Viel wurde über Sardinenbüchsen geschrieben. Wie eng es dort drin angeblich ist und wie unbequem es infolgedessen für die vielen kleinen in Öl gebetteten Fische sein muss.
Doch nichts davon konnte uns auf Shimla vorbereiten. Shimla war während der Kolonialherrschaft der Menschen mit dem trockensten Humor der Welt Teilzeithauptstadt. Während der heißen Sommermonate verbrennt man sich anderswo in Indien das Fell, also liegt es doch nahe, sich in die luftigen Berge zurück zu ziehen. Dass ich mir dort dann dennoch eine solche unschöne Rötung der Haut zuzog, ist pure Ironie.
Inzwischen wurde Shimla eine Vollzeitposition als Hauptstadt des Bundesstaates Himachal Pradesh angeboten. Dieser Umstand in Verbindung mit dem unnachlässigen Tourismus hat diese Stadt zu dem gemacht, was sie heute ist: Ein Abbild eines beliebigen Slums an einem beliebigen Hang in einer beliebigen Stadt da, wo der Finger auf dem Globus hängen bleibt. Nur eben bunter.
Ich warte darauf, dass sich eine enorme Lawine aus Ziegelsteinen, Affen, ächzenden Autos, Mörtelstaub, frischen Eheleuten und verwunderter Menschen den Hang hinab gießt. Verwundert darüber, dass sich der Berg selbst von dieser Menge hässlichen Bauschutts nicht ärgern lässt, egal wie eng sich die Hütten ans Gestein schmiegen.
Wir erreichten das Mekka der Delhi-Touristen nach Einbruch der Dunkelheit und wichen dutzenden Schleppern aus, die sich mit Hotelpamphleten vor unser Auto warfen. Sie klopften an unsere Autoscheiben, rannten neben uns her und riefen uns allerlei Dinge hinterher, die wir des lauten Hupens wegen leider nicht verstehen konnten. Schade. Schade. Der Verkehr war dickflüssig. Die Straßen eng.
Wenn man eine Stadt an einen Hang klatscht, tut sich ein ganz normales Platzproblem auf. Dieses verhärtet sich in einer Zeit, in der jeder seinen fahrbaren Untersatz aber keinen Platz zum Parken hat. In ganz Shimla sind Parkplätze Mangelware. Einige große Häuser, die auf Stelzen an die Berghänge gepresst hoffen, dass es keine Gerölllawine geben würde, hatten neben den normalen drei bis vier Etagen zum Wohnen/Arbeiten oben drauf noch zwei oder drei Etagen zum Parken gebastelt. Die Parketagen sind nicht miteinander verbunden. Um von einem Level ins andere zu kommen, fährt man auf der Straße ein Ringel, bis man einen Stock tiefer angelangt ist. Und das ganze als Tourist! Ohne Ahnung, ohne Einsicht, aber mit stetig wachsendem Wutlevel, weil draußen die Hotelschlepper an die Scheibe klopfen und uns langsam, Klopf für Klopf für Klopf, in den Wahnsinn treiben, dem wir entkommen wollten.
Wahrlich, Shimla war ein Reinfall.
Nachdem wir unser Auto losgeworden waren, begann der Aufstieg. Wisst ihr, wie man als Kind kaum der Versuchung widerstehen kann, sämtliche Stufen zu zählen, die man betritt?
Wir kletterten wie die Affen, die wir am Morgen noch seelenruhig an diversen Bäumen in Kasauli haben herumhängen sehen, Stufe um Stufe nach oben. Die engen Gassen platzten aus allen Nähten. Überall Händler, Schlepper, Touristen, Spazierkletterer und Schlepper und Händler und Schlepper. Aus den Nahrungsgeschäften strangulierten uns unappetitliche Gerüche, während wir Blut und Wasser schwitzten, bis wir oben angekommen waren.
Oben, ganz oben in Shimla, da läuft The Mall entlang. Oben auf dem Berg über dem Dreck der engen Gassen, dem Uringestank, dem heißen Fett und der Anstrengung unzähliger Stufen prangt die schöne Fußgängerzone. Wir kraxeln aus einer Gasse, die direkt vor dem Rathaus in The Mall mündet. Es ist wunderschön. Grüne Scheinwerfer lassen den Bau mysteriös leuchten. Ausgelassene Fußgänger schlendern durch die Einkaufspassage vorbei an Domino’s Pizza, Baskin 31 Robbins und Barista. Hätt ich auch in Delhi bleiben können.
Für Sarkasmus bleibt keine Zeit. An unseren schweißnassen Hosenbeinen hingen schon die Schlepper. Am Ende einer Hetzjagd durch The Mall und die angrenzenden, sich um die Häuser schlängelnden Gassen kamen wir im Hotel Doegar an. Laut Lonely Planet gab es dort gemütliche Zimmer. Da es so spät, wir so hungrig und schlecht gelaunt sind, nehmen wir einfach eins der gemütlichen Zimmer.
Inzwischen habe ich den Lonely Planet nach ganz hinten in unserem Bücherregal verfrachtet. Und ich hege eine tiefe Abneigung gegen die ganzen Billigtouristen, die Hotels wie Doegar als „gemütlich“ bezeichnen, nur weil sie nicht von Kakerlaken angeknabbert oder von quietschenden Ratten ganz aufgefressen worden sind. Rahul und ich haben auf unseren Reisen durch Indien viele Situationen überlebt, die zunächst wie ein Fall für diese lustige Notrufsendung auf RTL aussahen. Solche Fälle allerdings im Nachhinein als gemütlich zu bezeichnen ist dann doch zu viel des positiven Denkens.
Shimla ist ein Ort für Flitterwochen. Die Hochzeitssaison ist nach wie vor im Gange, so dass es an frisch vermählten Paaren keinen Mangel gibt. Jeder Treppenabsatz, jeder Aussichtspunkt und jedes Restaurant Shimlas werden von jungen Pärchen bevölkert. Man kann sie ganz leicht an den Churdas der Frauen erkennen. Einige sind sogar so frisch gebackene Paare, dass noch ein Hauch der Mehendimotive auf ihren Armen zu erkennen sind. Und sie alle hängen in Shimla herum, wo die Luft so schön klar ist und die Hotels folglich für wenig Geld Zimmer anbieten, die aussehen wie ein billiger Puff. Blutroter und Königsblauer Samt umspannen unsere Wände. Mit Ausnahme der Farbe war nichts majestätisches zu finden. Spiegel neben dem Bett, hinter dem Bett und über dem Bett, damit man sich von jeder Seite betrachten kann. Kurz gesagt: gemütlich. :yes:
Wir lenkten uns mit der Oscarverleihung von der Tatsache ab, dass man diese Zimmer gut und gerne stündlich vermieten könnte. Aber für die frischen Eheleute reicht sowas. Liebe macht bekanntlich blind. Samtwände vorrübergehend auch.
Auch bei Tageslicht kann uns Shimla nicht bieten, wonach wir suchen. Wir wandern die Fußgängerzone auf und ab, die mich irgendwie an die Innenstadt von Mainz erinnert. An jeder Ecke turtelt es. Mit einer guten Portion Boshaftigkeit beobachten wir ein Pärchen, dass sich gestritten hatte und nicht mehr miteinander spricht. Was sind wir doch für Luder. Doch so richtige Stimmung will trotz aller Schadenfreude nicht aufkommen. Komisch.
So kommt es, dass wir sofort nach dem Frühstück den Abstieg ins schmutzige Gewühl der Cart Road wagen, um dieser Flitterhölle zu entkommen. Unser Ausriss ist wahrlich keine Heldentat, doch wie so mancher Akt des Hosenscheißens würde auch dieser reichlich belohnt werden… Harre dem, was da kommet.