Der Inder macht den Führerschein

Zur Zeit befindet sich Bentley in der Vorbereitung zur Theoretischen Führerscheinprüfung. Gestern Abend ertappte ich ihn dabei mit einem entgeisterten Gesichtsausdruck. Ich pirschte mich an und identifizierte den Grund seines angeschlagenen Zustandes: Nach fünf Fragen dazu, was man am Bahnübergang tut, wenn wahlweise diverse Lichter blinken, grüne Mäuse über die kaputten Schranken tanzen und ein Maulwurf mitten auf dem Bahnübergang ein Häufchen Erde nach oben stößt – da wusste der Inder in Bentley nicht mehr, ob er lachen oder heulen soll.

Logisch.

Weiß doch jeder Inder, was man macht, wenn die Bahnschranke runtergeht.

Man nimmt seinen Roller, legt ihn zur Seite, schiebt ihn unter der Bahnschranke durch, fährt weiter, und macht das bei der anderen Schranke noch mal. Oder man fährt ganz scharf nach rechts um die erste Schranke herum, über den Bahndamm und dann ganz scharf links um die zweite Schranke herum. (Geht nur selten, weil die Schranken meist die gesamte Fahrbahn versperren. Spielverderber!) Weiter gehts. Kaum dass sich ein indischer Verkehrsteilnehmer durch die Präsens bockiger Schranken in seinem Vorwärtskommen aufhalten lässt. Wo kommen wir da hin? Befindet sich der arme Fahrer jedoch im Besitz eines motorisierten Untersatzes, welcher sich beim besten Willen nicht über oder durch die Schranke pressen lässt, so fährt er ganz, ganz dicht an die Schranke. Die Motorhaube darf auch ruhig unten durchgucken. Wenn ganz vorn in der Schlange schon besetzt ist, dann fährt er auf die Gegenfahrbahn und stellt sich da ganz vorn an. Das machen alle so, und wenn der Zug nach 15 Minuten vorbei ist, stehen sich einhundert Fahrzeuge Auge in Auge. Das dauert dann noch mal zwanzig Minuten, bis sich der Stau aufgelöst hat.

Ich denke mir das nicht aus. Das ist so. Das ist immer so. Ich stand besonders in Südindien noch nie an einer Bahnschranke, bei der es nicht so gewesen wäre. Schade nur, dass ich kein eigenes Foto oder gar Video davon habe, aber ich werde zu eurer Unterhaltung mal kurz googeln. (Bilderlinks öffnen sich in neuem Fenster.)

Anleitung zum Hindurchschieben eines Motorrads unter geschlossener Bahnschiene. Klick!
Bahnübergangsszene aus Bikaner (Rajasthan). Klick!
Zugeparkter Bahnübergang. Klick!

Und zum Schluss ein Video aus Bangalore:

Videolink.

Der gezeigte Bahnübergang (da war ich, da war ich, da war ich!) ist inzwischen geschlossen worden. Allerdings, bei aller Liebe fürs Lästern, das Problem ist Hausgemacht. Durch das ferngesteuerte Schrankensystem schließen sich diese viel zu zeitig. Die Leute wissen: das dauert noch. Warum warten?

Im Krankenhaus

Das Thema ist aktuell: nicht nur haben Blümchen und ich einen Abstecher im örtlichen Krankenhaus hinter uns, sondern es dringen derzeit auch Nachrichten aus Mumbai zu uns durch: dort nämlich hält ein Krankenhaus die Leiche eines Patienten zurück, weil die Angehörigen die Rechnung nicht zahlen können. Es ist die Rechnung für die Herz-OP, während welcher der Patient verstorben ist. 4lakh Rupien, das sind momentan 5800€.

Hier gewinnt Deutschland im Ländervergleich. Und zwar um Längen. Man stelle sich vor, man erreicht das Krankenhaus mit dem eigenen schwer kranken Bruder und wird prompt abgelehnt. Das passiert einem in fünf (!) Krankenhäusern. Das sechste erklärt sich schließlich dazu bereit, den Patienten aufzunehmen, vorausgesetzt man zahlt 40.000 Rupien Anzahlung. Das sind 581 Euro. Heruntergehandelt von 50.000 Rupien bzw. 727 Euro.

Unser Blümchen wurde ohne Fragerei aufgenommen. Freilich unter Einlesung der Versicherungskarte. Ein Hoch auf das funktionierende Krankenversicherungssystem Deutschlands. Das mag Macken und ernsthafte Schwächen haben, doch wie hervorragend es wirklich ist, zeigt sich im Ländervergleich.

Ich weiß es sehr zu schätzen, dass ich als Nicht-Patient im Beisein meiner Tochter mehrere Tage lang voll verköstigt und verpflegt wurde, obwohl mir rein gar nichts fehlte. Auch meine Tochter wurde verköstigt, verpflegt und noch dazu medizinisch betreut, ohne dass ich am Ende eine Rechnung präsentiert bekam. Vielleicht erscheint es dem Leser als seltsam, doch ich habe mich immer noch nicht daran gewöhnt. Dieser Service ist eine nicht enden-wollende Faszination für mich. Ich wackele in die Apotheke, wedle mit einem Rezept und erhalte im Austausch für den rosa Schein ein Medikament, ohne in die Tasche greifen zu müssen. Ich muss mir das auf der Zunge zergehen lassen, so kostbar ist es.

Eine meiner angeheirateten Schwägerinnen hingegen bekam übers Wochenende Wehen. Der werdende Vater steckte Stundenlang im Stau. Das Taxi tauchte partout nicht auf. Als man endlich das Krankenhaus erreicht hatte, ging es schnell ab in den OP-Raum. Notfall-Kaiserschnitt. Und am Ende eine satte Rechnung. Noch liegt die junge Familie zwecks Genesung im KH, doch die Rechnung dafür kann sich locker auf viele hunderte Euro bis weit über tausend Euro erstrecken, je nachdem, in welche Preiskategorie von Hospital man sich einliefern lassen hat.

Normalerweise ist ein solcher Vergleich nicht sinnvoll, doch da dies Zeitabschnitte meines Lebens und darum uns persönlich betrifft, ist ein kleiner Vergleich durchaus zulässig: Daumen hoch!

Keim-Country

Ich kenne die Blicke: das amüsierte Interesse, wenn man dem mitteleuropäischen Gesprächspartner offenbart, man hätte knapp zehn Jahre in Indien gelebt. Oder der perplexe Schock. Der höflich übertünchte Ekel. Das kokett-ironische Grinsen. Ich kenn das. Diverse Abstufungen ein und derselben Emotion: Überlegenheit. Indien ist ja schließlich ein schmutziges Land.
Man kann von Glück sprechen, ein solches Abenteuer zu überleben.
An jeder Ecke lauert der Keim.
Nichts kann man konsumieren, weder Wasser noch Speisen.
Todbringende Gefahren wohin das Auge blickt.
:yawn:

Frischer FischFrischer Fisch unter dem Messer
Nur knapp dem Tode entronnen?
Nicht die Fische!
Wir!?

Man stelle sich also meinen Unmut vor, wenn mein Kind, das 21Monate in diesem Sumpf der Seuche ohne Krankheit überstand, nach Einwanderung ins sterile Abendland eine Krankheit nach der anderen abarbeitet wie Gebetsperlen. |-| Ich könnte vorgeben, der Kindergarten sei Keim-Country, aber machen wir uns nichts vor: dem Blümchen fallen schon länger die Blätter ab, als sie in den Kindergarten geht. Kaum hat man mal zwei Tage Ruhe, geht das alles von vorn los. Den garstigen Keimen Indiens trotzt sie wie Unkraut, und im schönen G-Town macht sie einen auf Mimose.

Das war klimatisch, essenstechnisch und generell ja zu erwarten, ist aber doch ironisch. Irgendwie. Und vielleicht eine Lehre für Menschen, die sich ins bakterielle Hotbed Indiens begeben möchten: Man kann so etwas völlig gesund überleben. Aber bei der Rückkehr nach Deutschland ist Vorsicht geboten: die haut einen manchmal um. :yes:

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Zum Thema passt übrigens ein älterer Artikel über Fleischereien in Indien, welcher während unserer Delhi-Zeit entstanden ist.
Klickst du hier: Macheten, Zehen & Fleischermeister

Über Füße

In Indien
…sah ich meine Füße sehr häufig. Es war ja schließlich warm, da führt man seine Zehen in Sandalen spazieren und sie freuen sich über die Sonnenstrahlen.
Nicht ganz so sehr freuen sie sich über den Staub. Den Dreck. Und so. Darum fand der erste Akt nach Betreten des Hauses in Bad statt: Füße waschen. Immer. Es wurde mit Wasser & Seife geschrubbt, um die feine Staubhülle und diverse andere Schmierflecke, in welche man getreten war, von der Haut zu bekommen.

Mein privater Horror war es immer, bei diversen Persönlichkeiten auf Besuch zu sein und dort barfuß in der Wohnung herumlaufen zu müssen. Zu solchen Zeitpunkten war die Putzfrau nämlich schon durch, und wenn etwas herunterfiel, wurde das nicht aufgewischt. Von wem denn auch, wenn die Maid nicht da war? Kombinierte sich ein so fröhlicher Umstand just mit einem Essen, so passierte es durchaus, dass mal hier und da ein Klecks Soße oder Reis auf den Boden fiel und dort zwischen dem Fußbodenmuster unterging. Gleichgültig welche Rückschlüsse folgendes Eingeständnis auf meinen Charakter zulässt: ich bin kein Fan von Reismasken am Fuß. :no:

In Deutschland
…seh ich dank winterlicher Temperaturen meine Füße gar nicht. Die armen Dinger ersticken in ihren Socken, und mögen diese noch so schön bunt sein. Mein Bruder schaute mich kürzlich vorwurfsvoll an: Trägst du etwa Socken in Mädchenfarbe? Ich versuchte ernst zu bleiben, aber ich glaube, es glückte mir nicht ganz. :))
…ändert leider nichts an der Tatsache, dass meine Füße ihre mehrmals-täglich-Dusch&Creme-Routine vermissen.

Es sind die Kleinigkeiten! :yes: