Wir schreiben Sonntag Morgen. Und es ist kein gewöhnlicher Sonntag Morgen, sondern einer, an dem wir zu unwirtlichen Zeiten aufstehen, uns ins Auto setzen und losfahren. Unseren „Plan“ haben wir ganz grob skizziert: Erholen. Fotos machen. Fahren.
Unsere anvisierten Ziele lauten Mahuli, Igatpuri und Bhandadara – jeweils kleine Nester nordöstlich von Mumbai.
In kürzester Zeit haben wir das graue Einerlei Mumbais und Thanes hinter uns gelassen und gondeln den National Highway 3 entlang Richtung Nasik. Mahuli erreichen wir recht flott, doch da die Sonne zu diesem Zeitpunkt die Wolken, welche um Mahuli hängen, noch nicht weggesaugt hat, fahren wir einfach weiter Richtung Igatpuri und heben uns die beeindruckenden Felsformationen dieses kleinen Nests für später auf.
(Später fällt Mahuli aus, weil auch am Abend Wolken das Spektakel verhängen. Vielleicht brechen wir an einem anderen Wochenende erneut auf. Vielleicht aber auch nicht.)
Igatpuri. Hier haben wir nur eine Mission: Finde das Foto aus dem Reiseführer. Es handelt sich um eine Eisenbahnbrücke, umschlungen von Nebel und Nässe und Monsun. Und tatsächlich: wir stolpern über genau jene Brücke, versteckt hinter einer Bergkuppe. Es ist sonnig statt nass, doch die umliegenden Hügel sind in beeindruckendes Grün getaucht und strotzen vor Leben. Man kann ihnen den Spaß beinahe ansehen, den sie dabei haben, eine Vielzahl zotteliger Büsche und Bäume sprießen zu lassen.
Fotos öffnen sich als Pop-up.
Das Foto. Die Brücke. 😉
Fertig. Nächstens. Unsere städtische Angewohnheit, effizient und punktgenau zu sein, treibt uns voran. Wir wollen mehr. Wir haben noch was vor. Also hopsen wir zurück ins Auto und steuern Bhandadara an. Kurz hinter Igatpuri verlassen wir den NH3 und segeln prompt auf eine sich in einem Zustand fassungsloser Reparaturnotwendigkeit befindlichen Straße. Von nun an wird geschippert statt gesegelt: von Krater zu Krater. Und die Umwelt hat sich ebenfalls geändert. Frauen tragen glänzende Blechkrüge auf dem Kopf, in welchem sie Wasser transportieren. Ziege und Kühe und Büffel werden von einer zur anderen Straßenseite geleitet. Am Straßenrand wird gewartet: auf die nächste Mitfahrgelegenheit. Das sind hier in dieser Gegend Jeeps, deren jeder Zentimeter gefüllt ist mit durcheinander gewirbelten menschlichen Körpern.
Zunächst müssen wir Ghoti durchqueren: das Gewühl dieser Kleinststadt schwappt fast in unser Auto über, weil die Straßen so eng sind. Wir teilen uns die einzige durch den Ort führende Hauptverkehrsstraße mit einem gleichzeitig stattfindenden Gemüsemarkt, einer religiösen Prozession, tausenden Fußgängern, Tieren und weiteren Fahrzeugen, die sich mit beeindruckender Präzision vorwärts fräsen. Als Belohnung für diese urbane Tortur eröffnet sich hinter den Stadttoren sofort wieder die grüne Wildnis der post-Monsun-Landschaft Maharashtras: saftig. Struppig.
Im Hintergrund erheben sich die sanften Rundungen von Hügeln. Abstrakte Felsen. Bergrücken. Davor räkeln sich unendliche Felder zartesten Grüns, durchsetzt von kleinen Reisanbauflächen. Gepunktet von Büschen und Bäumen, die an eine verspielte Modelleisenbahn erinnern.
Wartende Menschen sitzen am Straßenrand. Männer und Frauen zerren ihre Ziegen und Rinder von A nach B. Es ist ruhig. Die Luft ist angenehm warm aber nicht heiß, und über den Himmel eilen weiche, weiße Wolken.
Die Straße ist sehr eng und trägt dennoch stolz den Namen State Highway 23. Die Jeeps, die hier in Abwesenheit von Bussen als öffentliche Verkehrsmittel gelten, kennen das Terrain und machen keinen Platz für den unbedarften Touristen, der seine heiß geliebte Maschine vorsichtig an den steil abfallenden Teerrand manövriert, um den Gegenverkehr passieren zu lassen. Zudem führt diese Straße nach Shirdi: Pilgerort für Sai Baba Anhänger. Religiöse Pilger, ob nun ungeduldig auf dem Weg zur heiligen Stätte oder frisch gesegnet schon wieder zurück, sind grundsätzlich keine angenehmen Verkehrspartner, da ihre von Räucherstäbchen infiltrierten Synapsen keine Schnittstelle für Sicherheit geben. So teilen wir uns die Landschaft mit weltentrückten Fahrern, FSK-18-Flüchen und besänftigendem Grün.
Große, schwarze Steine liegen wie Schokostreusel auf der grünen Wiese. Die Berge im Hintergrund, deren oberste Zipfel in Wolkenschleier gehüllt sind, sehen aus wie Schichtkuchen: eine Schicht Pistazie. Eine Schicht Schoko. Eine Schicht Pistazie. Zwei Schichten Schoko. Und eine Wolke am Himmel sieht aus wie eine Schüssel Sahne, in der jemand umgerührt hat: sanfte, ineinander verquirlte Kreise. Man möchte meinen, ich hätte Hunger. ;D
In Bhandadara angekommen empfängt uns Arthur Lake: wir setzen uns auf die abfallenden Hügel, beobachten den glitzernden, ruhigen Wasserspiegel und beobachten Jungs beim Baden, Frauen beim Waschen und Männer beim Ziegen herden. Ein paar Hunde streunen vorbei. Zwei Kühe gucken in die Runde, bevor sie weiterziehen. Und sonst ist da einfach nur Stille.
Diese Stunde am Wasserrand wird mir am Abend und in den Folgetagen einen wütenden Sonnenbrand beibringen. Wer denkt denn bei so viel natürlicher Schönheit schon an Kosmetika? Ich nicht. Wir träumten. Und plauderten. Und guckten. Und vertrieben uns diesen herrlichen Sonntag.
Schließlich setzen wir uns in ein winziges Restaurant jenseits aller Touristenführer auf die Verandah und starren noch eine Weile besänftigt und voll-gefuttert und gut gelaunt ins Tal von Bhandadara. Vier Welpen trollen sich vorbei: drei Schwarze. Ein Brauner. Glückliche Kleinstadthunde, die Schmetterlingen hinterher jagen. Auf einem Stromkabel unter dem Dach der Verandah, auf welcher wir sitzen, unterhalten sich zwei Meisen über die Vor- und Nachteile ihrer potenziellen neuen Mietwohnung. Wir knabbern rohes Gemüse (Bazillus :>), essen Dal-Reis (in diesen Gefilden Varan Bhat genannt), Chapati und Aubergine. Rahul nickt weg, während ich den Welpen hinterher krieche.
Damm-Gucken.
Unterwegs. Irgendwo in der Nähe von Bhandadara.