Die Guten ins Töpfchen…

Alte Frau mit LInsen

Ein Stück Alltag in einem Schnappschuss aus dem Stadtteil Vile Parle, Mumbai.

Die alte Dame sortiert Linsen aus. Sie benutzt dazu ein großes rundes Thali (Teller), und die Vorratsdose, in welcher die Linsen üblicherweise aufbewahrt werden, steht umgestülpt daneben. Es ist ein sehr schönes Beispiel für die kleinen Zusatzarbeiten, die man mitunter in Indien hat: Linsen und Bohnen selber aussortieren nämlich. Manchmal sind da unschöne Exemplare drunter, die man nicht wirklich essen möchte, und im schlimmsten Falle hat man ein paar kleine Steinchen dabei. Das passiert vornehmlich, wenn man die Ware in großen Kaufhäusern kauft, wie zum Beispiel Big Bazaar, Spencers, Hypercity uvm.
Weit weniger häufig kommt es allerdings vor, wenn man die Ware von einem Kiranawallah kauft, der seine Linsen selber verpackt. Dann ist es nämlich durchaus möglich, dass er selbst Ausleser beschäftigt. Die sitzen dann auf großen Stücken Jute vor dem Geschäft auf dem Boden und sortieren durch enorme Berge von Linsen und Bohnen. Gigantischer Service, der sich erstaunlicherweise nicht auf den Preis niederschlägt.

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Indischer O-Ton über Öffentliche Toiletten

Nachdem mein selbstironischer, aber durchaus positiver Beitrag über das objektive Vorhandensein einiger weniger durchaus akzeptabler öffentlicher Toiletten auf beherzte Gegenwehr gestoßen ist von Menschen, die ein weniger glückliches Händchen bei der Wahl eines Aborts zu haben scheinen, warf sich mir kürzlich ein Text in den Weg, in welchem es genau um dieses Thema geht: Um das Nicht-Vorhandensein akzeptabler Toiletten besonders für Frauen in Indien.

„…Gingerly she steps in, pushing the dirty latchless door shut with her foot. Noting that as usual there are no hooks she hangs her bag around her neck. Then lifting her clothes awkwardly around its bulk she squats, carefully ensuring that no part of her body touches the sides of the wall. As she relieves her bursting bladder, she reminds herself to be grateful that there is a loo at all, whatever its state…“

„…If we had to pick one tangible symbol of male privilege in the city, the winner hands-down would be the Public Toilet. And woman who has lived in Mumbai will testify that the number of public toilets in the city is grossly inadequate. On many streets one comes across little white-tiled box-like structures that are men’s urinals without any sign of similar arrangements for women….“

Zwei kleine Auszüge aus dem Buch „Why Loiter“ (ISBN 978-0-143-41595-4). Rezension in Kürze.

Die Autorinnen bieten außerdem noch ein bisschen kulturelles Know-How an, um den Stand der Dinge zu erklären. Wie folgt:

„…the lack of public toilets for women cannot be seen in isolation as just a matter of oversight by town planners or a simple lack of attention to their rising numbers in public. It reflects underlying notions of purity and pollution, particularly those connected to the female body. In India, a hierarchical Hindu social order structured around stringent rules of cleanliness and dirt – exemplified in the caste system – permeates society at large. Excretory functions of the body are high in this order of pollution and until recently, in some parts of the country, having a toilet inside the house was considered sacrilegious. (…)
Since both women and toilets are seen as contaminating in relation to public space, a language of shame pervades any discussion of toilets for women. This adversely affects the actual provision of toilets for them. Any discussion of women’s bodily functions is immediately seen as linked to their sexuality and hence to be silenced. Women’s bodies are associated with bodily secretions – menstruation, ovulation, lactation – seen as sources of ritual contamination at particular times of the month or year. These notions of contamination are so much part of women’s conditioning that women reported during our workshops that they were usually too embarrassed to even ask for directions to a toilet. …“

„This mindset is a reflection of larger cultural attitudes where toilets are objects of shame, mockery and sometimes, revulsion. This aversion to the essential ‚toiletness‘ of toilets is so high that great efforts and monies are spent on disguising public toilets to look like anything but toilets. So the public toilet at the Gateway of India was made to look like a miniature, ill-proportioned Gateway, and the public facility near Churchgate railway station is so camouflaged by plants that many daily commuters are unaware that it is a toilet, defeating the very purpose of its existence.“

(Auszüge aus dem Kapitel „Peeing“ aus Why Loiter?)

Ich denke, das gibt dem ganzen Thema noch einen anderen Dreh. Was die Beispiele der Autorinnen anbelangt: da stimme ich zu. Ich habe es selbst immer vermieden, nach Toiletten zu fragen – außer andere Frauen. Sich erleichtern zu müssen erinnert im indischen Kontext unweigerlich an Sexualität, und um keine grafischen Bilder diverser Organe in den Köpfen des männlichen Gegenübers aufblitzen zu lassen, vermeidet man es eben, die Herren überhaupt anzusprechen.

Des weiteren versuche ich mich an das Gateway of India zu erinnern, aber ich habe dort nie wirklich eine Toilette gesehen. Sie war wohl zu gut versteckt? Andererseits würde ich nicht am Gateway nach einer Toilette suchen, sondern schnurstracks ins gegenüberliegende Taj einmarschieren und mich dort in äußerst ansprechendem Ambiente erleichtern, sogar mit klassischer Musik im Hintergrund. :yes:

Dass es öffentliche Toiletten am Churchgate Terminal gibt, weiß ich unterdessen. Man muss sie nicht sehen. Man kann sie riechen. Ich nehme aus diesem Grund an, dass die Autorinnen von anderen Toiletten sprechen, und von deren Existenz weiß ich ebenfalls nichts.

Ein interessantes Thema, über welches man offenbar Studien betreiben kann.

Übersetzung der Auszüge: „Indischer O-Ton über Öffentliche Toiletten“ weiterlesen

Straßennummern & Hausnamen

Deine indische Adresse ist anders. Sie ist nicht kurz und knackig. Sondern viele Zeilen lang. Und dass sie durchaus mitunter ein Hindernis darstellen kann, merkt man, wenn man Post aus dem Ausland erhält, bei der man dem Postboten auf die Schulter klopfen möchte mit den Worten: Danke, dass du diesen Kauderwelsch entziffern konntest. Denn hier haben die Straßen Nummer und die Häuser Namen.

Wie immer gilt in Indien auch das Gegenteil. So war unsere erste Adresse in Indien doch leicht verständlich. Elfte Hauptstraße. Hausnr. 82. Das war in Bangalore, wo die Straßen (wie in vielen Ländern üblich) durchnummeriert sind – und zwar für jeden Stadtteil separat, und für jede Unter-Unterteilung des Stadtteils noch einmal. Und wenn man mittendrin in einem Stadtteil wohnt, stellt sich die Adresse aus dem Kreuz zwischen Hauptstraße und Cross Road zusammen. Also Elfte Hauptstraße. Dritte Cross Road. Haus Nummer Soundso. Kann übersichtlich sein, muss aber nicht. Für nicht-ortsansässige Menschen jedoch ist dieses System sehr leicht.

In Delhi dann wohnten wir in der sog. Sub-City Dwarka, die nicht natürlich entstanden sondern vom ersten bis zum letzten Quadratmeter durchgeplant ist. (Wie immer mit Ausnahme der Slums.) Dort gibt es keine Stadtteile, sondern Sektoren, die durchnummeriert sind und manchmal gar noch in A, B, C unter-unterteilt. Straßennamen gibts überhaupt keine, dafür aber Grundstücksnummern, sog. Plot Numbers. Und dann gehts los mit den Häusernamen. Sky Lark. Satisar. Platinum Heights. Sunshine. Rose Apartments. Und jede Wohnung hat ebenfalls ihre eigene Nummer: Zuerst die Zahl des Stockwerks, hintenan die Wohnungsnummer. Zum Beispiel Wohnung 3 in der siebten Etage: 703.
Für eine solche Adresse muss man sich jede Menge Nummern merken, und wir stellten auf Postkarten öfters fest: so leicht scheint das nicht zu sein. 😉
Daniela in Indien
703, Apartment Soundso
Plot 10
Sektor 13A
Dwarka
Postleitzahl
Nur zwei der neun von mir in Indien bewohnten Adressen hatte überhaupt einen Briefkasten. Post wird direkt zugestellt, und dabei ist der Name der Person völlig irrelevant. Einzig ausschlaggebend ist die Wohnungsnummer, also sollte man die doch bitte korrekt hinbekommen.

Noch schöner wurde der Adressenmischmasch in Mumbai, wo die Grundstücks- und Sektorenzahlen völlig wegfielen. Was blieb: Stadtteil. Sub-Stadtteil. Und Häusername. Das heißt: Borivali der unser Stadtteil. I C Colony der Sub-Stadtteil. Und Villa Kunterbunt der Hausname. Das macht Gaudi, wenn man jemanden sucht. Borivali ist flächenmäßig viel. viel. viel. viellll größer als meine Heimatstadt und beherbergt über eine Millionen Bewohner. Der Sub-Stadtteil ist etwas kleiner, aber immer noch enorm groß. Und nun such mal als nicht-ortkundiger Mensch inmitten einer solchen Masse ein einziges Haus. Straßennamen sind selten. Und selbst wenn… kein Mensch richtet sich hier nach Straßennamen. Und selbst wenn: es gibt keine Hausnummern.

So suchten wir zum Beispiel Person HunzKunz, die auf der S.V. Road in Kandivali wohnte. S.V. Road zieht sich von Dahisar im Norden des Großraum Mumbais bis nach Mahim, Mumbai Stadt. Das sind rund 27km. Da tut es gut, dass die Stadt in lauter kleine Teile zerstückelt ist, zum Beispiel den Ortsteil Kandivali. Das grenzt S.V. Road schon auf wenige Kilometer ab. In Abwesenheit von Hausnummern aber heißt das nun, wir fahren S.V. Road auf und ab, bis wir Haus XYZ gefunden haben. Hier kommen die in Indien zwingend notwendigen „Landmarks“ ins Spiel. Da Häuser nicht von 1 bis Ultimo durchnummeriert sind, sondern jedes Haus einen schönen Namen hat, von Villa Largo über Sunshine Apartment hin zu Seaview Tower, ist es hilfreich, wenn da „Nähe Shoppers Stop“ in der Adresse steht. Oder „gegenüber Bushaltestelle Nummer WasWeißIch“. Oder „Hinter Domino’s Pizza“. Schön ist es, wenn Anwohner solcherlei Landmarks wählen, die nur ihnen selbst was sagen. Restaurant BayView zum Beispiel. Nachdem wir S.V. Road nun leider zum sechsten Mal abgefahren waren und Haus SoundSo des Herren HunzKunz gefunden hatten, stellte sich BayView Restaurant als kleine Baracke gegenüber heraus. Toll.

Noch schöner ist es nur, wenn eine Adresse gar nicht an einer der großen, mit Namen versehenen Straßen gelegen ist. Sondern „off S.V. Road“, also abseits.
Nach der Adresse
Frau VersteckMichMal
1802, Hohes Hochhaus
Gegenüber Mein Lieblingsgemüsehändler
Stadtteil Immergrün
Mumbai
sucht man dann schon ein Weilchen.

Passiert ist uns das durchaus öfters. Da hilft auch kein Google Maps, weil Hohes Hochhaus da nicht drinsteht. Schön ist, dass wir nie länger als 70min nach einem Haus gesucht haben. Das war mal abends, als alle schon schliefen, im tiefsten, dunkelsten Monsun, wo sich kein Mensch auf den überfluteten Straßen herumtrieb, den wir hätten fragen können. So fing die Party ohne uns an, während wir durch die engen Gassen Westbandras tuckerten. 😉

Ein Hoch auf die Postboten also, die sich die vielen schönen Häusernamen einprägen dürfen. :yes:

Das Hygiene-Duett

Nach einer unfreiwilligen Blogpause gehts nun weiter mit Indiens Top-Thema: Hygiene.

Das erste Foto entstand in Andheri East, Mumbai. Es zeigt das, was allgemein hin mit einem zynischen Zucken der Mundwinkel von Indien erwartet wird:

Die Öffentliche Toilette.

Das alte Thema der öffentliche Toilette in Indien, die es nicht – oder je nach Betrachtungsweise – überall gibt. An jedem Ort. Open Air.

Doch wie ich das bereits vor etwas längerer Zeit beschrieben hatte, ist das öffentliche Pinkeln nicht immer ein Akt freiwilligen Vandalismus. Jut, es passiert. Auch auf Dächern. Auch direkt vor meinen Augen im Nachbarhaus.
Aber ich bin einfach unverbesserlich in meinem Glauben an das Gute im Menschen: Ich glaube fest daran – vielleicht auch aus einer Laune des Selbsterhaltungstriebs heraus – dass die fürchterlichen hygienischen Zustände schlichtweg auf einen akuten Mangel zurückzuführen ist. Mangel an Aufklärung. Mangel an sanitären Einrichtungen. Mangel an Geld. Mangel an einem Stolzgefühl für öffentliches Eigentum.

Und Indien macht es mir einfach, weiterhin an das Gute in ihm zu glauben. :yes: Guckst du hier:

Die Öffentliche Toilette.

Das ist eine Schlange Männer. Es tut mir ja leid, dass ich sie nicht in ihrer ganzen Länge knipsen konnte. Ich war einfach zu langsam. 😳 Nun, das ist eine Schlange Männer, die ansteht. Vor einem öffentlichen Klo. Im Regen!!!

Nicht nur warten sie also, bis sie sich erleichtern dürfen. :yes:
Nicht nur sind sie dafür bereit eine Rupie zu zahlen. :yes:
Nein. Sie tun das im Regen. :yes:

Ich finde, das muss auch mal raus als Botschaft. :yes:

Da ist Gras in meinem Tee

Chai ist das indische Nationalgetränk, möchte man meinen. Es handelt sich um Schwarztee mit Milch und viel Zucker, den man nicht nur ziehen lässt, sondern der so richtig schön durchblubbern darf. Das zerstört die gesunden Eigenschaften des Tees, ist aber für den indischen Gaumen lecker. Verfeinert wird das Gebräu gern mit Kardamom oder Ingwer.

Oder – und das lernte ich 2007 in Mumbai – mit Zitronengras. :yes:

Anstatt also den Tee mit einer ordentlichen Portion frischen Ingwers zu versetzen, lässt man ein kleines Büschel Zitronengras darin schmoren. Ein-zwei Halme reichen aus, wobei man dem dicken, saftigen Ende im Mörser am besten ein paar kräftige Hiebe verpasst, damit sich das Aroma besser entfalten kann.

Zitronengras2
So sehen die zu ordentlichen Päckchen verschnürten Zitronengrashalme aus, wenn man sie auf dem Markt kauft.

Zitronengras1
Für zwei-drei Portionen Zitronengraschai schnürt man ein-zwei Halme zu einem solchen Paket zusammen, damit es nicht aussieht, als wachse Schilf im Topf.

Obwohl ich die ersten Jahre in Indien nie ein großer Chai-Fan war, dauerte das alles einfach nur eine Weile. Jetzt bin ich festes Mitglied im Chaiclub. Zum Frühstück und zur Teezeit muss das sein. :yes: Zitronengras ist dabei meine Lieblingsvariante.
Eine ganze Weile verkaufte der Supermarkt meines Vertrauens eine abgepackte Mischung Zitronengrastee: darin befanden sich getrocknete Stücke Zitronengras, so dass man sich jede Menge Arbeit sparte. Doch dieses Produkt gibt es nicht mehr (außer in einer 20€-Packung für Leute, die sonst nichts mit ihren Rupien anzufangen wissen). :))

Macht nichts. Wir flechten uns nun mehrmals die Woche durchs Kraut. Sozusagen. :yes:

Im Park

Nachdem ich vor einiger Zeit über die grausamen Zustände in unserem Park geschriebennörgelt habe, ist nun mal ein Update fällig: Wie läuft es so bei unserem täglichen Spaziergang im Park mit Roma?

Park
Ort des Geschehens

Jut. Kann ich nur sagen. :yes:
Ich gehe immer noch jeden Tag gegen 17Uhr mit Roma in den Park, um mit anderen Kindern zu spielen und sie auf dem Spielplatz/dem Rasen herumtoben zu lassen. Anfangs war es eine Tortur: es gab weder Kinder in Romas Alter noch Eltern, mit denen ich mich hätte unterhalten können, zum Beispiel zwecks Gründung einer Krabbelgruppe. Die meisten Kinder, die im Park aufkreuzten, waren entweder viel älter oder stammten aus einem nahe gelegenen Slum. Sofern überhaupt Begleitpersonen dabei waren, handelte es sich meist um die Maids oder Großeltern. :yawn:

Doch dann begann sich das Blatt im März zu wandeln. Langsam kamen mehr jüngere Kinder im Alter so zwischen drei und fünf. Sie waren mit ihren Maids dort, die sich dort täglich zur Plauderstunde auf den Rasen setzten, doch das war schon mal ok: immerhin hatte Roma jemanden im ungefähren Alter. Ich hingegen langweilte mich zu Tode. :zz:

Dann begann man den Gemeinschaftsraum im Park für die Anmeldung für die indische Form des Personalausweises zu nutzen: eine neue Sache. Jetzt soll ganz Indien diesen Ausweis bekommen. Aadhaar UID (Unique Identification) nennt sich das und ist ein gigantisches Projekt. Dazu später mal mehr.
Durch diesen Vorgang jedoch strotzte der Park nur so vor Besuchern. Die standen natürlich alle in der Schlange zum Gemeinschaftsraum, doch ich denke, dass dies im Wesentlichen auch zur Popularisierung des Parks beigetragen hat. Inder sind meiner Meinung nach nicht so die Frische-Luft-Typen und genießen auch selten den Luxus genannt „Freizeit“, um im Park ein paar Runden zu drehen. Ich glaube, die meisten Bewohner unserer Nachbarschaft haben zuvor keinen Fuß dorthin gesetzt. 8|

Was auch immer der Grund gewesen sein mag (das Wetter sicher nicht, denn das wurde zunehmend schlechter): der Park füllte sich und es kamen immer mehr Kinder. Schließlich hatten wir auch Kinder in Romas Alter und – Hurra! Hurra! – sie wurden von ihren Mamas gebracht. So schloss ich auch endlich Freundschaften mit den Müttern, z.B. S. und S.
So sind Roma und Mama glücklich. :yes:

Das seltsame ist, dass S. zum Beispiel im Haus gegenüber wohnt. Wir sind uns in drei Jahren nie begegnet. Wie gesagt: Inder sind nicht so die Frische-Luft-Typen. Ihre Tochter ist zwei Monate jünger als Roma.
Auch traf ich L. aus Osteuropa. Sie wohnt nur um die Ecke. Ihr Sohn B. ist nur drei Monate jünger als Roma. Leider ist L. ganz, ganz, ganz sicher kein Frischer-Luft-Typ. Sie kam nie wieder in den Park, und obwohl ich ihr meine Adresse gab, kreuzte sie auch bei uns nie auf. Ihre Adresse hatte sie mir nicht gegeben. Nun ja. Wer nicht will, der hat schon.

Ich hab jetzt jedenfalls. Viel mehr Spaß am Park, zum Beispiel. Und Roma hat inzwischen – sehr zum Leidwesen meiner Fettpolster – auch den Spielplatz für sich entdeckt. Mit der Zeit wurde sie von der kleinen Rutsche zur größten befördert. Beziehungsweise hat sie das so beschlossen. Und da diese Rutsche … oder der ganze Spielplatz definitiv nicht für kleine 20-Monate-alte-Kinder gedacht ist, muss Mama immer hinterher die Leiter raufkrabbeln. Bei 35ºC und 90% Luftfeuchte ist das Extremsport. :yes:

Das macht aber nichts, da diese Rutsche auch langsam nicht mehr interessant ist. Schließlich kann meine Blume das schon. 😉 Was sie noch nicht kann – und darum logischerweise trotzdem tun will – ist die Kletterwand bezwingen.

Leider macht uns der Monsun nun häufig einen Strich durch die Rechnung. Etepetete darf man da nicht sein, wenn auf dem Rasen Sumpf herrscht und man von der Rutsche sofort in einen 10cm tiefen Pool fällt. Hm. Na ja. Die weißen Hosen waren auch schon mal weißer. :))

Mir egal. :lalala:

Indien in Bildern: Raubtierfütterung

Ein abendlicher Spaziergang förderte den tierischen Engel der Nachbarschaft ans Mondlicht: ein Anwohner mit einem verdächtig riechenden Beutel in der Hand. Seine Präsens gab Anlass zu einer milden Tierwanderung: es folgten ihm sämtliche Katzen der Umgebung, und selbst dieser Bengel hier kam aus seinem Versteck gekrochen und scharwenzelte dem Herren hinterher.
Es stellte sich heraus, dass der Herr als Tierliebhaber erster Güteklasse für alle Hunde und Katzen ein Fresspaket vorbereitet hatte. Jeder Hund bekam einen in ein Stück Zeitungspapier eingewickelten Batzen Reis mit Hühnchen serviert. Für die Kazten gab es dasselbe.

Raubtierfütterung
Raubtierfütterung

Auf Nachfrage hin erklärte er, dies sei sein tägliches Abendritual.
Wir beglückwünschten ihn für sein gute Herz, schauten eine Weile zu und setzten unseren Weg dann fort.

Es ist schön zu wissen, dass es hier* noch solche simple (im Sinne von unschuldige) Großherzigkeit gibt.

*im großen bösen Indien

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Eine weitere Wahrheit ist, dass die Muse sich eine Weile nicht unter den mich küssenden Personen befunden hat. Sehr unschön, zumal es sehr viele interessante Themen gibt, die ich – versprochen – aufzubereiten gedenke.
Bis dahin gibts Fotogeschichten.

Honig am Maul

Es könnte ein uralter Schwamm sein. – Ist es aber nicht.
Es könnte eine hässliche Strickmütze aus dieser zweifelhaften Knubbelwolle sein, die gerade Mode ist. – Ist es aber nicht.
Es könnte ein vom Straßenwelpe zerkauter Schuh sein. – Ist es aber nicht.

Bienennest

Es ist ein Bienenstock 20cm neben unserem Balkon. Er ist noch klein und befindet sich gerade erst im Aufbau. Durch unsere Balkongitter hindurch können wir ihn leider nur sehr schlecht fotografieren, aber man sieht in Etwa, was da vor sich geht.

Zurück zur Natur, sag ich da nur. :yes:

Gibt es also bald schon Honig ohne Antibiotika frisch von unserem Balkon? …denn dass man sich den Honig vom Bienenmann ausquetschen lassen kann, hab ich ja bereits beschrieben. Und nein, ich schreibe nicht Imker, weil ein Imker die Bienen hegt und pflegt und ihnen nur den Honig, nicht aber das Heim stiehlt. Der Bienenmann hingegen räuchert die Bienen aus, zerstört den Stock und presst die Waben auf. Den so gewonnen gestohlenen Honig verkauft er.

Vermutlich werden wir den Stock trotzdem entfernen lassen müssen. Oder nicht? Oder doch?
Kommt Zeit, kommt Honig.

Vierundfünfzig Kilo Zeitung & Ein Ei

Es war wirklich höchste Zeit, den Raddiwallah (Altpapierhändler) anzurufen, damit er uns befreit: Seit wir unsere alten Zeitungen auf einem der Balkons lagern, sind wir hoffnungslos dem Sprichwort verfallen: Aus den Augen, aus dem Sinn. Und bevor jemand von diesem sich auf prekäre Art und Weise gen Himmel stapelnden Zentner Käseblätter erschlagen wird, wenn der ganze Turm umkippt, war es gestern so weit. Juhu! smiley emoticons

Als Rishabd (so heißt der Knabe) eintraf und das Papiermonstrum erblickte, glaubte ich, einen kurzen Anflug von Schock in seinem Gesicht erblickt zu haben. Kann natürlich auch Einbildung gewesen sein. 😉
Jedenfalls machte er sich ohne Umschweife daran, die Ablagerungen vom Balkon abzutragen und vor die Haustür zu schaffen, wo er sie in kleineren Bündeln verschnürte und schlussendlich an eine Hängewaage baumelte, wie man sie auch für Babies benutzt. Vierundfünfzig Kilogramm, verkündete er schließlich.

Kleiner Ausflug in die finanziellen Gefilde Indiens: Für 54kg Altpapier (Zeitung) erhält man 432 Rupien.
Zeitschriften und Pappe haben eine andere Rate.

Später bemerkte ich, dass Rishabd nicht nur den Zelluloseberg entfernt, sondern auch eine Taubenfamilie um ihren Nachwuchs gebracht hat. Es gab Rührei auf dem Balkon. Nun, im durchschnittlichen Sommer Delhis hätte man das direkt vor Ort brutzeln können, doch hier in Mumbai genießen wir derzeit eine Art Bonuswinter mit „nur“ 30ºC am Tag und 15ºC in der Nacht – das sind 10ºC weniger in der Nacht als vor drei Jahren. Ha, ich seh schon, das ist wieder ein bildender Artikel geworden. Aber wir wollen es ja mal nicht übertreiben mit der Informationsfülle hier, nicht wahr, drum hören wir jetzt auf. :yes:

Seedha

Es ist rot. Schon mindestens fünfzehn Sekunden lang. Meine Lungenbläschen geben ein kleines poppiges Geräusch von sich, bevor sie Hops gehen: Wie Popcorn. Nur fataler. Definitiv fataler. Ich beginne mich zu winden. Nach links. Nach rechts. Auf der Suche nach einer eventuell hoffentlich vorhandenen Sauerstoffblase irgendwo im Smog der Kreuzung. Vor mir, neben mir, hinter mir stottern die Auspuffe. Meine Rickshaw lässt den Motor ebenfalls laufen; das Gefährt vibriert, damit die geplatzten Lungenbläschen nach unten kullern. Sedimente im Straßenverkehr.

Neben mir parkt ein Roller. Die Fahrerin trägt Stulpen: Handschuh, die den ganzen Arm bis hinauf zur Schulter laufen. Aus dünner aber sonnenfester Baumwolle, damit Smog und UV-Strahlen ihr nichts anhaben können. Wenigstens nicht den Armen. Nun, Santosh Desai schrieb einmal in seiner Times of India Kolumne City City Bang Bang dass diese Armstulpen ein Teil von Mofussil-Indien (Kleinstadtindien) seien. Ich fand diesen Fakt damals schon genau so unsinnig wie viele seiner Fakten und mindestens halb so unsinnig wie sein Buch: The Tiger, The Elefant and the Cellphone. Armstulpen sieht man überall. Aber – wie so oft – nur mit offenen Augen. 😉

Egal.

Während ich gedanklich noch etwas über Desai abläster, bemerke ich, wie die Pflastersteine neben dem Roller absacken. Wir haben enormen Wellengang dort vorn auf der Kreuzungsmitte. Nur ohne Wasser. Und aus der Mitte entspringt ein Gullideckel, der ob seiner obskuren Umgebung eher aussieht wie ein Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Wenn nachts ein Motorrad hier lang fährt, wird er vermutlich dieselbe Wirkung haben. Konstruktionen wie diese sind auch der Grund dafür, dass indische Vehikel scheinbar ohne Grund bremsen: weil sich Ungetüme undefinierbarer Natur vor ihnen aufbäumen. Ganz plötzlich! Bentley genoss kürzlich das wunderbare Vergnügen, hinter einem solchen plötzlich stoppenden Vehikel zu fahren. Das passierte auf dem Western Express Highway auf dem Weg zur Arbeit: Bentley kam zum Stehen. Nicht so das Motorrad hinter ihm. Und auch nicht acht weitere Autos. Bentley meinte, es war beinahe lustig, wie er acht mal einen Aufprall spürte. Der Motorradfahrer stieg ab und brauste schon mal vorsorglich auf:
WasSollDasWarumBleibstDuStehenDasKannJaWohlNichtWahrSein!
Die acht anderen waren inzwischen ebenfalls dabei auszusteigen und sich den Schaden anzuschauen.
Der Motorradfahrer betrachtete sein Gefährt: Hm, gar nix kaputt.
Bentley fragt: Und? Wo ist das Problem?
– Also ich hab kein Problem.

Bentley meint daraufhin: Worauf warten wir dann. Fahrn wir einfach.
Und so fuhren sie und ließen die anderen acht streiten.
Beim Erzählen wars lustig.

Typische Situation in Indien.

An meiner Kreuzung hingegen gehts endlich weiter. Ampelschaltung sei Dank! Der Rickshawmotor schnurrt und wir brausen über die hügeligen Straßen 500m weiter zur nächsten Kreuzung, welche, Ampelschaltung sei Dank, natürlich ebenfalls Rot ist. Das ist Absicht. Bei Grüner Welle verdienen die Bettler nichts. Ein Hijra in einer unästhetischen Ockernuance steckt den Kopf zu mir herein. Ich erteile meine zertifizierte BettelStop© Geste. Brauch ich aber nicht: Er ist geübt und hat das Gesamtbild des NichtSpenders bereits erfasst, winkt auf eine mich faszinierende Art und Weise zu sich selber ab und marschiert stolz zur Rickshaw vor mir. Schnell: Alles in Mumbai muss schnell gehen. Phataphat.

Das Wort phataphat erinnert mich an E. Ich hab sie seit ca. einem anderthalben Jahr nicht mehr gesehen. Sie wohnt ungefährt vier Kilometer von uns entfernt. Sie hat keine Zeit. Sie macht nie einen Satz ohne phataphat. Und sie kann Bombil Fry wie niemand sonst in dieser Welt. Außer Gajalee. Mein letzter Bombil Fry ist schon zwei Wochen her. Das Wasser läuft mir beim Tippen im Munde zusammen. Phataphat zurück zur Kreuzung.

Heiß. Smog. Pfui.

Ich erinnere mich an den SchwitzPo. Das kriegst du in Indien, wenn du bei n+(Wahnsinn)ºCelsius in der Rickshaw sitzt und dein Hintern verständlicherweise durch den Kontakt mit dem Kunstlederbezug der Rickshaw um Atem ringt. Das gibt geile Abdrücke. Macht sich besonders gut, wenn man, wie ich, indische Handarbeitsklamotten mit Blockprint trägt. Da verlaufen die Farben so schön ineinander. :))

Auf einer Verkehrsinsel neben mir liegt ein Baby im Schatten einer Plastikplane, welche provisorisch an einem Schild befestigt ist. Es liegt dort so rum. In der Hitze. In der Höhe der Auspuffe. Ich röchel und schnappe nach Luft. Das Baby liegt dort den ganzen Tag. Das ist nichts, das ich sehen will, wenn ich auf dem Weg in den Konsumtempel bin. Das ist nichts, dass ich überhaupt zu irgendeinem Zeitpunkt sehen will. Ich kann nicht weggucken. Kinder zu haben ist etwas ganz gemeines: Du brichst beim Anblick des Trailers (Jawoll, des Trailoooooors!) zu RabbitHole in Tränen aus. Du schaffst es gerade noch so, die schmuddeligen Kinder im Park als schmuddelige Kinder abzustempeln, aber nur, weil sie Roma schubsen. Aber hier an der Kreuzung ist Ende der Fahnenstange. Nichts kann dich vor masochistischen Gedanken schützen: Was wird aus dem Baby? Ich meine: jemals? Es liegt da in perverser Hitze auf der Verkehrsinsel und spielt mit einem Stückchen Band, das von seinem PlastikplaneSonnenschutz runterbaumelt. Das ist die Kindheit an der Kreuzung. Das Spielzeug des menschlichen Abfalls dieser Stadt.

Toll.

Ich werde mich später gegen Donuts aber für eine Packung glasierter Macademias entscheiden.
Und für ein Buch mit Quietschnase für Roma.
Für „Unbound – Indian Women @ Work“ und „Beautiful Things„.
Wenn ich nach Hause komme, stolpert Roma gerade über ein Meer aus Kissen. Auch bei uns herrscht Wellengang: blaue Kissen mit FabIndia-Bezügen.

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Seedha ist Hindi und bedeutet: geradeaus.