oder „Warum es in Mumbai wirklich drunter und drüber geht“
Es ist bequem – jenes alte Argument über die verkehrstechnische Unzulänglichkeit des durchschnittlichen verkehrsbeteiligten Inders, sei es als Fußgänger, Rickshaw-, Fahrrad-, Auto- oder Busfahrer. Es ist ein schlichtes Argument. Gnadenlos. Ein bisschen verächtlich ist es auch.
Und unvollständig ebenfalls.
Selbstverständlich muss ich mich auch meiner Teilschuld bekennen, die halbe Wahrheit propagiert zu haben. In vergnüglichen Beiträgen über indische Verkehrsregeln etwa. Oder über meine Abenteuer in der Fahrschule, wo man vieles lernt, nur nicht das Fahren. Letzteres sogar in zwei Teilen.
Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Die andere betrifft die unzivilisierten Zustände der Straßen. Die Verkommenheit der Infrastruktur.
Auch ein cleveres Deutsches Würstchen Bürschchen in einem chicen germanischen Fabrikat könnte eine solche Straße nicht so navigieren, dass er nicht auf Schrittgeschwindigkeit abbremsen und keine elegante Schlangenlinien fahren müsste. Dass sich bei hohem Verkehrsaufkommen kein Stau bildet. Dass der Folgeverkehr sich nicht vor lauter Eifer aufs zerknirschte Kinn geifert.
Und so tuts der Inder halt auch.
Tut sich das Monstrum urbanen Laisser-faire vor ihm auf, muss er in Sekundenschnelle berechnen, auf welcher Route er seinem Vehikel minimalsten Schaden zufügt. Dann schlägt er den neuen Kurs ein. In diesem Falle scharf nach rechts außen lenken. Versuchen nicht am Blech der Unendlichen Geschichte Mumbais (lyrisch für „Bauarbeiten“) entlang zu schrammen. Tiefe der Schlammpfütze erraten. Und hoffen, dass man auf der anderen Seite des Kraters wieder emporsteigt wie Phoenix aus der Asche.
Nicht nur Schlaglöcher tragen ihren Teil zum Verkehrschaos bei. Auch gebrochene Wasserleitungen. Abgesunkene Straßen. Durchbrochene Mittelleitplanken. Umgefallene Bäume. Eingefallene Zäune/Gebäude. Baustellen. Alle davon ohne Absicherung und Ausschilderung.
Und zudem noch … Parental Advisory: Explicit Content selten dämliche Verkehrsführung. Häufig hören Fahrbahnen einfach auf. Da steht ein Haus. An der Stelle, an der sich eine linke oder rechte Fahrspur befinden sollte, steht halt noch ein Gebäude, das im Zuge von Straßenverbreiterungsmaßnahmen noch nicht abgerissen wurde. Ohne Schild.
An vielen Kreuzungen darf man auch nicht einfach geradeaus fahren, nur weil man nicht abbiegt. Der Kurs ändert sich, als hätte der Monsunwind zu stark geblasen und die Fahrbahn verweht. Das alles lässt sich schlecht bis gar nicht erklären. Stellt euch einfach vor, dass es in Südmumbai eine Kreuzung gibt, bei der man nicht geradeausfahren kann. Man fährt eine kleine Beule um eine Seitenmündung herum. Das kann man aber dank der Größe und Unübersichtlichkeit der Kreuzung nicht einsehen. Wer neu in der Stadt ist, fährt nichtsahnend geradeaus (keine Fahrbahnmarkierung!) und steht dem Gegenverkehr gegenüber. Das ist nicht lustig. Das ist uns schon passiert.
Nun kennt ihr die ganze Wahrheit.