Rajasthan – Und was lernen wir daraus?

Zeit für eine abschließende Betrachtung unseres Urlaubs unserer Hetzjagd durch Rajasthan. 7 Städte in 9 Tagen – das kann nicht entspannend sein! Am Ende waren wir wie gerädert, ausgebrannt, und völlig erschöpft, hatten aber auch einiges dazu gelernt.

Zum Beispiel, dass Rajasthan ein toller Einstieg ins Abenteuer Indien ist.
Ich erinnere mich noch an meinen Schock, als wir das Restaurant der staatlichen Tourismusbehörde auf halbem Weg zwischen Delhi und Jaipur betraten: Es war sauber! Es sah sogar einladend aus! und es war lecker! Normalerweise ist staatlich in Indien gleichbedeutend mit heruntergekommen und kakerlakenverseucht. So hatten wir es zumindest auf unseren bisherigen Reisen im Süden des Landes kennengelernt.

Wasser schöpfen

Und was lernen wir daraus?
Die Regierung Rajasthans hat – anders als alle anderen Staaten Indiens – erkannt, dass Sauberkeit bei den Touristen besser ankommt. Somit ist reisen im Wüstenstaat viel entspannter.

Lektion 2.
Für Leute in Rajasthan ist es vollkommen unvorstellbar, dass ein Inder mit einer Ausländerin verheiratet sein könnte.Überall diese Blicke! Gut, wir reisten nicht in klimatisierten Bussen von einer Nobelherberge zur anderen, und wahrscheinlich lag es daran: Niemand glaubte uns, dass wir vollkommen legitim ein Zimmer teilen würden. Tatsächlich war so ziemlich jeder, den wir in Rajasthan trafen, davon überzeugt, dass ich als Teilzeitnutte durch Indien trampe und besonders glücklichen Indern meine Dienste anbiete. Mehr als einmal wurde Rahul gefragt, wie er mich denn überreden konnte… Mehr als einmal wurde Rahul gefragt, wo er mich aufgegabelt hatte… Mehr als einmal gab es misstrauische Blicke…

Pushkar

Wir haben uns überlegt, für die nächste Reise in den Norden T-Shirts drucken zu lassen. Für Rahul: „Yes, she is.“ (my wife) und für mich „No, I am not.“ (for sale)

Und was lernen wir daraus?
Indien ist ja soooooooooo konservativ. Man glaubt, es sei mit züchtiger Kleidung und angepasstem Verhalten getan, so dass man nicht behelligt wird. Aber dem ist nicht so. Die Idee einer binationalen Beziehung ist für einen normalen Inder nicht greifbar. Wenn man einen Inder und eine Ausländerin zusammen durch Budget-Hotels ziehen sieht, dann gibt es dafür nur eine Erklärung und nur eine Frage: Wieviel kostest du?

Lektion 3:
Frauen in Nordindien haben mehr Geschmack.

Nach so langer Zeit in Südindien zweifelte ich bereits am Stil aller Inderinnen. Nach unserer Reise muss ich mein Urteil revidieren: Tatsächlich sind es nur Südinderinnen, die weder Geschmack noch Würde aufweisen, wenn es um ihre Kleidung geht. Angefangen mit schlampig drapierten Saris über – let’s face it – hässliche Saris bis hin zum Laufstil wie Kuhmägde – in Südindien ist leider alles zu relaxt!

Die Guten ins Töpfchen...

Das tollste und schönste, was eine Frau in Südindien besitzen kann, ist ein Kancheevaram-Sari. Diese Seide ist schwer, dick und ziemlich steif. Schön sieht sie aus und vor allem reich sieht sie aus, und auch ich hab drei solche Edelteile im Schrank liegen. Aber diese Seide macht was sie will, und am liebsten will sie ahnungslose Hinterteile in monströse Kamelärsche verwandeln. Soll heißen: Diese Seide ist nicht vorteilhaft für die Figur. Und so schleppen sich die Frauen hier in ihrer tollen, teuren Seide wie Kühe von A nach B.

Im Norden hingegen sind weiche, fließende Stoffe der letzte Schrei. Selbst im stinkenden Bus sah ich eine Dorffrau in paillettenbesetzem Chiffon!

Außerdem gab es durchschnittlich weniger herausblitzende Unterwäsche, Unterröcke und andere Dinge, die irgendwo drunter besser aussehen.

Und was lernen wir daraus?
Für die unvergesslichen Indienfotos reist man am besten in den Norden, wo auch Gemüseverkäuferinnen ein echter Hingucker sind.

Und was lernen wir aus der ganzen anstrengenden Reise?
Das wars wert! Bereits im Bus zurück nach Delhi litt ich an Reisefieber, wollte gern wieder durch den beeindruckenden Wüstenstaat ziehen. Vielleicht liegt es daran, dass alle bisherigen Reisen in Indien unter Palmen im südlichen Teil des Kontinents stattfanden, und jetzt haben wir so ziemlich alle Orte dort abgeklappert. Darum war der Norden was Neues für uns.

Wir haben uns jedenfalls vorgenommen, das Abenteuer Rajasthan bald zu wiederholen. Auf alle Fälle gibt es wieder eine Wüstennacht. Da wir jetzt alle Highlights dort gesehen haben, könnten wir es den Touristen in Pushkar gleich tun, die wochenlang dort abhängen und einen auf Sadhu machen. …

Deshnoke: Rattentempel (Rajasthan 15)

Keine Reise durch Rajasthan ist komplett, ohne den Rattentempel in Deshnoke gesehen zu haben.

Ich denke, auch wenn man noch nie was von Rajasthan gehört hat, so kennt man trotzdem den Rattentemple. Danke, Fernsehen & Internet! Und man kennt dieselben Bilder, die ich auf Discovery gesehen habe: Ein Gewühl aus Ratten, so weit das Auge reicht. Man kann kaum einen Schritt machen, ohne auf die quietschenden Tiere zu treten.

Tja, gutes altes Fernsehen. Was erzählst du uns nicht alles. 🙂

Possierliche Heiligtümer

Wir kamen gegen 5:45Uhr in Deshnoke an und wanderten schnurrstraks zum Karni Mata Tempel, wo das Morgengebet in vollem Gange war. Morgengebet hieß auch Fütterung, und so saß eine gute Zahl von Ratten um Milchschalen und Körner herum. Ich drehte zuerst meine Runde, während Rahul die Schuhe am Eingang bewachte (dazu später mehr). Als ich zurückkehrte, ging Rahul mit der Kamera los, doch zu diesem Zeitpunkt waren die Ratten wohl schon satt und hatten sich bereits verzogen, weswegen unsere Fotos leider etwas mager ausgefallen sind. Nix zum Angeben vom Rattentempel.

Schuhe mussten im Rattentempel wie in jedem Tempel Indiens ausgezogen werden. Das Problem waren nicht die Ratten, sondern die großzügig auf den Fließen des Tempelgeländes verteilte Taubenkacke. Logisch: Die abertausenden Ratten im Tempel werden täglich mehrmals mit rauen Mengen leckeren Futters versorgt, was auch von den Flugratten als Einladung verstanden wird. Viele Tauben sind inzwischen fetter als die possierlichen Ratten. Zum Schutz gegen die Ratten der Lüfte hat man Netze gespannt, damit das Federvieh nicht im Tempelhof landen und sich am Futtertrog der heiligen Nagetiere bedienen kann, doch dies hindert sie – die Tauben – nicht am Frustkacken ob der verpassten Chance. Das Resultat dieser Rivalenschaft war nun ein grün-weißer Teppich aus Verdauungsendprodukten. Und da ich ja etwas etepetete bin…. nun ja. Nicht schön.

Flotter DreierEssen fassen!

Als das Morgengebet vorbei war (u.a. ein lautes, monotones Glockenläuten und gemurmeltes Gebet), rückten die Reinigungskräfte an und schrubbten den Boden. Hinterher wars sauber und die Besucher, die zu dieser Zeit eintrafen (ein paar hysterische Touristen und vereinzelte Schulmädchen), konnten beruhigt auf Rattenstreifzug gehen. Das heißt, sie mussten sich nicht um die Taubenkacke sorgen, da der Boden blitzeblank waren. Doch da die Ratten sich bereits wieder in ihren Löchern verzogen hatten, gab es auch relativ wenig zu sehen. Vermutlich ist ein Besuch am Nachmittag zur nächsten Fütterung aber wieder ein Erfolg.

Zu Hause ists am schönsten

Ein absolutes Muss ist ein Tuch für den Kopf, denn man will ja nicht, dass so eine fette Taube ihren Frust auf dem eigenen Schopfe auslässt, nicht wahr? Ich sah aus wie ne alte Großmutter mit meinen zwei Schals, aber hey, mit Vogelkacke hab ich leider schon Erfahrung.

Toilet, Toilet? (Rajasthan 14)

– Eine Klogeschichte aus Bikaner

Am Busbahnhof in Bikaner versuchten wir, eine Toiilette ausfindig zu machen. Da ich des Hindis nicht mächtig bin, lief ich erst mal stur los. Von weitem erspähte ich einen hellen Raum mit weißen Fließen. Dieses Bild assoziierte ich mit sanitären Einrichtungen, also hielt ich Kurs. Es kam eine mollige Frau heraus, und da nahm ich an, sie wüsste, worum es sich bei diesem Raum handelte. Schilder gabs ja nicht. Sie schüttelte bei meinem „Toilet, Toilet?“ aber nur den Kopf.

Entmutigt drehte ich ab. Da sah ich einen Frauenkopf, der etwas schief aber erkennbar an eine Wand gemalt worden war. Wieso sollte jemand einen Frauenkopf irgendwohin malen, wenn es sich dabei nicht um die Kennzeichung einer Toilette handelte? Keine wasserfeste Logik, aber in einem Moment der Verzweiflung ein durchaus akzeptabler Strohhalm.
Es handelte sich dabei um eine Art Schneckenhaus: In der Mitte angekommen gab es keine Tür, sondern nur Tatsachen: Viele braune Würstchen auf einem Haufen. Die gute Nachricht war, dass ich die Toilette gefunden hatte. Die schlechte Nachricht war, dass ich es nicht über mich bringen konnte, mich an diesem kommunalen Kunstwerk zu beteiligen.

Diverse Sinne waren nach diesem Erlebnis im Schneckenhausklo betäubt, also taumelte ich zurück in den weiß gefließten Raum, den ich zuvor schon einmal erblickt hatte. Es konnte doch wohl kaum schlimmer sein! Es handelte sich letztlich doch um eine Toilette. Ich weiß nicht, warum die mollige Frau von vorhin mir nicht geantwortet hatte, denn „Toilet, Toilet“ ist so gut wie Hindi. Wenn man in Indien etwas will, muss man es nur zweimal hintereinander sagen. „Wo bitte finde ich die Toiletten?“ übersetzt sich als o.g. Satz. „Kann ich bitte die Rechnung haben?“ ist „Bill, Bill!“ und „Wo entlang geht es nach Bikaner“ heißt so viel wie „Bikaner, Bikaner!“ Dabei ist zu beachten, dass man das erste Bikaner in normaler Lautstärke als Aussage rüberbringt, und das zweite Bikaner lauter und als Frage mit leicht genervtem Unterton herausquetscht.

Aber halt, Sprachkurs beiseite, meine Blase war immer noch randvoll. Ich machte von diesen herrlich weißen, nur moderat riechenden Einrichtungen Gebrauch, stellte aber wie so oft fest, dass es keine Spühlung gab. Warum, oh warum, würde jemand eine Toilette bauen, die wohlgemerkt kein Plumpsklo ist, ohne einen manuell zündbaren Wasserfall einzubauen?

Ein Mann machte die Runde und spritze die Klos mit einem Schlauch sauber. – Das verstehe ich nicht, aber ich war dennoch glücklich.

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Unsere Rundreise durch Rajasthan
Teil 1 – „Die Erkenntnis, dass ich Dorf heiße(Chokhi Dhani in Jaipur)
Teil 2 – „Der Maharaja und ich
Teil 3 – „Pushkar
Teil 4 – „Busgeschichten
Teil 5 – „Udaipur
Teil 6 – „Mit dem Rücken zur Wand
Teil 7 – „Tanz in Udaipur
Teil 8 – „Nacht&Nebel-Aktion in Jodhpur
Teil 9 – „Meherangarh – Festung in Jodhpur
Teil 10 – „Sandsturm?
Teil 11 – „In die Wüste geschickt…
Teil 12 – „Dinge, die man im Leben gemacht haben muss
Teil 13 – „(K)ein Knigge für Kamele
Teil 14 – „Toilet, Toilet?
Teil 15 – „Deshnoke: Rattentempel
Teil 16 – „Rajasthan: Und was lernen wir daraus?

(K)ein Knigge für furzende Kamele (Rajasthan 13)

Ich kann nicht anders, als diesen Tieren einen gesonderten Beitrag zu widmen. Völlig schockiert war ich nämlich, als sich unsere Kamele während der Kamelsafari unweit Jaisalmer als echte Luder entpuppten: Bereits vor dem Aufsitzen gab es Gruppenpinkeln. Ein sehr schöner Einstieg.

Später wurde es auch nicht besser: Mein Kamel war beispielsweise sehr verfressen, und hielt an jedem zweiten Dornenbusch an, um erst mal genüsslich zu knabbern. Die Schnute außen voller Dornen gings ans Kauen – und zwischendurch zeigte Bablu mir immer die grüne Masse, damit ich auch was davon habe. Sehr niedlich. Nach dem Hinterschlucken wischte er sich sein Gesicht am Hintern von Rahuls Kamel ab! Logisch. Er hatte ja gerade keine Hand frei für die Serviette. 😉

Rahuls Kamel war derweil damit beschäftigt, die Darmwinde nach außen zu katapultieren. Auch schön, weil ich ja direkt hinter ihm ritt. Aber wenn man sich schon auf anderer Leute Rücken durch die heiße Glut chauffieren lässt, soll man mal nicht so zimperlich sein: Die Kamele hat ja keiner gefragt.

Rülpsen, Verdauungsendprodukte im Wüstensand verstreuen, Furzen und Dornen mampfen – wir hatten das volle Programm. Es war unglaublich witzig, da die beiden Kamele unserer Begleiter im Gegensatz zu unseren sehr anständig waren.

Besoffen

Bablu ist muede. Um Missverstaendnisse unter Lesern zu vermeiden, sei erwaehnt, dass Bablu nicht meines Gewichtes wegen verschieden ist, sondern dass er lediglich in die Traumwelt entschwunden ist. (Man hat mich tatsächlich empört darauf hingewiesen, warum ich Tierkadaver veröffentlichen würde. Zu Hilfe!)

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Dinge, die man im Leben gemacht haben muss (Rajasthan 12)

Wer kennt sie nicht: die Beteuerungen wie wunderschön und atemberaubend ein Sternenhimmel sein kann. Wie bezaubernd und mystisch diese kleinen Lichter da oben wirken. Und so weiter und so fort. Tja, wenn ich mal eben auf den Balkon gehe…. wartet mal… ich zähl mal eben…. VIER Sterne kann ich sehen, und das vom 14. Stockwerk!

Bangalore ist staubig und die Lichtverschmutzung kennt wirklich keine Grenzen. Wenn ich da ein Gedicht über den Sternenhimmel lese, weiß ich natürlich nicht so recht, was ich davon halten soll.

Und dann war es 1Uhr nachts in der Wüste Rajasthans.. Rahul weckte mich auf. Wohlgemerkt, ich hatte ein dünnes Baumwolltuch auf dem Gesicht (wegen der Kälte) und keine Brille auf, doch ich sah sie trotzdem! Die Sterne! Durch den Stoff und ohne Brille habe ich den schönsten Anblick (na ja, nach Rahul 😉 ) überhaupt genossen.

Ich weiß nicht, wo ihr sitzt, wenn ihr das lest. Die Wahrscheinlichkeit jedoch, dass ihr in der Wüste sitzt und mal eben einen Blick nach da oben werfen könnt, hält sich in Grenzen, nicht wahr? Und wenn ich es nicht selbst gesehen hätte – ich würds nicht glauben.

Es war wie unendlich viel Schichten von Sternen übereinander. Plötzlich ergaben die kitschigen Gedichte einen Sinn!

Euphorisch standen wir auf und wunderten uns über diesen Anblick, der schon so viele fasziniert hat, und den leider nicht jeder zu sehen bekommt. Dann sah ich eine Sternschnuppe… Nein, nicht dieses Rauschen, bei dem man danach ewig überlegt, ob man sich das jetzt nur eingebildet hat oder obs ein Flugzeug war. Nein, eine langsame, riesige, grelle Sternschnuppe, die gemütlich ihre Bahnen zog. Dieser Wunsch muss einfach wahr werden!

Sonnenuntergang

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In die Wüste geschickt… (Rajasthan 11)

Zugegeben, dieses Minidromedar ähnelt den robusten Kamelen, die Lasten quer durch Rajasthan transportieren, wirklich nur ein bisschen – aber hey, ich saß drauf! Und ritt durch die Wüste!

Nach dem Sandsturm im Zug (Teil 10) ging es gleich weiter: wir saßen im Jeep und rollten (war da wirklich ein Gaspedal?) gen Wüste. Es war traumhaft. Zwar hatten wir nicht genug Zeit für eine ausgedehnte Safari in der Wüste Thar, aber ab und an gab es in der kargen, staubigen Landschaft ein paar Dünen, und das reicht dem Rucksacktouristen dann schon. Außerdem – so weiß ich heute – hätte ich eine längere Tour sowieso nicht überlebt. Man hört ja viel von den schmerzhaften Kamelritten und was nicht alles. Wie unbequem so ein Kamel ist…  Tja, zu Beginn lachte ich noch, aber nach insgesamt 3 Stunden auf dem Kamel (über zwei Tage verteilt) hatte sich das Lachen in einen schmerzverzerrten Gesichtsausdrück gewandelt.
Beim nächsten Mal näh ich mir ein Kissen in die Hose…

Denn eins steht fest: Es wird ein nächstes Mal geben!

Wüste

Wir hatten eine ganz einfach Tour gebucht: Paar Kilometer durch die Wüste, Sonnenuntergang anschauen, Essen gekocht bekommen, unter freiem Sternenhimmel schlafen, frühstücken, noch ein paar Kilometer Kamelritt, ein Dorf anschauen und Schluss.
Volles Programm. Keine Extras. Natürlich gibts auch Safaris mit Zelt (sogar mit Toilette) und Tanzprogramm, aber das war uns zu kitschig.

Nach euphorischem Fotoshoot in den Dünen gabs Abendbrot: Ich mag ja eigentlich kein Aloo-Gobi (Kartoffeln mit Blumenkohl), aber der Umstand, dass es auf dem Lagerfeuer in der Wüste gekocht wurde, hatte einen positiven Effekt auf meine Geschmacksnerven.

...beim Feuer...

Rahul hatte plötzlich Lust auf Bier und träumte schon von einem kühlen Schluck. Das macht sich in der Wüste immer schlecht, weils leider keine Tankstellen gibt. Oder sollte man meinen!
Plötzlich schaukelten drei Kamele aus dem Dunkel auf uns zu. Fünf, Sechs Leute gesellten sich zu unserem Kamelführer Daniel und seinen zwei Helfern, und einer hatte einen großen Sack voll Überraschungen: Bier für alle. Es war zwar das teuerste Bier bisher in Indien, aber mit Abstand das Beste!

Unser Schlafgemach:
Luxus-Suite

(Sämtlicher Müll wurde von uns natürlich mitgenommen und wir hinterließen diese Düne in exakt dem Zustand, in dem wir sie vorgefunden hatten.)
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Sandsturm? (Rajasthan 10)

Eigentlich wollten wir mit dem Bus von Jodhpur nach Jaisalmer fahren. Eigentlich hatte ich den Alarm im Handy auf 5Uhr gestellt. Uneigentlich wachten wir erst 6:15Uhr auf, unser Bus war ohne uns unterwegs. Wie jetzt?

In Rekordzeit von 15min schafften wir es zum Bahnhof, der Gott sei Dank gleich um die Ecke lag, buchten Tickets und setzten uns in den Zug. Mannomann, das wäre geschafft!

Wir wussten zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass wir lieber auf den nächsten Bus hätten warten sollen..

Jaisalmer liegt am Rande der Wüste Thar. Wüsten sind normalerweise recht staubig, außerordentlich sandig und trocken. Im Moment wird noch experimentiert, wie sich diese Mischung auf deine Lungenflügel auswirkt, wenn du 7 Stunden lang im Zug sitzt, der sich durch aufgewirbelten Dreck fräßt. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass es keine Fenster gab, denn wir hatten nur Tickets für die 3. Klasse. Es war so staubig, dass man wie durch einen beigefarbenen Schleier schaute. Wir banden uns Tücher vor den Mund, weil man sonst einfach nicht atment konnte.
Hinzu kam noch die schreckliche Hitze und akuter Wassermangel, denn die Bahnhöfe waren spärlich gesäht. Frühstück hatten wir auch noch keins gehabt. Normalerweise gibt es auf indischen Zugreisen keinen Mangel an Verpflegung, weil an jedem Bahnhof eine Menge Knabbereien und richtige Mahlzeiten zu erwerben sind, und meistens springen die Verkäufer gleich auf den Zug auf, so dass man sich nicht mal bewegen muss und trotzdem am laufenden Band versorgt wird.

Nicht so auf dieser Fahrt!

Irgendwann gabs Kartoffel-Pakoda (also frittierte Kartoffelstücke in knuspriger Hülle) und ne kalte Cola, aber noch immer war es so staubig, dass man sich nichts sehnlicher wünschte als eine Gasmaske.

Durch die Hitze schlief ich irgendwann ein – erstaunlich, dass mir das in diesem Dreck gelang. Aber ich war richtig froh, denn als ich aufwachte, war alles von einer dicken Staubschicht bedeckt – einschließlich mir. Ich klopfte ganze Sanddünen aus meiner Kleidung! Ich weiß nicht, ob der Staub schon die ganze Zeit so schlimm war oder ob wir in einen kleinen Sandsturm geraten waren, aber in dem Moment wars mir ganz recht, dass ich im Traumland frische Luft atmen konnte.

Als wir aus dem Zug rauskraxelten, versammelte sich eine riesige Menge um eine andere Zugtür: Große Familienwiedervereinigung. Alles freute sich, alles lachte, alles klatschte. Ein Miniorchester hatte man bereits mitgebracht, um dieses fröhliche Ereignis mit dem gebührenden Lärm zu feiern.

Endlich da!

Dann eröffnete sich für uns das genialste Schauspiel überhaupt!

Wonach sieht das aus?

Werbung
– Werbung –

Richtig, einer Reihe von Leuten, die mit Hotelschildern dastehen und alle kräftig Werbung für ihr Hotel machten. Tatsächlich lebt Jaisalmer hauptsächlich von Touristen, und obwohl es ein paar Top-End Hotels gibt, die den gut betuchten Touri mit allem verwöhnen, was man sich in einer Wüstenstadt so vorstellt (zum Beispiel einem Pool), gibt es noch viel mehr Reisende wie uns: knausrige Backpacker. Und um die muss man heftig werben.
So ist es möglich, dass man im Touristenstaat Rajasthan ein Doppelzimmer für 100 Rupien (also knapp 2 Euro) bekommt.

Bereits kurz vor Ende dieser abscheulichen Zugreise war ein Mann durch die Abteils gewandert und schwatzte allen, die zuhören wollten, sein Hotel auf. Wir hatten uns darum bereits für ein Hotel entschieden und setzten uns in den dazugehörigen Jeep – denn der Transport ist kostenlos. Schließlich will der Hotelmanager ja nicht, dass man während der Taxifahrt irgendwo verloren geht – zum Beispiel in einem anderen Hotel.

So landeten wir im Taxi mit 2 Holländerinnen, und bevor wirs uns versahen, fanden wir uns mit denselben Holländerinnen auf einer Kamelsafari wieder.

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Unsere Rundreise durch Rajasthan
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Meherangarh (Rajasthan 9)

So ne riesige Festung – ehrlich gesagt hatte ich gar keine richtige Lust, mir schon wieder irgendwo die Hacken wundzulaufen, während ich von tollwütigen Touristen Hämatome versetzt bekomme. Aber am Ende kam alles ganz anders! Die Festung war ein Höhepunkt. Hier ein paar der Dinge, an die ich mich von unserer Führung noch erinnere:

Blick auf die Blauen Stadt
Die Blaue Stadt

Die Großmutter des heutigen Maharajas besaß eine gläserne Sänfte – kleiner als die im Bild, welche so schwer war, dass sie von 12 Männern getragen werden musste, und welche darum nur zu Anlässen benutzt wurde, wo man gezwungenermaßen auf den Putz hauen musste (z.B. für den Empfang anderer Könige).

Sänfte

Diese Sänften sind nicht einfach nur eine Erfindung der Faulheit sondern eine Fortsetzung des Purdahsystems, welches die Frauen von den unzüchtigen Blicken der Männerwelt verschonen sollte. Die Großmutter des Maharajas benutzte ihre gläserne Sänfte auch in London, um von ihrem Haus zu ihrem Rolls Royce und zurück transportiert zu werden. Solche ausgefallenen Spielereien faszinieren die westliche Presse auch heute noch, und nachdem die Paparazzi ewig lange auf ihren glücklichen Moment warten mussten, gabs endlich ein Bild des Knöchels der indischen Exotin. Empört über diese Unverschämtheit kaufte die königliche Familie sämtliche Exemplare der Zeitung auf, bevor sie das indische Volk erreichen konnten.

Sänfte
Es ist alles Gold, was glänzt!

Eine weitere Fortsetzung des Purdahsystems: Die reich verzierten Fenster. Aus denen kann man prima herausspionieren, aber von außen erkennt man nicht, wer sich dahinter verbirgt. Dies war die einzige Möglichkeit für die zahlreichen Frauen am Hof, am öffentlichen Leben teilzuhaben.

Meherangarh

Die riesige Festung wurde übrigens erst in den 70ern vom heutigen Maharaja übernommen. Er dachte sich, dass es doch eine ganz schöne Verschwendung wäre, wenn man diesen einzigartigen Bau nicht mit der Weltöffentlichkeit teilte. Als er die ersten Blicke in die bis dato verriegelten Gemäuer warf, waren diese von Fledermäusen besetzt. Es wurde eine Stiftung zum Denkmalschutz ins Leben gerufen, und das erste Geld in den Kassen dieser Stiftung stammte – so glaubt man – vom Verkauf der Fledermauskacke, die als Brennmaterial an die Bauern in der Umgebung verkauft wurde. Aha!

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Nacht & Nebel-Aktion (Rajasthan 8)

Um die großen Distanzen in Rajasthan zeitsparend zu bewältigen, buchten wir eine weitere Nacht im Schüttelbus. Dieses Mal war ich echt froh, dass es in unserem Schlafkabuff kein Licht gab, denn es fanden sich seltsame Substanzen am Fenster; der Vorhang war vor Dreck bereits steif und wurde von mir mit Fingerspitzen weggetackert, damit ich ja nicht damit in Berührung kam; auf der Matratze befanden sich insgesamt 500 Gramm Erdnüsse (gleichmäßig verteilt) und Schalen einer alten Zitrusfrucht.

Aber es war alles nicht so schlimm, denn die nächste Nacht würden wir in einem echten Bett in Jodhpur verbringen. Darum lohnte es sich, sofort nach unserer Ankunft in Jodhpur ein Zimmer zu buchen. Dann konnten vielleicht noch ein paar Stunden natzeln, bevor wir uns auf den Weg machten.

Leider kam alles ganz anders. Es sollte die verrückteste Nacht in Rajasthan werden!
Morgens 4Uhr kamen wir an. Es war erwartungsgemäß kalt. Alles schlief, nur wir nicht, weil wir zuerst ein Bett brauchten. Mit der Rickshaw gings ab zum Hotel Durag Villas. Es waren zwei wunderschöne Gebäude mit allerlei rajasthani Volkskunst. Im Mondschein sah es geradezu märchenhaft aus.
Da gabs nur ein Problem: Der Mann an der Rezeption schnarchte! Und überhaupt: Auf dem Boden des ersten Hauses lagen überall Leute auf Matratzen herum. Für diesen bizarren Anblick gab es dennoch eine gute Erklärung: Es waren die Fahrer der Touristen. Warum die nicht im Bett schlafen, ist eine andere Geschichte.

Unser Rickshaw-Wallah weckte den Mann an der Rezeption auf und fragte, ob ein Zimmer frei war. Der Mann grunzte, schnaubte, sagte „Nein“ und drehte sich um. Wie jetzt, kein Zimmer frei? Vielleicht hätten wir buchen sollen? Hmmm.

Wir gingen ins Nebenhaus und stellten unser Gepäck in der Lobby ab. Der Rickshaw-Wallah weckte den Mann an der zweiten Rezeption und wieder gabs ne Abfuhr für uns. Erstens hatten wir nicht damit gerechnet, dass die Leute an der Rezeption schlafen würden, und zweitens waren wir komplett unvorbereitet, dass es eventuell keine freien Zimmer mehr geben könnte. Wir hofften allerdings, dass die Rezeptionsjungen einfach nur nicht im Schlaf gestört werden wollten und darum vorgaben, dass keine Zimmer mehr frei waren. Darum wollten wir warten, bis hier alles zum Leben erwachte.

Rahul verhandelte mit dem Rickshaw-Fahrer, dass er 6Uhr wiederkommen sollte, falls das mit den Zimmern stimmte. Uns leuchtete ein, dass wir um diese Zeit keine geöffnete Rezeption vorfinden würden, und so beschlossen wir bis zum Sonnenaufgang im Durag Villas zu verweilen. Die Rickshaw brauste davon, und da standen wir: Mitten in der Nacht, alles dunkel, alles schlief.

Auf der Suche nach einem Klo ging ich zurück ins Nebengebäude. Ich stolperte über die Schlafenden in den Innenhof, wo mir das einfallende, bläuliche Licht einen freundlich-zurückhaltend mit dem Schwanz wedelnden Hund zeigte, der im Mondschein auf einem Diwan ruhte. Obwohl ich sämtliche Türen inspitzierte, wurde ich leider nicht fündig.

Dann kam auf einmal ein Holländer die Treppe herunter und frage, ob er mir helfen könne. Ich fragte nach einem Zimmer, und er führte mich in den ersten Stock. Dort fand ich mich auf einmal in einem Märchen wieder: Auf dem Balkon stand ein großes Himmelbett mit den bunten, im Mondlicht glitzernden Stoffen aus Tausendundeiner Nacht. Ein Terracottakübel mit Rosenblättern, ein Dschungel aus Pflanzen, seidene, wehende Vorhänge und der Sternenhimmel.
Leider hatte ich es mir etwas privater vorgestellt, denn es gab keine Tür und die Nachtluft war nicht wirklich kuschlig warm. – Der Holländer verschand im Dunkel der Nacht.

Unverrichteter Dinge lief ich zurück ins andere Haus, wo Rahul in der Lobby aus einem Berg Salz, der (wieso auch immer) auf dem Tisch herumlag, „Jodhpur“ geschrieben hatte. Oben rumpelte es verdächtig, und bald kamen zwei Touristen mit schweren Rucksäcken die Treppe herunter gepoltert und machten sich auf den Weg. Wir saßen fest. Aus dem erträumten Nachholschlaf wurde nix.

Noch einmal versuchten wir den Rezeptionsjungen zu wecken, indem wir das Licht an- und den Deckenventilator ausschalteten (Inder sind süchtig nach Deckenventilatoren auf Orkan-Stufe). Aber leider grunzte er nur, „room kali nahin hai“ und drehte sich um.

Ich drängelte und wollte nicht mehr bis 6Uhr warten, wenn unser Rickshaw-Wallah wiederkommen sollte. Und überhaupt, wer sagte denn, dass er auftauchen würde? Wir hatten uns endlich mit der Tatsache abgefunden, dass die Zimmer tatsächlich alle belegt waren. Darum wanderte Rahul zur Hauptstraße, um ein Taxi zu suchen. Es war 5:30 Uhr.

Plötzlich packte es mich: Ich nahm das gesamte Gepäck (also 4 Taschen), buckelte alles auf, und lief in die stockdustere Nacht. Ich konnte von weitem die Hauptstraße sehen, aber von Rahul war keine Spur. Der Holländer kam zurück und fragte, ob wir in den „Tempel“ wollten, aber ich verneinte und kämpfte mich tapfer voran. Es gehört nicht zu den intelligentesten Dingen, die man unternehmen kann, sich in Indien mitten in der Nacht allein im Dunkeln behängt mit Taschen auf den Weg ins Ungewisse zu machen, aber auf einmal kam ich mir wie ein waschechter, abenteuerlustiger Tourist vor – raus da! Ich will ein Hotelzimmer mit Bett! Eins mit Tür davor und Dach drüber. Fix!

Mit einer neuen Rickshaw cruisten wir durch das schlafende Dunkel Jodhpurs zum nächsten Hotel, wo erwartungsgemäß keiner aufmachte. Hier und da wurden schwer bepackte Touristen flügge und wanderten in einen neuen Tag hinaus, während uns der Schlaf aus den Augen tropfte. Nach 2 Nächten hintereinander im „Schlaf“bus konnten wir einfach nicht mehr….

Endlich fanden wir im Govind-Hotel ein Zimmer. Auf der Dachterasse sahen wir die Sonne aufgehen, während unser Zimmer vorbereitet wurde. Vor uns lag die beeindruckende Festung Meherangarh – unser nächstes Abenteuer.

Meherangarh

Tanz in Udaipur (Rajasthan 7)

Kulturrausch – wir kommen! In Udaipur bot sich die Gelegenheit, vor der Kulisse eines Havelis (altes, reich dekoriertes Haus eines Händlers) eine traditionelle Tanzaufführung zu sehen. In einem romantischen Vorhof lagen schon eine Menge Matratzen parat, um den Ansturm von Touristen in Empfang zu nehmen.

Feuertanz

Pünktlich – also mit der obligatorischen halben Stunde Verspätung – gings dann los, als über hundert Touristen (indische und ausländische) mit erwartungsvollen Gesichtern auf die Tänzer starrten.

Doch dann kam für die meisten das Aus. Da spart man sich die französische Zwiebelsuppe vom Mund ab und lässt sich bei Burger King niemals ein Menu als Uplarge andrehen, damit man 37 Jahre später endlich um den Globus nach Indien fliegen und eine dieser feschen Tanzeinlagen mal live sehen kann, und dann sowas! Vorgewarnt durch die nicht enden wollende Flut von Bollywoodfilmen, hatten sich die eifrigen Touristen auf sexy Itemgirls vorbereitet, die ihre schlanken Hüften in teuren Seidenstoffen kreisen, während sie mit wunderschönen schwarzen Augen verführerisch klimpern. B)
Also angesichts dieser klischeeverpackten Vorstellung waren viele der Besucher schockiert:

Wie jetzt, keine jungen Tänzerinnen, die uns alle verzaubern? 8|
Kein einziges der Mädchen war atemberaubend schön, wie es sich die Touristen ausgemalt hatten. Sie sahen zwar recht gut aus, waren aber alle nur Durchschnitt. Einige von ihnen hatten ein paar Speckrollen, andere ein paar Jahre zu viel drauf. Die Kleidung war zwar schrill und bunt, aber von edlem Schmuck und luxuriösen Stoffen konnte keine Rede sein. :no:

Tanz in Udaipur

Ein paar der enttäuschten Touristen grunzten schreckliche vor sich hin, andere machten abschätzige Bemerkungen. Schräg gegenüber sah ich sogar eine Frau, die ob dieser visuellen Zumutung ins Koma versetzt worden war – oder vielleicht schlief sie auch nur. :zz:

Wenn man sich die ganzen kitschigen, monströs verfälschten Bollywoodfilme anschaut, die uns alle vorhalten wollen, dass das Leben in Indien bunt, schrill und wunderschön ist, und wo selbst der einfache Fahrradrickshawwallah noch ein blütenweißes Hemd trägt und selbst der Bettler noch ein gut erzogener Mensch ist, der vollständige Sätze sagen kann – dann, ja dann kann es schon mal passieren, dass man vergisst, dass es noch so etwas wie Realität gibt. Dass Tänzerinnen in Indien weder die vollbußigen, rassigen Göttinnen von den Khajuraho-Tempelwänden noch die flotten Feger aus den Kinostreifen sind, wurde in dieser Tanzvorführung als Fakt etabliert – zu Leiden der aufgeheizten Zuschauer, die die Welt nicht mehr verstanden.

Puppenspieler
Puppenspieler: Genial!

Tatsächlich sind Tänzer in Indien nicht wirklich hoch angesehene Menschen, die sich mit einer Kunstform ihr täglich Brot verdienen. Das Stigma, welches die indische Gesellschaft Tänzern angeheftet hat, reicht weit in die Vergangenheit zurück, als sog. Devadasis (Tempeltänzerinnen) nicht nur auf Lebzeit einem Tempel zu dienen hatten, sondern auch noch der Prostitution zum Opfer fielen. Tänzerinnen wurden als „public women“ angesehen, wie man in „The Guide“ von R.K.Narayan (sehr empfehlenswert) nachlesen kann.

An dieser Stellung hat sich bis heute nicht viel geändert. Klar gibt es, seit MTV seine Zeltlager in Indien aufgeschlagen hat, auch hier halbnackte Weibersch, die ihre Becken durch die Kante schmeißen kreisen, aber der Wert von Tänzern ist deswegen nicht gestiegen. Immerhin tanzen uns da ein paar Frauen etwas vor, um uns zu unterhalten.

Die Gesichter und die Aufmachung der Tänzer in Udaipur an diesem Abend erzählte die Geschichte dieser überaus talentierten Menschen, die mit einem bewegenden Lächeln auf den Lippen und großer Konzentration über die Tanzfläche fegten. Jede der 7 Nummern hatte einen märchenhaften Hintergrund, und obwohl diese Tänzerinnen begabt waren und wirklich verzaubern konnten, werden sie auch weiterhin in billigen Stoffen über die Bühne schweben. Mit den Eintrittsgeldern könnten sie sich ein gutes Leben finanzieren, aber selbstverständlich sehen sie davon nur einen Bettellohn. Tatsächlich baten die Tänzer nach der Vorführung um Spenden. Das widerum war für den Touristen, der gerade Eintritt bezahlt hat, vollkommen unverständlich.

Es ist traurig, dass eine Kunstform wie der Tanz nicht wirklich gewürdigt wird, auch wenn es selbstverständlich berühmte Tänzer gibt, die große Säle mit begeisterten Gästen füllen. Leider trifft das nur auf sehr wenige Glückliche unter ihnen zu. Die meisten (und in Rajasthan konnte man das gut beobachten), hatten sich bei den Artisanendörfern, Abendvorstellungen, etc. beworben und tanzen dort den lieben langen Tag vor den Touristen herum, die schnell beschämt das Weite suchen, wenn es an den Bakshish geht.

Tanz in Udaipur

Ich fand es wirklich schade, dass sich an diesem Abend eine große Menge hungriger Touristen versammelt hatte, von denen niemand Verständnis dafür hatte, dass es sich eben nicht um Dreharbeiten für einen Kinofilm handelte. Da waren durchschnittliche Menschen auf der Bühne, und obwohl sie eine grandiose Show lieferten, ließen sich viele der Zuschauer einfach nicht davon ablenken, dass es sich nicht um Models handelte, und dass der Prunk und der Glitzer, an dem sie sich im Reiseführer nicht sattlesen konnten, einfach nicht da war. Schade, dass so viele Touristen den authentischen Moment kaum zu würdigen wussten.