Architektur in Mumbai

In Mumbai chic: Doppeltüren. Kann man knicken 😉 Das eigentliche Türenblatt ist 1:2 aufgeteilt und noch mal mit Scharnieren versehen, damit man – warum auch immer – jeweils entweder nur zwei Drittel oder mit extra Schwung das extra Drittel und somit die gesamte Tür aufmachen kann. Den Grund für diese sonderbare Erfindung kenne ich leider nicht.

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Auch die im Bild vorhandenen Guckfenster sind hier der letzte Schrei.

In Indien hat man oft zwei Haustüren. Eine ordinäre aus Holz, die so schließt, und eine zweite aus Metall, um es den Mitbürgern schwer zu machen, die gern mal kostenlos Dinge mitnehmen, die ihnen gar nicht gehören. In Mumbai allerdings ist diese zweite Haustür ebenfalls aus Holz. Die dahinterstehende Logik kann ich nun wirklich nicht nachvollziehen. Wer eine Holztür aufbricht, der bricht auch zwei auf. Das muss an mir liegen. Muss … aufhören … zu … lästern.

Jedenfalls finde ich das albern, aber mich hat ja keiner gefragt. :lalala:

Nun zu Nachbars neuer Tür: So bestaune ich die Detailverliebtheit der Schreiner in einem Land, das uns solche Kostbarkeiten geschenkt hat.

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Wenn ich mies drauf bin, geh ich ne Etage tiefer und nehme das visuelle Erlebnis dieser Tür in mich auf. Das ist wie Yoga, nur zeitsparender, lustiger, besser. Also doch nicht wie Yoga, aber nachher fühle ich mich trotzdem gut. Werde demnächst mal’n Dankesschreiben unter der Doppeltür durchschieben. Oder mit Klebeband an die Tür kleben.

Rahul meint in Bezug auf meine voll ausgeprägte Klebebandmentalität inzwischen, ich sei jetzt pucca Indian Middleclass. Ich bin am Ziel meiner Träume! Oh du süße Frucht des Erfolges.
Warum sagt er solche Sachen? Nehmen wir uns bei den Händen und reisen zurück in die Vergangenheit zur Installation unserer nicht wirklich neuen, dennoch feschen Alarmanlage, welche wir itze haben, da es in unserer Wohnung nur eine Holztür zum Zertrümmern gibt. Ich riet Rahul, das Kabel jener Alarmanlage mit Klebeband zu fixieren. Aber zu einem solchen Kommentar, welches in der Gilde der Handwerker übrigens mit hundert Hieben mit dem Zollstock bestraft wird, ließ ich mich erst hinreißen, nachdem ich Rahul beim Nagel-mit-Hilfe-der-Wand-krumm-schlagen beobachtet habe und nicht wusste, ob ich lachen oder heulen sollte.

Übrigens besucht ständig jemand meinen Blog, der nach „100 Hiebe mit dem Rohrstock“ googelt. Du altes Ferkel!

Tja, die Alarmanlage ist jetzt ordnungsgemäß (sprich: mit Tesa) installiert, rumwienum, und nun steht nicht nur eine Holztür sondern auch eine furchteinflößende Sirene zwischen 12-14jährigen Slumsprösslingen und unserem Hab. Und gut. :yes:

Ah, bevor sich Leser mokieren, ich würde unziemlich über die handwerklichen Fähigkeiten des mir angetrauten Mannes abfeiern, sei in unendlicher Demut die Geschichte hinzugefügt, in der ich Fotos aufhängen wollte. Ich hatte die Wand ordentlich ausgemessen (bin ja Deutsche, Tesa hin oder her), alles lag ordentlich bereit, ich hatte eine ordentliche Fotoreihenfolge festgelegt und wumm…. das Loch ist 0,1cm tief. Zwei krumme Nägel und drei kaputte Daumen später 0,15cm. Wir machen Fortschritt.
Wir haben zwar bereits die komplette politische Weltkarte in Form von Rissen an den Wänden und warten nur darauf, eines Tages zu einem klaffenden Loch in der Wand zu erwachen, aber versuch da ma’n Nagel reinzukloppen.

Natürlich könnten wir professionelle Hilfe im Wände Verunstalten anheuern. Menschen mit Bohrmaschine. Das sieht dann so aus:

art deco

Das ist das Muster, das entsteht, wenn der antike Bohrkopf abbricht und vor dem klirrenden Zu-Boden-Fallen noch eine Pirouette an der Wand dreht. Wie avantgarde. Der Handwerker meinte, das sei nur halb so schlimm als es ausschau (?) und kroch dann in der Wohnung herum, um den Bohrkopf zu suchen. Er hatte vorsorglich nur einen mitgebracht.

Ich beschloss hernach, die Löcher für die Fotorahmen selber in die Wand zu dreschen. Und schließlich war ich froh, dass sämtliche Rahmen praktische Pappständer hinten dran haben. Da hat jemand mitgedacht.

Wer in dieser kleinen Glosse faktischen Gehalt zum Thema „Architektur in Mumbai“ vermisst, der ist nicht allein.

Der singende klingende Fahrstuhl

Voller Titel: Der singende, klingende, dich in den Wahnsinn treibende Fahrstuhl

Ich habe wieder was zu Meckern gefunden!

Knausrigkeit war noch nie meine Staerke. Das wissen wir nicht erst seit diesem Tag: Mathe für Anfänger (Teil 8 der Sendung mit der Ratte, die uns wahrscheinlich noch heute beglücken würde, wenn sie nicht auf so grausame Art und Weise verschieden wäre).

Was bei mir nicht funktioniert, klappt bei Bauunternehmen prima, wie mir scheint. Echter Geiz in Reinform! Das sieht dann so aus, dass man an den Fahrstühlen spart, wenn man sie schon der vielen Stockwerke wegen einbauen muss. Man weigert sich also, diejenigen Teile an den Fahrstuhl zu montieren, die nicht unbedingt notwendig sind: Türen, zum Beispiel. Automatische Türen. Stattdessen gibt es diese furchtbaren Schiebegitter. Man kennt das aus Filmen, und zwar aus zweierlei Sorten: erstens aus alten Filmen oder solchen, die Fahrstühle in einer Zeit zeigen, in der die Türen noch nicht erfunden waren. Und zweitens aus Horrorfilmen. Den Billigen, meine ich.

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Ich finde diese Fahrstühle unästhetisch. 🙄

Aber ich bin bereit, selbst der hässlichsten Realität ins Auge zu schauen. Hin und wieder schau ich drei Minuten indische Seifenopern. Wenns im linken Arm kribbelt, schalte ich dann aber gezwungenermaßen um.
Aber diese Gitterschiebetüren sind zudem unpraktisch, nervtötend und hundsgemein.

1 – Unpraktisch:
Nachdem du alle Plastiktüten mit den Lebensmitteln aus dem Kofferraum gefischt und sie mit viel Sorgsamkeit über sämtliche Finger verteilt hast, stehst du vor dem Lift und darfst die Tüten alle wieder fallen lassen, denn man muss diese Gitter selber aufschieben. Wo der Fahrstuhlmann ist, wenn man ihn braucht, möcht ich gern mal wissen! |-|

Und diese Türen sind gar nicht so leicht. Das heißt, man kann da versuchen, mit einem übrig gebliebenen Finger am Gitter herumzurütteln, weil man sich weigert, die Tüten abzustellen – kannst du vergessen. Das erfordert die Kraft eines ganzen Armes.

2 – Nervtötend:
Wenn etwas nicht automatisch geht, dann macht es keiner. Nicht umsonst hat meine Mutti immer gesagt, sie „macht mir gleich nen Haken an den A…Hintern“, wenn ich die Türen offen stehen lassen hab.
Außerdem muss man sich nicht fragen, wie viele Einkaufstrollies quer durch deutsche Landen geschoben und irgendwo im Gebüsch ausgesetzt worden sind, bevor jemand die gewiefte Idee hatte, diese neckische Münzvorrichtung an selbige zu basteln. Sieht man ja in Indien, wo es diese Münzvorrichtung (noch) nicht gibt: das Parkhaus ist ein Parcour aus Einkaufswagen. Große Supermärkte stellen extra Leute an, die den lieben langen Tag nichts machen, außer die verlassenen Trollys einzusammeln. 8|

Also mussten die Erfinder des Billigfahrstuhls sich etwas einfallen lassen. Die Idee meiner Mutti ist kaum umsetzbar, und das mit den Münzen… ich weiß nicht recht. Darum haben sie einen Melodiekasten in den Fahrstuhl gebaut, und so lange die Tür offen steht, dudelt es. Aus unerfindlichen Gründen scheint in ganz Mumbai diegleiche Melodie zu spielen, ganz egal, welcher Hersteller den Fahrstuhl gebastelt hat. Selten höre ich ein anderes Lied als das, welches ich in meinen Träumen – meinen Albträumen – spielen höre.

U-(

Diiiiiing Ding Ding Ding Ding, Ding Ding Ding Ding Diiiiiiing…. in der Endlosschleife. Oder zumindest so lange, bis die verdammte Tür wieder zu ist. Da… da ist sie wieder….

Manchmal lassen schwerhörige Leute die Tür offen. Was auch immer in deren Hirn nicht eingerastet hat! Aber so lange die Tür offen ist, dudelt es. Und der Fahrstuhl bewegt sich nicht. Das heißt, hin und wieder vernimmt man ein wutentbranntes, schnaufendes Stampfen im Treppenhaus (das bin dann ich), wenn ich da runter oder da hoch flitze, um das Brett zuzumachen. Mannomann! Hätte der Erfinder dieser Fahrstuhlmelodie ja wissen können, dass viele Inder freiwillige Taubheit entwickelt haben.

3 – Hundsgemein

Drittens und letztens ist so ein Fahrstuhl auch ein kleines Ferkel. Nicht im Sinne von lecker, sondern im Sinne von schmutzig! Denn so eine Gittertür muss gut geölt sein. „Gut schmieren“ ist in Indien so etwas wie Tradition, die sich von Ämtern über Polizeistationen hin zu Fahrstühlen erstreckt. Und dann sitzen sie dort und lauern – die Schmiere-Tropfen. Rahul hat es bereits erwischt. Plopp: ein fetter Tropfen dunkelbrauner Schmiere auf dem frisch gebügelten Oberhemd. Das macht Gaudi!

Sobald ich kraftvoll das Gitter zur Seite geschoben habe, schaue ich also prüfend nach oben, ob ein Tropfen groß und fett genug ist, um sich gleich auf ahnungslose Opfer abzuseilen, und dann erst hüpfe ich hinein – auch auf die Gefahr hin, dass ich bis dahin taub bin.

Manchmal hab ich echt Heimweh nach Bangalore. In meine schöne Gated Community. Mit drei Fahrstühlen, die alle automatisch auf und zu gingen und dabei die Klappe gehalten haben.

Architektur in Mumbai: Dehnungsrisse (Update)

Oh, so viel Resonanz! Es scheint einen enormen Bedarf an Chat Masala zu geben. Wahrscheinlich bin ich schon morgen im Import-/Exportgeschäft (übrigens ein großer Hit bei den unternehmungslustigen Indern).

Bilderraetsel

Die richtige Antwort lautet natürlich „Dehnungsrisse“. Dass Mumbai sprichwörtlich aus allen Nähten platzt, kann man sich auch hier noch einmal vor Augen führen lassen, aber warum genau nun selbst neue Gebäude von diesem Problem befallen sind, weiß ich nicht ist mir entfallen.

Schwuppdiwupp sind wir beim dritten Teil meiner Reihe Architektur in Mumbai, und es dreht sich heute alles um die Frage, warum wieso weshalb so viele Häuser in dieser Stadt mit einem artistischen Spinnennetzgewebe überzogen sind? Ist das die Nässe? Reißen Dinge nicht eigentlich, wenn sie zu trocken sind? Haare. Dürrer Erdboden. Getrocknete Malkastenfarbe. Frische Tätowierungen. Und ist Mumbai überhaupt jemals trocken? Und warum mischen die Baumeister Mumbais die Farben nicht ordentlich ab?

Bisher habe ich die schönsten Exemplare dieser Volkskunst an Häusern entlang der Western Rail Lines gesehen, was vornehmlich daran liegt, dass ich dort am häufigsten gereist bin. Unpraktischerweise steckte ich meist zwischen den Achseln und den spitzen Handtaschen meiner Copassagiere fest, während meine Armbewegung durch weiche Bäuche verhindert worden ist, so dass ich nie so richtig zur Kamera kam. Ich habe diesen Artikel also völlig unvorbereitet mit nur einem Foto in der Tasche auf der Festplattte geschrieben!

Leider hat auch unser Haus schon einen Riss: nach einem besonders heftigen Regenguss, der sich über mehrere Tage erstreckte, kam der erste nasse Fleck an der Wand. Der ist inzwischen zwar wieder getrocknet, aber wir werden dem Vermieter bei Gelegenheit trotzdem sagen, dass es Zeit für den Farbeimer ist. Unser Haus ist grün, also denke ich, mit Blau wäre es getan!

Auch in der Wohnung sind Risse die Norm. Enorm, um genau zu sein. Vom Fußboden rauf zur Decke, die in Mumbai übrigens extrem tief ist. In Delhi sind die Wohnungen viel, viel höher. Unsere hatte eine beinahe unglaubliche Deckenhöhe von knapp 4 Metern, was bei der Hitze natürlich logisch ist. „Dort oben“ befinden sich dann auch Lüftungsfenster. In Mumbai spart man an der Zimmerhöhe, um möglichst viele Stockwerke übereinanderquetschen zu können, was bei den Grundstückspreise widerum ebenso logisch ist. Erklärt natürlich nicht die Risse, aber ich wollts nur mal gesagt haben.

Das Haus, in dem wir leben, ist übrigens nicht mal ein Jahr alt. Und schon Risse. Vielleicht ist es förderlich, dass von nun Gebäude alle fünf Jahre auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden sollen, wie kürzlich vorgeschlagen worden ist. Es ist Zeit fürs Klebeband! Her mit dem Tesa! Alternativ hab ich auch eine hübsche chinesische Tuschemalerei, die länglich ist, und…

Update 2009
Besagter Riss wurde niemals repariert. Er blieb da, obwohl der Eigentümer bescheid wusste. Er wuchs. Im Jahr darauf wuchs er noch etwas mehr und ließ eine beachtliche Menge Wasser durch.

Von astronomischen Preisen und Nano-Balkons (Architektur in Mumbai)

Mumbai hat nur ein einziges Problem, das es sprichwörtlich in den Untergang treibt: Immobilienpreise. Die sind noch viel höher als die mitunter 40 bis 50 Stockwerke in die Höhe reichenden Apartmentkomplexe, die dieser Tage im Hinterland gebaut werden.

Balkon

Die Preise sind nicht nur enorm, sie sind auch völlig unangebracht. Daraus resultiert u.a. der Drang, hoch, hoch hinaus zu bauen, und wer hoch mauert, der stürzt tief ein. Das kommt während des Monsuns hier täglich vor. Haus eingestürzt. n Personen tot. Haus teilweise eingestürzt. n Personen tot. Inzwischen hat man vorgeschlagen, dass Häuser alle fünf Jahre auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden sollten.

Wie vielerorts wird in Indien beim Bau geschludert, und das Wort Instandhaltung ist gänzlich
völlig
absolut
weitestgehend unbekannt.

Ignorieren wir die langweilig intonierte Anweisung des GPS, das uns schnurstracks auf das heutige Architekturdilemma zusteuert, und biegen wir an dieser Stelle einfach mal falsch ab. Links, zum Beispiel, und werfen einen Blick auf das obszöne Mietrecht in Mumbai, wie es anno dazumal existierte und bis heute seine fransigen Schatten wirft. Pfui!
Demzufolge wurde 1947 die Miete festgesetzt, und es wurde verboten, eine Wohnung fuer einen hoeheren Betrag zu vermieten als im September 1940. Hast du deine Wohnung also im Sept 1940 fuer 200 Rupien monatlich vermietet, so blieben dass trotz wachsender Immobilienpreise auch 1950, 1955, 1960 usw. 200 Rupien.

Bombay Rent Act, 1947
Leider konnte ich bisher keine textliche Variante des Gesetzes finden. Bitte selber googeln.

Das Mietrecht wurde inzwischen geändert, aber es gibt immer noch alte, hässliche, vom Einsturtz bedrohte Häuser, die sich alljährlich zitternd durch die Regenzeit schleppen und sich Zentimeter um Zentimeter mit dem Morast vollsaugen, auf dem sie so schlampig gebaut worden sind: Denn die Mieter wollen nicht ausziehen. Warum nicht? Wegen weil – da steckt viel Geld drin. Wenn ein Bauunternehmen sich ein Fleckchen in Mumbai ausgesucht hat, auf dem es gern etwas Anständiges (sprich: Teures) bauen möchte, dann muss das Alte erst mal weg. Um die Mieter aus der alten, zu entfernenden Baracke zu locken, zahlen Bauunternehmen astronomische Summen – an die Mieter. Nicht den Eigentümer. Vor gar nicht all zu langer Zeit stand in der Zeitung, dass jede Partei in einem Mietshaus in Südmumbai 5,5 crore Rupien ausgezahlt bekommen hat, nur damit sie ausziehen. Das sind 1Million Euro!

Es ist zudem unschwer zu erkennen, dass man als Wohnungseigentümer Schrägstrich Vermieter unter diesem alten Mietrecht der Depp war. Der Idiot. Der Spinner, sozusagen, um das mal oberhalb des Gürtels zu halten. Als Depp Schrägstrich Eigentümer erhielt man nämlich gar nichts.

Nuuuun. Daraus erklären sich mehrere Dinge.
1. Weswegen in Mumbai immer noch so viele alte, schwankende, wankende Häuser herumstehen.
2. Weswegen an Stelle der alten, schwankenden, wankenden, inzwischen abgerissenen Häuser lediglich die teuersten Apartmentkomplexe gebaut werden, die auf ein Reißbrett passen. Wenn man 1 Million Euro pro Wohnung zahlt, zuzüglich Baukosten, muss man die neue Wohnung logischerweise für 1+ Million Euro wieder verscheppern.
3. Weswegen Menschen sich weigern, aus offensichtlich gefährlichen Wohnungen auszuziehen. Sie warten auf zweierlei Dinge: Dass ein Bauunternehmen es ihnen ermöglicht, frühzeitig in Rente zu gehen, und dass die Bude über ihren gierigen Köpfen zusammenbricht. Was auch immer zuerst passiert.

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So, und endlich, endlich kommen wir zurück auf den architektonischen Ofenschuss: Wenn so viel Geld im Spiel ist, wenn der Boden, den ein einfacher Schuhabstreicher einnimmt, schon mehr wert ist, als sich Hunz und Karthik leisten können, dann ist kein Platz für Balkons. Sollte das Bauunternehmen wider jeder Intelligenz einen Balkon gebaut haben, dann nehmen die Wohnungskäufer ein paar Ziegelsteine und billige Fenster, und schon morgen ist das Ding unfachmännisch zugekleistert. Voilà, ein extra Zimmer. Klein aber fein. Kein Platz für Balkons.

Genau so wenig bleibt Platz für Abstellkammern, Rumpelkammern, Stauraum. Wo man Sachen wie Staubsauger und Bügelbretter abstellt. Wo man das olle Zeitungspapier sammelt, bis der Stapel so hoch und wackelig ist wie das durchschnittliche Mauerwerk Mumbais. Wo man als Frau seine 19 Paar Schuhe vor dem Gatten versteckt. Wo der Gatte seine nun in Indien frei verkäuflichen GQs, FHMs und Maxims versteckt (Playboy und Penthouse nur unter der Hand). Das Leben steckt voller Gerümpel, das einerseits zu schade ist, um dem Recyclingprozess inderLandschaftaufschütt-Prozess beigefügt zu werden, und das aus verschiedenen Gründen niemals in der Vitrine landen wird. Das liegt unter anderem daran, dass Vitrinen in Indien nicht sonderlich populär sind.

Was tun? Kein Balkon bzw. Abstellraum, wo man den ganzen Mist stapeln kann. Zurück zum Beitrag über Gitterfetische. So sieht es aus:

Nun, es bleibt kein Platz für einen Liegestuhl, auf dem man herumlümmeln kann, aber ein paar Dreiräder, Klimaanlagen, Topfpflanzen und provisorische Wäscheleinen passen allemal hin.

Ich finde das hässlich. Gegessen wird im Esszimmer. Geschlafen wird im Schlafzimmer. Gewohnt wird im Wohnzimmer. Und gerümpelt wird in der Rumpelkammer. Aber hey, der Preis ist heiß!

Schmankerl:
Wie heiß der Preis wirklich ist, wollt ihr wissen? Sag ich euch glatt. Ein paar der neuen Projekte, die in Mumbai gebaut werden:
Lodha Bellissimo:
230-700m² Wohnungsgröße, ca. 820.000-2,45Mio Euro
Ellora Castle:
640m² Wohnungsgröße, ab 820.000Euro
Signature Island:
560m² Wohnungsgröße, ab 4,5Millionen Euro
Oberoi Skyz:
740m² Wohnungsgröße, ab 5Mio Euro
Lodha Solitaire:
670-1347m² Wohnungsgröße, ab 7,3Mio Euro

Zu Lodha Solitaire steht im Prospekt: „Die Boutique-Wohnungen sind an die vermögende Unternehmerklasse gerichtet. Alle neun Apartments (mehr fasst das Gebäude nämlich nicht) sind super-groß (!!!) und bereits verkauft.“ 88|

Übrigens hat mir beim Errechnen der Wohnungspreise der Taschenrechner in meinem Handy den Stinkefinger gezeigt: Das Resultat ist zu groß, um angezeigt zu werden. Jaaaa, das weiß ich doch!!!

Hinter Gittern (Architektur in Mumbai 1)

Bisher hatte jede Stadt, in der wir gewohnt haben, ein paar architektonische Überraschungen parat. Wir erinnern uns an zugemauerte Gartentore in Bangalore, vor denen Parken nach wie vor verboten war, und an Bäder mit Tür zum Balkon in Delhi. Doch obwohl der Laie meint, solcherlei Meisterleistungen residierten bereits im Bereich idiotischer Superlative, scheint mir Mumbai trotz allem das Schlaraffenland kurioser bautechnischer Unfälle zu sein.

hinter gittern in mumbai

Ich bin nun mal die unangefochtene Königin ständig neuer, später ignorierter und niemals beendeter Serien (die Treuesten unter den Lesern erinnern sich eventuell an den sprichwörtlichen Kadaver der Sendung mit der Ratte). Und nun ist es an der Zeit, eine neue Serie aus dem Boden zu stampfen! Architektur in Mumbai!
Oh, meine Festplatte knarrt bereits unter der Ladung schadenfroher, grimmiger, zynischer, schier unvorstellbarer Fotos, und hier gehts los:

vor und hinter gittern

Der Gitterfetisch fand bereits eine Besprechung in diesem Blog. In Indien ist es üblich, sämtliche Fenster (und die Haustür) mit Gittern zu versehen, damit man im Falle eines Brandes jämmerlich in den eigenen vier Wänden zu Grunde geht damit kein Einbrecher rein kommen kann, es sei denn, man war so dumm, und hat sich solche Gitter einbauen lassen, die lediglich in den Fensterrahmen geschraubt werden. Hat der Dieb einen Schraubenzieher dabei, was durchaus vorkommen soll, stellt es sich natürlich als vollkommen, vooollkommen sinnlos heraus, sein Haus auf so derbe Art und Weise verschandelt zu haben.

Ich find die Gitter meist hässlich, obwohl einige Häuslebauer tatsächlich auf hübsche Muster wertgelegt haben, die man schon fast als Designgut betrachten könnte. Aber in Mumbai, in Mumbai bastelt man wirklich alles zu. Jedes Fenster wird mit Gittern geradezu verschanzt. Darunter befinden sich selten solch ansprechende Gitter mit Blumenranken und netten kleinen Dekoideen, sondern es sind richtig hässliche, protzige Eisenstäbe. (Muss ich erwähnen, dass es in den Slums Mumbais ein sehr erträgliches Geschäft ist, billige Eisenbrenner zu basteln, die dann an den Mann Dieb gebracht werden?)

Auch ein spezielles Mumbai-Schmankerl: In Ermangelung eines Balkons ist der Mumbaikar erfinderisch. Nicht nur verschanzt er sich in seiner Eisenbastion, nein, er beult sogar eine Art drahtige Rumpelkammer vors Fenster. Jawohl! Das sieht dann so aus:

home sweet home

Und dann gibt es da noch die ganz Schlauen. Die Gewieften, sozusagen. So ein Gitter, da sind wir uns doch einig, kann doch nur eine Art Sicherheitsmaßnahme sein, nicht wahr? So eine Art Schutzvorrichtung, die dazu dient, ungebetene Gäste fern zu halten. Also zum Beispiel Vertreter, Schlangenbeschwörer, Diebe, Schwiegermütter, und wie sie nicht alle heißen. Was bastelt man also? so etwas hier:

schlaue gitterfetischisten

Ein Gitter mit Schiebevorrichtung, das durch ein Vorhängeschloss geschlossen werden kann. Diesselbe Art von Vorhängeschloss, mit der die Eingangstür verbarrikadiert wird. Diesselbe Art von Schloss, die mit einem einzigen Hieb einer qualitativ hochwertigen Eisenstange aufgebrochen werden kann.

Macht nix. Hauptsache Gitter. Die Welt ist scheibchenweise viel, viel schöner, nicht wahr Socke?

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