Fotoessay: Die Flut

Mumbai kämpft. Es windet sich, es bäumt sich auf, es zuckt zusammen, es gibt einen bestialischen Schrei ab. Und nichts passiert.
Am Mittwoch flogen uns hier drei Bomben um die Ohren.
Am Donnerstag versank die Stadt hingegen in hohen Wellen. Es hatte einmal mehr so stark geregnet, dass die ohnehin marode Infrastruktur wieder überlastet war. Vielleicht fühlen sich die Stadtwerke der Problematik nicht sonderlich verpflichtet, weil das Resultat so unverschämt fotogen ist?

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Anstatt dort abzufließen, blubberte das Wasser hier einfach nur immer und immer und immer weiter nach oben. Die gesamte Straße war überflutet, und in der braunen Brühe konnte man nur am Vordermann erahnen, wie tief es wirklich war.

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Aus diesem Grund sind wasserfeste Schuhe auch so beliebt in Indien: Gummisandalen und sogar „Lederschuhimmitate“, also Gummischuh, die aussehen wie reguläre Lederschuh. Sandalen sind hingegen besser, denn da läuft die Suppe auch wieder heraus.

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Man beachte den glücklichen Zufall des Werbefotos auf der Außenseite des Busses.

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Ganze schlechte Namenswahl für diese Hausgemeinschaft. Der Stadtteil heißt übrigens Malad, daher Malad Ganga. Nun… So was kommt von so was.

Tragisch an dieser Situation ist nicht nur die Tatsache, dass sich unsere Durchschnittsgeschwindigkeit an diesem Tag auf unaussprechliche 5,3km/h verringerte, sondern auch der Fakt, dass es genau dort vor zwei Wochen genau schon so aussah. Und wenn der nächste Regen kommt, sieht es wieder so aus. Oh Indien, warum? warum?

Vorhang zu

Durch die herrliche Fähigkeit, die Realität um einen herum durch bloße Gedankengebung zu beeinflussen, bin ich in der Lage zu behaupten, der Monsun bringe die Landschaft endlich mal dazu, den Lautstärkeregler runterzufahren. Endlich wird die Klappe gehalten. Endlich Ruhe im Karton. Bilde ich mir zumindest ein, wenn ich die unablässigen Regenbindfäden Wolken und Erde verbinden sehe. Wasserschnüre aus dem Himmel ohne Pause. Dafür bleiben die Mitglieder des Laienchors zu Hause. Keine Machliwallahs (Fischerverkäufer) oder Paperwallahs (Altpapierhändler) mehr. Ah, Ruhe. Streck. Gähn. Hm.

Wenn das nur immer so genüsslich wäre. Doch schon dreht Petrus den Wasserhahn zu und alle scheinen aus ihrem Winter Monsunschlaf zu erwachen. Verflixt und zugenäht! Motoren ningeln durch die Gassen, selbst die Krähen finden ihre Stimmen wieder, und Frau Nachbar scheint im Affekt jemanden zu erschlagen. Doch wohl nicht einen Machliwallah? Jedenfalls poltert es mächtig stinkig herum da drüben.

Mit dem Kopf in den Wolken
Mumbais Skyline wächst in die Wolken

Schon zeigt sich der erste Fetzen blauen Himmels und versetzt mich in Angst und Schrecken. Unser Abstecher nach Goa hat mich arg in Mitleidenschaft gezogen. Wer konnte ahnen, dass man sich bei bedeckten Himmel so mörderisch verbrennen kann? Als ich am ersten Tag am Pool eine Inderin dabei beobachtete, wie sie sich ausgiebig mit Sonnenlotion einrieb, wieherte ich vor Vergnügen. Zwei Tage später lachte sie sich vermutlich ebenso ungeniert ins Fäustchen. Ich war schließlich hingebungsvoll damit beschäftigt, jede regenfreie Minute voll auszuschöpfen. Ah, und nun trage ich die Strafe dafür spazieren. Dabei habe ich genügend Hotelseife geborgt, um mir dieses Souvenir eigentlich sparen zu können. ;D

Tja. Dicke Wolkenkrusten sind halt auch nicht mehr das, was sie mal waren. Wir verbleiben schockiert ob dieser Unzumutbarkeit.

Der Monsunhimmel

Reichlich mit Worten beschrieben, lass ich heute mal die Kamera sprechen, wie das nun ausschaut, das uns der Monsun beinahe täglich zu bieten hat.
Ich habe das Gefühl, dass die Wolken hier nicht so beeindruckend sind, wie ich sie aus Bangalore her kenne, aber das liegt vermutlich daran, dass es sich aus dem 14. Stock einfach besser gucken lässt als aus dem 6. mit verbautem Blickfeld. Schade drum, aber trotzdem nicht übel.

Wolkenhimmel über Borivali 2

Wolkenhimmel über Borivali im Monsun
Die Vögel

Nun haben wir schon fast weihnachtliche Stimmung… Ihr wisst schon, wenn es 15Uhr so aussieht als ginge a) die Welt unter oder b) einfach nur die Sonne, und so lange man das Jahr über lieb war, wirds vermutlich b sein. 😉

Solidarität mit den Armen?

Zur Zeit schwelt in Indien eine faszinierende Debatte: um Verschwendertum. Um Notwendigkeit. Das Schlagwort lautet dabei „Austerity„, was sich bequem in Sparpolitik übersetzen lässt.

Die regierende Kongresspartei, die sich gern als eng verbunden mit Gandhi und dessen Ideen präsentiert, hat diese Lawine losgetreten. Immerhin befindet sich Indien fest im Griff einer Dürre, die bedrohliche Preissteigerungen verursacht hat. Hinzu kommt die ohnehin wirtschaftlich dünne Lage, um die sich auch mit robusten (aber nur für beschränkte Teile der Produktion gültigen) Wachstumsraten nicht herumreden lässt. Der perfekte Zeitpunkt also, um Solidarität gegenüber den Armen auszudrücken.

Oder nicht?

Im Grunde ging es darum, Regierungsausgaben zu kürzen. Unter anderem wurden Gehälter für Regierungsmitglieder um 20% gekürzt. Das sind fantastische Nachrichten, aber irgendwie nicht genug. Der spektakuläre Jubel, den man vom Fußvolk ob solcher Maßnahmen erwarten dürfte, hielt sich ähnlich dem Monsun in Grenzen. Daher legte die Kongresspartei noch eins drauf: der gesamte Lebensstil der Mitglieder des Regierungsapparates sollte die angespannte Lage des Landes reflektieren. Es sollte weniger gereist werden, und wenn, dann bitte per Holzklasse. Zwei Minister der Kongresspartei, welche gerade in 5-Sterne-Hotels nächtigten, da ihre offiziellen Bungalows noch renoviert wurden, sollten ausziehen. Ungeachtet – und das ist der Knackpunkt – der Tatsache, dass beide die 5-Sterne-Rechnung aus privater Tasche beglichen. Es spielt schließlich keine Rolle, wessen Geld man ausgibt. Schon allein die Tatsache, dass man es ausgibt, ist in Zeiten wie diesen verwerflich. Das ist die Grundaussage dieser neuen Sparpolitik.

Aus diesem Grund sollte man Austerity auch nicht wörtlich als Sparpolitik sondern sinngemäß als Entbehrungspolitik bezeichnen.

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In den folgenden Wochen entbrannte eine heiße Diskussion um diese selbst auferlegte, ein bisschen an Gandhi-Tourismus erinnernde Entbehrungsstrategie der Kongresspartei. Niemand kann leugnen, dass es clever ist, Regierungsausgaben zu kürzen. Die Frage ist eher, ob das Volk bereits zu zynisch ist, um die dahinter steckende, kaum subtile Botschaft aufzuschnappen?

Während einige Politiker tatsächlich Holzklasse flogen, wetterten andere, ihre Produktivität wäre durch solche Reiseumstände stark eingeschränkt. Die Medien produzierten fleißig Talkshowrunden, Essays sowie ein bisschen Expertenblabla rund ums Thema Entbehrung und halfen dem Publikum bei der Meinungsbildung. Ist Sparen cool? Sollten wir sparen? Und sollten auch die sparen, die es eigentlich nicht nötig haben, weil sie entweder genug auf der hohen Kante haben oder jemand anders ihre Rechnung zahlt? Fragen über Fragen.

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Selbst im glorreichen Westen sollte man mit diesem moralischen Dilemma etwas anfangen können, denn schließlich kritisiert man dort schon seit Monaten an Bonuszahlungen für Banker herum und möchte das ganze gar gesetzlich regeln. Es scheint, als ob man sich einig wäre: wenn es mir dreckig geht, kann es nicht angehen, dass andere die fette Kohle verdienen. Wie seltsam also, dass ausgerechnet in Indien, wo die Differenzen stärker ausgeprägt sind, kein Konsens erreichbar scheint, ob und inwieweit es wünschenswert ist, diverse Gesellschaftsmitglieder auf den Boden materieller Tatsachen zurückzuholen?

Welche Felder und Ernten die diesjährige Dürre nicht hinweggerafft hat, die wurden kürzlich von den Überschwemmungen in Südindien vernichtet. Das macht sich prima auf dem Lebensmittelmarkt, wo Zucker und Linsen bereits das doppelte kosten. Familien, deren einzige Mahlzeit pro Tag aus Chapati (Fladenbrot aus Weizenmehl) und Chillipaste besteht, leben weit weg. Ihr Leid – verpackt in eine Dokumentation im Sonntagabendprogramm – verursacht ein unangenehmes Ziehen im Leib, welches sich unter anderem dadurch auszeichnet, als dass es rasch vorbei ist, wenn man umschaltet. Aber dann gibts noch die Not, die auf dem Gemüsemarkt an einem vorbei läuft: der Mann in Kurta-Pajama, beides mit Ölflecken übersät, die auf eine Anstellung als Schlosser o.ä. hinweisen könnten. Ein Schlosser verdient in Mumbai 150 Rupien pro Tag. Er schiebt sein Fahrrad an den Ständen vorbei. Am Lenker baumelt ein Plastikbeutel mit ca. einem Pfund Tindli (kleine Minigurke), aus dem seine Frau das Abendbrot zubereiten wird. Er hält vor dem Obststand und lässt sich zwei Äpfel geben, reicht einen 50-Rupienschein an den Verkäufer und erhält 30 Rupien zurück. Zwanzig Rupien für zwei Äpfel, die wer-weiß-wie-lange halten und wer-weiß-wie-viele-Familienmitglieder gesund halten sollen.

Es ist vollkommen unnötig und kontraproduktiv, sich einer solchen Episode wegen in Depressionen ob der Ungerechtigkeit der Welt zu stürzen oder sich ein paar Tränen aufrichtigen Mitgefühls am wasserfesten Mascara vorbei zu quetschen. Aber man denkt in diesem Moment darüber nach, wer von den Preissteigerungen, der Dürre, den Fluten, der Verschwendungssucht und der großen, bösen Welt wirklich betroffen ist.

Natürlich nützt es diesem Mann gar nichts, wenn ein Minister sein Quartier im Luxushotel evakuiert oder Holzklasse fliegt. Die Frage ist: bedeutet es ihm was? Der Zyniker zuckt die Schultern. Aber hat dieser Zyniker zum Mittag, seiner einzigen Mahlzeit, Chillipaste musst essen, weil der Kühlschrank leer und die Geldbörse nicht viel ergibiger war?

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Ich bin immer noch fasziniert von diesem Thema. Vor allen Dingen beschäftigt mich der Punkt, dass in Indien wie so häufig alles persönlich genommen wird. Anstatt ein festes Punkteprogramm zur Einsparung öffentlicher Mittel zu entwerfen, bei dessen Durchführung es dann nichts zu meckern und nichts zu interpretieren und nichts zu moralaposteln gibt, wird das Sparprogramm zum Persönlichkeitstest. Warum ist das so? – Medienhunger der Politiker, schon klar. Doch warum hat das Wahlvolk so gut als gar nicht reagiert, als sich die Politiker das Gehalt um 20% kürzten? Hat das Volk das nicht mitgeschnitten?

Geld ausgeben wird stigmatisiert. Das ist komisch. Das Einkommensgefälle in Indien involviert unvorstellbare Gegensätze, die selbst eine Portion Fritten zum Luxusartikel katapultieren. Vergiss das Businessclassticket des werten Herrn Ministers: Wenn ein Schlosser 150 Rupien pro Tag einsteckt, kannst du nicht 139 zzgl. MwSt. für ein Menu bei KFC verpulvern. Oder doch? Ist mein Zeitschriftenabo schlecht? Muss meine Katze ab heute Ratten fangen, weil es unverantwortlich ist, ihr eine Dose Whiskas für 100 Rupien hinzustellen? Sollten sich Porschefahrer an ihrer Savile-Road-Krawatte aufhängen?

Ist Solidarität mit den Armen wirklich alles, das wir/die Regierung zu tun bereit ist? Solidarität ist ziemlich kostenlos. Ne Schale Reis hingegen nicht.

Durst – Der Monsun 2009

2009 ist kein Erfolgsjahr für Indiens Landwirtschaft: ein wankelmütiger Monsun hat ganze Landstriche einer grausamen Dürre ausgesetzt. Bisher wurde ca. die Hälfte Indiens 626 Distrikte als „Dürre-betroffen“ erklärt. Diese Formalität ist notwendig, damit die Bauern, deren Felder lediglich kümmerliche Saat oder nur bröckelige Erde vorzuweisen haben, auf Hilfsgelder der Regierung zurückfallen können. Pro Morgen stehen ihnen 6750 Rupien zu.

Es ist kein Einzelschicksal unter der Farmerbevölkerung Indiens, dass die Saat komplett verdorben ist. Besonders hinterlistig ist dabei die Tatsache, dass die meisten Bauern Kleinkredite aufnehmen, um das Saatgut zu bezahlen. Inwieweit sie diesen Kredit zurückzahlen können, hängt dann jeweils von der Ernte ab. In einem Jahr wie diesem, wenn die Ernte teilweise oder ganz ausfällt, schnappt die Schuldenfalle zu.
2008 hatte die UPA-Regierung Indiens ein Hilfspaket für verschuldete Bauern gestartet: Enorme Summen wurden zur Verfügung gestellt, um die Kredite zu tilgen, da die meisten Kleinbauern sowieso nicht in der Lage sein würden, diese je abzuzahlen. Inzwischen wurden die Gelder verteilt, doch es stellt sich die Frage, ob sie auch an der notwendigen Stelle ankamen. Von der Tilgung profitierten nämlich nur solche Bauern, die sich von Banken Geld geliehen hatten. Viel üblicher ist es allerdings, dass man zum lokalen Geldverleiher des Dorfes geht und sich dort einen Kleinkredit holt. Betroffenen Bauern half das Regierungspaket in keinster Weise.

Inspiriert wurde diese als „Farm Loan Waiver“ bekannte Maßnahme nicht nur von den anstehenden Wahlen (welche die UPA-Regierung gewann), sondern vor allen Dingen von den enormen Selbstmordraten im Distrikt Vidarbha im Bundesstaat Maharashtra. Weil sie die Schuldenfalle nicht länger ertragen konnten, hatten sich dort in den vergangenen Jahren tausende Farmer das Leben genommen. Ironischerweise gelangten nur 20% der Regierungsgelder des Farm Loan Waivers nach Vidarbha, weil sich viele Bauern auf Grund ihrer Landgröße nicht für Gelder qualifizierten. Die Selbstmorde setzen sich fort (bisher 117), und der diesjährige Monsun verschärft das Problem nur noch.

Während die eigenen Felder auf Grund der Dürre unnütz brach liegen, müssen Farmer andernorts nach Einkunftsquellen suchen. Normalerweise würden sie für Großgrundbesitzer arbeiten, doch auch die haben keinen Bedarf an zusätzlichen Kräften. Auch ihre Felder liegen brach. Im Bundesstaat Bihar, in dem 26 von 28 Distrikte von der Dürre betroffen sind, liegt die Migrationsrate darum bei 70%. Die Männer lassen ihre Familien in den Dörfern zurück und begeben sich auf die Suche nach Arbeit in anderen Landesteilen oder in den großen Städten. Wie die Ausschreitungen in Mumbai 2008 gezeigt haben, sind sie dort nicht willkommen.
Die soziale Stellung des Migranten ist alles andere als beneidenswert. Ein Inder ist nicht in ganz Indien zu Hause.

Doch die Dürre lässt ihm keine Wahl. Und manchmal tut die sitzende Regierung noch ihr übriges dazu. Im Bundesstaat Haryana zum Beispiel weigert sich Chief Minister Bhupinder Singh Hooda, die Dürre-Formalität zu erledigen. Erklärte er Distrikte offiziell als von der Dürre betroffen, könnten die Bauern Hilfsgelder der Zentralregierung beanspruchen. Hooda allerdings befürchtet, dass diejenigen Bauern in nicht-betroffenen Distrikten übellaunig reagieren und ihrem Ärger in den demnächst anstehenden Wahlen zum Ausdruck bringen könnten. Aus diesem Grund ist Haryana trotz defizitären Regenfalls, trotz brach liegenden Feldern und
hungernder Bauern offiziell nicht von der Dürre betroffen. Stattdessen hat Hooda 1.000 Rupien pro Morgen als Hilfsgelder angekündigt.

Derweil laufen Indiens Getreidespeicher über. Tonnenweise rotten Reis und Weizen vor sich hin, während Bauern Selbstmord begehen oder ihr Nutzvieh verkaufen müssen, weil sie das erstens nicht mehr füttern können und sie zweitens dringend auf eine Finanzspritze angewiesen sind. Sie nehmen sich notgedrungen selbst die Zukunft.
Premierminister Dr. Manmohan Singh hat erklärt, dass Indien ein ganzes Jahr mit seinen Getreidevorräten hinkommen kann, was nur so lange beruhigend klingt, bis man sich überlegt, ab wann die Regierung beginnen wird, Getreide auszuteilen? Ich halte „jetzt“ für einen guten Zeitpunkt. In den staatlichen Rationsgeschäften, welche subventionierte Lebensmittel an arme Familien verkaufen, herrscht jedenfalls gähnende Leere.

Um in einem Rationsgeschäft einkaufen zu können, benötigen Familien eine sog. BPL-Karte. BPL steht für „Below Poverty Line“, also unter der Armutsgrenze, und weist eine Familie offiziell als bedürftig aus.
Auf dem freien Markt hingegen herrscht Preischaos. Während die Lebensmittelpreise in vielen Ländern wieder zu sinken beginnen, bereitet der Einkauf für den häuslichen Bedarf in Indien weiterhin Kopfschmerzen. Preise für Zucker, Weizen, Linsen und Speiseöl sind in den letzten Monaten rasant angestiegen. Auf dem Obst- und Gemüsemarkt steigen einem die Tränen in die Augen. Das liegt teilweise an der Dürre und teilweise am Klimawandel. Die Apfelernte beispielsweise ist stark betroffen, da es in den Anbaugebieten des Himalayas kaum mehr kalt genug wird. Es wurde von einem Ernterückgang von bis zu 80% gesprochen.

Die Hoffnung, dass der Monsun noch einmal eine letzte Hauruck-Aktion hinlegen wird, schwindet täglich. Für die meisten Bauern ist es sowieso zu spät, da die Ernte unwiederbringlich verloren ist, selbst wenn es zu regnen beginnen würde. Offziell liegt das gesamtindische Regendefizit bei 28%. In Staaten wie Haryana liegt es bei bis zu 73-88%, im Durchschnitt bei 53,7%.

Die Probleme werden Indien auch in den nächsten Monaten erhalten bleiben. Es steht ein wasserarmes Jahr bevor. Mumbais Wasserspeicher sind kaum aufgefüllt, um die Megastadt ein ganzes Jahr versorgen zu können. Bereits ab den 1. Oktober stehen wieder Wasserrationierungen an. Das heißt nur, dass die Grundwasserpumpen sich wieder einen Wolf laufen werden. Der angsteinflößende Abfall des Grundwasserspiegels in Nordindien hat es bereits in die internationalen Medien geschafft. Zurückzuführen ist er ausschließlich auf Übernutzung und nicht auf den Regen oder den Mangel daran.

Quellen:
Outlook
„Shadowed by the rain“
Times of India
„You may facea a 30% watercut by October 1“

Weiterführende Links:
Tehelka
„The Rat Poison Brides“

InfoChangeIndia.org
Starring Drought In The Face

Der Schimmelfighter (2)

Mein Lieblingsmeckerthema lässt mir derzeit gar keine Ruhe, und zwar sowohl im übertragenen als auch im wörtlichen Sinne. SCHIMMEL! Zwar hat der Regen in den letzten Tagen etwas nachgelassen, doch die Luftfeuchte bleibt konstant und die weichen, grünen Kissen wissen, dass sie Hochsaison haben. Sie lassen sich von ein paar heiteren Tagen durchaus nicht aus der Fassung dem Wachstumsschub bringen.

Ich habe aufgehört, diverse Orte zu überprüfen. Das Schuhregal zum Beispiel. Hat doch eh keinen Zweck. Ich ignoriere das einfach bis nach dem Monsun und schaffe dann alle Schuhe in die Reinigung – es gibt in Mumbai nämlich eine spezielle Schuhreinigung. Sollen die sich doch die Finger schmutzig machen. Ich hab die Schnau*e voll Migräne. :p Ditto für alle Saris und Anzüge. Ich habe das immer in die Sonne rausgehangen, wenn sie denn mal schien, denn das hilft. Einbildung ist auch ne Bildung. Echt!
Doch dieses Jahr ist alles anders. Dieses Jahr habe ich einfach keine Lust auf dieses Gefriemel. Ich will meine Ruhe. :yes:

Nicht ignorieren konnte ich allerdings, was ich gestern hinter dem Fernsehschrank entdeckte. Tja, wen kümmert schon die Abholzung des Regenwaldes, wenn er so schön grün wohnt wie ich?
Achtung: eklig!

schimmel

Hmmmmmmittagessen irgendwer?
Ich bezwecke mit diesem ekelhaften Foto lediglich, meine Leser von der Annahme abzubringen, ich sei ein Opfer der Übertreibung. Das ist Mumbai. Das ist der Monsun. So sieht er aus. Saftig grün.

Das Möbelstück ist übrigens stolze 8 Monate alt. Ich habe die Rückwand ausgebaut, mühsam abgewaschen und werde sie streichen. Normalerweise würde ich sie wegschmeißen, aber das Teil gehört dem Vermieter. Beim Auszug setzen wir die Wand einfach wieder ein. Bis dahin: Hinten ohne. :yes:

Der Schimmelfighter – Teil 1

Monsun – Gut & Böse

Ein unglaublich erfrischender Wind schüttelt die letzte Sommerstarre aus den Palmenwedeln vor dem Fenster: das dabei entstehende Geräusch ähnelt dem des bald darauf niederprasselnden Regens. Es wird bereits wieder düster, als sich die nächste bitterbösegraue Wolke (meist ein zottiger Schleier) ächzend über die Dächer schiebt, dann das Beinklein hebt und sich ordentlich abregnet. Durch den Wind tanzen die Regenperlen orientierungslos durch die Luft, peitschen gegen das Fenster und machen den Fußboden bis zu einem Meter in der Wohnung nass. Dann, als man das Nachbarhaus schon nur noch als verschwommenen Schatten zwischen der Monsunpracht erkennen kann, hört es plötzlich und unvermittelt auf.

Das Trommelgeräusch von irgendwoher, wo ein Abflussrohr vom Dach günstigerweise über einem Plastikdachvorsprung mündet, hält noch eine Weile an. Doch das quirlige Alltagsleben einer xbeliebigen Kolonie in Mumbai drängt sich wieder in den Vordergrund: Papierwallahs springen aus ihrem Versteck hervor und blöken ihre Werbesprüche in die noch schwummrige Luft. Vögel finden ihre Stimme wieder. Irgendwo in einem Nachbarhaus zerbricht ein Glas. Jemand spielt Saxophon. Die Straßenhunde haben sich in der Wolle. Und die Palmenwedel räkeln sich wieder in der nun sanfteren Brise.

Marschiert man in einem solchen Moment durch die Ortschaft, wird man von den herrlichsten Anblicken überrascht. Beispielsweise einer im Graben ertrunkenen Jeans. Ob sie von jemandes Leine gefallen ist? Ob sie weggeworfen wurde?
Die Straßenverkäufer sitzen stoisch hinter ihrer Ware, die frisch gewaschen auf einem Plastiktuch vor ihnen ausgebreitet liegt. Die Verkäufer sitzen entweder unter ihren Schirmen oder harren mit Plastiktüten auf dem Kopf aus. Eine Fischverkäuferin trägt eine chice Duschhaube, um ihre Lockenpracht zu schützen.

Ein Stück weiter wandert eine kleine Gruppe Fußgänger: zwei Frauen in bunten Saris mit Regenschirmen, bereit zum unverzüglichen Aufklappen, sollte die nächste fette Wolken antanzen. Vor ihnen läuft ein kleiner Junge, der in einem grauen Regencape steckt. Er sieht ulkig aus – seine kleine Statur in diesem riesigen Zelt aus Plane. In den Händen halten alle drei je ein orangenes Stieleis, und zwar diese verdammt leckere Sorte Wassereis, die ich in Delhi kennen- und liebengelernt habe. Wie ich die Mitternachtsausflüge zum Eisessen vor dem IndiaGate vermisse. 🙂

Natürlich kann der Monsun auch anders. Das merkt man, wenn man überall im Haus neue Kissen findet, als ob der Raumausstatter über Nacht mal Heinzelmännchen gespielt hätte. Grüne, weiche Kissen. Und diverse durchtränkte Wände. Sieht inzwischen nicht mehr so schön aus und hat seinen Unterhaltungswert definitiv eingebüßt. Wir statteten deshalb der Baufirma einen Besuch ab, denn die sollte die Risse in der Wand reparieren. Die dort arbeitende Dame erklärte uns in zweiundsiebzig verschiedenen Satzbauten und mit Hilfe fünfunddreißig das Sprachzentrum stimulierender Synonyme, dass zwei Ingenieure bereits auf dem Weg zu uns waren. Dort (also auf dem Weg) befinden sie sich nun schon seit Samstag. Man muss annehmen, dass sie in einem Graben ersoffen sind. Vielleicht liegen sie unter den Jeans? Ich muss doch gleich mal gucken gehen… :))

Ich bin nicht allein: Der Schimmelreiter

Mumbai: Land unter.

Neu ist das nicht. Aber irgendwie unterhaltsam (so lange man im Trockenen sitzt). Es hat geregnet in Mumbai, und schon ist wieder Schlauchbootzeit.

Eigentlich müsste man meinen, dass Mumbai auf den Ansturm von oben vorbereitet ist, zumal der Monsun ein jährliches „Phänomen“ ist & keine Überraschung. Huch, wo kommt der Regen her? Doch kaum regnet es mal ein paar Stunden am Stück, schon hört mans überall blubbern und gluckern, wenn Mensch, Tier & Maschine sprichwörtlich absaufen.

Ich möchte meinen Bloglesern die hübschen Eindrücke nicht vorenthalten. Gern würde ich selbst durch die Flutwasser waten und boshaftes neckisches Bildmaterial sammeln, aber das lass ich mal schön bleiben. :yes:

Fotolinks:
=> Der Schirm ist natürlich ein notwendiges Organ im Monsun. Auch im Inneren eines Busses: Schirmherrschaft.
=> Rickshawteich: Ein stimmungsvolles Foto in Schlammbraun. Besonders gut zu erkennen sind die Plastikplanen, mit denen Rickshawbesitzer den Passagierbereich vor Regen- und Spritzwasser schützen. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass die Fahrer durch diese Planen natürlich nicht mehr sehen können, was außerhalb ihrer Rickshaw passiert. Als ob sie das je interessiert hätte. Gefährlich!
=> Wo ist mein Schlauchboot? So eine Art retrospektives Parkverbot. Zu dumm. :>
=> Wildwasserbahn. Eigentlich nicht lustig. Wir mussten vor wenigen Tagen selbst durch solche Wasserbasins fahren und bangten, dass uns der Auspuff vollläuft.
=> Motorwäsche: Das sieht nur aus wie ein Auto. In Wirklichkeit ist es ein Wasserschieber. :yes:
=> Der STW, sog. SuperTaxiWallah, ist ein ganz besonders mutiges Stück Mumbai. Er schwimmt hinaus auf hohe See und rettet Passanten vor dem Absaufen.
=> Bazillus Monstrus. Gefahr am ganzen Körper. U-( Ich weiß, wie das ist: Nicht schön.
=> Schwimmunterricht: Das Faszinierende an Mumbai ist ja u.a., dass jeder schwimmen kann. Auch Mopeds.
=> Der Gulli: er muss hier irgendwo sein. Ich bin mir sicher. Da… ja, ich hab ihn… :wave:
=> Pack die Anglerhosen ein!

Diese Fotos sind alle ganz frisch vom heutigen Tag und flimmern ohne Unterlass über unsere Fernsehbildschirme: Nachrichten. Mumbai unter Wasser. Mal was ganz was neues. :))

Unerhoffter Monsunspaß

Man möchte ja meinen, es mache keinen Spaß, wenn der Regen über zwanzig Stunden lang beinahe ohne Unterlass vom Himmel drischt. Doch das stimmt ja gar nicht. :yes:

Es gibt durchaus lustige Zeitvertreibe in dieser nassen Jahreszeit. Jawoll! Man muss halt nur wissen, wie es geht.

Hier zum Beispiel: nehmen wir diesen total langweiligen, neuen nassen Fleck an unserer Wand, der sich seit dem vielen Regen breit und breiter macht. Total hässlich. Total langweilig.

Fleck1

Bis der bald in weichen, grünen Schichten wachsende Schimmel künstlerische Abhilfe schaffen wird, muss man eben selbst mal zu Pinsel und Farbe greifen.

fleck2

Der Vorher-Nachher-Vergleich zeigt: so ein nasser Fleck hat es echt in sich. Unterhaltungstechnisch.

Eigentlich sollte ich mich ja grämen und ordentlich Galle auf die Bauherren-und-Damen Mumbais haben, die von nichts keine Ahnung haben, und vom Bauen noch am allerwenigsten… Aber mal ehrlich. Was solls? Ich sehe die Zukunft schwammig klar und deutlich vor mir: sporentief… äh… porentief…. Wartet! Aus dem oberen Fleck kann ich ja noch ein Herz machen. Toll. Wo ist mein Stift?

Falls Interesse an meinem Geistesblitz…. Fleck… Geisterfleck aus dem letzten Monsun besteht, geht das hier entlang.

Ausgeräuchert: Malaria Prophylaxe

Der Regen, der Mumbai seit einigen Tagen heimsucht, breitet die Lebensgrundlage für Malaria übertragende Mücken wie eine sanfte, weiche Decke über die gesamte Stadt. In Kanälen, Gräben und anderen Rillen & Ritzen staut sich das Wasser; und über den urbanen Riesenkoloss zieht sich ein dichtes Netz aus lauter Mücken-Gebärmüttern: alte Blumentöpfe, herumstehende Eimer, vergessene Container usw. Überall.

Die indische Regierung ist bei rund zwei Millionen Malariafällen im Jahre 2000* notwendigerweise bemüht, den summenden und stechenden Massenkillern den Garaus zu machen. Zu diesem Zweck wird gesprüht: Mit knarrenden Motoren tuckern Kleintransporter durch die Straßen & Gassen Mumbais und räuchern mit Hilfe einer enormen Kanone die Mückenkultur aus. Dabei wird die gesamte Nachbarschaft vernebelt. Das sieht dann in Etwa so aus:

malaria phrophylaxe
Der im Nebel zu erkennende, kleine gelbe Transporter ist der Übeltäter/Retter. Von der offenen Ladefläche schaut eine enorme Gaskanone heraus (nicht im Bild).

Trotz dass sich der Qualm relativ schnell verzieht, ist es durchaus gesünder die Fenster zu schließen, wenn man das Getobe und Gebrause des Verneblungstuckers bereits von Weitem vernimmt, denn in Indien wird u.a. mit DDT, HCH & Malathion geräuchert. In Industrienationen ist DDT beispielsweise bereits seit den 1970ern verboten, da man sich der gesundheitsschädigenden Wirkung dieses Pestizids bewusst ist, doch allein in meiner Wohngegend in Mumbai wurden wir dieses Jahr bereits mindestens fünf Mal mit dem Mückenvernichtungsgas beglückt. Manchmal fährt der kleine Transporter, ein andermal läuft ein Mann mit Gaswaffe auf dem Rücken von Grundstück zu Grundstück und nebelt auch die letzte Ecke aus. (Über Arbeitsschutzkleidung dieses Mannes möchte an dieser Stelle nicht sprechen.)

Und es wirkt: wir haben deutlich weniger Mücken hier als in unserer alten Wohnung, in deren Umgebung nie geräuchert wurde. Dennoch haben wir Mücken. Und Malariafälle. Obwohl der Monsun gerade erst begonnen hat, sind bereits erste Fälle bekannt. Deshalb ist es in Indien bei Fieberfällen Routine, dass ein Malariatest durchgeführt wird. Dieser ist mit 60 Rupien im guten, privaten Krankenhaus für jedermann erschwinglich oder im staatlichen Krankenhaus kostenlos. Das hat sein Gutes.

*Quelle: National Malaria Eradication Programme