Das neue Jahr ist noch nicht mal einen Monat alt, doch schon jetzt zeigt man ein überdurchschnittlich großes Interesse am Thema „Frauen & Sicherheit“. Vermutlich ausgelöst durch diverse Grabschattacken und eine Reihe Vergewaltigungen in Navi Mumbai, Goa und Rajasthan in den letzten Wochen, haben sich die indischen Medien dieses Thema sehr ausführlich zur Brust genommen. In dieselbe Kerbe schlug die Veröffentlichung neuer Statistiken durch das Innenministerium: das National Crime Records Bureau (NCRB) schreckte die Nation mit beängstigenden Zahlen hoch. Demnach werden pro Stunde 18 Frauen in Indien Opfer von Verbrechen.
„Verbrechen“ schließt ein (in Klammern die Fälle für 2006 und der Unterschied zum Vorjahr):
Vergewaltigung – (19.348, +5,4%)
Entführung – (17.414, +10,6%)
Mitgiftmord – (7.618, +12,2%)
Folter – (63.128, +8,2%)
Belästigung – (36.617, +7,1%)
Sexuelle Belästigung – (9.966, -0,2%)
Kinderhandel – (67, -55%)
Sati (-)
Fälle unter dem Immoral Traffic (P) Act, 1956 – (4.541, -23,1%)
Fälle unter dem Dowry Prohibition Act, 1961 – (4.504, +40,6%)
Fälle unter dem Indecent Representation of Women (P) Act, 1986 – (1.562, -46,5%)
Gesamt: 164.765
(Quelle: http://ncrb.nic.in/cii2006/cii-2006/CHAP5.pdf)
Eins der größten Probleme in Indien ist dabei die Zuverlässigkeit von offiziellen Daten wie diesen. Man darf davon ausgehen, dass ein beträchtlicher Teil der tatsächlich stattfindenden Straftaten ungeahnded und ungemeldet bleibt.
Der Nachrichtensender CNN IBN und die Tageszeitung Indian Express taten sich ebenfalls zusammen, um eine eigene Studie auf den Markt zu bringen: Wie sicher fühlen sich Frauen in Indien? (44% fühlen sich unsicher, 53% in Metropolen, 37% in Kleinstädten, 46% in Dörfern)
Weitere Daten dieser Studie gibt es hier.
Einmal in Gang gesetzt, rollte das Thema Frau weiter durch die indischen Medien. Überhaupt scheint es in letzter Zeit sehr viel über indische Frauen zu sagen zu geben.
CNN IBN hat das Programm „State of the Nation“ kürzlich ganz den Damen gewidmet und u.a. die Frage gestellt, wer die moderne indische Frau von heute überhaupt ist.
Oder ob sie sich sicher fühlt. Etc pp.
An den Reaktionen der Leser (als Kommentare auf der Webseite) lassen sich einige Gedanken nachvollziehen. CNN IBN ist in gewissem Sinne eine Art selbsternannter Aufklärungstintenfisch, der seine Tentakel in die Wohnzimmer Indiens zu stecken versucht zwecks Modernisierung. Nicht alle Zuschauer klatschen dabei zuversichtlich in die Hände.
Es ist kaum zu übersehen, wie gewisse Teile der Medien das Thema Frau und alles, was damit zusammenhängt, dieser Tage expandieren bis zum geht-nicht-mehr. Man darf sich aus dieser Überdosis im Brainstorming der Editoren künstlich gezeugter Emanzipation wenigstens erhoffen, dass Indien ein wenig Introspektion betreibt.
Gleichzeitig purzeln Nachrichten aus den Zeitungen, dass sich in den ländlichen Gegenden Indiens immer mehr sog. Nari Adalats bilden. Gerichte von und für Frauen. Das sind keine konstitutionellen Einrichtungen, sondern eine Art para-legale Authoritäten, schreibt die Hindustan Times. 1995 wurde das erste dieser Gerichte in Baroda im Bundesstaat Gujarat ins Leben gerufen. Heute gibt es davon 60 in 9 Staaten. Angaben dazu, wie viele Fälle diese Nari Adalats bisher gelöst haben, variieren je nach Quelle. InfoChangeIndia spricht von 1.200 Fällen zwischen 1995 und März 2001 in Baroda allein.
Diese Gerichte sind im Grunde genommen informell, da sie keine studierten Richter und Anwälte einstellen, aber sie fungieren nach demselben Schema und schaffen Balance im partriarchischen Hinterland, in dem u.a. Gram Panchayats für die Rechtssprechung auf dem Dorflevel verantwortlich sind. In den Nari Adalats werden Fälle von Schlichtern (immer Frauen) gelöst, indem zwischen den Parteien vermittelt wird. Dabei werden auch Morde und Vergewaltigungen behandelt.
Deepa Dhanraj hat einen gleichnamigen Dokumentarfilm über Nari Adalats gedreht, der u.a. auch auf dem Kasseler DokFest 2007 gezeigt wurde.
Weitere (sehr gut ausgewählte und weniger aufgeplusterte) Nachrichten zum Thema „Frauen in Indien“ findet man in regelmäßigen Abständen auf dieser Seite: