Deine indische Adresse ist anders. Sie ist nicht kurz und knackig. Sondern viele Zeilen lang. Und dass sie durchaus mitunter ein Hindernis darstellen kann, merkt man, wenn man Post aus dem Ausland erhält, bei der man dem Postboten auf die Schulter klopfen möchte mit den Worten: Danke, dass du diesen Kauderwelsch entziffern konntest. Denn hier haben die Straßen Nummer und die Häuser Namen.
Wie immer gilt in Indien auch das Gegenteil. So war unsere erste Adresse in Indien doch leicht verständlich. Elfte Hauptstraße. Hausnr. 82. Das war in Bangalore, wo die Straßen (wie in vielen Ländern üblich) durchnummeriert sind – und zwar für jeden Stadtteil separat, und für jede Unter-Unterteilung des Stadtteils noch einmal. Und wenn man mittendrin in einem Stadtteil wohnt, stellt sich die Adresse aus dem Kreuz zwischen Hauptstraße und Cross Road zusammen. Also Elfte Hauptstraße. Dritte Cross Road. Haus Nummer Soundso. Kann übersichtlich sein, muss aber nicht. Für nicht-ortsansässige Menschen jedoch ist dieses System sehr leicht.
In Delhi dann wohnten wir in der sog. Sub-City Dwarka, die nicht natürlich entstanden sondern vom ersten bis zum letzten Quadratmeter durchgeplant ist. (Wie immer mit Ausnahme der Slums.) Dort gibt es keine Stadtteile, sondern Sektoren, die durchnummeriert sind und manchmal gar noch in A, B, C unter-unterteilt. Straßennamen gibts überhaupt keine, dafür aber Grundstücksnummern, sog. Plot Numbers. Und dann gehts los mit den Häusernamen. Sky Lark. Satisar. Platinum Heights. Sunshine. Rose Apartments. Und jede Wohnung hat ebenfalls ihre eigene Nummer: Zuerst die Zahl des Stockwerks, hintenan die Wohnungsnummer. Zum Beispiel Wohnung 3 in der siebten Etage: 703.
Für eine solche Adresse muss man sich jede Menge Nummern merken, und wir stellten auf Postkarten öfters fest: so leicht scheint das nicht zu sein. 😉
Daniela in Indien
703, Apartment Soundso
Plot 10
Sektor 13A
Dwarka
Postleitzahl
Nur zwei der neun von mir in Indien bewohnten Adressen hatte überhaupt einen Briefkasten. Post wird direkt zugestellt, und dabei ist der Name der Person völlig irrelevant. Einzig ausschlaggebend ist die Wohnungsnummer, also sollte man die doch bitte korrekt hinbekommen.
Noch schöner wurde der Adressenmischmasch in Mumbai, wo die Grundstücks- und Sektorenzahlen völlig wegfielen. Was blieb: Stadtteil. Sub-Stadtteil. Und Häusername. Das heißt: Borivali der unser Stadtteil. I C Colony der Sub-Stadtteil. Und Villa Kunterbunt der Hausname. Das macht Gaudi, wenn man jemanden sucht. Borivali ist flächenmäßig viel. viel. viel. viellll größer als meine Heimatstadt und beherbergt über eine Millionen Bewohner. Der Sub-Stadtteil ist etwas kleiner, aber immer noch enorm groß. Und nun such mal als nicht-ortkundiger Mensch inmitten einer solchen Masse ein einziges Haus. Straßennamen sind selten. Und selbst wenn… kein Mensch richtet sich hier nach Straßennamen. Und selbst wenn: es gibt keine Hausnummern.
So suchten wir zum Beispiel Person HunzKunz, die auf der S.V. Road in Kandivali wohnte. S.V. Road zieht sich von Dahisar im Norden des Großraum Mumbais bis nach Mahim, Mumbai Stadt. Das sind rund 27km. Da tut es gut, dass die Stadt in lauter kleine Teile zerstückelt ist, zum Beispiel den Ortsteil Kandivali. Das grenzt S.V. Road schon auf wenige Kilometer ab. In Abwesenheit von Hausnummern aber heißt das nun, wir fahren S.V. Road auf und ab, bis wir Haus XYZ gefunden haben. Hier kommen die in Indien zwingend notwendigen „Landmarks“ ins Spiel. Da Häuser nicht von 1 bis Ultimo durchnummeriert sind, sondern jedes Haus einen schönen Namen hat, von Villa Largo über Sunshine Apartment hin zu Seaview Tower, ist es hilfreich, wenn da „Nähe Shoppers Stop“ in der Adresse steht. Oder „gegenüber Bushaltestelle Nummer WasWeißIch“. Oder „Hinter Domino’s Pizza“. Schön ist es, wenn Anwohner solcherlei Landmarks wählen, die nur ihnen selbst was sagen. Restaurant BayView zum Beispiel. Nachdem wir S.V. Road nun leider zum sechsten Mal abgefahren waren und Haus SoundSo des Herren HunzKunz gefunden hatten, stellte sich BayView Restaurant als kleine Baracke gegenüber heraus. Toll.
Noch schöner ist es nur, wenn eine Adresse gar nicht an einer der großen, mit Namen versehenen Straßen gelegen ist. Sondern „off S.V. Road“, also abseits.
Nach der Adresse
Frau VersteckMichMal
1802, Hohes Hochhaus
Gegenüber Mein Lieblingsgemüsehändler
Stadtteil Immergrün
Mumbai
sucht man dann schon ein Weilchen.
Passiert ist uns das durchaus öfters. Da hilft auch kein Google Maps, weil Hohes Hochhaus da nicht drinsteht. Schön ist, dass wir nie länger als 70min nach einem Haus gesucht haben. Das war mal abends, als alle schon schliefen, im tiefsten, dunkelsten Monsun, wo sich kein Mensch auf den überfluteten Straßen herumtrieb, den wir hätten fragen können. So fing die Party ohne uns an, während wir durch die engen Gassen Westbandras tuckerten. 😉
Ein Hoch auf die Postboten also, die sich die vielen schönen Häusernamen einprägen dürfen. :yes: