Lexikon: Babu

Babu ist ein Begriff, der in Indien häufig für Politiker und Bürokraten genutzt wird. Um Das System zu beschreiben, sagt man dann auch mal Babudom abgeleitet von – vermutlich – Kingdom (Königreich). Überschriften in Käseblättern wie der Times of India schreien zum Beispiel, dass die Babus dies verbrochen haben, oder dass sich die Babus jenes ausgedacht haben.

So viel zur Einleitung. :yes:

Jetzt kommen wir zum saftigen Teil. Babu sagen Inder auch zu Babies. 8| Oder auch Baba, was allerdings nur für Jungs gilt.

Ich weiß nicht, ob Babu, der Bürokrat oder Babu, das Baby zuerst da waren, und es ist mir auch relativ schnuppe. Ich mag das „rum wie num“ nicht. Es ist so unpersönlich. Mein Baby hat einen Namen! :yes: Und obwohl die Inder natürlich ganz und gar nichts dafür können, klingen weder Babu noch Baba in meinen deutschen Ohren ästhetisch.

Und ich muss es jetzt einfach mal sagen. Es will aus mir raus: Ich kann es nicht ab, wenn Leute Baba oder Babu zu Roma sagen!!!

So, fertig. :yes:

Schmutzige Kinder

Roma spielt mit Megan aus dem dritten Stock. Sie sind beide ungefähr gleich alt. Megan sitzt in Pampers und einem flattrigen Hemd auf dem Boden und lacht, während Roma die herumschwirrenden Luftballons verfolgt.
Ob sie Megan in den Park nehmen, frage ich Megans Oma, die tagsüber Babysitter spielt, während die Eltern arbeiten.
Oh .. nein!, antwortet diese. Dort sind zu viele Kinder aus dem Slum.
Wohl wahr, nicke ich.
Zuerst waren ja viele dieser Kinder da, aber dann hat man Eintritt verlangt. Die eine Rupie hat geholfen, fügt Megans Oma hinzu. Aber seit das Eintrittsgeld wieder abgeschafft wurde, sind die Slumkinder wieder da.
(Dieser Eintritt in den eigentlich öffentlichen Park wurde nicht von der Stadt kassiert, sondern willkürlich von einer Bürgerinitiative. Der einzige Sinn dieser nominalen Gebühr von einer Rupie bestand darin, die Slumkinder fernzuhalten.)
Und darum geht ihr jetzt nicht mehr mit Megan in den Park, frage ich.
Nein, seit die Slumkinder wieder da sind, gehen wir nicht mehr. Zuerst hat Megans Cousine aufgehört zu gehen. Sie wohnt gleich gegenüber. Und dann bin ich auch nicht mehr gegangen. Sie haben Krankheiten, die Kinder.
Ich nicke nur. Ich weiß das. Es wäre unwahr, das zu bestreiten. Die meisten der Kinder sind natürlich einfach nur schmutzig. Schmutzig und etwas grob. Was nicht heißen will, dass ich Slumkindern eine sensible Natur abspreche, sondern dass es da, wo sie herkommen, etwas rauer zugeht. Aber – und auch das ist wahr – sie werden auf Grund ihrer Lebensumstände nun mal öfters krank.

Sind sie deshalb gleich alle ansteckend?
Muss man sein zartes Kind davor schützen?
Sollte man Kleinkindern soziale Selbstidentifikation und Diskriminierung beibringen?

Ich gehe mit Roma in den Park. Sie krabbelt dort auf dem Spielplatz herum. Benutzt dieselbe Rutsche wie die reichen Kinder. Die gut betuchten. Die Mittelklassekinder. Die Armen. Und die Slumkinder. Dieselbe Rutsche. Rauf. Runter. Derselbe Blödsinn. Alle. Sie spielen aber nicht miteinander. Das ist so. Das machen sie alle nicht. Zu deutsch: Keiner. Sie bilden ihre Cliquen. Sie halten die sozialen Regeln der Erwachsenen ein.

Gestern kam ein süßer Junge auf Roma zu. Er hat sie höchst interessiert angeschaut. Sie, die gerade eine heiße Liebesaffäre mit Treppen aller Art durchmacht und darum jauchzend auf einer solchen Stand, den nächsten Schritt kalkulierend. Er kam immer wieder, hat sie angefeixt. Sprach Englisch. Seine Frau Mama tratschte derweil die gesamte Zeit am Handy, sonst hätte ich diese blühende Sandkastenliebe durch geschickte Intervention für die Zukunft gefestigt, indem ich Spielplatzdates arrangiert hätte. Nun denn… Relevant ist auch nur, dass der Junge so schmutzig war wie jedes Kind, das sich auf dem Spielplatz herumtreibt. So wie Roma. Aber nicht schmutzig-schmutzig. Das war kein Slumkind. Akrobatische Sprünge, um mich schützend zwischen beide zu werfen, waren daher unnötig.
Es kam auch noch ein zweiter Jüngling daher, der Roma just in die Wange kniff. Sie fand das komisch. Nicht im Sinne von lustig. Sondern im Sinne von „Hä!?“ Ich gebot auch diesem Jungcasanova keinen Einhalt. Er war sauber. Sauber-schmutzig.

Das ist ein sehr komplexes und kompliziertes Thema. Der Slum ist ein schmutziger Ort. Ein ekliger Ort. Ein hygienisches Debakel. Ohne funktionstüchtige sanitäre Einrichtungen. Aber im Slum wohnen natürlich auch bloß Menschen. Sind sie aber gleich? Sind ihre Kinder gleich?

Schafe im Park

Seit einige Zeit drehe ich mit Roma im Park um die Ecke ein paar Runden. Es ist einfach ein Fleckchen braun geschorener Rasen – so kurz, dass ich meine, jemand müsse mit einem Rasierer dort gesessen haben. Auf diesem saftigen Boden stehen am Rand ein paar Hollywoodschaukeln, die alle in die Mitte schauen. In einer Ecke befindet sich ein kleiner Spielplatz für Kinder. Und um das alles herum verläuft ein Gehweg, ca. einen anderthalben Meter breit, ausgelegt mit hübschen Steinchen. Daneben gibts Blumenbeete. Und um den ganzen Park befindet sich widerum eine Mauer.

Der Spielplatz platzt regelmäßig vor Kindern sowie dem einen oder anderen Fürsorgeberechtigten aus allen Nähten. Die Schaukeln sind eigentlich immer belegt. Gestern spielten ein paar Jungs Carrom auf dem Rasen. Hausfrauen und pummelige Aunties laufen den Gehweg entlang und erhoffen sich – gemessen an ihrem energischen Tempo sowie dem verbissenen Gesichtsausdruck – ein paar Pfunde entlang dieser Strecke zu verlieren.

Enter: Daniela mit quietschrosa-purpkle Kutsche. Wir biegen am Eingang rechts ab und watscheln gemütlich den Weg entlang. Nach der ersten Runde verbaut ein Sicherheitsbeamter mir den Weg. Ich hatte (unwissentlich wohlbemerkt) das Gleichgewicht des Parks gefährdet, die Ordnung missachtet, den Frieden bedroht! 8| Denn ich war entgegen dem Uhrzeigersinn gelaufen, und das ist nicht erlaubt. Also wende ich mein Gefährt und lösche meine fatalen Schritte aus, indem ich sie wieder zurück verfolge. Dieses Mal richtig herum.

Ich treffe von nun an niemanden mehr, den ich hätte anlächeln können, denn wir laufen ja alle in dieselbe Richtung. Aber niemand mehr ist der Gefahr ausgesetzt, von mir frontal plattgemacht zu werden. Höchstens hinterrücks. ;D

Klar, so ein anderthalber Meter Gehweg ist nicht die Welle, und eine tolle Kutsche blockiert ja schon 60cm davon, also 10cm weniger als die durchschnittliche Aunty enorm viel. Es kann also durchaus die Notwendigkeit bestehen, dass man mal ein Stückchen rüberrutschen muss, wenn man einen anderen Spaziergänger trifft, begleitet vielleicht von einem freundlichen Lächeln sowie einem kurzen Hallowiegehts?

Aber nein! Wir sind ja hier nicht zum Spaß. Mund zu, Blick geradeaus und bitte gefälligst richtig herum laufen!

Hausgeburt in Indien

Wo bringt man in Indien am besten seinen Wonneproppen zur Welt? Diese Frage beschäftigte uns eine ganze Weile. Wir sorgten uns weniger um Sauberkeit, denn in den grossen, privaten Einrichtungen wägt man sich durchaus im blitzeblanken Europa, so dass Angst vor bestialischen Keimen keine Rolle spielen muss. Allerdings fungieren diese privaten Krankenhäuser auch wie Unternehmen, die im Patienten einen Kunden sehen.

Austausch mit anderen Frauen, deren Kinder in Indien zur Welt gekommen waren, sowie ein bisschen Informationssuche zum Thema brachten mich zu der Überzeugung, dass ein Krankenhaus in Indien nicht unbedingt der optimale Ort für eine Geburt ist. Zu viele unnötige Eingriffe. Zu viel Fliessbandmentalität. Zu wenig Spielraum. Und stets das Mädchen-für-alles unter den Argumenten: Krankenhauspolicy. Damit kann man jedes noch so einfältige Handlungsverfahren entschuldigen.

Zum Beispiel ist es Standard, diverse Bluttests während der Schwangerschaft durchführen zu lassen. Unter anderem einen HIV-Test. Das ist in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, dass – wenn man zwischendurch den Arzt wechselt, wie ich das tat – man den Test noch einmal durchführen muss: im neuen Krankenhaus. Das führt dann zu interessanten Schlagabtauschen:

Schwester: Sie müssen noch einen HIV-Test machen lassen.
Kugelrunde Mama: Hab ich schon machen lassen. Hier sind die Resultate.
Schwester: Den müssen Sie noch mal machen lassen.
Kugelrunde Mama: Wieso? Das ist doch erst drei Monate her.
Schwester: Den müssen Sie in diesem Krankenhaus noch mal machen lassen.
Kugelrunde Mama: (Bissig auf Pudelniveau) Was genau meinen Sie denn, was ich in den letzten drei Monaten getrieben habe?
Schwester: (Krantig auf Rottweilerniveau) Das ist Krankenhauspo-li-cy.

Na wenn das so ist! |-|

Nun gut. Abgesehen von den vielen lustigen Tests, so dass man sich schon manchmal zur Ader gelassen vorkommt, finden auch beim eigentlichen Geburtsvorgang viele lustige Eingriffe statt, für die man anschliessend viele lustige Rechnungen schreiben kann, damit sich das Management freut. Krankenhauspolicy! So sind Dammschnitte und Wehentropf schon beinahe Standard in Indien, und Zeitungsberichten zu Folge liegt die Kaiserschnittrate in privaten Krankenhäusern in Indien bei 75%. Man muss davon ausgehen, dass Inderinnen ganz besonders unfähig sind, ihre Kinder normal zur Welt zu bringen, und neigen zu allen möglichen Komplikationen.

Ich gehe allerdings davon aus, dass es sich um Krankenhauspolicy handelt.

Obwohl ich weder zu der Fraktion gehöre, die Geburten romantisieren und danach davon schwärmen, wie einfach alles war und wie fix die Schmerzen vergessen sind (Alles Lüge!), und obwohl ich auch ganz selten dabei ertappt werde, mit Blümchen im Haar um einen Baum zu tanzen und “Zurück zur Natur” zu summen, begannen wir damit, uns mit Hausgeburten zu beschäftigen, da ich wenig Lust hatte, die Kontrolle über Roma und mich in die Hände tollwütiger Ärzte und tollwütigerer Buchhalter zu legen. Ich hätte mich sonst nicht dafür entschieden, weil ich schlicht und ergreifend nicht auf die Idee gekommen wäre.

Bei Ärzten muss man für einen solchen Stunt nicht nach Unterstützung suchen. Und auch Hebammen sind in Indien verdammt schwer zu finden, da der Beruf der traditionellen Dai stark in Verruf gekommen ist. Das Krankenhaus ist die Antwort auf alle Fragen in Indien. Wir fanden unsere Hebamme Lina schliesslich durch das Netzwerk Birth India, das sich für die Förderung natürlicher Geburten in Indien einsetzt. Für eine Hausgeburt sollten optimalerweise zwei Hebammen dabei sein, damit im Falle des Falles sowohl Mutter als auch Baby gleichzeitig versorgt warden können. Lina organisierte eine zweite Hebamme, Sonia.

Sowohl Lina (ursprünglich aus Grossbritannien) als auch Sonia (aus Peru) waren lange Zeit in Krisengebieten tätig. Lina hat mehrere Jahre Erfahrungen in Slums in den Phillipinen gesammelt, und Sonia kam gerade frisch aus dem Sudan zurück. Sie wussten beide mit Notfällen umzugehen. Romas Geburt war hingegen schon fast langweilig. Für die Hebammen. :)) In acht Stunden war alles vorbei. Alle bereits Wochen zuvor im Haus gebunkerten Notfallmittel wie Sauerstoff und Medikamente konnten getrost in ihrer Ecke stehen bleiben. Lina und Sonia, die mich fünf der acht Stunden lang begleiteten, hatten relative wenig zu tun.

Es ist nicht üblich, dass Väter in indischen Kreisssälen dabei sein dürfen. Man muss das vorher beim Management erfragen, denn es könnte ja sein, dass einem die Krankenhauspolicy mal wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Zudem ist es beinahe undenkbar, dass Väter die Nabelschnur durchschneiden dürfen oder sich hinterher hochinteressiert die Nachgeburt erklären lassen. Wir konnten uns alle diese Freiheiten nehmen, und das war gut so. :yes:

Selbstverständlich hatten wir auch Notfallarrangements mit umliegenden Krankenhäusern. Man muss sich in Indien vorher im Krankenhaus anmelden. Krankenhäuser sind keine humanistischen Einrichtungen, und Patientinnen müssen nicht angenommen warden – auch nicht, wenn sie in den Wehen sind. Eine vorherige Registrierung einschliesslich Hinterlegung einer beträchtlichen Kaution sind notwendig. Im Falle einer geplanten Hausgeburt sollte man ausserdem einen Arzt finden, der Lust dazu hat, sich einer “stecken gebliebenen” oder schief gegangenen Geburt anzunehmen. Die meisten Ärzte werden das von vorn herein ablehnen.

Wer sich für eine möglichst natürliche Geburt in Indien interessiert, dem seien folgende Optionen empfohlen:
Das Geburtszentrum in Goa, Assagoan
Phoenix Hospital in Delhi (für Wassergeburten)
Das Netzwerk Birth India
JustLink – meine Hebamme Lina (Sitz in Mumbai)

HippHippHurra!

Die Geburtsurkunde ist da! – Und das war nicht einfach.

Normalerweise funktioniert es relativ reibungslos, eine Geburtsurkunde in Indien zu erhalten. Man muss dafür lediglich die zuständige Meldebehörde kontaktieren, einen Antrag ausfüllen und die Krankenhauspapiere von der Geburt etc. einreichen. Innerhalb einer Woche erhält man dann die Geburtsurkunde(n). Man kann mehrere Originale anfordern, wenn man denn mag. Das ist später z.B. für die Einschulung praktisch, da für die Anmeldung in der Schule die Geburtsurkunde im Original (zeitweise) abgegeben werden muss. Um eventuelle Panikattacken zu vermeiden, wenn so ein Wisch im Papierdschungel untergehen sollte, erhält man die Möglichkeit, gleich mehrere davon zu ergattern. Auf der hiesigen Meldestelle liegt das Limit leider bei nur zwei Kopien… äh, Originalen. In Delhi kann man mehr bekommen. Rahul hat gleich drei Originale Geburtsurkunden. 😉

Nun denn. Unser Problem bzw. dass Problem der Sachbearbeiter auf dem Meldeamt bestand darin, dass es keine Krankenhauspapiere gab. Ich war nie im Krankenhaus gewesen. Roma Fleur kam bei uns zu Hause zur Welt im Beisein zweier Hebammen, Mama, Papa und der Katze. 😉

Erklär diese Sachlage mal dem Sachbearbeiter!

In einem Land, in dem die Sterblichkeitsrate bei Geburten noch beschämend hoch ist, fungiert Das Krankenhaus als anzustrebende Oase. Die Regierung versucht durch Programme die Bevölkerung dazu zu bewegen, ihre Kinder im Krankenhaus zur Welt zur bringen. In staatlichen Krankenhäusern erhalten Mütter Geld, wenn sie sich zur Entbindung einfinden. Der Service ist für die Mütter kostenlos.

In diesem Kontext ist des Sachbearbeiters Unverständnis verständlich.

Auszüge aus einem Gespräch:

Sachbearbeiter: Wo sind die Krankenhauspapiere?
Stolzer Papa: Wir haben keine Krankenhauspapiere. Die Geburt fand zu Hause statt.
(Kurze Gedenkpause)
Sachbearbeiter: (Ignoriert letzten Satz) Aber Sie waren im Krankenhaus?
Stolzer Papa: Nein. Die Geburt fand zu Hause statt.
Sachbearbeiter: Das gibts nicht.

An dieser Stelle fiel beim Stolzen Papa der Groschen. In seinem Hinterstübchen hatte ja irgendwie schon länger die Ahnung gehaust, dass es ein so liebes Kind wie Roma gar nicht geben kann. Und nun wurde es vom Sachbearbeiter bestätigt. Das gibts einfach nicht.

Schade. Wir hatten uns schon so gefreut.

Irgendwann konnte der Stolze Papa den gestressten Sachbearbeiter dann doch davon überzeugen, dass Roma Fleur trotz mangelnden Krankenhauses tatsächlich existierte und eine Geburtsurkunde brauchte. Der Antrag wurde angenommen, die Papiere der Hebammen eingereicht. Wir durften uns von nun an darauf freuen, dass eine Sachbearbeiterin – unterstützt von einer Krankenschwester und einer Ärztin – bei uns vorbeischneien würde, um das Wunder in seiner ganzen strampelnden, gewindelten Leibhaftigkeit zu bestaunen. Dies geschah wenige Tage später. Noch einmal bestand die Notwendigkeit, die Hausgeburt zu erklären. Dass ich dem Krankenhaus fern geblieben bin, ist ansich keine so weltbewegende Tatsache, denn immerhin flutschen Babys in sämtlichen Lebenslagen zur Welt. Einschließlich in Local Trains. Doch dass ich freiwillig und bewusst dem Krankenhaus fern geblieben bin, erstaunte die Mannschaft.
Doch ein flüchtiges Lächeln genügte, und schon hatte unser kleines Blümchen die Sachbearbeiter um ihre winzigen Finger gewickelt. Früh übt sich…

Kurz darauf hielten wir zwei originale Geburtsurkunden in Händen. :yes:

Aufklärung für Eltern

Es ist Tradition, dass eine frische, noch nicht zu Ende gebackene Mutter gegen Ende ihrer Schwangerschaft zurück in ihr Elternhaus kehrt, um dort von ihrer eigenen Familie umhegt und umpflegt ihr Kind zur Welt zu bringen. Sie bleibt auch nach der Geburt noch einige Wochen bis Monate dort, bis sie zu ihrem Mann (und dessen Familie) zurück zieht. Vielleicht ist es dieser Umstand, der das magere Interesse an Ratgeberbüchern rund ums Thema Babys und Kinder erklärt. Wenn es um Erziehung geht oder darum, was man mit so einem neuen Würmchen überhaupt anstellt, dann kommt der Ratschlag von Muttern und nicht aus dem Bücherregal, so scheint es.

Man beliest sich in Indien also eher weniger und wenn, dann ist das ein neues Phänomen, welches sich über die Elite hinaus noch nicht entfaltet hat.

Ich nehme an, dass sich so die Tendenz indischer Ärzte erklärt, kleine Broschüren zu verfassen, die zur Aufklärung der Eltern dienen sollen. Jeder* Arzt, den ich bisher aufgesucht habe (und das waren viele) hatte so ein kleines Wissenskompedium parat, mal in Form einer knackig-kurzen Übersicht bis hin zu nett gedruckten Heftchen. Solche Werke gibt es sowohl für schwangere Frauen, um sie aufzuklären, was sie tun und lassen sollen, wobei sich ein nicht unerheblicher Teil der Schriftwerke jeweils um die Ernährung dreht; und es gibt sie auch für frische Eltern. Ein solches kleines Eltern-ABC drückte mir letztens eine Kinderärztin in die Hand. Es ist kostenlos. Aufklärung ist müsig und dafür muss die Ärztegemeinschaft schon mal etwas tun.

Dieses Heft habe ich geradezu verschlungen, denn die darin aufgelisteten Tipps, Ratschläge und Verbote sind auf die indische Gesellschaft zugeschnitten und darum ganz besonders interessant für mich.

Im Kapitel „Dos and Don’ts after discharge from Maternity Home“ (Was man nach der Entlassung aus dem Geburtshaus/Krankenhaus zu tun und zu lassen hat) stehen dann so einige wirklich interessante Dinge. Im Grund geht es darum, diverse Mythen aus dem Weg zu räumen, die sich natürlich ganz besonders lange halten, da sich junge Mütter auf das Wissen ihrer Mütter und Großmütter verlassen.

Zum Beispiel steht da:
=> Öl/Ghee (Butterschmalz) auf den Kopf des Babys zu reiben beschleunigt nicht den Vorgang der Schließung der offenen Stelle. Diese schließt sich von selbst.

=> Auch nett: Der Mund des Babys sollte nicht mit Glyzerin oder anderen Mitteln ausgewaschen werden.

=> Beim Baden sollen die frischen Eltern weder Gelbwurz noch Sahne oder Linsenmehl ins Badewasser geben.

=> Der Bauchnabel soll nicht mit diversen Pudern eingerieben oder mit einem Baumwolltuch festgebunden werden (eine Praktik übrigens, zu der auch meine Mutter in der DDR angehalten wurde). Man soll es auch unterlassen, eine Münze oder anderen Gegenstand über den Bauchnabel zu binden.

=> Die Augen sollen nicht mit Kajalstiften umrandet werden. Der Text gibt sich anschließend noch die Mühe, die Gründe hierfür zu erklären. Aber man sieht das heute sowieso eher weniger. Die Kinder weniger gebildeter Eltern sind durchaus noch in den Schminktopf gefallen und weisen neben stark umrandeten Augen außerdem einen Punkt auf der Stirn und einen Fleck auf der Wange auf, wobei letztere das Evil Eye (Neider) abwenden soll.

Abgesehen von diesen Tipps, mit denen das Heftchen glänzt und womit es sicherlich dem einen oder anderen Elternteil neue Pforten eröffnet, ist mir beispielsweise noch bekannt, dass die Babys täglich mit großzügigen Mengen Öl massiert werden. So weit, so gut. Schließlich auch im Abendland heuer in Mode gekommen. Meist erledigen die Eltern das nicht selbst, sondern es kommt eine Massagewalli ins Haus, die sowohl das Baby als auch (auf Wunsch) die Mutter massiert. Traditionell wird dabei allerdings Öl auf den Kopf des Babys geträufelt (ähnlich wie bei Ayurvedischen Massagen), welches nicht selten in Ohren und Nase des Babys landet und auch schon zu Erstickungen geführt hat. Ich las einen sehr bewegenden Erfahrungsbericht einer Hebamme dazu.

Ich finde es jedenfalls sehr interessant, was in anderen Kulturen so alles mit Kindern angestellt wird. Von der Befriedigung meiner Neugierde allerdings mal abgesehen ist es auch wunderbar, dass so viele Ärzte sich mit diesen immerhin kostenlos ausgeteilten Broschüren die Mühe machen Eltern aufzuklären**. Ich hoffe, es wirkt. :yes:

*Mit Ausnahme der in großen, privaten Krankenhäusern tätigen Ärzte
** Finanziert wurde zumindest dieses Heftchen vom Staat Maharashtra, denn ein nicht unwesentlicher Teil des Heftes dient zur Förderung des Stillens, so dass das Breastfeeding Promotion Network of India an diesem Brei mitgerührt hat.

Schwangerschaft in Indien (1)

Traditionell hält man sich in Indien eher zurück, wenn die Öffentlichkeit den Unterschied zwischen ungünstig angelagerten Fettpölsterchen und einem strammen Babybauch feststellen kann: Frau bleibt im Haus, wo sie umhegt und gepflegt wird. Viele Frauen kehren gegen Ende der Schwangerschaft in ihr Elternhaus zurück, zu Muttern sozusagen, und bleiben bis nach der Geburt dort.

Doch alles ändert sich mit der Zeit: In Mumbai empfinde ich das Umfeld für Schwangere als angenehm, und ich gehe davon aus, dass es sich in anderen Metropolen des Landes ähnlich verhält. Es gibt arbeitende schwangere Frauen, und solche, die sich ohne falsche Scham in der Öffentlichkeit zeigen – mitsamt Bauch.

Inzwischen gibt es hier auch Umstandskleidung, um die wachsende Murmel chic zu verpacken. Das war nicht immer so, denn prinzipiell haben Inderinnen bei der Kleidung die Nase vorn: einen Sari kann man über jede noch so gigantische Wölbung drapieren, und den Salwar Kameez (Set aus Tunnelzughose und Tunika) lässt man sich halt größer schneidern und kann ihn nach der Schwangerschaft sogar wieder abnähen lassen. Es besteht keine direkte Notwendigkeit, in Umstandsmode zu investieren. Folglich hält sich das Angebot noch in Grenzen, doch es gibt bereits Anbieter, die an das Modebewusstsein und den Stolz werdender Mütter appelieren.

Ähnlich verhält es sich in anderen Bereichen der Schwangerschaft: Der Informationsfluss hat sich in den letzten Jahren definitiv gebessert. In der Buchhandlung präsentiert sich eine ganze Reihe von Ratgebern für junge Eltern, die den Wissensdurst um Themen von Befruchtung über Schwangerschaft hinzu den ersten Jahren mit frischem Baby zu stillen gedenken. Das versteht sich nicht von selbst, denn in Indien genießt von Generation zu Generation weitergereichtes Wissen einen höheren Stellenwert als in Europa. Zudem sorgt die meist vorhandene (Groß-)Familie für stetiges Informationsfutter von allen Seiten, so dass es nicht unbedingt auf der Hand liegt, dass man sich als junges Paar in einer unpersönlichen Buchhandlung Tipps und Tricks von völlig unbekannten Autoren besorgen sollte.

Leider ist es in diesem Szenario nicht so gut um das Allgemeinwissen junger fortpflanzungsfreudiger Menschen bestimmt, und in Abwesenheit umfassender Sexualkunde in Schule und Universität kann es dazu kommen, dass Unsicherheit und Unwissen weit starrhalsiger sind, als man sich das wünschen würde. In einem indischen Elternforum zum Beispiel fragte eine schwangere Frau, ob sie Löcher in ihre Brustwarzen stechen sollte, damit sie ihr Baby stillen könnte.
Um solcherlei Barrieren zu bekämpfen, gehen Ärzte dazu über, ihre Patientinnen während der Schwangerschaft mit Buchtipps zu versorgen und ihnen Vorbereitungskurse ans Herz zu legen. Viele (aber nicht alle) Ärzte verfassen auch ihre eigenen kleinen Ratgeber zum Thema Schwangerschaft & Geburt. Das kann ein Merkbatt mit knappen, knackigen „Do’s & Don’ts“ sein oder eine kleine Broschür. Die gibt es dann bei der Anmeldung kostenlos dazu, und ich halte das für eine sehr gute Geste.

Solche Vorbereitungskurse sind noch relativ neu in Indien und es gibt nicht sonderlich viele davon. Ich habe das Gefühl, dass viele als reine Geschäftsmodelle entwickelt werden und, wie so manches Produkt heute, eine Art Lifestyle verkaufen sollen. Doch es gibt auch ganz einfache Vorbereitungskurse, die sozusagen „in der Nachbarschaft“ angeboten werden: Man trifft sich in Gruppen im Wohnzimmer o.ä. und lässt sich von Einer, Die Es Besser Weiß, über alle möglichen Themen belehren: Richtige Ernährung. Grundsätzliches zur Entwicklung des Fötus. Informationen rund um die Geburt. Atemtechniken. Gymnastik und Dehnübungen. Yoga. Einige Kurse bieten auch Massagetechniken für den Geburtsbegleiter an. Das ist im „Modernen Indien“ immer häufiger der Ehemann, was im „Traditionellen Indien“ nicht der Fall war. Selbst wenn die Frau nicht vorübergehend zurück zu ihren Eltern zieht, wartete der werdende Vater geduldig vor verschlossener Türe, bis das Märtyrium vorbei war. Dass auch Väter eine Geburt emotional aufarbeiten müssen, stellt eher neue, noch nicht durch die Wogen der Zeit getestete Information dar. Einige Geburtsvorbereitungskurse arbeiten daran, auch Väter mit einzubeziehen und leisten geschickte gesellschaftliche Dienste.

Auch internationale Netzwerke wie La Leche League und Lamaze fassen zaghaft Fuß in Indien. Ich glaube, dass dies sehr notwendig ist, denn es scheint mir einigen Trainingsbedarf gerade im Bereich des Stillens zu geben. Dazu habe ich keine Daten, sondern es ist ein Schluss, zu dem ich gekommen bin, nachdem ich die erschreckende Allgegenwärtigkeit von Formula (Milchpulver) bemerkt habe. Jedes Garagengeschäft führt dieses Produkt mit verblüffender Zuverlässigkeit.

Im Großen und Ganzen bin ich der Meinung, dass das Leben der (städtischen) Schwangeren in den letzten Jahren definitiv bequemer geworden ist, weil sie Zugang zu Informationen und Unterstützung hat, die es nicht immer gab. Technisch gesehen ist man in Indien ebenso rundumversorgt wie in Europa, und man muss sich keinen Kopf machen, dass man an Hilfestellungen o.ä. etwas verpasst. Einzig einen Mutterschaftspass gibt es nicht, so dass man sich entweder auf die Anleitung des Arztes verlässt oder sich selbst informiert.

Wunschterminbabys in Indien

oder
„Für mich bitte einen kleinen Krishna“

Lord Krishna ist einer der beliebtesten Hindugötter Indiens und gestern war sein Geburtstag. Für viele Frauen lautete das Stichwort darum an diesem sonst so ereignislosen Donnerstag: Kaiserschnitt! Denn was gibt es schöneres, als den Geburtstag mit Krishna zu teilen?

Es ist durchaus üblich, dass sich Frauen an Hand bedeutungsvoller Daten im Kalender ihrer jeweiligen Religion leiten lassen, wenn es um die Geburt ihrer Kinder geht. Niemand wollte beispielsweise ausgerechnet zur kürzlichen Sonnenfinsternis ein Kind zur Welt bringen, wo doch die Strahlen so schädlich für Mutter und Kind sind. Der Gefahr einer so unglückseligen Geburt gingen sie aus dem Weg, indem sie sich rechtzeitig in den OP-Saal schieben ließen, um einen freiwilligen Kaiserschnitt durchführen zu lassen.

Der umgedrehte Fall geschah gestern: Krankenhäuser sahen einen 50%igen Anstieg von Kaiserschnitten, weil Frauen und ihre Familien unbedingt zu Krishnas Geburtstag ihren kleinen Stammhalter zur Welt bringen wollten. Das ist ein Phänomen, welches Planung forderte: die Krankenhäuser waren bereits Monate voraus ausgebucht für den Bestelltermin eines kleinen Krishnas. Wer nicht rechtzeitig gebucht hatte, durfte die Welt zumindest nicht gestern weiter bevölkern, sondern musste auf heute warten.

Zeitungsberichten zu Folge ist der 24. Dezember ein weiterer Termin, der bei Schwangeren ganz beliebt ist. Dann ritzen sich die Skalpelle wieder rostig, weil Familien es offenbar so schön finden, wenn ihr Nachwuchs den Geburtstag mit populären Leuten teilt.

Heute findet übrigens wieder Dahi Handi statt, das Joghurttopffest mit den menschlichen Pyramiden & Knochenbrüchen.

Ripudaman

Vor kurzem berichtete ich über die dezente Aufklärung im lokalen Buchladen. Nicht berichtet habe ich, dass uns diese dezente Aufklärung erst auffiel, als wir schon ganz links vorm Regal saßen.

aufklaerung

Macht ja nichts. 😉
Wir widmeten uns gerade der bescheidenen Auswahl Ratgeber zur Namensfindung, als wir der geheimen, bedeutungsvollen Anordnung der Themen im Bücherregal gewahr wurden. Zu dezent. Zu spät!!! :yes:
Unsere Finger flatterten über die Buchstaben auf der Suche nach dem perfekten Namen. Dabei fiel uns unter anderem auf, dass in importierten Namensbüchern (d.h. westlichen) erst die Mädchen- und dann die Jungennamen stehen. Wegen weil: Ladies schon immer first, gelle! In indischen Namensbüchern ist das allerdings genau umgedreht. Und zwar in allen. Schon klar, nicht wahr!?

Großartige Erkenntnis, die sich uns in Windeseile aufzwang: Namen für binationale Kinder zu finden ist gar nicht so leicht. :yawn:
Viele Namen klingen schön, ergeben aber meist in nur einem Kulturkreis Sinn, sorgen im Rest der Welt aber für verwundertes Kopfkratzen. Wir suchten nach einem Namen, für den man keinen Duden braucht und der leicht auszusprechen ist. Eine angenehme Bedeutung ist von Vorteil aber nicht zwingend notwendig.
Viele indische Namen sind tief in der Mythologie verankert und/oder beziehen sich auf religiöse Aspekte, was für mich gar nicht in die Tüte kommt. Der Name sollte nicht zu lang und nicht zu kurz sein, keine Verstümmelungen zulassen und weder zu gewöhnlich noch zu außergewöhnlich sein. Da ich Spitznamen und Abkürzungen nicht mag, darf es auch kein Name sein, der förmlich danach schreit, ummodelliert zu werden. Rutscht rüber, Stefanie, Sebastian und Samit! Außerdem sollte er weder auf Deutsch, Englisch noch in Indien Worten ähneln, die entstellend auf die Bedeutung des Namens wirken.

Der indische Jungenname Anurag zum Beispiel wäre so eine böse Falle. Ich höre es schon, vier Jahre später im Kindergarten.
„Wo ist denn Anurag?“
– „In der Garderobe.“

Oder noch schlimmer: „Am Haken.“

Danke. Der nächste bitte!

Und dann gibt es noch Namen, mit denen man sich in Deutschland gar nicht auf die Straße trauen kann: Adushit zum Beispiel. Ach du Schei*e. Ganz genau!

Gar nicht so einfach. :no:

Doch schließlich verflog die Anstrengung. Und da stand er: schwarz auf weiß. Gedrucktes Lachgas.

Ripudaman.

R-Man
Rrrrripudaman!

Es war natürlich Rahul, der damit anfing. 😉 Nicht ich! ;D Ripuda-Man! Passend zum Scherz bedeutet dieser Name auch noch „Schlächter der Feinde“, so dass wir begannen, den kleinen heldenhaften Ripuda-Man in einem hautengen Kostüm wie Spiderman herumspringen zu sehen. Die Feinde vernichtend. Yeah.
Liebe Ripudamänner dieser Welt, seid mir nicht böse. Ich weiß, dass man euren Namen nicht als Ripuda-Män ausspricht, und dass ihr auch keine lila Capes tragt. Das würde ich euch auch nicht empfehlen, denn das Kostüme habe ich ganz allein entworfen. :yes:

Aber witzig find ich den Namen trotzdem. Er ist viel schöner als Hardik, Deepshita, Shitole, Vagisha und all die anderen indischen (Vor- und Zu)Namen, die in einer globalisierten, des Englischen mächtigen Welt irgendwie nicht der Bringer sind. :))

Am Ende eines sehr ausgedehnten Lachkrampfes ob unserer Ripuda-Man-Fantasie klappten wir diese dummen Bücher zu und gingen trotz unverrichteter Dinge dennoch beflügelt nach Hause.