Zur Zeit schwelt in Indien eine faszinierende Debatte: um Verschwendertum. Um Notwendigkeit. Das Schlagwort lautet dabei „Austerity„, was sich bequem in Sparpolitik übersetzen lässt.
Die regierende Kongresspartei, die sich gern als eng verbunden mit Gandhi und dessen Ideen präsentiert, hat diese Lawine losgetreten. Immerhin befindet sich Indien fest im Griff einer Dürre, die bedrohliche Preissteigerungen verursacht hat. Hinzu kommt die ohnehin wirtschaftlich dünne Lage, um die sich auch mit robusten (aber nur für beschränkte Teile der Produktion gültigen) Wachstumsraten nicht herumreden lässt. Der perfekte Zeitpunkt also, um Solidarität gegenüber den Armen auszudrücken.
Oder nicht?
Im Grunde ging es darum, Regierungsausgaben zu kürzen. Unter anderem wurden Gehälter für Regierungsmitglieder um 20% gekürzt. Das sind fantastische Nachrichten, aber irgendwie nicht genug. Der spektakuläre Jubel, den man vom Fußvolk ob solcher Maßnahmen erwarten dürfte, hielt sich ähnlich dem Monsun in Grenzen. Daher legte die Kongresspartei noch eins drauf: der gesamte Lebensstil der Mitglieder des Regierungsapparates sollte die angespannte Lage des Landes reflektieren. Es sollte weniger gereist werden, und wenn, dann bitte per Holzklasse. Zwei Minister der Kongresspartei, welche gerade in 5-Sterne-Hotels nächtigten, da ihre offiziellen Bungalows noch renoviert wurden, sollten ausziehen. Ungeachtet – und das ist der Knackpunkt – der Tatsache, dass beide die 5-Sterne-Rechnung aus privater Tasche beglichen. Es spielt schließlich keine Rolle, wessen Geld man ausgibt. Schon allein die Tatsache, dass man es ausgibt, ist in Zeiten wie diesen verwerflich. Das ist die Grundaussage dieser neuen Sparpolitik.
Aus diesem Grund sollte man Austerity auch nicht wörtlich als Sparpolitik sondern sinngemäß als Entbehrungspolitik bezeichnen.
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In den folgenden Wochen entbrannte eine heiße Diskussion um diese selbst auferlegte, ein bisschen an Gandhi-Tourismus erinnernde Entbehrungsstrategie der Kongresspartei. Niemand kann leugnen, dass es clever ist, Regierungsausgaben zu kürzen. Die Frage ist eher, ob das Volk bereits zu zynisch ist, um die dahinter steckende, kaum subtile Botschaft aufzuschnappen?
Während einige Politiker tatsächlich Holzklasse flogen, wetterten andere, ihre Produktivität wäre durch solche Reiseumstände stark eingeschränkt. Die Medien produzierten fleißig Talkshowrunden, Essays sowie ein bisschen Expertenblabla rund ums Thema Entbehrung und halfen dem Publikum bei der Meinungsbildung. Ist Sparen cool? Sollten wir sparen? Und sollten auch die sparen, die es eigentlich nicht nötig haben, weil sie entweder genug auf der hohen Kante haben oder jemand anders ihre Rechnung zahlt? Fragen über Fragen.
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Selbst im glorreichen Westen sollte man mit diesem moralischen Dilemma etwas anfangen können, denn schließlich kritisiert man dort schon seit Monaten an Bonuszahlungen für Banker herum und möchte das ganze gar gesetzlich regeln. Es scheint, als ob man sich einig wäre: wenn es mir dreckig geht, kann es nicht angehen, dass andere die fette Kohle verdienen. Wie seltsam also, dass ausgerechnet in Indien, wo die Differenzen stärker ausgeprägt sind, kein Konsens erreichbar scheint, ob und inwieweit es wünschenswert ist, diverse Gesellschaftsmitglieder auf den Boden materieller Tatsachen zurückzuholen?
Welche Felder und Ernten die diesjährige Dürre nicht hinweggerafft hat, die wurden kürzlich von den Überschwemmungen in Südindien vernichtet. Das macht sich prima auf dem Lebensmittelmarkt, wo Zucker und Linsen bereits das doppelte kosten. Familien, deren einzige Mahlzeit pro Tag aus Chapati (Fladenbrot aus Weizenmehl) und Chillipaste besteht, leben weit weg. Ihr Leid – verpackt in eine Dokumentation im Sonntagabendprogramm – verursacht ein unangenehmes Ziehen im Leib, welches sich unter anderem dadurch auszeichnet, als dass es rasch vorbei ist, wenn man umschaltet. Aber dann gibts noch die Not, die auf dem Gemüsemarkt an einem vorbei läuft: der Mann in Kurta-Pajama, beides mit Ölflecken übersät, die auf eine Anstellung als Schlosser o.ä. hinweisen könnten. Ein Schlosser verdient in Mumbai 150 Rupien pro Tag. Er schiebt sein Fahrrad an den Ständen vorbei. Am Lenker baumelt ein Plastikbeutel mit ca. einem Pfund Tindli (kleine Minigurke), aus dem seine Frau das Abendbrot zubereiten wird. Er hält vor dem Obststand und lässt sich zwei Äpfel geben, reicht einen 50-Rupienschein an den Verkäufer und erhält 30 Rupien zurück. Zwanzig Rupien für zwei Äpfel, die wer-weiß-wie-lange halten und wer-weiß-wie-viele-Familienmitglieder gesund halten sollen.
Es ist vollkommen unnötig und kontraproduktiv, sich einer solchen Episode wegen in Depressionen ob der Ungerechtigkeit der Welt zu stürzen oder sich ein paar Tränen aufrichtigen Mitgefühls am wasserfesten Mascara vorbei zu quetschen. Aber man denkt in diesem Moment darüber nach, wer von den Preissteigerungen, der Dürre, den Fluten, der Verschwendungssucht und der großen, bösen Welt wirklich betroffen ist.
Natürlich nützt es diesem Mann gar nichts, wenn ein Minister sein Quartier im Luxushotel evakuiert oder Holzklasse fliegt. Die Frage ist: bedeutet es ihm was? Der Zyniker zuckt die Schultern. Aber hat dieser Zyniker zum Mittag, seiner einzigen Mahlzeit, Chillipaste musst essen, weil der Kühlschrank leer und die Geldbörse nicht viel ergibiger war?
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Ich bin immer noch fasziniert von diesem Thema. Vor allen Dingen beschäftigt mich der Punkt, dass in Indien wie so häufig alles persönlich genommen wird. Anstatt ein festes Punkteprogramm zur Einsparung öffentlicher Mittel zu entwerfen, bei dessen Durchführung es dann nichts zu meckern und nichts zu interpretieren und nichts zu moralaposteln gibt, wird das Sparprogramm zum Persönlichkeitstest. Warum ist das so? – Medienhunger der Politiker, schon klar. Doch warum hat das Wahlvolk so gut als gar nicht reagiert, als sich die Politiker das Gehalt um 20% kürzten? Hat das Volk das nicht mitgeschnitten?
Geld ausgeben wird stigmatisiert. Das ist komisch. Das Einkommensgefälle in Indien involviert unvorstellbare Gegensätze, die selbst eine Portion Fritten zum Luxusartikel katapultieren. Vergiss das Businessclassticket des werten Herrn Ministers: Wenn ein Schlosser 150 Rupien pro Tag einsteckt, kannst du nicht 139 zzgl. MwSt. für ein Menu bei KFC verpulvern. Oder doch? Ist mein Zeitschriftenabo schlecht? Muss meine Katze ab heute Ratten fangen, weil es unverantwortlich ist, ihr eine Dose Whiskas für 100 Rupien hinzustellen? Sollten sich Porschefahrer an ihrer Savile-Road-Krawatte aufhängen?
Ist Solidarität mit den Armen wirklich alles, das wir/die Regierung zu tun bereit ist? Solidarität ist ziemlich kostenlos. Ne Schale Reis hingegen nicht.