Zugfahrt (4)

Nachdem wir uns wacker im 3Tier-AC von Mumbai nach Delhi durchgeschlagen hatten, musste auch irgendwann die umgekehrte Reise angetreten werden. Dies geschah am 13. Juli und zu unserer Erbauung im 2Tier-AC. B) Das heißt, an Stelle von drei sich übereinander befindlichen Pritschen (oder Berths) gibts nur zwei. Dieser Umstand dezimiert die Gesamtzahl der Reisenden pro Waggon und halbiert daher den Ohrenterror die Konversationsgeräusche der Mitfahrenden gleich mal um die Hälfte. Um den Reisenden Privatsphäre vorzugaukeln, kann man sein Abteil zu je vier Pritschen mittels eines Vorhanges vom Rest der reisenden Bande abtrennen.

Da wir lediglich zu zweit waren, lief uns bereits der Angstschweiß, mit wem wir uns denn dieses Mal die 16-stündige Fahrt vertreiben würden. Rahul hatte bereits herausgefunden, dass es sich um ein älteres Ehepaar handelte. Dies hat er weder durch bisher unentdeckte übersinnliche Fähigkeiten erkannt, noch bespitzelte er den Fahrkartenkontrolleur, sondern diese Informationen sind öffentlich einsichtig: nämlich auf den Reservationstafeln am Bahnhof. Dort befinden sich alle Namen der Reisenden, deren Alter, Geschlecht, Sitzplatz und Waggonnummer. Dieselbe Liste mit allen Reisenden eines bestimmten Waggons befindet sich zusätzlich an den Türen des jeweiligen Waggons. Man sieht eine solche Liste auf folgendem Foto im Wind flattern: :wave:

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Bei der Ankunft sind diese Listen normalerweise vollständig zerfleddert oder liegen bereits irgendwo in der indischen Landschaft herum.

Schlussendlich überrumpelte uns die Ankunft des anderen Paares komplett: nicht zwei sondern sieben Leute stürzten ins Abteil. 8| Fünf davon trugen Taschen, die sie unter den Sitzen verstauten. Einer hatte eine Funkgerät in der Hand. Ein in ein chices Leinenhemd gekleideter Mann und eine Frau im rosa Salwar Kameez ließen sich auf der Pritsche gegenüber unserer nieder, während der Mann mit dem Funkgerät unverständliche Anweisungen in selbiges murmelte; ein weiterer Mann das Paar fragte, ob sie noch etwas benötigten; und die anderen drei betont geschäftig aussahen. Schließlich türmten die fünf Männer und es wurde still im Abteil.
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Zugfahrt nach Delhi (3)

Eine relativ sanfte Nacht liegt hinter uns. Es ist früher Morgen, wie ich an der nebligen Landschaft erkenne, die hinter den Vorhängen am Fenster hervorblitzt. Die meisten im Zug schnarchen noch, doch hier und da tuschelt es. Höchste Eisenbahn also, die Zugtoilette aufzusuchen, bevor man Schlange steht.

Jeder Waggon hat 3 Toiletten, die sich jeweils am Ende des Ganges befinden. Sie funktionieren nach altem Plumps-Prinzip, aber es gibt dennoch eine Spülung. In den neueren Waggons wurden die Toiletten umgestaltet, und ich finde sie jetzt durchaus passabel.

Wenig später bildet sich eine kleine, schlaftrunkene Traube Menschen um die sanitären Einrichtungen. Es werden Zähne geputzt (mach ich im Zug nie, wegen: pfui), es wird sich rasiert, die Haarpracht wird geordnet, etc. Wir torkeln zurück ins Abteil, wo bereits Tee und Kaffee auf uns warten, und wenig später gibt es Frühstück.
Ist das vorbei, sammeln die Zugboys Decken, Kissen, Handtücher und Laken wieder ein, damit niemand was mitgehen lässt, und es wird ein Tablett für Trinkgeld herumgereicht. Wir geben 50 Rupien.
Unsere Fahrt endete circa 20 Minuten später.

Die Fahrkarten

Einen Tag nach unserer Onlinebuchung erhielten wir unsere Tickets per Kurier direkt an die Haustür, und was wir dann in Händen hielt, sah so aus:

train tickets

Eine Fahrkarte für die 1385km lange Reise am 11. Juli 2008 für zwei Erwachsene im Zug Nummer 2951. Gebucht war 3A – Dieser Code steht für 3Tier AC, also im Abteil jeweils drei Kojen übereinander. Das Abteil ist klimatisiert.

Jedes Ticket zeigt normalerweise sowohl die Waggonnummer als auch die Sitzplatznummern an, doch da unsere Tickets auf der Warteliste standen und wir zum Zeitpunkt der Buchung keine garantierte Reservierung hatten, steht unter „Coach“ und „Seat/Berth“ lediglich unsere Waitlist-Nummer. (Für eine Erklärung des Waitlist-Systems siehe Teil 1)

Den Status der eigenen Reservierung kann man im Internet kontrollieren. Dazu benötigt man die sog. PNR-Nummer, die sich oben links (gelber Hintergrund) auf dem Ticket befindet. Schlussendlich fanden wir uns im Waggon B3 mit den Platznummern 17 und 18.

Angaben zu den Fahrgästen gibt es auf dem Ticket ebenfalls (alle Fahrgäste, die in einer Buchung enthalten sind, befinden sich auf einer Fahrkarte): Männlich/weiblich. Alter. NV steht für non-veg. Seine Präferenz fürs Essen gibt man bereits zur Zeit der Buchung an.
Bezahlt haben wir für den Spaß 2990 Rupien. (z.Z. 44Euro)

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Im Kreis Delhi an der Station Tilak Bridge. Im Hintergrund ein nach Kolkatta (Calcutta) fahrender Zug, Sleeper Class.

Rajdhani Express

Rajdhanis sind Expresszüge, die jeweils Hauptstädte miteinander verbinden. Es handelt sich um voll klimatisierte Züge, also gibt es weder Sleeper Class noch Chair Cars. Die Fenster und Türen können während der Fahrt nicht geöffnet werden (auch der Grund dafür, weswegen meine Fotos nicht sehr gut geworden sind). Das heißt, für Raucher sind Rajdhanis unpraktisch. Auch für die Mitreisenden – denn unsere beiden Nachtigallen (siehe Teil 2) waren beispielsweise Raucher und brachten nach jedem ihrer Trips zum Klo eine Ladung Gossengestank mit sich ins Abteil, welcher dort eine Weile stand.

Praktisch im Rajdhani finde ich, dass man voll verpflegt wird. Sämtliche Getränke, Snacks und Mahlzeiten sind im Fahrtpreis inbegriffen. (Lediglich unser Tandoori Chicken haben wir extra bezahlt.) Auch abgepacktes Trinkwasser und Saft gibt es, und man kann zu jeder Zeit um „Nachschlag“ bitten.
Das Essen ist vorgekocht, wird im Zug gekühlt aufbewahrt und für die Mahlzeiten aufgewärmt. Wie im Flugzeug also. Die Qualität des Essen ist gut, und auch vom Fleisch habe ich noch keine Magenprobleme o.ä. davongetragen. Obwohl ich es nicht mit Bestimmtheit sagen kann, wird es sich bei dem Wasser für Tee, Kaffee und Suppe wohl um Mineralwasser oder gefiltertes Wasser handeln.

Die während der Teezeit ausgeteilten Snacks stammen von Drittanbietern. Auf der Strecke Delhi-Mumbai gibt es im 2Tier AC derzeit Snacks von Haldirams, einer nordindischen Restaurantkette. Die Sandwiches waren allererste Sahne, und auch Samosa und Süßigkeiten standen dem in nichts nach.

Anders als bei der Sleeper Class in „normalen“ Zügen muss man seine Decken und Laken auch nicht selbst mitschleppen, sondern bekommt sie gestellt. Es dürfen auch keine Händler an Bord, so dass es sehr ruhig ist und man vor dem ständigen „Spielkarten, Spielkarten, Spieelkaaaarten“ verschont bleibt (diese Händler findet man nur die ersten 20Minuten vor Reiseantritt im Zug, und das ist gut, denn ich hatte meine Karten vergessen und habe für 20 Rupien eine neue Packung gekauft). Rajdhanis fahren auch schneller, so dass man nicht so lange im Zug gammelt.

Mehr zu unserer Rückfahrt von Delhi nach Mumbai mit dem 2Tier-AC und einer Bekanntschaft mit einem Chief Engineer der Indian Railways (sowie einiger interessanter Einsichten in die indische Bahngesellschaft) gibts morgen.

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Teil 1
Teil 2

Im Zug nach Delhi (2)

16 Stunden im Zug von Mumbai (Bombay) nach Delhi erlauben eine Menge Reflektion. Beispielsweise bin ich sicher, die typischen Geräusche eines indischen Zuges identifiziert zu haben.
1. Die neuesten Bollywoodlieder aus zig Handys.
2. Quietschende Kinder, die wahlweise Sprachübungen durchführen, ihr Lungenvolumen testen oder mit kleinen Dreirädern im Gang unschuldiges Zugpersonal über den Haufen fahren.

Die Reisenden

Vor ein paar Jahren war das Mobilfunknetz Indiens noch schlecht ausgebaut, so dass man bei der ewig langen Fahrt durch die Pampa warten musste, bis man das Signal einer größeren Stadt aufschnappte. Heute allerdings ist die Mobilfunkrevolution Indiens so gut wie abgeschlossen, so dass man die gesamte Fahrzeit eine Sinfonie neuester Klingeltöne genießen kann. forum smileys

Sieben Minuten nach Beginn der Fahrt haben wir den Gewinner des nervtötendsten Klingeltones bereits mit Bestimmtheit ermittelt, welche Wahl wir während der kommenden 15 Stunden 53 Minuten noch oft in voller akustischer Opulenz bestätigt bekommen werden.

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Die Pritschen im Zug nennen sich Berths. Im 3Tier-AC, wo wir uns befinden, gibt es drei Level solcher berths übereinander. Die untere Koje dient tagsüber als Sitzbank, während die Mittlere zurückgeklappt ist und als weiche Lehne fungiert. Die Obere ist zwar permanent ausgeklappt (also „schlaffertig“), befindet sich aber zu dicht unter der Waggondecke, als dass man dort bequem aufrecht sitzen könnte.

Dort oben lümmeln zwei junge Damen, die sich den Mund fusslig reden, so dass in mir der Verdacht keimt, Polygamie sei zum Schutze der Männerwelt verboten, denn kein Mann könnte es mit mehr als einer Frau gleichzeitig aushalten, ohne Gehörsturz zu erleiden. :lalala:

Derweil niest eine Frau im Abteil nebean 39 Mal, ohne auf die Dienste eines Taschentuchs zurückzugreifen. Bazillus Rotzus wird gleichmäßig durch die Klimaanlage zirkuliert. Inzwischen haben die Mädels auf den Upper Berths begonnen, die aus einem Handy schallende Bollywoodmusik mit Hilfe ihrer ausgeleiherten Stimmbänder musikalisch zu begleiten. Dabei wippen sie mit den Füßen, die dicht über den Köpfen der unten Sitzenden baumeln. Ob sie dies tun, um ihre Gesangsleistungen zu unterstützen, oder um den Geruch aus den niedrigsten aller Gliedmaßen zu schütteln, bleibt weiterhin unklar.
Klar hingegen – und überaus kräftig – ist die Stimme des Babys nebenan.

Zugfahrt nach Delhi (1)

Morgen Abend fahren wir mit dem Zug nach Delhi. |-| Entschuldigt, falsches Smiley. Jetzt aber: 😐

Es gab mal eine Zeit, da fand ich Zugfahren in Indien sehr unterhaltsam. Wir fuhren damals des schmalen Geldbeutels wegen Sleeper Class. Das ist die schnarchende Holzklasse indischer Züge, in denen das essentielle Stück Blech – eine Klimaanlage – fehlt. Zwei Fahrten im Hochsommer (Fönluft ins Gesicht) und eine Fahrt im Winter (Erfrierungen zweiten Grades) später bin ich sicher, auch irgendwie zum Mimosenclub zu gehören, denn das hat mir irgendwie doch nicht so gut gefallen. |-|

Inzwischen gibt es auf sog. Premiumstrecken (weil: wichtig) wie zwischen Mumbai und Delhi neue neuere Züge, und gekoppelt mit Tickets für Abteils mit Klimaanlage macht das Reisen zwar immer noch keinen Spaß, aber es entbehrt des Heldenstatus‘, den ich mir mit einer Nacht auf dem Boden eines indischen Zuges verdient habe, als wir eines schönen Tages ohne reservierte Plätze fahren mussten. forum smileys Fahrkarten ausverkauft. U-(

Wir hatten einfach zu spät gebucht. Für solche Zwecke gibt es das Tatkal-System der Bahn. Tatkal heißt Aber zackig!!! „sofort“. Einige Plätze werden bis einen Tag vor der Reise frei gehalten, und diese kann man im Tatkal-Verfahren kaufen. Das heißt, sobald die Fahrkartenschalter öffnen, muss man zur Stelle sein, um einen der wenigen Tatkal-Plätze zu ergattern (für eine Reise am selben Tag). Wir probierten das zwei Tage hintereinander, standen 4 Uhr morgens vor dem Fahrkartenschalter und waren trotzdem nicht die Ersten! Die Ersten waren damals boys, die für Reisebüros arbeiteten und gleich vor dem Fahrkartenschalter schliefen. |-|
Als der Schalter dann gegen 7:30Uhr oder so öffnete, gab es ungefähr zehn Minuten ein Hoffen und Bangen, bis die Angestellten nur noch mit den Köpfen schüttelten: Alle Tatkal-Tickets ausverkauft.

Doch das war 2003. Heute kann man online buchen (auch Tatkal). Eine Schlange am Fahrkartenschalter habe ich schon seit Jahren nicht mehr mit einer bereichernden Anwesenheit geziert, denn wir buchen heute – wenn wir schon mal Bahn fahren – nur noch übers Internet. Das kostet 30 Rupien extra pro Ticket, aber dafür bekommt man die am nächsten Tag frei Haus geliefert. Praktisch, praktisch.

Unsere Tickets für Morgen sind Waitlisted. Das heißt, wir haben keine reservierten Plätze. Da viele Inder vorsichtshalber buchen und später stornieren, gibt es dieses Warteschlangensystem, in dem die Bahn Buchungen annimmt, auch wenn die verfügbaren Sitzplätze schon längst ausverkauft sind. Jedes Mal, wenn jemand seine Karte storniert, rutscht man in der Warteschlange einen Platz nach vorn. Für unser Ticket Morgen sind wir Waitlist 84 und 85. Das heißt, 84 Leute müssen stornieren, damit wir unsere Plätze bekommen. Für die Rückfahrt am Sonntag sind wir Waitlist 161 und 162. Yeah.

Aber das macht nichts. Gestern war es bereits WL 25… es haben also, seit wir die Karten letzten Sonntag buchten, bereits rund 60 Leute storniert. Bis morgen schaffen wir das natürlich nicht mehr, aber das macht nichts. Wir kennen da jemand. Geh nachher in den Tempel. forum smileys

Neben der Waitlist gibt es noch RAC – Reservation against Cancellation. (Die indische Bahn ist echt kompliziert, gelle!) Da schließlich auch im letzten Moment noch storniert werden kann und der Zug bei solch großer Anfrage nicht mit freien Plätzen fahren soll, gibt es RAC. Ich spreche von Schlafzügen, also bekommt jeder Fahrgast eine Pritsche für sich. Jeweils zwei RAC-Fahrgäste müssen sich allerdings die in jedem Waggon befindlichen RAC-Pritschen teilen. Wenn sie Glück haben, findet der Kontrolleur im Laufe der Fahrt leere Plätze, so dass jeder seinen eigenen Sitz bekommt. Wenn sie Pech haben, sitzen sie die ganze Nacht dort zu Zweit auf einer Pritsche.

Tja, Morgen geht es los. 16Uhr… oder so… von Mumbai Central ab nach Delhi. Ankunft 8:30Uhr. Die kommende Woche werde ich also ein paar Zugimpressionen austeilen. Hoffen wir doch, dass sie positiv ausfallen werden.

Teil 2
Teil 3