Wo bringt man in Indien am besten seinen Wonneproppen zur Welt? Diese Frage beschäftigte uns eine ganze Weile. Wir sorgten uns weniger um Sauberkeit, denn in den grossen, privaten Einrichtungen wägt man sich durchaus im blitzeblanken Europa, so dass Angst vor bestialischen Keimen keine Rolle spielen muss. Allerdings fungieren diese privaten Krankenhäuser auch wie Unternehmen, die im Patienten einen Kunden sehen.
Austausch mit anderen Frauen, deren Kinder in Indien zur Welt gekommen waren, sowie ein bisschen Informationssuche zum Thema brachten mich zu der Überzeugung, dass ein Krankenhaus in Indien nicht unbedingt der optimale Ort für eine Geburt ist. Zu viele unnötige Eingriffe. Zu viel Fliessbandmentalität. Zu wenig Spielraum. Und stets das Mädchen-für-alles unter den Argumenten: Krankenhauspolicy. Damit kann man jedes noch so einfältige Handlungsverfahren entschuldigen.
Zum Beispiel ist es Standard, diverse Bluttests während der Schwangerschaft durchführen zu lassen. Unter anderem einen HIV-Test. Das ist in Ordnung. Nicht in Ordnung ist, dass wenn man zwischendurch den Arzt wechselt, wie ich das tat man den Test noch einmal durchführen muss: im neuen Krankenhaus. Das führt dann zu interessanten Schlagabtauschen:
Schwester: Sie müssen noch einen HIV-Test machen lassen.
Kugelrunde Mama: Hab ich schon machen lassen. Hier sind die Resultate.
Schwester: Den müssen Sie noch mal machen lassen.
Kugelrunde Mama: Wieso? Das ist doch erst drei Monate her.
Schwester: Den müssen Sie in diesem Krankenhaus noch mal machen lassen.
Kugelrunde Mama: (Bissig auf Pudelniveau) Was genau meinen Sie denn, was ich in den letzten drei Monaten getrieben habe?
Schwester: (Krantig auf Rottweilerniveau) Das ist Krankenhauspo-li-cy.
Na wenn das so ist! |-|
Nun gut. Abgesehen von den vielen lustigen Tests, so dass man sich schon manchmal zur Ader gelassen vorkommt, finden auch beim eigentlichen Geburtsvorgang viele lustige Eingriffe statt, für die man anschliessend viele lustige Rechnungen schreiben kann, damit sich das Management freut. Krankenhauspolicy! So sind Dammschnitte und Wehentropf schon beinahe Standard in Indien, und Zeitungsberichten zu Folge liegt die Kaiserschnittrate in privaten Krankenhäusern in Indien bei 75%. Man muss davon ausgehen, dass Inderinnen ganz besonders unfähig sind, ihre Kinder normal zur Welt zu bringen, und neigen zu allen möglichen Komplikationen.
Ich gehe allerdings davon aus, dass es sich um Krankenhauspolicy handelt.
Obwohl ich weder zu der Fraktion gehöre, die Geburten romantisieren und danach davon schwärmen, wie einfach alles war und wie fix die Schmerzen vergessen sind (Alles Lüge!), und obwohl ich auch ganz selten dabei ertappt werde, mit Blümchen im Haar um einen Baum zu tanzen und Zurück zur Natur zu summen, begannen wir damit, uns mit Hausgeburten zu beschäftigen, da ich wenig Lust hatte, die Kontrolle über Roma und mich in die Hände tollwütiger Ärzte und tollwütigerer Buchhalter zu legen. Ich hätte mich sonst nicht dafür entschieden, weil ich schlicht und ergreifend nicht auf die Idee gekommen wäre.
Bei Ärzten muss man für einen solchen Stunt nicht nach Unterstützung suchen. Und auch Hebammen sind in Indien verdammt schwer zu finden, da der Beruf der traditionellen Dai stark in Verruf gekommen ist. Das Krankenhaus ist die Antwort auf alle Fragen in Indien. Wir fanden unsere Hebamme Lina schliesslich durch das Netzwerk Birth India, das sich für die Förderung natürlicher Geburten in Indien einsetzt. Für eine Hausgeburt sollten optimalerweise zwei Hebammen dabei sein, damit im Falle des Falles sowohl Mutter als auch Baby gleichzeitig versorgt warden können. Lina organisierte eine zweite Hebamme, Sonia.
Sowohl Lina (ursprünglich aus Grossbritannien) als auch Sonia (aus Peru) waren lange Zeit in Krisengebieten tätig. Lina hat mehrere Jahre Erfahrungen in Slums in den Phillipinen gesammelt, und Sonia kam gerade frisch aus dem Sudan zurück. Sie wussten beide mit Notfällen umzugehen. Romas Geburt war hingegen schon fast langweilig. Für die Hebammen. :)) In acht Stunden war alles vorbei. Alle bereits Wochen zuvor im Haus gebunkerten Notfallmittel wie Sauerstoff und Medikamente konnten getrost in ihrer Ecke stehen bleiben. Lina und Sonia, die mich fünf der acht Stunden lang begleiteten, hatten relative wenig zu tun.
Es ist nicht üblich, dass Väter in indischen Kreisssälen dabei sein dürfen. Man muss das vorher beim Management erfragen, denn es könnte ja sein, dass einem die Krankenhauspolicy mal wieder einen Strich durch die Rechnung macht. Zudem ist es beinahe undenkbar, dass Väter die Nabelschnur durchschneiden dürfen oder sich hinterher hochinteressiert die Nachgeburt erklären lassen. Wir konnten uns alle diese Freiheiten nehmen, und das war gut so. :yes:
Selbstverständlich hatten wir auch Notfallarrangements mit umliegenden Krankenhäusern. Man muss sich in Indien vorher im Krankenhaus anmelden. Krankenhäuser sind keine humanistischen Einrichtungen, und Patientinnen müssen nicht angenommen warden auch nicht, wenn sie in den Wehen sind. Eine vorherige Registrierung einschliesslich Hinterlegung einer beträchtlichen Kaution sind notwendig. Im Falle einer geplanten Hausgeburt sollte man ausserdem einen Arzt finden, der Lust dazu hat, sich einer stecken gebliebenen oder schief gegangenen Geburt anzunehmen. Die meisten Ärzte werden das von vorn herein ablehnen.
Wer sich für eine möglichst natürliche Geburt in Indien interessiert, dem seien folgende Optionen empfohlen:
Das Geburtszentrum in Goa, Assagoan
Phoenix Hospital in Delhi (für Wassergeburten)
Das Netzwerk Birth India
JustLink meine Hebamme Lina (Sitz in Mumbai)