Ölmafia panscht Diesel

Nach dem Tod des Kollektors Yeshwant Sonawane in Malgoan im Bundesstaat Maharashtra hat sich das Ölministerium eingeschaltet. Der Familie des Ermordeten wurden knapp 40.000€ als Entschädigung zugesprochen, nachdem Sonawane am vergangenen Mittwoch mit Kerosin übergossen und angezündet worden war. Er hatte im Dienst Panscher auf frischer Tat ertappt.

Der Vorfall hat zu landesweiten Protesten unter Regierungsarbeitern geführt, die teils Sicherheitsmängel für Mitarbeiter wie Sonawane beklagten, und teils aus Solidarität durchgeführt wurden.
Fünf Jahre zuvor wurde der damals 27jährige S. Manjunath, Mitarbeiter der Indian Oil Corporation, von der Ölpanschermafia in Lakhimpur Kheri, Uttar Pradesh, erschossen, als er einen dortigen Verwässerungsfall untersuchte. Diebstahl und Verwässerung von Diesel ist ein bekanntes und weit verbreitetes Problem in Indien. Vor Jahren wurde Kerosin eingefärbt, um Streckung zu verhindern, doch der dafür verwandte Market konnte leicht wieder entfernt werden und war gesundheitsschädlich. Bereits 2006 verkündete der damalige Minister für Öl und Gas, Muli Dora, dass ein neuartiges, importiertes Färbemittel genutzt werden sollte, um „der Streckung von Sprit ein Ende zu setzen“. Jetziger Minister für Öl und Gas, Jaipal Reddy, versprach am Donnerstag, binnen der nächsten sechs Monate solche Färbemittel sowie GPS-Systeme für den Transport von Kerosin einzuführen.

Konservativen Schätzungen des Ölministeriums zu Folge werden 40% stark subventionierten Kerosins von Gangs gestohlen. Ein Drittel davon werden zu höheren Preisen weiterverkauft, während zwei Drittel zur Streckung von Diesel genutzt werden. Dabei werden auf zehn Liter Diesel drei Liter Kerosin genutzt.
Kerosin gilt in Indien als „Pool Man’s Fuel“ (Sprit der Armen). Staatliche Ölfirmen beliefern sog. Rationsgeschäfte jährlich mit 9-10 Millionen Tonnen Kerosin, dessen subventionierter Preis bei 12,37Rupien pro Liter liegt, während es im Freien Markt für Rs.31/Liter verkauft werden kann. Der Liter Diesel kostet in Mumbai Rs.40/Liter.

Tragödien (Commonwealth Games)

Die Commonewealth Games fallen ins Wasser!
Es ist Showtime für Pessimisten. Übertreibung unmöglich. Die Realität ist unschlagbar. Seit Tagen werden wir bombardiert mit täglich neuen Eskapaden der am 3. Oktober 2010 anstehenden Commonwealth Games in Delhi. In einem früheren Bericht ging es um die Vorbereitungsarbeiten, die dafür laufen. Es sieht ganz danach aus, als wäre der Optimismus die Gutgläubigkeit mit mir durchgegangen. Damals behauptete ich noch, Delhi würde das schon schaffen. Heute weiß ich: Nee du, das wird nix mehr. Denn drei Monate später sieht Delhi noch genau so aus wie auf den damals von mir geknipsten Fotos, und man muss davon ausgehen, dass sich daran in den 48 noch verbleibenden Tagen bis zum Beginn der Spiele nichts ändern wird.

Was ging schief?
Selten passt in Indien alles in ein Wort, aber bei dieser Frage gehts ganz kompakt: alles!
Sportstadien sind nur halbfertig. Bereits beendete Stadien fallen wieder auseinander. Durch die Decke regnet es durch. In einer Schwimmhalle fiel gar ein Stück Putz runter. Parkettfußböden sind aufgeweicht. Die gesamte Vorbereitung für die Spiele ist ein Desaster.

Auch Projekte, die zur Verschönerung der Stadt galten (wie die Vereinheitlichung des Stadtzentrums Connaught Place) lahmen traurig hinterher. Der Stichtag zur Beseitigung herumliegenden Schotters wurde bereits mehrmals nach hinten verschoben. Er verstrich jüngst letzte Woche und wurde nun auf den 20. August gelegt, aber das muss man sich nicht merken, denn am Ende wird es eh wieder nix.

Neben der Tatsache, dass alles irgendwie überhaupt nicht fertig ist, blubbern jeden Tag neue wilde Korruptionsgeschichten an die schottrige Oberfläche. Gelder wurden veruntreut und fanden sich plötzlich auf britischen Bankkonten wieder. Bauaufträge gingen an Bogusfirmen. Ah, und der Einkauf. Am schönsten sind die Geschichten von den inflationären Preisen, zu denen diverse Gegenstände für die Commonwealth Games gekauft worden sind. Klopapier zum Beispiel. Für knapp 80€ pro Rolle. Seifenspender. Für reichlich 70€. Da hat jemand ordentlich verdient.

Zudem wurden Laufbänder gemietet, damit die Sportler sich nicht auf den nicht-existenten Gehwegen die Beine brechen, wenn sie trainieren. Wie läuft das hier so?
1. Das Organisationskomitee beschließt: Laufbänder müssen her.
2. Der Auftrag dafür geht an Tunichtgut.
3. Tunichtgut tritt an Raffzahn heran, der die Laufbänder von diversen Fitnessstudios anmietet.
4. Dem Steuerzahler werden dafür 2.900.000 Rupien in Rechnung gestellt. Das sind nach heutigem Kurs 48.378 Euro und 88 Cent.
Pro Laufband.

Ich kenn mich mit Laufbändern nicht so aus. Aber ich stelle dennoch die tollkühne Behauptung in den Raum, dass man für 48.378,88 Euro diverse Laufbänder käuflich erstehen kann.

Selbstverständlich hat niemand erwartet, dass die CWG so ganz ohne Korruption ablaufen. Das ist hier schließlich Indien, und man hat sich den 84. Platz auf dem Transparency International Index schwer erkämpft. Aber vielleicht hat man sich gedacht, es würde so laufen wie immer. Etwas Schmiere hier. Etwas Bakshish da. Eine Rupie in die CWG Kasse und drei in meine Hosentasche. – – Und nun stehen wir dem bizarren Ausmaß der Korruption gegenüber, die so überwältigend ist, dass sogar Indien erschrocken ist. Mal ehrlich. 80€ für Kackpapier?
Hinzu kommt noch, dass Korruption zwar üblicherweise jede Menge Kohle auffrisst, dass man am Ende aber trotzdem etwas vorzuzeigen hat. Hier, neue Überführung. Hat nicht x Rupien gekostet sondern 20x, und hat nicht ein Jahr gedauert sondern fünf, aber … hier ist die neue Überführung. Viel Spaß damit.
Dieses Mal jedoch ist dem nicht so. Noch 48 Tage ticken vorbei, dann ist Schluss mit „Come back tomorrow, Madam!
Dann hat es sich aus ge-„Chalta-Hai“t. (Chalta Hai ist die destruktive Form des „Laissez Faire“.)
Dann kommen die Kamerafritzen mit ihren Megaobjektiven und sehen die Risse in den Wänden. Den Schotter auf der Straße.

…und während das alles passiert, küssen sich im Hafen Mumbais zwei Frachtschiffe. Is ja auch kein Platz auf dem Wasser. Etliche Container plumpsen ins Wasser. Einige davon enthalten Kekse und Kaffee und werden wieder an Land gespült. Der Inhalt gehört jetzt den Findern. Andere Container sind noch verschollen. Sie enthielten Pestizide und andere lustige Chemikalien, die bei Kontakt mit Leben dieses welches auslöschen oder ungünstig beeinflussen.

Außerdem ist die Bucht voll Öl. Die Mangroven voll Öl. Die Fische voll Öl. Die Zugvögel voll Öl.

Aber seien wir mal nicht ganz so schwarzseherisch… Ich glaube an das Gute in Allem, vor allen Dingen aber in einer Klopapierrolle für 80 Euro. Deren Saugfähigkeit muss der Ölschicht einfach gewachsen sein! Hurra. Hurra. Problem gelöst.

Als nächstes: Cricket.

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Mehr zum Thema Commonwealthspiele.

Aufhängen!

Ein Seufzen der Erleichterung. Ein hämisches Lachen. Ein Schrei der Befreiung. All das begleitete die Urteilssprechung in Mumbais Unendlicher Geschichte: dem Verfahren gegen (u.a.) Kasab, den einzigen lebend verhafteten Terroristen vom 26. November 2008. Kaum überraschend: Todesstrafe. Dem Mann also, den ganz Mumbai, ganz Indien, die ganze Welt live bei der Auslöschung diverser Leben beobachten konnte, wird es nun recht bald selbst an den Kragen bzw. das darunter befindlichen Körperteil gehen. Tod durch Erhängen.

Das Verfahren zog sich beachtlich in die Länge. Lang genug, um vergessen zu lassen, dass viele Beobachter bereits vor der Verhandlung nach dem Galgen riefen. Diese Schreie werden nun wieder lauter: Menschen laufen mit „Hang Him!“-Schildern durch die Straßen. Im Internet ist die Hölle los. Nachrichtensender darf man schon gar nicht mehr einschalten und die Zeitungsfritzen leiden auch bereits an Ermüdung: „Kasab gets what he gave: Death“ Spritziger gings nicht.

Dann ertappe ich einen Menschen, den ich durchaus für gescheit halte, dabei, wie er sich mokiert, ein Galgen wäre ja viel zu einfach und schmerzlos. Ein bisschen Folter sei doch angebracht. Hmmmm. |-|

Kasab verkörpert den Terrorismus. Der Feind ist sein Gesicht. Ihn auszumerzen bringt ein bisschen Balsam für die ängstliche Seele, die die Bilder des 26. Novembers 2008 nicht vergessen kann. Nicht weil sie so unvergesslich sind, sondern weil wir sie uns seitdem fast täglich angucken mussten. Heute erinnern uns die Medien zum krönenden Abschluss noch einmal an all das, das uns zwischen Inflation, Arbeitsplatzverlust und Krankheit eventuell doch entfallen ist. Baby Moshe. Das Taj. Das Oberoi. All die Namen. All die Gesichter. Und zwischendrin immer Kasab mit der Waffe in der Hand.

Indien verdient es, dass dieser Prozess gebührlich zu Ende gegangen ist. Dass man Kasab (durch enorm hohen finanziellen Aufwand) bisher sicher halten konnte, um ihn nun rechtschaffend zu beseitigen. Indien verdient diesen anständigen Verlauf der Tatsachen. Gut, dass alles glatt gegangen ist. Und in Hinblick auf Kandahar 1999 ist wohl auch das Streben nach der Todesstrafe verständlich.

Aber Indien verdient auch etwas mehr Perspektive und kaltblütige Analytik. Ich habe den Fall mit nur mildem Interesse verfolgt, und auch die Urteilssprechung bewegt mich kaum. Terror durch Kasab und dergleichen ist m.E. nicht Indiens größte Bedrohung. Es ist keine akute Bedrohung. Und keine, die derart viel Aufmerksamkeit verdient.

Doch die Gemüter sind erhitzt. Rache. Vergeltung. Frieden. Seligkeit. Ah… Der Metalldetektor piept. Die Handtasche wird durchleuchtet. Der Körper abgetastet. Der Local Train fährt einem Bekannten die Zehen ab. Leptospirose tötet einen Arbeitskollegen. Der Wasserhahn röchelt. Der Strom fällt aus. Das Essen ist giftig. Eine Familie wird anzündet. Eine Frau vergewaltigt. Ein Tiger gehäutet.

Es ist gut, ein Außenseiter zu sein. Alles ist so klar. So deutlich.

Der Krimicomicstrip

Zeit für ein Geständnis: ich bin ein großer Fan des Kimicomics. Was könnte schöner sein, als wenn bereits zwischen Vanillecappuccino und French Toast am Frühstückstisch das Blut in alle Richtungen spritzt? Blitzende Messerschneiden, fatale Bremsspuren auf mitternächtlichem Asphalt, grausame Augenblicke und Blutlachen – das alles setzen die Meisterzeichner der Times of India fachmännisch in bunte, ansprechende Bilder um, die meinen Kaffee begleiten und mich für den Tag in Stimmung bringen. Auf diese Art lassen sich besonders komplexe Tathergänge oder interessante Unfälle artistisch in Szene setzen.

Als nun Noori Haveliwala Samstag Nacht Papas Auto in diverse Hindernisse rammte, darunter sechs wild in der Landschaft herumgurkende Menschen, huschten die Mitarbeiter der Times of India sowie des Mumbai Mirrors (zwei Publikationen von Bennett, Coleman & Co.) morgens gleich an den Schreibtisch, um sich zu beraten, wie man dieses interessante Ereignis möglichst treffend umsetzen könnte.
Das kam dabei heraus:

Krimicomic
In der TOI

Dass man in den Büros beider Käseblätter unterschiedliche Auffassung hinsichtlich des genauen Ablaufes hatte, muss der Künstlerfreiheit angetragen werden. :yes:

So ein Autounfall in Bildern ist natürlich viel netter als der lahme Report, eine betrunkene 27jährige hätte ihren Wagen zerschrotet, dabei vier Menschen schwer verletzt und zwei getötet. Laaangweilig. :yawn:

Vielleicht aber habe ich das auch einfach falsch verstanden. Vielleicht reagieren die Medien lediglich auf die nachweislich verkürzte Konzentrationsspanne einer hippeligen Generation, die Nachrichten nicht mehr im Textformat konsumieren kann? Vielleicht halten die Medien ihr Zielpublikum auch einfach nur für zu blöd zum Lesen? Vielleicht aber genießen die Leser diese Inszenierung roher Gewalt auch ganz einfach? Brrrr…

Am schönsten sind natürlich die Comics, welche auftauchen, nachdem eine besonders kniffelige Vergewaltigung plus Mord stattgefunden hat, wenn vermummte, dunkle Gestalten unschuldigen Opfern nachstellen – weit aufgerissenen Augen, schreiende Münder und blutige Messer inklusive. Vielleicht kann man ja mal irgendwann einen Bildband damit herausbringen? :??:

Morgen: Blümchenblog. Versprochen. ;D

Milch. Das weiße Gift.

Es ist bereits eine Weile her, dass ich über Die Milchmaschine in Delhi schrieb, und dass eine eifrige Diskussion über Sauberkeit und Verträglichkeit der Milch in Indien entbrannte. Immer neue Hiobsbotschaften trudeln ein über die Qualität der Milch, die es in Indien zu trinken gibt, und das Übel beginnt nicht unbedingt bei der Kuh oder dem Futter.

Die Times of India berichtete unlängst, dass ca. 25% der Milch in Maharashtra verunreinigt sind. Das heißt, dass 1,5 der 6 Millionen Liter Milch, welche in diesem westindischen Bundesstaat täglich produziert werden, nicht wirklich lecker sind. U-(
Seit Januar 2008 landen Panscher ohne Wenn und Aber hinter Gittern, doch das Geschäft brummt. Es ist nämlich verdammt lukrativ. Und einfach.

Die Milch wird auf allen Ebenen gepanscht: vom Zulieferer der Molkereien, der sie schon mal streckt. In den Molkereien. Und natürlich beim Ausliefern.

Kürzlich wurde ein Fall publik, in dem ein junger Inder im wunderschönen Distrikt Satara in Maharashtra Milch selbst „herstellte“. Er hatte bis zur zwölften Klasse auf der Schulbank geschwitzt, interessierte sich für Chemie und träumte davon, eines Tages Biodiesel mitentwickeln zu können. Als sich dies als ziemlich kompliziert erwies, erfand er ein anderes Geschäftsmodell. Mit Hilfe von 35ml einer Chemikalie sowie einem Liter Wasser stellte er einen Liter Milch her. Auf eine Investition von 2,5 Rupien pro Liter verdiente er auf diese Weise 25 Rupien. Als diese Story im Nachrichtenfernsehen lief, wurde der Name der Chemikalie nicht erwähnt, um anderen angehenden Geschäftsmännern keine Flausen in den Kopf zu setzen.

Doch Milch panschen kann auch, wer in Chemie nicht aufgepasst hat. Das wissen vor allen Dingen die „Milchverteiler“. Bevor TetraPak nach Indien kam, wurde Milch ausschließlich in einfache Plastiktüten verpackt. Auch heute vertrauen prozentual mehr Haushalte auf diese Verpackung als auf die vergleichsweise viel teurere TetraPak-Milch. Die Milchtüten (für einen halben, ganzen oder anderthalben Liter erhältlich) kann man im Laden kaufen oder sich jeden Morgen zustellen lassen. Das heißt, jeden Tag sind die „Milchverteiler“ damit beschäftigt, abertausende kleiner Milchtüten vor abertausende Haustüren zu legen oder in die Plastikbeutel oder Körbe an der Türklinke zu stecken. Auf dem Weg von der Molkerei zur Haustür des Endkonsumenten sind die Milchtüten damit voll und ganz den Milchverteilern ausgeliefert.

Was braucht man, um schnell Kohle zu machen?
1 Spritze
1 weiße Kerze/Leim
Wasser

Man piekse ein Loch in den Milchbeutel, entferne etwas Milch und fülle das Paket mit Wasser wieder auf. Das Loch wird mit Wachs oder Leim versiegelt.

Man muss davon ausgehen, dass Milchpanscher wenig Interesse an der Gesundheit ihrer Mitmenschen haben, weswegen nicht feststeht, dass es sich bei dem aufgefüllten Wasser um sauberes Filterwasser handelt. Könnte auch die Plörre aus den Sturmwassergräben sein, welche ein bisschen wie offene Kanalisation aussehen und riechen.

Bemerkt wird ein solcher Skandal natürlich erst, wenn ein Großteil der Endkonsumenten in einem Stadtteil krank werden und diesen Umstand auch mit der Milch in Verbindung bringen können. Das geschieht häufiger mal in Mumbai, wo zum Beispiel große Wohngemeinschaften feststellen, dass ihre Kinder irgendwie komischerweise alle zur selben Zeit dieselbe Art von Verdauungsproblemchen eingefangen haben. 8|

Weil diese Masche so einfach und so weit verbreitet ist, würde ich niemals zu Plastiktütenmilch greifen. :no: Mein guter Freund S., der bei TetraPak arbeitet, hat mir versichert, dass man so etwas mit einem TetraPak nicht machen kann, und da ich täglich respektable Mengen Milch konsumiere, kralle ich mich fest an den Glauben, dass er es wohl wissen muss. ;D

Fotolink: So sehen die Milchtüten aus.
Fotolink: Milch mixen macht Spaß.
Weiterführender Link: „Yummy is yuck: Diwali sweets contain detergent“
Sicher lassen sich aktuellere Stories zum Thema finden, aber wenn ich das jetzt google, wird mir schlecht und ich kann wieder tagelang nur mit Mühe was essen.

Scarlette Keeling – Das große Goa-Mysterium

Seit Tagen nun rauscht ein neuer Sturm durchs Land: Der Tod der 15jährigen Scarlette Keeling am Anjuna Beach in Goa, die dort vermutlich vergewaltigt und ermordet wurde.
Der Fall hat die Schleußen geöffnet für eine Flut von Meinungen, Kommentaren, Ratschlägen, geschwungene Zeigefinger et al.

Nachrichtensender wie der zunehmend reißerische englischsprachige Sender CNN IBN führen ihre eigenen „Untersuchungen“ durch und strahlen dann Sondersendungen wie diese hier im gestrigen Abendprogramm aus.
„Sind ausländische Touristen Opfer einer Image-Falle“ (Englisch)
Videolink (Englisch) Einschließlich einer deutschen Touristin als Spezialgast.

Auch Indienforen im Internet schenken dem Fall große Aufmerksamkeit. (z.B. Indiamike, Englisch)

Scarlette Keeling befand sich mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern auf einer sechsmonatigen Reise durch Indien
und hielt sich allein in Goa auf, nachdem die Mutter und Geschwister nach Karnataka weitergereist waren. Die Mutter hatte Scarlette in der Obhut eines Mannes sowie zweier älterer Damen gelassen, von denen sie ausging, sie seien vertrauenswürdig. Als Scarlette gefunden worden war, berichtete die Polizei, sie sei auf Grund von Trunkenheit oder unter Einfluss von Drogen ertrunken. Inzwischen vermuten die Medien eine Vertuschungsaktion durch die Goa Polizei.

The Scarlette Riddle (CNN IBN Video, Englisch)
„Scarlette Keeling – Das große Goa-Mysterium“ weiterlesen

Hitlers Vermächtnis in Maharashtra

Vergangene Woche berichtete ich bereits über die Unruhen in Mumbai im Nachrichtenblog, doch das Thema lässt weder mich noch Mumbai los: Parteichef der rechts-außen stehenden, jungen Partei MNS (Maharashtra Navnirman Sena), Raj Thackeray, hat sich als garstiger Verschnitt seines Onkels Bal Thackeray profiliert. Bal Thackeray leitet die ebenfalls rechts-außen stehende Partei Shiv Sena, die häufig für ihre Gangsterpolitik in den Nachrichten auftaucht. Sowohl die Shiv Sena als auch die MNS verschreiben sich den Marathen, den „ursprünglichen“ Bewohnern des westindischen Bundesstaates Maharashtra, und beide tun dies nicht indem sie den Marathen helfen, sondern in dem sie imaginäre Feindbilder erschaffen und diese dann in die Tonne treten. Wörtlich.

Kurz nachdem die Shiv Sena 1966 von Bal Thackeray aus der Taufe gehoben worden war, griff man südindische Zuwanderer in Mumbai an. Sie machten gerade mal einen einstelligen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung Mumbais, damals noch Bombay, aus und waren darum wie geschaffen für die Rolle als Prügelknabe.

Heute haben Nordinder diese Rolle übernommen. Mit „Nordindern“ sind Migranten aus den nördlichen Staaten Bihar und Uttar Pradesh gemeint, deren vermeintliche Sitten- und Zügellosigkeit als destruktiver Einfluss auf Mumbai und die fragile Kultur der Marathen gewertet wird. Was liegt also näher, als diese Störenfriede loswerden zu wollen?

Raj Thackeray hat darum am vor-vergangenen Sonntag einige Tiraden losgelassen, die – um seine noch unbedeutende Partei zu etablieren – weiterhin das Feindbild des nordindischen Migranten schüren sollten. (Den genauen Hintergrund dazu habe ich bereits im Nachrichtenblog beschrieben.)

Seitdem hat es in kurzen Abständen überall in Mumbai und den Vororten Randale gegeben. Ständig kommen neue Hiobsbotschaften von verschiedenen Parteien (einschließlich der Shiv Sena, der Samajwadi Party und neuerdings der BJP) hinzu. Und freilich halten die Medien dieses Thema am köcheln. Populäre Magazine haben das Thema auf ihre Titelseite verfrachtet, so beispielsweise The Week und Tehelka, wobei The Week sich erlaubte, Raj Thackeray als Hitler darzustellen („Mumbai’s Hitler„), was sofort dazu führte, dass MNS-Parteimitglieder die Büros des Magazins aufsuchten, um den Journalisten zu drohen.

Heute geistert die Nachricht durch den Äther, dass Raj Thackeray für seine aufwiegelnden Kommentare festgenommen werden soll, denn immerhin hat er die Meute aktiv dazu aufgerufen, Nordindern zu schaden. Rufe nach der Verhaftung Thackerays wurden schon seit einigen Tagen laut, doch bisher war man sich sicher, dass es letztendlich nicht dazu kommen würde. Auch heute kratzen sich die Polizisten am Kopf, ob man die Verhaftung durchführen kann, denn es mangelt an Sicherheitspersonal. Selbstverständlich wird es bei einer tatsächlichen Verhaftung zu weiteren Unruhen kommen. Bereits jetzt kursieren Gerüchte über Thackerays Aufenthaltsort herum, woraufhin es in verschiedenen Städten zu anhaltenden Unruhen gekommen ist, unter anderem in Pune, Nashik und anderen kleineren Städten. In Orten wie Nashik brechen nordindische Tagelöhner ihre Zelte ab und gehen zurück in ihre Heimatdörfer, nachdem sie der anhaltenden Gewalt in Nashik nicht mehr standhalten wollen. (Videolink: Exodus)

Was soll das? „Hitlers Vermächtnis in Maharashtra“ weiterlesen

Frau in Indien

Das neue Jahr ist noch nicht mal einen Monat alt, doch schon jetzt zeigt man ein überdurchschnittlich großes Interesse am Thema „Frauen & Sicherheit“. Vermutlich ausgelöst durch diverse Grabschattacken und eine Reihe Vergewaltigungen in Navi Mumbai, Goa und Rajasthan in den letzten Wochen, haben sich die indischen Medien dieses Thema sehr ausführlich zur Brust genommen. In dieselbe Kerbe schlug die Veröffentlichung neuer Statistiken durch das Innenministerium: das National Crime Records Bureau (NCRB) schreckte die Nation mit beängstigenden Zahlen hoch. Demnach werden pro Stunde 18 Frauen in Indien Opfer von Verbrechen.

„Verbrechen“ schließt ein (in Klammern die Fälle für 2006 und der Unterschied zum Vorjahr):
Vergewaltigung – (19.348, +5,4%)
Entführung – (17.414, +10,6%)
Mitgiftmord – (7.618, +12,2%)
Folter – (63.128, +8,2%)
Belästigung – (36.617, +7,1%)
Sexuelle Belästigung – (9.966, -0,2%)
Kinderhandel – (67, -55%)
Sati (-)
Fälle unter dem Immoral Traffic (P) Act, 1956 – (4.541, -23,1%)
Fälle unter dem Dowry Prohibition Act, 1961 – (4.504, +40,6%)
Fälle unter dem Indecent Representation of Women (P) Act, 1986 – (1.562, -46,5%)

Gesamt: 164.765

(Quelle: http://ncrb.nic.in/cii2006/cii-2006/CHAP5.pdf)

Eins der größten Probleme in Indien ist dabei die Zuverlässigkeit von offiziellen Daten wie diesen. Man darf davon ausgehen, dass ein beträchtlicher Teil der tatsächlich stattfindenden Straftaten ungeahnded und ungemeldet bleibt.

Der Nachrichtensender CNN IBN und die Tageszeitung Indian Express taten sich ebenfalls zusammen, um eine eigene Studie auf den Markt zu bringen: Wie sicher fühlen sich Frauen in Indien? (44% fühlen sich unsicher, 53% in Metropolen, 37% in Kleinstädten, 46% in Dörfern)
Weitere Daten dieser Studie gibt es hier.

Einmal in Gang gesetzt, rollte das Thema Frau weiter durch die indischen Medien. Überhaupt scheint es in letzter Zeit sehr viel über indische Frauen zu sagen zu geben.
CNN IBN hat das Programm „State of the Nation“ kürzlich ganz den Damen gewidmet und u.a. die Frage gestellt, wer die moderne indische Frau von heute überhaupt ist.

Oder ob sie sich sicher fühlt. Etc pp.

An den Reaktionen der Leser (als Kommentare auf der Webseite) lassen sich einige Gedanken nachvollziehen. CNN IBN ist in gewissem Sinne eine Art selbsternannter Aufklärungstintenfisch, der seine Tentakel in die Wohnzimmer Indiens zu stecken versucht zwecks Modernisierung. Nicht alle Zuschauer klatschen dabei zuversichtlich in die Hände.

Es ist kaum zu übersehen, wie gewisse Teile der Medien das Thema Frau und alles, was damit zusammenhängt, dieser Tage expandieren bis zum geht-nicht-mehr. Man darf sich aus dieser Überdosis im Brainstorming der Editoren künstlich gezeugter Emanzipation wenigstens erhoffen, dass Indien ein wenig Introspektion betreibt.

Gleichzeitig purzeln Nachrichten aus den Zeitungen, dass sich in den ländlichen Gegenden Indiens immer mehr sog. Nari Adalats bilden. Gerichte von und für Frauen. Das sind keine konstitutionellen Einrichtungen, sondern eine Art para-legale Authoritäten, schreibt die Hindustan Times. 1995 wurde das erste dieser Gerichte in Baroda im Bundesstaat Gujarat ins Leben gerufen. Heute gibt es davon 60 in 9 Staaten. Angaben dazu, wie viele Fälle diese Nari Adalats bisher gelöst haben, variieren je nach Quelle. InfoChangeIndia spricht von 1.200 Fällen zwischen 1995 und März 2001 in Baroda allein.
Diese Gerichte sind im Grunde genommen informell, da sie keine studierten Richter und Anwälte einstellen, aber sie fungieren nach demselben Schema und schaffen Balance im partriarchischen Hinterland, in dem u.a. Gram Panchayats für die Rechtssprechung auf dem Dorflevel verantwortlich sind. In den Nari Adalats werden Fälle von Schlichtern (immer Frauen) gelöst, indem zwischen den Parteien vermittelt wird. Dabei werden auch Morde und Vergewaltigungen behandelt.
Deepa Dhanraj hat einen gleichnamigen Dokumentarfilm über Nari Adalats gedreht, der u.a. auch auf dem Kasseler DokFest 2007 gezeigt wurde.

Weitere (sehr gut ausgewählte und weniger aufgeplusterte) Nachrichten zum Thema „Frauen in Indien“ findet man in regelmäßigen Abständen auf dieser Seite:

Flächendeckende Gewaltzunahme in Indien

Während eine Untersuchung der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) an der Universität Hamburg ergeben hat, dass die Zahl der Kriege und bewaffneten Konflikte auf dem niedrigsten Niveau seit 1993 liegt, zeichnet sich in Indien ein ganz anderes Szenario ab. Hier nämlich nimmt die Zahl der Attentate stetig zu. Im vergangenen Jahr hat es in Indien 269 Bombenanschläge gegeben. Dabei sind rund 7.000 Menschen ums Leben gekommen. Am stärksten betroffen ist der nordindische Bundesstaat Jammu & Kashmir, in dem 78 Anschläge stattgefunden haben.

Noch ist 2007 nicht um, doch die Zahlen für dieses Jahr verheisen bereits nichts Gutes: 2007 hat es im Bundesstaat Assam 60 Explosionen gegeben (2006: 41). Die Anschläge im ostindischen Bundesstaat Chhattisgarh sind um 10 auf 61 gestiegen. Der jüngste Gefängnisausbruch von 299 Naxaliten aus dem Gefängnis in Dantewada (Chhattisgarh) bereitet Prime Minister Manmohan Singh Kopfschmerzen: Chhattisgarh ist ohnehin Spielwiese für Naxaliten.

Selten hört man dabei in den Medien von diesen Anschlägen. Das Ziel muss schon ausgefallen und/oder berühmt, die Zahl der Opfer hoch sein, damit jemand darüber berichtet.

Artikellink beim Indian Express

„Naxal Menace worries PM, pledges action“

Naxaliten (bei Wikipedia, Deutsch)

Kriminelle Kinder

HT veröffentlicht am 10. Dezember einen Artikel zum Thema kriminelle Jugendliche. („Young, restlesss and violent by Urvi Mahajani)
Hauptsächlich lässt HT Zahlen sprechen: Es wird ein sprunghafter Anstieg von kriminellen Vergehen unter Minderjährigen verzeichnet: von 8.888 Fällen 1996 auf 18.939 Fälle im Jahre 2005. Der Anteil jugendlicher Straftaten an der absoluten Zahl geahndeter Verbrechen ist von 0,5% (1996) auf 1% (2005) gestiegen. Die Gesamtzahl der zur Anzeige gebrachten Straftaten lag 1996 bei 1.764.629, 2005 bei 1.822.602. Diese Zahlen entstammen dem National Crime Records Bureau.

Der Artikel ist denkbar oberflächlich. Beispielsweise gibt es nicht einmal ansatzweise einen Abstecher in die Gefilde der Ursachenforschung, mal ganz zu schweigen davon, dass die o.g. Statistiken mannigfaltiger Deutung obliegen können. Ist die Zahl der Verbrechen unter Minderjährigen gestiegen oder wurden lediglich mehr Fälle zur Anzeige gebracht? Ist die Toleranz von kriminellen Jugendlichen in der Gesellschaft gefallen, oder ist die Gesellschaft generell aufgeklärter und aktiver, was die Verfolgung von Straftaten anbelangt? Da Anzeigen in Indien nicht notwendigerweise aufgenommen werden (korrupte Polizeibeamte weigern sich öfters), könnte man genau so gut davon ausgehen, dass die Polizei lediglich effizienter arbeitet?
Gleichzeitig muss man im Hinterkopf bewahren, dass die indische Gesellschaft immer jünger wird. Gibt es heute mehr kriminelle Kinder, oder ist die Zunahme der absoluten Zahl der Verbrechen unter Minderjährigen lediglich auf den prozentualen Anstieg der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung zurückzuführen? Sprich: werden indische Kinder brutaler, oder gibt es schlichtweg mehr Kinder?

Antworten auf diese Fragen stehen zumindest nicht in der Hindustan Times.

Wie auch immer man diese Zahlen nun zu interpretieren wünscht, so sticht doch heute Morgen eine weitere Nachricht ins Auge: Schulschießerei in Gurgaon an der Euro International School. Ein 13jähriger und ein 14jähriger haben ihren Klassenkameraden mit insgesamt fünf Schüssen in Kopf und Brustkorb hingerichtet. Mit einer offen im Fernsehkabinett herumliegenden Pistole. Grund: Sie wurden vom Opfer gehänselt.

Einen Tag später sticht ein Junge seinem Klassenkamerade mit einem Bleistift ins Auge . Grund: Er verdächtigte, gehänselt zu werden.