Dhobi Ghat in Mahalaxmi, Mumbai (Bombay)

Das Dhobi Ghat neben dem Bahnhof in Mahalaxmi ist eine der berühmtesten 5-Minuten-Seheneswürdigkeiten in Mumbai. Touristen kommen, schauen von der Brücke nach unten, klicken ein Foto, stellen sich die eine oder andere hygienisch motivierte Frage und gehen dann wieder.

Dhobi002

Wir nutzten einen herrlichen Samstag Nachmittag und begaben uns in die Höhle des Weißen Riesen.
Die gemauerten Waschbecken werden von Wäschern (Dhobis) für 300 Rupien monatlich gemietet, damit sie ihrer (geerbten) Tätigkeit nachgehen können. 10.000 Arbeiter gehen in den sieben zusammenhängenden Sektoren des Dhobi Ghats in Mahalaxmi täglich ihrer Arbeit nach und nehmen 10lakh Kleidungsstücke (1 Million) in die Mangel.
Pro Kleidungskombination (jeweils 2 Stk, bspw. Oberhemd und Hose) werden durchschnittlich 10 bis 15 Rupien berechnet.

Der Waschprozess ist in 7 Schritte unterteilt:
1. Abholung der Kleidung vom Auftragsgeber. Das können Privatpersonen sein oder auch Hotels wie das Taj.
2. Die Kleidungsstücke werden mit Anhängern markiert, um sie später identifizieren zu können.
3. Für mehrere Stunden weicht man sie ein.
4. Waschen. Das berühmte „Ausklopfen“ auf einen im Waschbecken eingemauerten Stein mit schiefer Ebene.
5. Spülen.
6. Trocknen.
7. Ausliefern.
Sieben Schritte täglich für eine Million Kleidungsstücke.
Während des Monsuns fällt das Trocknen logischerweise weg. Die Kleidung wird im nassen Zustand ausgeliefert und der Kunde muss sich selbst drum kümmern, wie er die Kleidung schranktrocken bekommt.

Für Aufträge vom chor bazaar (Diebesmarkt) gibt es eine Sonderrate von 3 Rupien pro Sari. Die Herkunft der vom chor bazaar in Auftrag gegebenen Kleidungsstücke ist zweifelhaft, doch einen Waschgang später werden sie frisch verpackt und verkauft. Wir schauen zu, wie Männer in trockenen Waschbecken sitzen und aus dem Kauderwelsch eines bunten Stoffberges Saris ziehen, diese auf Materialfehler, Löcher und Flecken untersuchen, zusammenbinden und fürs Waschen startklar machen. Die Saris werden nicht als offene Stoffbahn gewaschen, sondern wie eine Zieharmonika zusammengefaltet, an einem Ende zusammengebunden und so bearbeitet.

Durch das gesamte Ghat schlängeln sich dünne Wasserrohre. Einige 2cm dick, andere stolze 5cm im Durchmesser. Es handelt sich um legale und illegale Wasserleitungen. Von der Stadtverwaltung (BMC) erhält das Dhobi Ghat nämlich nur eine Stunde pro Tag Wasser. Die restlichen 23 Stunden fließt Wasser durch die illegalen Leitungen und beschert einer vermutlich beachtlichen Menge Beamten eine beachtliche Summe Schummelgelder.

Hier und da riecht es nach Bleichmittel. Wir beobachten ein privates Unternehmen, dessen „Fabrikhalle“ im Dhobi Ghat angesiedelt ist, dabei, wie sie weiße Hemden von Flecken befreien, indem sie großzügig mit Bleichmittel arbeiten. Die Hemden mit hübschen schwarzen Borten aus Samt wurden in Indien genäht. Nach einer Runde im Schwimmbecken erhalten sie neue Etiketten und stammen dann beispielsweise aus der EU. Die Mitarbeiter des „Unternehmens“ führen uns stolz vor, wie sie einen bräunlichen Fleck von einem Hemd bleichen und es dann zum Einweichen in ein naheliegendes Waschbecken werfen. Auf dem Wellblechdach über ihrem Geschäft hängen unendliche Leinen voller weißer Oberhemden mit hübschen schwarzen Samtborten und flattern im Wind. Fertig für den Export.

chor bazaar
Mit diesen (lizensierten) Karren und auf diese Weise in Bündel gewickelt werden die Kleidungsstücke abgeholt und wieder ausgeliefert. (Hier im Chor Bazaar)

Auch Krankenhäuser lassen ihre Laken im Dhobi Ghat waschen. Um für Hygiene zu sorgen, werden diese Laken allerdings zwei Stunden lang gekocht. Wir arbeiten uns unter die Wellblechdächer vor und schauen uns die enormen Kessel an, in denen Handtücher, Laken, etc. schwimmen, während Holz in den Ofen geladen wird, um das Feuer zu halten.

Im Ghat wird nicht nur gearbeitet sondern auch gelebt. Um die Waschbecken herum stehen kleine Blechhütten mit zwei Etagen und wenig Licht. Bis zu 20 Menschen teilen sich so eine Hütte und zahlen dafür Miete, wenn es nicht ihre eigene ist. In einem Nebenraum, der fürs Kochen und Essen gedacht ist, stehen lauter Blechdosen herum. Darin bewahren die Dhobis ihr Hab und Gut auf.
Wenn nicht gewaschen wird, dann wird gegessen und geschlafen. Auf Bänken, in leeren Waschbecken, neben den heißen Kesseln und überall da, wo gerade Platz ist, sieht man Männer schlafen. Andere duschen, waschen sich die Haare in und neben den Waschbecken. Ein Chaiwala (Teeverkäufer) kommt durchs Ghat gelaufen und teilt Teegläser an die Wäscher aus, die sofort eine Pause einlegen – die Füße noch in der Lauge, ihre selbstgebastelte Plastikschürze noch um die Hüfte, der Schweiß noch auf der Stirn. Unter einem Wellblechdach sehe ich zwei rote Zahnbürsten, die dort zur Aufbewahrung hingesteckt worden sind. Überall Zeichen eines Wohnraumes.

Dhobi001

Das Ghat ist den Umständen entsprechend sauber. Hier und da liegen Reis und Dal in der Nähe eines Abflusses, und im Mitteltrog zwischen den Waschbecken steht das Wasser, so dass sich ein suspekter, dunkelgrüner Belag darauf gebildet hat. Aber außer dem Geruch von Bleichmittel rieche ich nichts.

Unsere Gegenwart im Ghat erweckt wenig Interesse. Man geht stoisch seiner Arbeit nach. 120 Rupien werden dafür pro Tag ausgezahlt. Unentwegt kommen frische Ballen voller Kleidungsstücke an. Wird Wäsche gewaschen. Aufgehangen. Gebügelt. Gefaltet. Ausgeliefert.
Hier und da stehen Schleudermaschinen herum. Es sind top-loader Trommeln, in die die nasse Kleidung vorsichtig und mit Fingerspitzengefühl eingestapelt wird, bevor sich die Trommel in Gang setzt. Wir beobachten einen Mann dabei, wie er kleinere Kleidungsstücke in ein großes Laken wickelt und diese Stoffwurst in die Trommel quetscht. Er schlägt mit der Flachen Hand von oben auf die Wurst, drückt dann, quetscht hier und da, schlägt wieder darauf, und hat am Ende eine enorme Kleiderschlange in die Trommel gewürgt, die zuvor nicht den Anschein erweckt hatte, als ob sie jemals dahineinpassen würde.

Während wir uns durch das Ghat führen lassen (100Rupien pro Ticket), werden ohne Unterlass Touristen an das Geländer der Treppen gespült und schauen hinunter auf die Wäscher. Von oben sah alles schmutziger aus, als es im Endeffekt war. Trotz der Einschränkungen wie der inadequaten Unterbringung der Wäscher und ihrer Familien, der schlechten Wasserversorgung et al, läuft das Geschäft im Dhobi Ghat unaufhaltsam weiter.

Ein Fotoessay mit weiteren Fotos vor Ort im Ghat gibt es in Kürze.

"Der Arbeiter will keinen Komfort"

Das ist nicht Marx auf Opium. Das ist Sanjai Jalla auf Hookah. Sanjai Jalla, Managing Director, Eureka Forbes Clean Train Station Division, ist ein Mann, der dringend jemanden benötigt, um seine Reden für ihn zu schreiben. Bzw. einen Knopf im Ohr, durch den ein Mensch mit Ahnung im Bereich Public Relations schlaue Antworten flüstert, die Herr Sanjai Jalla dann nachplappern kann. Beides hat Herr Jalla nicht. Und darum hat Eureka Forbes mit einem Interview in der vorletzten Tehelka-Ausgabe auch mindestens einen Konsumenten verloren. Mich.

Eureka Forbes stellt beispielsweise Wasserfilter, Staubsauger und andere Haushaltsprodukte her.
Eureka Forbes hat außerdem einen Vertrag mit Indian Railways über 35crore Rupien (35.00.00.000Rupien = 6,25 Mio Euro), um acht Bahnhöfe in Nordindien sauber zu halten, was so viel heißt als: die Gleisen von Müll zu befreien – einschließlich der Verdauungsendprodukte der Passagiere. Denn obwohl Schilder in den Zügen die Passagiere dazu anhalten, die Toiletten (Plumpsklos) nicht zu nutzen, wenn der Zug in einen Bahnhof einfährt, wird genau das getan. Immerhin wackelt so ein indischer Zug auf seinen antiken Gleisen ganz gewaltig, und ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass man sich theoretisch an diversen Halterungen festhalten muss, dies aus Hygienegründen praktisch aber lieber eher nicht tun würde. Was liegt also näher, als die Ruhephasen der Reise zu nutzen?

New Delhi Railway Station (NDRS) ist der beschäftigste von 6.856 Bahnhöfen in Indien. Täglich passieren ihn 350.000 Fahrgäste bzw. 250 Züge. Das heißt, eine große Portion der geschätzten 274.000 Liter menschlicher Abfallprodukte landen genau auf diesen Schienen. (Die Schätzung entstammt G. Raghuram, Professor am Indian Institute of Management, Ahmedabad).

local safai

Eureka Forbes beschäftigt 200 safai karamcharis (ein offizieller Euphemismus für Schei*e-Wegräumer) am NDRS. Sie verdienen 100 Rupien pro Tag. Ihre Mittagspause erstreckt sich über stolze 15 Minuten, die für mich und dich gerade lang genug wären, um uns von oben bis unten mit Sagrotantüchern abzurubbeln, denn immerhin wird ohne Schutzanzug, ohne Maske und ohne Handschuhe gearbeitet. Kommt uns bekannt vor.

Eureka Forbes wurde kürzlich von Hewitt Associates auf den 4. Platz der „Best Indian Employers 2007“-Liste gesetzt. Die Liste umfasst 230 Firmen. Eine durchaus imposante Leistung also.

Wie hat Eureka Forbes das geschafft? :??: Das wissen nur Hewitt Associates.

Zurück zu Herrn Sanjai Jalla und seinem Interview mit den Spaßverderbern von Tehelka.

Nachdem Herr Jalla damit fertig ist, uns zu informieren, dass Eureka Forbes sich gerade für die Occupational Health and Safety Standards certification OHSAS 18000 bewirbt (was so einiges über den Wert dieser Zertifizierung aussagt), erklärt er Tehelka, warum die Arbeiter an der NDRS keine Schutzanzüge tragen:

„Ich sage Ihnen, was das ist. Obwohl wir ihnen [den Arbeitern] die besten Gehälter zahlen*, kommen diese Leute, nehmen unsere Schutzmaterialien, und am dritten Tag sind sie verschwunden.“

Tehelka: Diesen Männern wurden weder Handschuhe noch Masken gegeben.

„Wir haben beschlossen, sie für fünf Tage ohne Materialien auf Probe einzustellen, so dass die Firma nicht finanziell geschädigt wird, wenn sie [die Arbeiter] nicht wiederkommen.“

Tehelka: Diese Männer waren alle in der Probezeit?

„Es liegt in der Mentalität der Arbeiter, dass sie sich ohne Sicherheitsausrüstung wohler fühlen. Sie sind nicht an solchen Komfort gewöhnt. Ich hoffe, Sie verstehen, was wir damit sagen wollen. Bald werden wir die OHSAS 18000 Zertifizierung haben, und dann werden wir solche Probleme nicht mehr haben.“

In Interviews mit den Arbeitern hatte Tehelka erfahren, dass ihnen im Krankheitsfall der Lohn für den verlorenen Tag (also 100 Rupien) gekürzt wird. Zusätzlich wird ein Busgeld von 100Rupien (also noch ein Tageslohn) verlangt.

Tehelka: Wenn die Arbeiter krank sind, streichen Sie ihnen den Tageslohn und einen weiteren Lohn.

„Sie werden für Arbeitstage bezahlt! Bußgelder gibt es als disziplinarische Regel. Wenn jeder einen Tag frei nimmt, wer räumt dann auf?“

Das komplette Interview (in Englisch) gibt es hier.

Nach Weihnachten erzähle ich euch dann, inwieweit Eureka Forbes keinen Deut besser ist als der Volksheld Mahatma Gandhi. Und vice versa.

_______________________________________
*Das stimmt nicht. Indian Railways stellt auch Reinigungskräfte für dieselbe Arbeit ein und zahlt ihnen über 6.000 Rupien monatlich.

Wir brauchen einen Staubsauger. Das beste Preis-Leistungsverhältnis hat ein Artikel von Eureka Forbes. Allerdings kann ich den nicht kaufen. Ein bisschen soziale Verantwortung hat man ja doch irgendwo. Sicherlich konsumiere ich jede Menge Produkte, die unter unmenschlichen Zuständen oder von Firmen hergestellt worden sind, die solcherlei Zustände fortführen. Sicherlich habe ich davon keinen Schimmer. Aber da mir die Handlungsweise von Eureka Forbes bzw. die nette Einstellung der Herren und Damen nun bekannt ist, darf ich schon handeln.

Kastenkrieg

Es ist schon wieder vorbei, bevor ich überhaupt dazu komme, über den neuen „Kastenkrieg“ (so nannten die Zeitungen das hier) zu berichten. Sollte mal wieder jemand irgendwo lesen, dass das Kastensystem langsam im Sand verläuft, einfach mal ordentlich auslachen!

Passiert ist es in Rajasthan, dem kitsch-curry-Bundesstaat im Westen Indiens, der die Reisekataloge so schön bunt aussehen lässt. 5% der dort lebenden Bevölkerung gehören der Gemeinschaft der Gujjars an. Sie lümmeln irgendwo „da unten“ in der Kastenhierarchie.

Nun ist man der Meinung, dass die meisten Menschen an sozialem Aufstieg interessiert sind. Im Fall der Kasten nennt sich das Sanskritisierung. Untere Kasten übernehmen Bräuche, Götter, Mythen und allgemeine Verhaltensweisen wie Vegetarismus der höheren Kasten und geben im Allgemeinen vor, eine höhere Rangordnung einzunehmen als das tatsächlich der Fall ist. Zieht man das konsequent über mehrere Generationen durch, ist es durchaus möglich, dass man die Position der eigenen Kaste verbessert. Es ist die einzige Form sozialen Aufstiegs. Möchte man meinen.

Seit die indische Regierung Reservierungen für niedrige Kasten eingeführt hat, möchte jeder so niedrig wie möglich sein, um ebenfalls ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Die zwei großen, wichtigen Klassifizierungen schimpfen sich Scheduled Caste/Scheduled Tribe (SC/ST) und Other Backward Classes (OBC). Freilich wurde bei der Festlegung der Kategorien davon ausgegangen, dass die SC/STs richtig arm dran sind. Demzufolge sind die Kuchenstücke für die SC/ST-Kategorie großzügiger geschnitten als die für die OBC-Kategorie.

Lange Rede, kurzer Sinn – Seite 2 – Hintergrund des Gujjar-Aufstandes

Kurze Rede, kurzer Sinn – Seite 3 – Jetzt haben wir den Salat

Neue Dalit-Unruhen in Maharashtra

Der untote Fluch Indiens, das Kastensystem, brodelt schon wieder so stark, daß es zu offenen Ausschreitungen in Maharashtra gekommen ist. Dalits protestieren und randalieren, Busse und Geschäfte werden mit Steinen beworfen, zwei Züge wurden in Brand gesteckt.

Es läßt sich kaum nachvollziehen, wie es dieses Mal begann; wo der Auslöser der neuen Unruhen zu suchen ist. Auch wenn diese Konflikte nicht jedes Mal ihren Weg ins Fernsehen oder die Tageszeitung finden, heißt das nicht, daß es meistens ruhig ist. Diskrimminierungen sind an der Tagesordnung. Ein weiterer Mord an einem Dalit oder eine weitere Vergewaltigung einer Dalit-Frau ist kaum noch die Tinte wert, mit der darüber berichtet werden könnte.

Fotolink

Dieses Mal ist es anders. Am Dienstag wurde in Kanpur eine Statue von Dr. Ambedkar übel zugerichtet. Ambedkar wird unter Dalits als Held gehandelt, da er u.a. dafür sorgte, daß Diskrimminierung auf Grund der Kaste einer Person als gesetzeswidrig gilt. Außerdem ist er der Vater der „Reservierungen„. Die meisten Dalits hängen ein Bild von Ambedkar in ihrer Wohnung auf oder in den Geschäften. Schuster z.B. sitzen am Straßenrand in ihrer kleinen Bretterbude und warten auf Kundschaft – an der Wand ein Bild von Ambedkar geschmückt mit einer Blumengirlande.

Den Angriff auf diese Statue Ambedkars nahmen die Dalits also persönlich. Hinzu kommt noch der Meuchelmord an einem Dalit-Junge. Die Gewaltausbrüche, die daraus resultierten, haben zu zwei weiteren Todesopfern geführt, als die Polizei in die protestierende Menge schoß.

Laut BBC wurden bisher über 1.000 Menschen in Sicherheitsgewahrsam genommen. Laut CNNibn sind es über 1.500. Ausgangssperren wurden in den betroffenen Städten verhängt, und das Polizeiaufgebot in den Straßen soll weitere Gewalt verhindern.

Dalit-Protest in Bangalore vor 2 Jahren

Fortschritt in den Metropolen. Diversifikation am Arbeitsplatz: Hindus, Muslime, Christen, etc. Immer mehr Hochzeiten zwischen verschiedenen Kasten. – Diese Unruhen haben damit nichts zu tun. In kleinen Städten und ländlichen Gebieten, wo nicht jeder damit beschäftigt ist auf Orkut Freunde zu sammeln wie früher Pilze, werden die Handlungen der Menschen von denselben Gedankengängen beeinflußt wie eh und je. Kastengrenzen sind nach wie vor stark ausgeprägt. Dalits sind immer noch „unten durch“. Die Ausweitung der Reservierungspolitik auf die sog. OBC (Other Backward Classes) hat außerdem dazu geführt, dass sich Nichtzugehörige der von Reservierungen begünstigten Kasten bedroht fühlen, da nun knapp 50% aller Studienplätze bspw. unter die Reservierung fallen. Das heißt, die Konkurrenz wird immer größer und damit auch der Druck. Zu den historischen Gründen für Kastenunterdrückung kommt nun also noch ein sehr moderner Groll, der nichts mit religiöser Reinheit zu tun hat, sondern mit dem Druck einer Gesellschaft, in der es nicht genug Jobs und Ausbildungsplätze für alle gibt. Die Dalits taugen in diesem Zusammenhang prima als Sündenböcke.

Gute Informationen (in Englisch) zum Thema Kaste, die über die üblichen seichten Gewässer hinausgehen, findet ihr hier.

Kastensystem: Sorry, besetzt!

Zum Thema Reservierungen kann ich nichts mehr sagen. Sie wurden beschlossen. Basta. 2007 gehts los.

Bei diesem Thema wird mir übel bzw. ich kann vor Wut keinen klaren Gedanken fassen.

Darum lass ich jemand anders für mich sprechen:

The word politics is derived from the word poly meaning many and ticks meaning blood sucking parasites.

Adrian Hilton

Wer wirklich von den Reservierungen profitieren wird, weiß ich nämlich ganz genau. :##

Kastensystem: Sorry, besetzt! (Teil 1) UPATE Juli2008

Richtig ist, dass es in Indien eine ausgeklügelte Form der sozialer Schichtung gibt.
Richtig ist, dass sich das hier Kastensystem nennt.
Richtig ist, dass man sich hier (Deutsch) und hier (Englisch, tiefgreifender) über dieses System informieren kann.
Richig ist, dass die sog. unteren Kasten und kastenlosen Menschen in Indien nach wie vor benachteiligt sind.
Richtig ist, dass Dr. Ambedkar das ändern wollte und darum in die Verfassung schrieb, dass es Reservierungen für Angehörige der benachteiligten Kasten geben sollte.
Richtig ist, dass diese Reservierungen heute rund 22% betragen.

Das heißt, wer einer der ST/SC oder OBC (Other Backward Castes) angehört (beides Gruppierunge, die von den Reservationen begünstigt werden und die am unteren Ende der Hierarchie zu finden sind) kann mit Hilfe von Reservierungen einen Studienplatz oder einen Job bekommen.
An staatlichen Schulen/Unis und auf öffentlichen Ämtern ist dann ein Teil der Plätze für diese Leute reserviert. Wer sich bewirbt, braucht z.B. im CAT (Common Admission Test) für die IIMs (Indian Institute of Management = international renomierte Eliteinstitutionen für BWL et al) keine 90%, sondern weniger, und bekommt trotzdem einen Studienplatz. Das heißt, er konkurriert nicht mit der allgemeinen Masse für einen Studienplatz, sondern nur mit Vertretern seiner eigenen Gruppe, also SC/ST oder OBC.
Das gleiche System wird in allen anderen Einrichtungen befolgt, in denen es Reservierungen gibt.
(Es gibt neben Kastenreservierungen auch solche für Frauen, für Behinderte und für eine Reihe anderer Gruppierungen einschließlich Vertreter unterer „Kasten“ unter Muslimen und Christen.)

Jetzt hatte Arjun Singh die Idee, den Prozentsatz um 27% auf 49% zu erhöhen (der Höchstsatz laut Verfassung liegt bei 50%). Das heißt, dass 49% der Plätze in staatlichen Einrichtungen für die Angehörigen der SC/ST und OBC reserviert sind.

Wie hört sich das für euch an? Findet ihr es gut, dass man die unteren Kasten unterstützen will, indem man ihnen einen Platz in Schulen, an Unis und im Beamtensessel garantiert?

Wie man in den Medien sehen kann, gibt es eine Menge Leute, die das gar nicht gut finden. In der Regel folgen solchen politischen Äußerungen landesweite Proteste. Diese Proteste richten sich vor allem gegen Reservierungen an den sog. Premier Institutes in Indien, den Aushängeschildern höherer Bildung auf internationalem Niveau (z.B. IIMs und IITs).

Der Gedanke hinter diesen Reservierungen ist folgender: Die benachteiligten Kasten sind meist ärmer, weswegen sie sich keine so gute Bildung leisten können, weswegen sie nicht so „schlau“ sind, und weswegen sie auch bei geringerer akademischer Leistungen eine Chance bekommen sollten. Ein Vertreter der unteren Kasten ist nach dieser Logik sein Leben lang in minderwertige Schulen gegangen (was häufig, aber nicht immer, stimmt), und kann darum nicht mit Indern konkurrieren, die eine bessere Ausbildung genossen haben. Müssten die Vertreter der unteren Kasten also denselben Numerus Clausus erreichen wie die Vertreter der sog. „General Category“, dann würden sie dies vermutlich nie schaffen. Deshalb ist der NC für diese Leute abgeschwächt, damit sie eine Chance haben.

Natürlich hat jeder in Indien zu diesem Thema eine Meinung, wie man hier und hier nachlesen kann.

Für mich am interessantesten ist das konfuse Argument der Pro-Aktivisten, dass Reservierungen in Top-Institutionen ein Muss sind, weil man so den Dalits helfen kann.
Das Gegenargument dazu lautet, dass man doch zuerst einmal eine ordentliche Grundschulausbildung bieten sollte, bevor man am Universitätslevel herumdoktort. Denn wenn jeder Inder eine solide Grundausbildung genossen hat, kann er auch den hohen NC erreichen.
Und jetzt kommts: Das ist ja voll unrealistisch! meinen die Pro-Aktivisten, die Reservierungen unterstützen.

Their qualifications are suspect and they cannot compete with urban educated students in the entrance exams. One specific handicap that these students from the weaker sections face is not being proficient in English.

„Give them quality education“ is the usual answer by those who resent quotas but at the same time they are aware that quality education is a distant dream.

The entry of weaker sections in large numbers into elite institutes may initially cause some culture shock, but ultimately it will promote common good.

In a way, quotas are a kind of poetic justice…

(meint D Shyam Babu, Fellow, Rajiv Gandhi Institute for Contemporary Studies, den Schmarrn in ganzer Länge gibt es hier.)

Also, ich übersetze das in meiner gewohnt objektiven 😉 Art und Weise:

1. Wir können den ganzen armen Dalits leider keine ordentliche (Grund)Schulausbildung bieten, denn das ist teuer und anstrengend.
2. Das macht nix. Dafür bieten wir einer Handvoll der armen Schlucker an, sich mittels der IIMs und IITs und anderer Premier Institutes in die höchste Einkommensgruppe Indiens zu katapultieren.
3. Die Handvoll armer Schlucker erhöhen wir jetzt auf zwei Handvoll und erfüllen damit unsere Verantwortung.
4. Da das Englisch der Landbevölkerung und der armen Schlucker nicht so gut ist, setzen wir die Messlatte im Common Admission Test einfach etwas niedriger an. Alternativ könnten wir uns auch dafür einsetzen, dass man den armen Schluckern besseres Englisch beibringt, aber das ist zu viel Aufwand.

Ich glaube, an dieser Stelle ist meine Einstellung zum Thema Reservierungen für Dalits deutlich zum Ausdruck gekommen. Mit Hilfe der Links kann sich dann jeder seine eigene Meinung zum Thema bilden und mir liebe, nette Kommentare hinterlassen.

Links zum Thema Kaste:
National Geographic
Anti-Caste Informationsseite
Frontline Cover Story „Examining Reservation“

Weitere Beiträge zum Thema Kastenpolitik/Kastensystem gibt es in der linken Spalte unter dem TAg „Kastensystem“