich zurück ins andere Haus, wo Rahul in der Lobby aus einem Berg Salz, der (wieso auch immer) auf dem Tisch herumlag, „Jodhpur“ geschrieben hatte. Oben rumpelte es verdächtig, und bald kamen zwei Touristen mit schweren Rucksäcken die Treppe herunter gepoltert und machten sich auf den Weg. Wir saßen fest. Aus dem erträumten Nachholschlaf wurde nix.

Noch einmal versuchten wir den Rezeptionsjungen zu wecken, indem wir das Licht an- und den Deckenventilator ausschalteten (Inder sind süchtig nach Deckenventilatoren auf Orkan-Stufe). Aber leider grunzte er nur, „room kali nahin hai“ und drehte sich um.

Ich drängelte und wollte nicht mehr bis 6Uhr warten, wenn unser Rickshaw-Wallah wiederkommen sollte. Und überhaupt, wer sagte denn, dass er auftauchen würde? Wir hatten uns endlich mit der Tatsache abgefunden, dass die Zimmer tatsächlich alle belegt waren. Darum wanderte Rahul zur Hauptstraße, um ein Taxi zu suchen. Es war 5:30 Uhr.

Plötzlich packte es mich: Ich nahm das gesamte Gepäck (also 4 Taschen), buckelte alles auf, und lief in die stockdustere Nacht. Ich konnte von weitem die Hauptstraße sehen, aber von Rahul war keine Spur. Der Holländer kam zurück und fragte, ob wir in den „Tempel“ wollten, aber ich verneinte und kämpfte mich tapfer voran. Es gehört nicht zu den intelligentesten Dingen, die man unternehmen kann, sich in Indien mitten in der Nacht allein im Dunkeln behängt mit Taschen auf den Weg ins Ungewisse zu machen, aber auf einmal kam ich mir wie ein waschechter, abenteuerlustiger Tourist vor – raus da! Ich will ein Hotelzimmer mit Bett! Eins mit Tür davor und Dach drüber. Fix!

Mit einer neuen Rickshaw cruisten wir durch das schlafende Dunkel Jodhpurs zum nächsten Hotel, wo erwartungsgemäß keiner aufmachte. Hier und da wurden schwer bepackte Touristen flügge und wanderten in einen neuen Tag hinaus, während uns der Schlaf aus den Augen tropfte. Nach 2 Nächten hintereinander im „Schlaf“bus konnten wir einfach nicht mehr….

Endlich fanden wir im Govind-Hotel ein Zimmer. Auf der Dachterasse sahen wir die Sonne aufgehen, während unser Zimmer vorbereitet wurde. Vor uns lag die beeindruckende Festung Meherangarh – unser nächstes Abenteuer.

Meherangarh