The BigB guckt zur Tür heraus

An einem ziemlich normalen Samstag nachmittag fuhren wir durch Juhu und gerieten in einen ziemlich normalen Stau. Die Ursache des Massenauflaufs wurde uns gewahr, als wir von der Juhu Tara Road abbogen und am Bungalow des Großen Bs der indischen Filmgeschichte vorbeikrochen: The BigB schaute wohl gerade zur Tür heraus.

Und alle winkten zurück. :wave:

Auf dem Mittelstreifen hatten sich die Zuschauer aufgereiht und hielten sich am Stacheldrahtzaun fest. Ein paar Jungs kletterten auf Palmen und Masten und anderes Gestrüpp, um die fehlende Körpergröße wettzumachen und einen besseren Blick zu erhaschen.
Einen Fußgängerweg vor dem Haus konnte man schon gar nicht mehr erkennen. Es war eine pulsierende Menschentraube, aus deren Mitte sich immer wieder spontan besonders sportliche Köpfe nach oben reckten.
Es war wie ein großer Jahrmarkt mit Menschen und BigB als Sonderangebot.

Das Große B 1Das Große B 2Das Große B 3Das Große B 4

Als vorbeifahrende Hanseln sahen wir das große B natürlich nicht. Wir saßen zu tief und wir strengten uns eindeutig zu wenig an. Für einen solchen Moment unverdünnter Glückseligkeit für jeden Zuschauer – vom zufällig Vorbeispazierenden hin zum Fanboy – muss man schon aussteigen und sich ein kleines bisschen sportlich betätigen. Ich verrenkte mich ein bisschen für gute Fotos. Ohne Erfolg, wie man sieht. Gute Fotos sind was anderes, aber gucken lässt es sich dennoch. Bentley hingegen zog sich eine Sehnenscheidenentzündung zu, weil er so feinfühlig und unablässig die Kupplung betätigen musste, während er im Schneckentempo durch die Fans schlich.

Mumbai. So menschlich. Wie schön. :yes:

Drei Sekunden mit Akshay Kumar

Meine Bilanz ist ernüchternd: Zwei Jahre in Mumbai. Nur drei Bollywoodstars getroffen. Jeder halbgare Fan mit 43% Hingabe schafft mehr. Ich nicht. :no:

Nicht ein einziges Mal habe ich mir in einer hysterischen Menge den Hals verrenkt, um einen Blick auf eines der indischen Filmidole werfen zu können. Ich bin offensichtlich nicht da, wo Filmstars herumhängen.

Umso entsetzter war ich, als ich am Sonntag Abend das lokale Einkaufszentrum besuchte. Am Sicherheitscheck stand ein unauffälliges Schild, ein bloßer Computerausdruck. Schwarz/weiß. Mehr war es nicht: „Akshay Kumar heute Abend (Sonntag) 19:30Uhr in InOrbit Mall„. Ende der Durchsage. Ein langweiliges A4-Blatt.

Der Blogleser weiß: Akshay und ich sind keine Freunde. Aber aufgeschlossen, wie ich nunmal bin, könnte ich gegebenenfalls über diese Kleinigkeit hinwegsehen und ein Foto schießen, beschloss ich. :yes:

Selbstverständlich kommt in Indien immer alles anders. Akshay, so vernahm ich am plötzlich aufkeimenden Kreischen, traf pünktlich 19:35Uhr ein. Zeitgleich mit der Sorte Harndrang, die man nicht ignorieren kann. So winkte Akshay zu seinen Fans vom Podium, während ich die leerste Damentoilette seit Erfindung derselben betrat. Offenbar wollte niemand pinkeln, während die Chance auf ein Autogramm im Foyer von der Bühne grinste.

Rahul hatte ich derweilen zum Fotografieren abkommandiert. Und herauskamen diese wunderschönen Suchbilder:

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Such den Akshay!

Schlussendlich verbrachte Akshay weniger Zeit auf dem Podium als ich in den sanitären Einrichtungen. Bei Frauen wenig verblüffend, ich weiß, ich weiß. Er – der Held – arbeitete sich dann seinen Weg nach oben in die zweite Etage, wo er im Kino „Fame“ verschwand, um seinen neuen Film Blue zu vermarkten. Begleitet wurde er von treuen, gellenden Fanschreien.

Vorbei war der Spaß noch nicht, denn Akshay musste den Tempel seiner Huldigung schließlich auch irgendwann wieder verlassen. Dies tat er entlang des Kinoausgangs: einer Art Seitenausgang, der zufällig genau neben dem Restaurant gelegen war, in welchem ich zu diesem Zeitpunkt bereits mein viertes Malpua verspeiste. Da mir diese fettige, mit Sahne verzierte, nordindische Süßspeise göttlicher erscheint als jeder die meisten Männer, gesellte ich mich nicht zu den wartenden Fans, die sich entlang der Glasscheibe auftürmten. Das Wort „auftürmen“ bedeutet, dass sie sich mit Hilfe übermenschlicher Kräfte (oder viel, viel Leim) auf einem 5-Zentimeter-breiten Wandvorsprung festklammerten, die Nasen gegen die Scheiben drückten, die Kameras klickbereit.

Nach fünfzehn Minuten, in denen immer mal die von an Glas heruntergleitenden Körpern verursachten Schmiergeräusche erklangen, ertönte ein durch die Tür glücklicherweise gedämpftes Kreischen. Es blitzte. Es machte „Aaaaaaakshay!!!„. Und dann machte es Rums und die Tür hinter ihm war zu.

Etwa zwanzig Minuten später machte ich genüsslich „Hmmmmmm“, während ich eine klebrig-süße Portion mitha-paan zerkaute, und rollte mich zurück zum Auto…. während Fans ihre wackeligen Schnappschüsse austauschten… während Akshay schon wieder ganz woanders war.

Bollywoods politische Retter

Ohne die geölte Muskelkraft Bollywoods wären die diesjähren Parlamentswahlen wirklich unglaublich langweilig. :yawn: Zwar reden sich die Nachrichtensender den Mund über Politik fusslig, aber niemand schneidet Themen an, die das Land kurz vor dem Gang zur Wahlurne interessieren könnten: Wahlprogramme? Zukunftspläne? Ökonomische Strategien? – Langweilig!

Gelobt seien also unsere feschen Helden aus Filmcity, allen voran Salman Khan. Ihm gebürt der größte Dank. :yes: Es ist durchaus üblich, dass Bollywoodstars politischen Parteien unter die Arme greifen, doch Salman Khan macht wirklich vor gar nichts Halt, um die Wahlbeteiligung positiv zu beeinflussen. In den vergangenen Wochen hat er gleich drei Kandidaten auf Wahlumzügen begleitet. Das heißt, er wirft sich in Schale (und zieht schon mal ein strategisch-grünes T-Shirt an, wenn er durch muslimisch dominierte Gegenden in Südmumbai streift), gelt das Haar zurück, klemmt es fest, und tanzt auf LkW-Ladeflächen oder auf Bühnen zu den Klängen poppiger Bollywoodmusik. Und wer will Salman Khan bei so viel Engagement schon kritisieren? :??:

Die indische Presse zerreißt sich ganz unpatriotisch gerade das Maul darüber, dass Salman vor lauter politischem Überschwang vergessen hat, sich die Fahnen seiner Protegées genauer anzuschauen, sonst wäre ihm vielleicht aufgefallen, dass die von ihm unterstützten Kandidaten zu verschiedenen Parteien gehören. :))
Das khan ja mal passieren. 😳
Zunächst warb er in Unnau (Uttar Pradesh) für Anu Tandon. (Foto)
Wenige Tage später klopfte er in Gurdaspur (Punjab) Vinod Khanna (Bollywoodveteran) auf die Schulter. (Foto)
Und am 12. April feierte er Milind Deora in Südmumbai. (Foto)

Dabei sind die Kongresspartei und die BJP (also die Parteien, zu denen diese Kandidaten gehören) bitterböse Erzfeinde. Das störte aber Salman nicht, der meinte, wählen sei wichtig und er wolle das Volk zur Wahl für gute Kandidaten anstiften, nicht für Parteien. Um jeden Preis. :b

Nicht ganz so erfolgreich war Sanjay Dutt, der gebeutelte Knecht, dessen politischer Stern versank, ehe jemand ein Foto machen konnte. Sanjay Dutt, der offensichtlich seinem erfolgreichen, geschickten Politiker-Vater nacheifern wollte, hatte sich zur Wahl aufstellen wollen, wurde auf Grund seiner Verurteilung für illegalen Waffenbesitz von der Wahlkommission allerdings gesperrt. So weit, so fantastisch!

Ich glaube allerdings, dass er sich nicht lange darüber geärgert haben kann, denn am vergangnen Sonntag stellte seine Partei (die Samajwadi Partei) ihr Wahlprogramm vor – immerhin eine Woche vor der Wahl. Bravo! Dieses Wahlprogramm ist derweil als eins der dämlichsten in die Geschichte eingegangen, denn es möchte sowohl Englisch als Pflichtfach in Schulen abschaffen als auch die fortschreitende „Computerisierung“ Indiens verbieten, da Computer Arbeitsplätze vernichten. Bis zu 20 Arbeitsplätze pro Computer! Das kann nicht gut für Indien sein. :no: Und so reiht sich dieses Teufelsgerät hinter die Dampfmaschine, den mechanischen Webstuhl und den Ottomotor in die Reihe kontraproduktiver Erfindungen ein.

Als dieses Bollwerk hochwertiger Literatur (in Hindi, weil Englisch ist ja schlecht) veröffentlicht wurde, saß Parteisekretär Sanjay Dutt mit einem sehr bewegenden Ich-bin-nicht-da-Gesichtsausdruck auf dem Podium. Der Arme. 😐 Hatte er damit gerechnet, durch den Eintritt in die Samajwadi-Partei (die nach Vorstellung dieses Wahlprogramms nicht näher charakterisiert werden muss) mit der Abschaffung des Englischen in Verbindung gebracht zu werden? – – Da ist seine Disqualifikation von den Wahlen doch ein echter Glücksfall. :yes:

Und so läuft der Zirkus zur Zeit. Mit lächelnden Schauspielern, die auf bunt geschmückten Lastern durch die indische Landschaft fahren. Tanzen. Singen. Inkoherente Statements abgeben. Und zum Wählen aufrufen. Oder ihre Namen für Wahlprogramme hergeben, die zu avantgarde sind, als dass diese Autorin sie verstünde. Die Kamera-und-Action!-Veteranen bleiben also bis zur Verkündung der Wahlergebnisse am 16. Mai unser einziger unterhaltsamer Lichtblick. B)

Ich bin gespannt, ob die Spekulationen wahr sind, dass Salman Khan einer dritten Partei den Rücken stärken wird. 8| Welcher? – Na der Samajwadi Partei! Immerhin sind Khan und Sanjay Dutt Busenkumpels.

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Ein herausragend-unproduktives Interview zwischen der hochkarätigen Journalistin Barkha Dutt und BJP-Vorsitzendem L.K. Advani wurde gestern auf dem Nachrichtensender NDTV ausgestrahlt. Nicht eine Frage fiel zum Thema Zukunft, Innovation, Strategie, o.ä. Es war ein einstündiges BlaBla über „der hat das zu mir gesagt“ und „ich sage gar nichts über den“ und „das hat mich unglaublich verletzt“. Wer den knöchrigen aber agilen Advani mal eine Stunde plappern hören möchte, der schaut hier rein.

Schäm dich, Akshay!

Der Tod durch Langweile grinste schon durchs Fenster, doch dann passierte letzte Woche: Akshay Kumar, dessen kürzliche Filmerfolge ohnehin eine Spur der Verwüstung in der Welt des guten Geschmacks hinterlassen haben (und darum in Indien sehr schlechte Kritiken und noch schlechtere Abrechnungen an der Kinokasse ernteten), setzte noch eins drauf: Er war als Model auf dem Laufsteg während einer der vielen, vielen, vielen :yawn: Modeshows tätig. Enge Jeans spannten sich um die Zeichen langjähriger Anwendung muskelaufbauender Substanzen (das Fitnesstudio:yes:) – er warb für Levi’s neue Unbutton-Kollektion. Dann verließ er den Laufsteg und schlawenzelte zu seiner Frau Twinkle in der Ersten Reihe: Knöpf mir die Hose auf, du Luder Schatz! Die tat, wie ihr befohlen, und machte sich am Hosenstall des ihr Angetrauten zu schaffen (Fotolink), während Pressereporter sich ins Koma knipsten, Zuschauer verschmitzt grinsten und sich zumindest ein selbst-ernannter Social Activist bereits Notizen machte.

Wenige Tage später ist es so weit: Akshay und Twinkle sowie die Organisatoren der Modenschau bekommen eine Anzeige an die Backe. Den Ausgang der Geschichte müssen wir nun abwarten. Bisher wurden Twinkle verhaftet und auf Kaution wieder entlassen. Akshay weilt noch im Ausland.

Mehrmals schon habe ich darüber berichtet: über Zensur in Indien. Wenn Künstler, Filmemacher und andere Persönlichkeiten mit ansehen müssen, wie ihre Werke verunstaltet oder gleich verboten werden, weil sie die Sensibilitäten Einiger verletzt haben. Es hat schon viele getroffen: M.F. Husain. Richard Gere und Shilpa Shetty. Bollywoodstar Shahrukh Khan. Den Unterhaltungssender AXN. Den Film „The DaVince Code„. Den Film Billu Barber. Den Film Slumdog Millionär.

Wenn es um Zensur geht, schließe ich mich Robert A. Heinlein an:

The whole principle is wrong; it’s like demanding that grown men live on skim milk because the baby can’t eat steak.

Auch wenn es viele Bücher, Filme und Kunstwerke gibt, die ich entweder grottenschlecht oder geschmacklos finde (oder beides:>), würde ich nichts davon verbieten wollen. Und trotzdem muss ich auf diese alberne Hosenstallepisode von einem Blickwinkel aus gucken, der neu is: Was, fragte ich mich, als ich eines vogelzwitschernden Morgens diese Geschichte las, Was würde wohl Kusumlata zu dieser Hosenstallaffäre sagen?

Natürlich konnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis jemand eine Anzeige gegen Akshay und seine Holde erstattet. Das indische Gesetzbuch bietet dafür schließlich den perfekten Vorwand in Form von Sec29 (Obscene Acts and Songs) :oops:, und es gibt immer jemanden, der auf den Rücken der Stars zum Erfolg reiten möchte. Doch Zensur und diese alberne Anzeige mal beiseite: Ich frage mich einfach, was denken Menschen in Kleinstädten über solches Verhalten, das ihnen fremd sein muss? Was meint die Mittelklasse dazu, dass Wardrobe Malfunctions jetzt bereits institutionalisiert werden?

Jawohl, Indien ist groß und die Ansichten unterscheiden sich, und allein in Mumbai gibt es genügend Inder, die Reichtum sei Dank schon lange vergessen haben, in welchem Land sie eigentlich leben. Und sicher ist es nicht leicht (und gar unsinnig), für Indien einen zentralen Verhaltenscode etablieren zu wollen: Wie soll das gehen in einem Land, in dem gleichzeitig 2 von 3 städtischen Frauen fettleibig sind und 51,8% der Frauen an Blutarmut leiden. 8| Wer soll oder darf sich da hinstellen und meinen, soundso soll man sich in Indien nicht verhalten?

Und trotzdem bin ich überzeugt, dass man ein gewisses Maß an sozialer Kompetenz aufzeigen sollte. Sollte Akshay Kumar nicht wissen, wie das Andere Indien lebt? Sollte er nicht wissen, dass die Werte, die für ihn und seine Bollywoodfamilie gelten, im Großen Weiten Indien nicht überlebensfähig sind?
Ich bin nicht der Ansicht, dass seine humanitären Aktionen hier und da ihn so weit immunisieren, dass er tun und lassen kann, was er möchte. Und ich bin nicht allein.

Kino in Indien ist eine riesige Institution, die normale Unterhaltung transzendiert: Schauspieler sind nicht nur Stars sondern echte Helden, und „Der Inder“ sieht nicht den Schauspieler, der eine Rolle spielt. Er sieht BigB und SRK und Salman Khan und Akshay Kumar, und das alles ist echt. Das birgt Verantwortung. Ich sorge mich nicht um die Verlotterung der indischen Jungend – eine Anklage, die von den selbsternannten Moralaposteln der Gesellschaft häufig zitiert wird. Ich frage mich eher: Was will uns Akshay damit sagen? :??:

Fakt ist: ganz Indien „weiß“ inzwischen, was Männer und Frauen im verlotterten Mumbai in aller Öffentlichkeit tun. Nämlich Hosen aufknöpfen. |-| Wer sind die Zuschauer? Zum Beispiel Männer, deren Frauen das Zimmer verlassen, wenn andere Männer es betreten (Purdahsystem). Oder Familien, die keine Töchter wollen und diese illegal abtreiben lassen, weil sie sonst enorme Mitgift zusammensparen müssen. Es gibt so viele Kleinigkeiten, die das Zusammenleben von Männern und Frauen regeln. Beispielsweise sprechen Frauen ihre Ehemänner nicht mit Vornamen an (oder Schwester ihre Brüder), sondern sie zeigen den Männern der Familie Respekt, indem sie sie mit Titeln ansprechen. 8| Filme wie Dostaana oder Salaam Namastee wurden nicht im Ausland gedreht, weils dort so schön ist, sondern weil die Geschichten, die sie erzählen, nicht in Indien situiert werden können. Das heißt nicht, dass Plotelemente aus beiden Filmen nicht in Indien existieren, sondern dass sie gesellschaftlich verpönt sind und es darum für Produzenten ein Ding der Unmöglichkeit ist, diese Geschichten in Indien zu erzählen.

Bollywood und seine Stars sind eine Traumwelt fernab der Wirklichkeit, wo selbst die Kurtisane (z.B. in Devdas) noch ein heißer, charismatischer, selbstbewusster Feger ist. Was während der Lakme Fashion Show als kleiner Gag gilt, gilt im Rest Indiens mit seiner unterschiedlichen Wertestruktur als etwas völlig anderes. Das ist es, was mich so schockiert. Wie verantwortungslos hat Akshay Kumar aktiv dazu beigetragen, das Bild der Frau als Lustobjekt zu manifestieren?

Es ist faszinierend, dass Akshay Kumar sich nicht vorstellen kann, wie diese Szene auf Das Andere Indien wirkt. – – Als ich 2001* das erste mal in einer Kneipe in Bangalore saß, ein Bier trank und rauchte, da hatte ich eine echt tolle Zeit zusammen mit meinen indischen, männlichen Begleitern. Ich habe mich nicht darum geschert, wie das wohl auf Das Andere Indien wirkt. Aber seit mal ein Mann vor meiner Tür stand und meinte, da er mich rauchen sah, würde ich ja eine >:XX sein und er hätte gern >:XX mit mir; seit man mich in einem Hotel für selbige Berufsklasse gehalten hat und mir ein Zimmer verwehrte, nur weil ich mit meinen zwei besten indischen männlichen Freunden reiste; seit der Hotelmanager eines anderen Hotels meinen Mann mal fragte, wie viel er mir für meine Dienste zahle; seit wildfremde Männer ihre Autofenster neben mir runterkurbelten und mir ne halbe Stunde friendship anboten oder gleich 200 Rupien ….seitdem ist mein Verhalten nicht nur von meinen eigenen Werten geprägt, sondern auch von den Werten Der Anderen. Ich kann nicht immer da tun, was ich für richtig erachte, wenn es gleichzeitig gesellschaftliche Repressalien nach sich zieht oder ich andere Menschen in eine unangenehme Situation rücke. Darf man von einem Schauspieler, der sich seiner Vorbildfunktion doch wohl bewusst sein sollte, nicht ebenso viel Verantwortungsbewusstsein verlangen?

Natürlich ist Akshay Kumar nicht für den miserablen Status der indischen Frau verantwortlich. Aber: Er zementiert ihn. Er brachte seine Frau vor laufender Kamera in eine Position, die degradierend ist, und die Millionen von Männern, die Frauen eh schon für Objekte halten, nun als Bestätigung gelten könnte. Und darum finde ich:
Schäm dich, Akshay!!!
Das hätte er wissen müssen. Andererseits: Was kann man von einem Mann erwarten, der in einem Film wie Kambakht Ishq mitspielt? Dieser Film hat in Indien als „frauenfeindlich“ bereits für Furore gesorgt.
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* Das war 2001. Lange her. Im Jahr 2008 darf man als Frau aber trotzdem nicht ungestraft in die Kneipe: in Mangalore randalierte ein Mob kürzlich in einer Bar und verdrosch alle dort befindlichen Frauen. Ein anständige Inderin trinkt nicht in der Öffentlichkeit in Gesellschaft mit Männern. :no:

Slumdog Millionär

Heute läuft in den deutschen Kinos „Slumdog Millionär“ an (basierend auf Vikas Swarups Buch „Rupien, Rupien“). Dieser Zeitpunkt bietet sich geradezu an, den Film uneingeschränkt zu empfehlen, denn er ist sehenswert. :yes:

In Indien erhielt Slumdog Millionär geteilte Kritiken. Die einen sonnten sich im Schein der vielen internationalen Filmfestpreise, die Slumdog bisher aufgegabelt hat, während die anderen keinen Grund zum Feiern sahen. Denn Slumdog Millionär erzählt keine quietschbunte Geschichte gespickt mit indischer Exotik und Kitschcurrymasala, wie man das von vielen (aber nicht allen) Produktionshäusern Bollywoods erwarten kann. Im Gegenteil: Slumdog Millionär erzählt die Geschichte zweier Brüder, Salim und Jamal, sowie des Letzteren großer Liebe, Latika. Die drei wachsen in den Slums Mumbais auf und nehmen in ihrer Laufbahn mehrere unschöne Laster der Millionenstadt mit. Dieser Strang hässlicher Erfahrungen (von der Bettelmafia über religiöse Unruhen und Prostitution hin zu alltäglicher Kleinkriminalität) hat keinen guten Eindruck beim indischen Publikum hinterlassen, und der Film wurde unter anderen bezichtigt, die Armut Indiens zu unterhalterischen Zwecken auszubeuten. „Poverty Porn“ nannte das die indische Presse. |-|

Andere Kritiker des Films bemängelten, dass Slumdog Millionär nicht sonderlich realistisch sei; was mit dem perfekt englisch sprechenden Slumjungen, der das Herz der korrupten Mumbai Polizei erweicht und die Kasse von „Wer wird Millionär“ knackt?

Slumdog Millionär räumte nicht nur bei den Oscars ab, sondern auch im Medienspektrum Indiens, denn wochenlang wurde in Fernsehsendungen über den Film diskutiert. Viele Inder fühlten sich in ihrem Stolz verletzt, weil Slumdog Indien als hässliches, als schmutziges Land darstellt, und ärgerten sich darüber, dass „Der Westen“ ausgerechnet das sehen will.

Ich glaube nicht, dass Slumdog Millionär Armut ausbeutet. Es ist wahr, dass man trotz der vielen im Film gezeigten Gräußlichkeiten mit leichtem Schritt das Kino verlässt, dass man sich bestens unterhalten fühlt. Doch wer sagt, Armut schließt ein Happy End aus? Regiesseur Danny Boyle geht das Thema sehr feinfühlig an und fügt keine geschmacklosen Schockmomente ein – man hat nicht den Eindruck, er sei mit garstigem Gesichtsausdruck durch Mumbai gestreift auf der Suche nach der größten Schmach, die er finden konnte.

Viele Inder fühlten sich jedoch vom Jauche-Hopser Jamals angewidert und listeten diese Szene als Beweisstück A im Fall „Poverty Porn“ an. Ich kann dazu nur sagen: Menschen, die in Scheiße hopsen, seh ich jeden Tag. Und sie kriegen nicht mal ein Autogramm vom BigB dafür. :no:

Vielleicht geht der eine oder andere ins Kino und fragt sich dann: Ist es wirklich so schlimm in Indien? Die Antwort ist ganz einfach: Ja. Es gibt die Dinge, die im Film beschrieben werden, und Slumdog Millionär ist bei weitem nicht der erste Film, der die dunkle Seite des Subkontinents beleuchtet. Er tut es aber auf eine Art, die keinen Brechanfall hervorruft, wie das eine oder andere Buch/Film, das/den ich konsumiert habe. Aber: Ich halte es für unglaubwürdig, dass ein einziger Junge die ganze Litanei an Boshaftigkeit des Schicksals ins Gesicht geklatscht bekommt.

Ich schlage vor, man sollte den Film sehen. Man sollte ihn nicht sehen, um das „wahre Indien“ zu erblicken, denn Slumdog ist ein Film und keine Doku. Er nimmt sich Freiheiten, und das ist gut so. Und er unterhält. Ich bin mit dem Oscar für Best Motion Picture ganz und gar nicht einverstanden, aber auch wenn ich Slumdog nicht für ein Meisterwerk halte, so ist der doch ein ganz toller Film: und vielleicht bringt er den einen oder anderen dazu, sich näher mit der Materie befassen und mehr wissen zu wollen. Das wäre natürlich fantastisch. :yes:

Übrigens:
Die beiden Kinderdarsteller Salim und Latika erhielten von den Produzenten des Films jeweils einen Bildungsfond, der ihre Schulbildung vollständig zahlt. Sie besuchen nun zum ersten Mal Schulen, und der Fond sorgt dafür, dass das auch so bleibt. Es werden auch medizinische Kosten der Kinder abgedeckt. Die Produzenten kauften aber kein Loft für die Kids und deren Familien, und sie leben weiterhin im Slum. Ich halte das für vollkommen richtig. Über sechs Millionen Menschen leben allein in Mumbai im Slum. Bildung ist die einzige Chance. Ich bin nicht der Meinung, die Produzenten müssen die beiden Kinder ins gemachte Nest setzen, und ich halte den derzeit in Indien um die Kinder stattfindenden Medienrummel für schädlich für die Entwicklun der beiden. Die öffentliche Meinung allerdings tendiert dazu, den Produzenten Kaltschnäuzigkeit zu unterstellen.

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Negative indische Reaktionen auf Slumdog Millionaire (Englisch):
Spezialsendung über Slumdog auf indischem Nachrichtensender NDTV
Garstige Abrechnung mit dem imperialistischen Westen
Amitabh Bachchans (erste, inzwischen widerrufene) Reaktion auf Slumdog
Tarun Tejpals (Inhaber, Tehelka Magazine) Wut
Abrechnung des indischen Filmemachers A. Kumar mit den realitätsfernen Szenen in Slumdog

Jaane Bhi Do Yaaro

Jaane bhi do yaaro (1983) ist fuer mich eine Entdeckung. Diese bizarre, schräge Komödie ist ein Film, der heute nicht mehr gedreht werden könnte. Ein Film mit nur zwei Frauen in mehr oder weniger signifikanten Rollen, keine davon im glitzernden, überschäumenden Dekoltee. Es gibt weder Tanzeinlagen noch herzzerreißende Familiendramen, und die einzige romantische Szene im Film ist ein spritziger, intelligenter Schlagabtausch zwischen zwei voll bekleideten Erwachsenen.

Worum geht es?
Vinod und Sudhir sind zwei Antihelden, gespielt von Naseeruddin Shah und Ravi Baswani. Sie eröffnen ein Fotostudio in Bombay. Ihr einziger Kunde in drei Monaten ist Shobha Singh, Editor des Magazins Khabardar, welches Korruption aufdecken möchte. Sie heuert Vinod und Sudhir an, Spitzelaufnahmen zu machen. Dieser Auftrag zieht das ahnungslose Duo zunehmend tiefer in die Verwicklungen zwischen Baulöwen Tarneja (Pankaj Kapoor) und Ahuja (Om Puri) sowie dem Stadtrat D’Mello (Satish Shah). Zunächst geht es noch um Bauaufträge und Korruption, Schmiergeldzahlungen und Schweizer Schokoladentorten. Als dann noch ein Mord geschieht, ist der Plot perfekt.

Jaare Bhi Do Yaaro steckt voller Klamauk, harmosen Blödeleien, abstrusen Szenen und Unmöglichkeiten, die manchmal (!) ein bisschen (!!) an Monty Python erinnern. Regisseur Kundan Shah parodiert hemmungslos: Politiker. Polizei. Das Baugewerbe. Korruption. Wie ein 25. Stockwerk gebaut werden kann, wenn die Genehmigung selbst für das 24. Stockwerk fehlt. Alles wird durch den Kakao gezogen, und es macht unglaublichen Spaß.

Es gibt natürlich auch Szenen, die unnötigerweise in die Länge gezogen wurden, wie zum Beispiel Vinods und Sudhirs detektivische Bemühungen im Park. Doch im Großen und Ganzen ist Jaane Bhi Do Yaaro furchtbar unterhaltsam. Wer die 143 Minuten bis zum Ende durchhält (trotz seichter Mitte kein Problem), der wird mit einem fantastischen Ulk aufs Mahabaratha belohnt.

Womit wir schon beim Thema wären: Was macht eine kleine Komödie in meinen Augen so toll, dass ich sie uneingeschränkt empfehle? Es ist der politisch inkorrekte Ton. Jeder kriegt sein Fett auf eine Weise weg, die im heutigen sozialpolitischen Kontext Indiens nicht mehr reproduzierbar ist. Christen müssen mit ansehen, wie sich ein Sarg selbstständig macht und von einem sturzbesoffenen Om Puri gar für ein tiefergelegtes Rennwagenmodell gehalten wird. Zweifelsohne einer der dämlichsten und darum auch gleichzeitig wunderbarsten Momente im Drehbuch!
Muslime müssen ertragen, wie sich Männer unter Burqas verstecken und anderen Musliminnen den Schleier lüften.
Und nicht zuletzt bekommen Hindus den besten Streich ab: eine neue, in jedem Sinn göttliche Version des großen indischen Epos, Mahabharata. Würde Jaane Bhi Do Yaaro heute gedreht werden und nicht schon vor 25 Jahren, gäbe es bereits eine Mahabharata Sena, die Poster verbrennen und Naseeruddin Shah die Fr*sse polieren würde. Mit Schuhcreme. Heute wäre Jaane Bhi Do Yaaro ein Skandal.

Der Film Billu Barber übrigens, der morgen in den indischen Kinos anlaufen soll, musste inzwischen das Wort „Barber“ (Barbier) aus seinem Titel streichen, da sich die Salon and Beauty Parlors’ Association in Maharashtra aufgeregt hatte. „Es ist beleidigend, uns als Barbiere zu titulieren!“ Das Wort „Barbier“ ist nämlich gar keine aus dem Lateinischen stammende Berufsbezeichnung, sondern eine Beleidung! Richtig! Der Haarstylist von Sevilla! Jaane Bhi Do Yaare!!! (Zu deutsch: Lass es sein, Freund. Oder Schwamm drüber.

Wer den Geist Bollywoods geniessen möchte, bevor er durch Brustimplantate (sowohl aus Silikon als auch aus Steroiden) manipuliert wurde, und wer wissen möchte, welche intellektuelle Reife (in Hinblick auf die Akzeptanz von Kritik und Parodie) das indische Kino einmal besessen hat, der schaut sich Jaane Bhi Do Yaaro an.
Für 45Rupien als DVD von MoserBaer mit englischem Untertitel erhältlich.
8,8 von 10 Punkten im imdb.com User-Rating.
Bildlink zum Filmposter.

Bollywood-Dreharbeiten

Über ein Jahr schon harren wir in Mumbai aus, aber über Dreharbeiten sind wir hier noch nie gestolpert. Noch haben wir irgendwelche Schauspieler gesehen. (Lediglich eine bekannte Theaterpersönlichkeit und einen Musikproduzenten) Wo ist die größte Filmbrutstelle Indiens, wenn man sich mal im Konfetti der Stars baden möchte? – – Am Marine Drive. 23:30Uhr.

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Eigentlich hatten wir lediglich das „Halsband der Königin“ sehen wollen (Marine Drive bei Nacht), doch dann stolperten wir zusätzlich in den Aufbau eines Filmsets und verweilten. Zunächst standen lediglich Gerüste herum, lauter schwarze Kisten, die wir schon von der Kameracrew kannten, die mal bei uns zu Gast war, und natürlich jede Menge Personal. Diese Männer waren etwas struppig und ihr mageres Gehalt spiegelte sich wunderbar in der Wahl ihrer schäbigen Garderobe wider, doch ich las einmal in einer Zeitung, dass es einem nicht unerheblichen Teil der Crew trotzdem beim Film gefällt, weil sie – niedriges Einkommen hin oder her – mitunter mitsamt den Stars um die Welt reisen können. Junge Männer, die weder eine hohe Ausbildung noch einen guten sozialen Stand haben, kommen plötzlich in die Schweiz, nach Ägypten, nach Amerika, und es gefällt ihnen. Und natürlich dürfen sie immer um die Stars herumschlawenzeln, auch wenn sie nur deren Handy halten, Chai (Gewürztee) bringen oder mit großen Schwämmen die Gesichtszüge der Holden nachziehen, um deren edelstes Antlitz nach Außen zu kehren.
mad smileys
Und folgerichtig erkannte man am Set nicht nur Eile und Stress, sondern auch Elan, Humor und Spaß an der Sache. Dieser positiven Atmosphäre ist wohl auch der Fakt zu verdanken, dass ich an diesem Abend zum allerersten mal in Indien überhaupt etwas Großes in Windeseile funktionsfähig, komplett und ohne Makel aufgebaut sah: ein Filmset. Kein Sea-Link. Keine Straße. Kein Gesundheitssystem. Ein Filmset. Immerhin. free smileys

Gelenkige junge Burschen kletterten auf den Gerüsten herum und installierten mächtig-prächtige, den Hinguckenden-sofort-erblinden-lassende Flutlichter, bunte Scheinwerfer und Disco-Laser. Chice Autos und Motorräder wurden in einem Halbkreis als Set-Hintergrund zurecht geparkt. Es wurden schwarze Kästen, Kabel und Kameras herumgeschleppt. Jemand bastelte die Schienen und den Kamerakrahn zusammen. Plastikstühle wurden aufgestellt, um wichtigen Persönlichkeiten Untergrund für den Allerwertesten zu bieten. Ein kleinwüchsiger Mann mit X-Beinen humpelte auf dem Set herum, und ich fragte mich, was er wohl da tat, da er im Angesicht seiner herunter gekommenen Kleidung kaum auf eine Statistenrolle hoffen konnte.
Langsam trudelten die Hintergrundtänzer ein. Es waren vorrangig Männer in coolen Klamotten, aber nicht den üblichen „Uniformen“, die Hintergrundtänzer in vielen Bollywoodstreifen in eine Art Kitsch-Ballett verwandeln. Es gab übergroße Cargos. Offene Hemden. Seltsame Kopfbedeckungen. Schrille Farben. Sonnenbrillen. Westen. Und ein paar Mädels in hautengen Jeans. Einige der Tänzer führten dem Publikum ein paar ihrer Moves vor. B) Dude, where’s my camera? confused smileys

Das Publikum schwoll weiterhin an. Vorrangig handelte es sich um junge Männer, aber es waren auch Familien mit Kindern darunter, die gebannt auf der Kerbe der Bordsteinkante standen, hockten oder saßen und warteten.

Dann traf jemand ein, der ob der Reaktion der Crew ausübte, wohl zu den Stars gehören musste. Ich erkannte ihn nicht, aber das will nichts heißen. Ich bin so eine Art ewiger Bollywoodnovize und hatte schon immer mehr über für Filme wie Bawandar und A Wednesday. Da wird nicht viel getanzt. :no: Der Star trug jedenfalls ein schwarzes Hemd mit fanatisch-glitzernden Silberstreifen auf dem Rücken, hatte eine schützende Sonnenbrille auf seine Nase verpflanzt und aß einen Apfel, während er mit einigen aus dem Publikum sprach, die sich bis an die Plastikstühle herangewagt hatten. Den Rest der Zeit, die wir dort verbrachten, sprach er am Handy, trank Chai und ließ seine Gesichtsporen mit Kompaktpuder auffüllen. Hin und wieder lächelte er, aber meist schaute er etwas verwirrt drein. Kein Wunder, bei der Uhrzeit! Es war 0:30Uhr.

Wir erlebten noch mit, wie die ersten Probefahrten der Kamera auf den Schienen abliefen, wie Musikfetzen gespielt wurden und die Tänzer in einer wilden Horde vor dem Hintergrund der Autos und Motorräder herumwirbelten, Saltos schlugen und … tanzten. Doch wir mussten zum Flughafen weiter, also konnten wir leider nicht länger bleiben. Der Film, für den gedreht wurde, wird Dard-e-Disco* heißen (oder vielleicht handelt es sich um den Arbeitstitel, das weiß man ja nie)

*Ein Satz mit X. Einen Film mit diesem Titel konnte ich nicht im Kino entdecken. Wir können nur ahnen, warum uns die Filmcrew anschwindelte. :))

Salami – Wahldroge junger Auswanderer

Indien und ich sind derzeit dicke Kumpels. Das liegt nicht an Indien sondern an der geheimen Salami-Fee, die mir letzte Woche schätzungsweise 17 Kilo Salami und andere lukullische Zaubermittel aus der germanischen Mitte mitgebracht hat, und wenn man jeden Morgen zu Pumpernickel und geräucherter Wonne von der Kokosfasermatratze emporsteigt, ist die Welt ein schöner Ort.

Davon einmal abgesehen muss ich berichten, dass die 19.382 Mücken in unserem Haus sich nebst Blut auch am Genie Hirn ihrer Opfer laben und ich deswegen höchst uninspiriert vor der Tastatur herumtümpel.  Derweilen legt sich eine kiefergraue Staubschicht auf Katz und Mensch im Haus, da man – Hört! Hört! Lest! Lest! – die Straße repariert. Wie immer in Handarbeit mit kleinen Schüsselchen anstatt Schubkarren, in denen der Schotter zum Auffüllen des hinterlassenen Grabens transportiert wird.

socke im sitzsack

Es riecht ein bisschen, als sei ein Sack Zement explodiert, aber ich beharre darauf, das Ganze als positiven Fortschritt zu betrachten.

Gleichzeitig bereite ich mich langsaaaam auf eine riesige, im April stattfindende Hochzeit statt. Die Hochzeit meiner Schwägerin, die endlich auch verhökert wurde. Ich plane alles, das bei unserer eigenen traditionellen Hochzeit schief gegangen ist, dieses Mal richtig zu machen, was heißt, dass ich lediglich lernen muss, einen Satz mit Überzeugung auszusprechen: Geht alle weg! Ich mach das selber!

Gestern hatten wir uns übrigens in den neuen Film Jodhaa Akbar verirrt.  Mannometer! Über die schlecht inszenierten Kampfszenen und die sporadisch auftauchenden, erschreckend nach B-Movie klingenden musikalischen Effekte bin ich eventuell noch geneigt hinwegzuschauen, aber die Abwesenheit eines Spannungsbogens… ach was, eines Plots zu ignorieren, fällt mir dann doch etwas schwer, wenn ich vier Stunden (!) in einem eiskalten Kino sitzen muss. Und um mich herum dann so was! Und so was. Und so was auch, aber dass sich viele Kinogäste noch vor dem Schluss aus dem Saal stahlen, kann ich ihnen kaum verdenken: auch ich hatte jegliches Gefühl in meinem Gesäß verloren. Gut an dem Film war lediglich, dass ich mich auf einen Schnitt für meine Saribluse festlegen konnte, die ich dann im April schneidern lassen werde. Zur Hochzeit einer der Damen, die am Entwurf des Filmschmucks gearbeitet haben. Auch Indien ist manchmal klein.

Nachdem mir die Salamifee übrigens mitteilte, dass ich niemals Teil 7 der Hochzeitsreihe geschrieben habe, werde ich das vermutlich bald nachholen müssen. Morgen zum Beispiel. Es sei denn, es passiert etwas interessanteres.

Ich will ins Fernsehen!!!

Diese Überschrift ist eine Lüge, aber sie birgt einen gewissen Marketingeffekt, der so schleht nicht sein kann. 😉

Wahr ist hingegen, dass letzten Dienstag großes Reality-TV-Chaos in unserer kleinen Wohnung herrschte. Wie jetzt, Indien? Ich finde in meiner völlig unverbindlichen, empirisch nicht belegbaren Meinung, dass Inder ganz schöne Stubenhocker sein können, und dass sie sicher nicht Skat-spielend auf dem Sofa sitzen. Sie fernsehen. Und Nachrichtensender gehen in Indien immer häufiger den Weg von, sagen wir, RTL2 & Co. Das Endresultat kann man sich ja vorstellen 🙄 Aber hey, wenn Rahul und ich unsere hübschen Schnuten in die Kamera halten können, wird das doch gleich alles viel schöner.

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Wir haben an einer, em, Spezialsendung eines Nachrichtensenders teilgenommen. Valentinstagsspezial. Das dürfte auch die Frage beantworten, ob man in Indien Valentinstag feiert? Die Medienkonzerne et al sagen Ja und bereichern die bunte, multikulturelle Festtagslandschaft Indiens um einen weiteren Tag zum Feiern, und das kann so schlecht doch nicht sein?

Hauptgäste der Show mit dem Titel „U, Me aur Hum“ waren zwar Ajay Devgan und seine holde Gattin Kajol (welche Tatsache mir mindestens eine Hand voll Bollywoodfans als Leser einbringt :)) ), aber man hat es trotzdem geschafft, noch weitere drei Pärchen in die Show zu quetschen. Tja. Das funktioniert auf demselben Prinzip wie der indische Verkehr: Das passt scho‘! Wir sprechen natürlich alle ganz fasziniert über rosarote Themen: :zz:
Der eigentliche Sinn der Show (außer dem Bollywoodpaar einen stolzen Rupienbetrag in Höhe von darfichnichtsagen einzubringen) schwebt in süßlichen Schwaden durchs Aufnahmestudio: ich hab keine Ahnung. Ich schätze, wir versetzen den Singles dieses Landes einfach einen coup de grâce?

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Unser zwei-minütiger „Teaser“ wurde in einer vierstündigen Session bei uns zu Hause gedreht. Es war zum Quieken komisch. Wir durften „ganz natürlich“ zusammen fernsehen (sag ich doch), „ganz natürlich“ mit Socke spielen und „ganz natürlich“ in der Küche zusammen herumhantieren, welche Kameraeinstellungen uns Krämpfe der Bauchmuskulatur in Folge wilder Lachanfälle einbrachte. Die Endresultate wurden (war ja klar) im tatsächlichen Teaser dann nicht gezeigt. Hätten wir denen auch gleich sagen können, dass das im Endeffekt dämlich aussehen wird, aber hey, es hat sehr viel Spaß gemacht.

Ich spreche dann für unfassbare 20 Sekunden im Teaser und verdrehe dabei seltsam die Augen, wie ich das im Blog auch sehr oft tu: U-( Sehr unschön. Außerdem musste ich den Glauben aufgeben, dass der gurgelnde Klang meiner Stimme an der Minderwertigkeit bisher genutzter Aufnahmegeräte lag, aber seit ich den Teaser gesehen habe, ist mir klar geworden, dass ich dafür nur meine Eltern verantwortlich machen kann. Hätten sich mehr Mühe geben sollen.

Über die finale Sendung reden wir später. Nicht umsonst heißt ein Teaser teaser!:>>

Ich geb dir gleich eins…

Wenn Rahul durch die vielen Hindi-Kanäle zappt, die uns neuerdings entgegen flimmern, bleibt er öfters mal bei einem Film hängen, den ich mir unter anderen Umständen nicht wirklich zu Gemüte führen würde. Rahul macht das natürlich aus Gaudi, um sich über diese Zelluloid-Verbrechen zu amüsieren, doch um meinen Seelenfrieden zu garantieren, muß ich bei den nun folgenden audiovisuellen Signalen auf Durchzug stellen.

Leider klappt das nicht immer.

Dabei ist mir aufgefallen, daß besonders die billigen, schlechteren Filme vor Gewalt nur so strotzen. Und nicht nur das…

Normalerweise bin ich kein Fan der Theorie, daß Gewalt in Fernsehen die Jugend ruiniert. In einem Land allerdings, in dem Babys während der Unterbrechung in „The Departed“ oder auch „The Passion of the Christ“ gestillt werden und Kindergartenkinder inzwischen zum Töpfchen geführt werden, um susu zu machen, ist die Sachlage etwas anders.

Was im Kino Gang und Gäbe ist, funktioniert natürlich auch zu Hause. Ich habe bereits in vielen Familien beobachtet, wie der Fernseher für Kinder als Babysitter benutzt wird. Das ist natürlich auch in Deutschland bei bedauerlichen Familien der Fall. Aber: In Deutschland wird nachmittags 14Uhr keinem Menschen der Kopf abgehackt. Gott sei Dank.

Zurück zu den Filmen: Ich blinzelte etwas erschrocken auf, als man Jackie Shroff ins linke Knie schoß. Und als man ihm dann auch noch ins rechte Knie schoß, war ich leicht schockiert. Als Jackie Shroff dann aber tatsächlich wieder aufstand und den Schurken mit zwei zertrümmerten Kniescheiben verfolgte und zur Strecke brachte, mußte ich Rahul bitten umzuschalten.

Da landeten wir gleich auf dem nächsten Kanal: Ein Mann wurde ausgepeitscht. Er trug ein weißes Leinenhemd. Nach fünf Minuten ununterbrochener Peitschenhiebe war sowohl sein Rücken als auch das Leinenhemd noch völlig intakt. :??:

Ich finde das alles extrem. Extrem unsachlich. Extrem gewaltverherrlichend. Extrem schädlich.

Und in einer Gesellschaft, die bei jedem kleinen Wehwehchen auf Mobhysterie umschaltet, ist das alles unverantwortlich. In den meisten der von mir gesehenen Billigfilmen werden Gliedmaßen zerquetscht, Gesichter mit harten Gegenständen bearbeitet, Schädel mit Stangen und Flaschen zertrümmert, und in der nächsten Kameraeinstellung stehen die Geschädigten alle wieder auf und sind mopsfidel. Da wundert es mich doch nicht mehr, daß man in diesem Land für jede Lapalie krankenhausreif gedroschen wird. Keine Ohrfeige. Keine Handkante. Richtig derbe rohe Gewalt.

Warum wird man hier so schnell handgreiflich?

Beschämt denke ich an den Tag, an dem ich Sonia eine Ohrfeige gab. Die zweite meines Lebens. Die erste ging an Herrn Bastian S. Das war in der fünften Klasse. Aber hier scheint so was niemanden zu stören. So lange ich Sonia nicht ordentlich mit einem unnachgiebigen Objekt (zum Beispiel einem Besenstiel) vermöbel, ist doch alles in Butter.
Ein Unfall. Ergo Handgemenge. Kleinkriminelle auf Polizeistationen werden routinemäßig mißhandelt. Hausangestellte werden sowieso immer geschlagen. Ein Lasterfahrer rollt über jemanden, also wird er erschlagen. Ein Tourist schleicht in der Nacht in einem Dorf herum, also kann er nichts gutes wollen, also wird er erschlagen. Eine junge Schöne verschmäht einen Verehrer, also gießt er einen Eimer Säure über ihr aus. Mir brummt schon beim Gedanken daran der Schädel.

Ob sich die Menschen der Resultate ihrer Gewaltorgien nur nicht bewußt sind? Ob sie glauben, ein Mensch kann ohne Kniescheibe wirklich laufen?

Ich weiß es nicht. Und bevor es mir jemand sagt, schalt ich lieber schnell um.

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