Bombay steht hier nicht für eine Stadt, die im Sud ungeplanter, gedankenloser Evolution untergeht. Bombay steht für die Mentalität, die besonders Langzeitbewohner eng mit Bombay in Verbindung bringen: Kosmopolitische Attitüde. Weltoffenheit. Freiheit. Eine Perle in einem an Tradition erstickendem Land. Und diese Mentalität ist, wie Bombay, nicht mehr anzutreffen. Sagen Langzeitbewohner.
Bombay ist tot.
Diese Entwicklung geht Hand in Hand mit einer sagenhaften Bevölkerungsexplosion unter Mimosen, deren zarte Sensibilitäten es vorraussetzen, dass heute nicht mehr gesagt, geschrieben, gefilmt, getan und gegessen werden darf, was gefällt, sondern was nicht weh tut.
Mimosen befinden sich überraschenderweise nicht ganztägig im schmerzlichen Zustand überbeanspruchter, kollabierter Nerven auf dem Sofa liegend, wo sie in regelmäßigen Abständen an ihren Duftsalzen schnuppern und tragisch aufseufzen, wie man das von Menschen erwartet, denen ein Buch, ein Film, ein Zeitungsbericht tödliche Verwundungen beifügen kann.
Sondern Mimosen sind echte Kumpels. Und obwohl eine Mimose alleine beim Anblick schockierenden Materials dahingerafft werden kann, ist ein Trupp Mimosen ein Energiebündel, das Seinesgleichen sucht und unter Umständen säbelwetzend durch die Vororte einer weltoffenen Metropole randalieren kann. Langzeitbewohner schütteln in Feuilletons den Federkopf. :no:
So geschehen letzten Freitag und Samstag, als ein Sikh im Stadtteil Mulund erschossen wurde, woraufhin alle Sikhs ihre Kirpans schwangen. Praktisch in diesem Zusammenhang ist die religiös bedingte Notwendigkeit der Sikhs, stets einen Dolch (Kirpan) bei sich zu tragen.
Diese Episode klirrender Klingen ist Eskalation eines Mimosenmobs, und mit Hilfe dieser Geschichte möchte ich beschreiben, wie Bombay zunehmend Schauplatz irrer Akte nicht-medikamentierter Demenz wird, die bezeugen, was Langzeitbewohner Bombays schon lange wussten: dass die Stadte heute mehr Hammel beherbergt, als ihrem angeblich weltoffenen Charakter gut tut.
Während die tatsächlichen Hergänge des vergangenen Freitages hier (Englisch) nachgelesen werden können, fasse ich den Nachmittag mal kurz zusammen.
Baba Gurmit Singh Ram Rahim, Chef der Dera Sacha Sauda und im Folgenden einfach nur „A“ genannt, besucht ein Einkaufszentrum in Mulund. Kürzliche Aktivitäten As haben dazu geführt, dass traditionelle Sikhs ihm nicht wohlgesonnen sind. Während er der Konsumlust fröhnt, wird er von B erkannt. B ist ein Sikh und versucht A zu kontaktieren, was durch As Leibwächter unter Zuhilfenahme von Drohgebärden unterbunden wird. B ist mächtig sauer und ruft seinen Kumpel C an, der mal eben mit ein paar weiteren Kumpels vorfahren soll, um eine relativ harmlose Situation (ein gekränktes Ego) in eine verschärfte Situation zu verwandeln, die mit folgenden Zutaten eine explosive Mischung darstellt:
A = kontroverser Politiker
B = Ein wütender junger Mann und seine Freunde, die zwar nicht dabei waren, deren Wut sich aber als ein zulässiger Freundschaftsdienst versteht
C = Leibwächter mit Schusswaffen
Wenig später ist ein Mann tot.
Es ist eine Reaktion typisch für ein Land, in dem Lebensraum knapp ist; in dem man sich täglich wegen absurder Kleinigkeiten streiten muss; und in dem das Ego darum unter Dauerbeschuss ist. Kommt nach einem anstrengenden Tag dann noch jemand und pinkelt dir ans Bein, dann ist die Kacke am Dampfen das Fass am Überlaufen. Ein Wochenende wird mit Steinwürfen und Randalen eingeläutet. Der nordwestliche Bundesstaat Punjab, in dem Sikhs numerisch überwiegen, wurde durch diese Episode gar zum Stillstand gebracht. Man war zwar nicht dabei und hat gar keine Ahnung, muss sich auf häufig widersprüchliche Informationen der blutrünstigen Medien stützen etc, aber man hält zusammen.
Da kommen die Worte des alternden Shiv Sena-Oberhauptes zur Abwechslung mal wie gerufen: „Aufhören, sofort aufhören! Randalieren dürfen hier nur wir.„, brüllte der Löwe, über dessen geistige Kapazitäten ich bereits im vorbereitenden Artikel „Bombay gibts nicht mehr“ gefaselt habe.
Nichts gegen Sikhs. Das ist nur ein Beispiel einer anfangs harmlosen Situation. Kein Tag vergeht mehr, an dem nicht die verletzten Befindlichkeiten einer Bevölkerungsgruppe einen neuen Mimosenmob zusammenrotten, der deutlich macht, wie gefährlich es sein kann, die viel gepriesene Weltoffenheit Bombays beim Wort zu nehmen.
Re-Branding Mumbai – Englischer Artikel von Antara Dev Sen
Sikhs protesting Firing in Mulund – Englischer Nachrichtenartikel mit weiterführenden Links