Der Tod durch Langweile grinste schon durchs Fenster, doch dann passierte letzte Woche: Akshay Kumar, dessen kürzliche Filmerfolge ohnehin eine Spur der Verwüstung in der Welt des guten Geschmacks hinterlassen haben (und darum in Indien sehr schlechte Kritiken und noch schlechtere Abrechnungen an der Kinokasse ernteten), setzte noch eins drauf: Er war als Model auf dem Laufsteg während einer der vielen, vielen, vielen :yawn: Modeshows tätig. Enge Jeans spannten sich um die Zeichen langjähriger Anwendung muskelaufbauender Substanzen (das Fitnesstudio:yes:) – er warb für Levi’s neue Unbutton-Kollektion. Dann verließ er den Laufsteg und schlawenzelte zu seiner Frau Twinkle in der Ersten Reihe: Knöpf mir die Hose auf, du Luder Schatz! Die tat, wie ihr befohlen, und machte sich am Hosenstall des ihr Angetrauten zu schaffen (Fotolink), während Pressereporter sich ins Koma knipsten, Zuschauer verschmitzt grinsten und sich zumindest ein selbst-ernannter Social Activist bereits Notizen machte.
Wenige Tage später ist es so weit: Akshay und Twinkle sowie die Organisatoren der Modenschau bekommen eine Anzeige an die Backe. Den Ausgang der Geschichte müssen wir nun abwarten. Bisher wurden Twinkle verhaftet und auf Kaution wieder entlassen. Akshay weilt noch im Ausland.
Mehrmals schon habe ich darüber berichtet: über Zensur in Indien. Wenn Künstler, Filmemacher und andere Persönlichkeiten mit ansehen müssen, wie ihre Werke verunstaltet oder gleich verboten werden, weil sie die Sensibilitäten Einiger verletzt haben. Es hat schon viele getroffen: M.F. Husain. Richard Gere und Shilpa Shetty. Bollywoodstar Shahrukh Khan. Den Unterhaltungssender AXN. Den Film „The DaVince Code„. Den Film Billu Barber. Den Film Slumdog Millionär.
Wenn es um Zensur geht, schließe ich mich Robert A. Heinlein an:
The whole principle is wrong; it’s like demanding that grown men live on skim milk because the baby can’t eat steak.
Auch wenn es viele Bücher, Filme und Kunstwerke gibt, die ich entweder grottenschlecht oder geschmacklos finde (oder beides:>), würde ich nichts davon verbieten wollen. Und trotzdem muss ich auf diese alberne Hosenstallepisode von einem Blickwinkel aus gucken, der neu is: Was, fragte ich mich, als ich eines vogelzwitschernden Morgens diese Geschichte las, Was würde wohl Kusumlata zu dieser Hosenstallaffäre sagen?
Natürlich konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis jemand eine Anzeige gegen Akshay und seine Holde erstattet. Das indische Gesetzbuch bietet dafür schließlich den perfekten Vorwand in Form von Sec29 (Obscene Acts and Songs) :oops:, und es gibt immer jemanden, der auf den Rücken der Stars zum Erfolg reiten möchte. Doch Zensur und diese alberne Anzeige mal beiseite: Ich frage mich einfach, was denken Menschen in Kleinstädten über solches Verhalten, das ihnen fremd sein muss? Was meint die Mittelklasse dazu, dass Wardrobe Malfunctions jetzt bereits institutionalisiert werden?
Jawohl, Indien ist groß und die Ansichten unterscheiden sich, und allein in Mumbai gibt es genügend Inder, die Reichtum sei Dank schon lange vergessen haben, in welchem Land sie eigentlich leben. Und sicher ist es nicht leicht (und gar unsinnig), für Indien einen zentralen Verhaltenscode etablieren zu wollen: Wie soll das gehen in einem Land, in dem gleichzeitig 2 von 3 städtischen Frauen fettleibig sind und 51,8% der Frauen an Blutarmut leiden. 8| Wer soll oder darf sich da hinstellen und meinen, soundso soll man sich in Indien nicht verhalten?
Und trotzdem bin ich überzeugt, dass man ein gewisses Maß an sozialer Kompetenz aufzeigen sollte. Sollte Akshay Kumar nicht wissen, wie das Andere Indien lebt? Sollte er nicht wissen, dass die Werte, die für ihn und seine Bollywoodfamilie gelten, im Großen Weiten Indien nicht überlebensfähig sind?
Ich bin nicht der Ansicht, dass seine humanitären Aktionen hier und da ihn so weit immunisieren, dass er tun und lassen kann, was er möchte. Und ich bin nicht allein.
Kino in Indien ist eine riesige Institution, die normale Unterhaltung transzendiert: Schauspieler sind nicht nur Stars sondern echte Helden, und „Der Inder“ sieht nicht den Schauspieler, der eine Rolle spielt. Er sieht BigB und SRK und Salman Khan und Akshay Kumar, und das alles ist echt. Das birgt Verantwortung. Ich sorge mich nicht um die Verlotterung der indischen Jungend – eine Anklage, die von den selbsternannten Moralaposteln der Gesellschaft häufig zitiert wird. Ich frage mich eher: Was will uns Akshay damit sagen? :??:
Fakt ist: ganz Indien „weiß“ inzwischen, was Männer und Frauen im verlotterten Mumbai in aller Öffentlichkeit tun. Nämlich Hosen aufknöpfen. |-| Wer sind die Zuschauer? Zum Beispiel Männer, deren Frauen das Zimmer verlassen, wenn andere Männer es betreten (Purdahsystem). Oder Familien, die keine Töchter wollen und diese illegal abtreiben lassen, weil sie sonst enorme Mitgift zusammensparen müssen. Es gibt so viele Kleinigkeiten, die das Zusammenleben von Männern und Frauen regeln. Beispielsweise sprechen Frauen ihre Ehemänner nicht mit Vornamen an (oder Schwester ihre Brüder), sondern sie zeigen den Männern der Familie Respekt, indem sie sie mit Titeln ansprechen. 8| Filme wie Dostaana oder Salaam Namastee wurden nicht im Ausland gedreht, weils dort so schön ist, sondern weil die Geschichten, die sie erzählen, nicht in Indien situiert werden können. Das heißt nicht, dass Plotelemente aus beiden Filmen nicht in Indien existieren, sondern dass sie gesellschaftlich verpönt sind und es darum für Produzenten ein Ding der Unmöglichkeit ist, diese Geschichten in Indien zu erzählen.
Bollywood und seine Stars sind eine Traumwelt fernab der Wirklichkeit, wo selbst die Kurtisane (z.B. in Devdas) noch ein heißer, charismatischer, selbstbewusster Feger ist. Was während der Lakme Fashion Show als kleiner Gag gilt, gilt im Rest Indiens mit seiner unterschiedlichen Wertestruktur als etwas völlig anderes. Das ist es, was mich so schockiert. Wie verantwortungslos hat Akshay Kumar aktiv dazu beigetragen, das Bild der Frau als Lustobjekt zu manifestieren?
Es ist faszinierend, dass Akshay Kumar sich nicht vorstellen kann, wie diese Szene auf Das Andere Indien wirkt. – – Als ich 2001* das erste mal in einer Kneipe in Bangalore saß, ein Bier trank und rauchte, da hatte ich eine echt tolle Zeit zusammen mit meinen indischen, männlichen Begleitern. Ich habe mich nicht darum geschert, wie das wohl auf Das Andere Indien wirkt. Aber seit mal ein Mann vor meiner Tür stand und meinte, da er mich rauchen sah, würde ich ja eine >:XX sein und er hätte gern >:XX mit mir; seit man mich in einem Hotel für selbige Berufsklasse gehalten hat und mir ein Zimmer verwehrte, nur weil ich mit meinen zwei besten indischen männlichen Freunden reiste; seit der Hotelmanager eines anderen Hotels meinen Mann mal fragte, wie viel er mir für meine Dienste zahle; seit wildfremde Männer ihre Autofenster neben mir runterkurbelten und mir ne halbe Stunde friendship anboten oder gleich 200 Rupien ….seitdem ist mein Verhalten nicht nur von meinen eigenen Werten geprägt, sondern auch von den Werten Der Anderen. Ich kann nicht immer da tun, was ich für richtig erachte, wenn es gleichzeitig gesellschaftliche Repressalien nach sich zieht oder ich andere Menschen in eine unangenehme Situation rücke. Darf man von einem Schauspieler, der sich seiner Vorbildfunktion doch wohl bewusst sein sollte, nicht ebenso viel Verantwortungsbewusstsein verlangen?
Natürlich ist Akshay Kumar nicht für den miserablen Status der indischen Frau verantwortlich. Aber: Er zementiert ihn. Er brachte seine Frau vor laufender Kamera in eine Position, die degradierend ist, und die Millionen von Männern, die Frauen eh schon für Objekte halten, nun als Bestätigung gelten könnte. Und darum finde ich:
Schäm dich, Akshay!!!
Das hätte er wissen müssen. Andererseits: Was kann man von einem Mann erwarten, der in einem Film wie Kambakht Ishq mitspielt? Dieser Film hat in Indien als „frauenfeindlich“ bereits für Furore gesorgt.
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* Das war 2001. Lange her. Im Jahr 2008 darf man als Frau aber trotzdem nicht ungestraft in die Kneipe: in Mangalore randalierte ein Mob kürzlich in einer Bar und verdrosch alle dort befindlichen Frauen. Ein anständige Inderin trinkt nicht in der Öffentlichkeit in Gesellschaft mit Männern. :no: