Obsession (Update)

Heute steht Indien still. Es herrscht Ausnahmezustand. Es ist leiser als sonst. Die Menschen jedoch bersten vor Erwartung, Fieber, Euphorie, denn in wenigen Minuten wird das Halbfinalspiel Indien gegen Pakistan in der momentanen Cricket-Weltmeisterschaft beginnen. Nicht nur handelt es sich bei Cricket um den inoffiziellen Nationalsport Indiens (offiziell ist das nämlich Hockey), sondern der Gegner ist zudem Pakistan: ein politischer und emotionaler Gegner.

Es werden also überall wieder Menschentrauben vor Fernsehern zu finden sein, die lauthals rufen, klatschen, und mitfeiern. Auf den Straßen wird es stiller sein als sonst, doch in Cafés und Restaurants und vor Geschäften, in deren Schaufenstern Fernseher stehen, wird es laut und fröhlich zugehen. Es sei denn natürlich, Indien verliert, aber Daniela in Indien ist keine Spielverderberin! :yes:

Einige Schulen haben heute nur vormittags offen, während in den Büros vermutlich viele ausgerechnet heute an einer ganz üblen Migräne leiden werden. Oder aber die Chefs sind cleverer und rollen einen großen Bildschirm ins Office: dann bleiben auch alle da und arbeiten ganz hart. 😉

Es ist schön, das Land in solchen Freudentaumel getaucht zu sehen, und man kann nur hoffen, dass ein Sieg dem vorerst die Krone aufsetzen wird, bis es zum Finalspiel geht. Plötzlich sind alle Sorgen vergessen, und bei all der Korruption und den mannigfachen anderen Problemen Indiens tut das gut, wenn auch nur für einen Tag. Man gönnt den Menschen (und nicht zuletzt sich selbst) die Herrlichkeit der Ausgelassenheit, die Sünde der Trägheit, den Genuss ihres Lieblingsspiel. Daumen hoch also für die Cricketfreunde. Selbst muss ich den Fernseher vermutlich nicht anschalten, denn ich werde aus der ganzen Nachbarschaft genügend Jubel- und Buhrufe hören, um den Hergang des Spiels einfach nur akustisch verfolgen zu können. :wave:

Circa 22 Uhr Ortszeit wissen wir dann auch, ob Morgen nationaler Trauer- oder Feiertag sein wird. Wir hoffen natürlich ganz patriotisch auf letzteres. :yes:

Olé. Olé. :))

Indien gewinnt!

Sicher ist Sicher

Der Sicherheitswahn ist wieder los. Vor einiger Zeit berichtete ich bereits darüber. Vor jedem Einkaufszentrum muss man sich quasi nackig machen: Handtasche herzeigen. Darin wird herumgewühlt. Und wenn alles von links nach rechts umgeschichtet worden ist und mit neugierigen Fingern enthusiastisch in jeder Seitentasche herumgestochert wurde, dann darf man in die Kabine zum Abtasten. Die Herren der Schöpfung müssen diese Tortur in der Öffentlichkeit über sich ergehen lassen.

In den letzten Tagen ist es mit diesen sog. Sicherheitsvorkehrungen noch etwas strenger geworden: Die Cricketweltmeisterschaft ist schuld. Die findet dieses Jahr in Indien statt. Auch Mumbai wird einige der Spiele, u.a. das Endspiel, beherbergen. Aus diesem Grund nun wurde die Gattung des Shoppers abgeschafft und ersetzt durch den Klammheimlichen Terroristen, der in jedem von uns stecken könnte. U-(

Nichts habe ich gegen Sicherheitsvorkehrungen! :yes: wenn sie sinnvoll sind! In Bentleys chicen Bürogebäude zum Beispiel wurde nun sogar eine fesche Röntgenmaschine aufgestellt, wie man sie vom Flughafen her kennt. Dort müssen nun alle Taschen durch. Fährt man allerdings sein Fahrzeug in die Tiefgarage, kann man von dort aus völlig ungehindert mit seiner Sprengstoffweste und den Böllern in der Handtasche in dasselbe Gebäude vordringen.

Dasselbe gilt für das Einkaufszentrum: die Mitarbeiter, die das sozio-ökonomische Profil eines Attentäters doch viel eher treffen als die hippe, neureiche Jugend, können völlig unkontrolliert durch den Seiteneingang ein- und ausmarschieren, während letztere noch den Schlüsselbund und die Münzen aus der Hosentasche kramen müssen.
So kommt es zu völlig absurden Situationen:

(1)
Bentley marschiert durch den Metalldetektor. Er trägt Roma auf dem Arm. Seine zwei mit Fressalien bepackten Einkaufstüten aus der Kaufhalle nebenan hat er gerade der Taschenkontrolle überreicht und bekommt sie Sekunden später zurück. Ab zur Leibeskontrolle: Rauf auf einen kleinen Hocker.
Roma im linken Arm. Zwei mit Fressalien bepackte Einkaufstüten in der rechten Hand. Sieht ein bisschen aus wie ein Lastesel.
Sicherheitsbeamter: „Was ist das da in ihrer Jeanstasche?“
Bentley: „Mein Handy.“
Sicherheitsbeamter: „Das müssen sie jetzt aber mal rausholen.“
Mit Kleinkind und Einkaufstüten bepackt beginnt Bentley, an seiner Hosentasche rumzufingern, während eine Meute potenzieller Einkäufer Selbstmordattentäter hinter ihm schon zu drängeln beginnt.
Ich steh derweil in der Schlange für Frauen. :yes:

(2)
Im Einkaufszentrum ist es schön kühl. Doch draußen sehe ich ein Taxi stehen. Ist es meins? Ich kann das Nummernschild nicht sehen. :no: Wenn man in Indien telefonisch ein Taxi bestellt, bekommt man das Nummernschild per sms zugeschickt, damit man auch von weitem weiß, welches das eigene Taxi ist. Nun, es bleibt mir nichts anderes übrig, als das Einkaufszentrum zu verlassen. Ich geh also noch drei Schritte weiter vor und psccccchhhhhh bin ich raus aus dem klimatisierten Einkaufstempel. Die Glastür rumst hinter mir zu. Toll. Ich geh noch drei Schritte, um über den Busch gucken zu können, der mir den Blick versperrt hat. Na toll, nicht mein Taxi.
Draußen ist es mir wirklich zu heiß und Roma beginnt schon zu zappeln. Ich dreh mich also um, um wieder in das Einkaufszentrum reinzugehen. Natürlich nicht durch den Ausgang :no: sondern durch den Eingang, wo schon fünfzig andere Einkäufer Selbstmordattentäter warten, durchleuchtet zu werden.
Witzig ist in diesem Zusammenhang, dass man jetzt dort auch abgetastet wird. Als ich eine halbe Stunde vorher durch dieselbe Tür ins Einkaufszentrum ging, wurde das noch nicht gemacht. Logisch: Selbstmordattentäter sind Morgenmuffel.
Auch beim Betreten der Mall via Tiefgarage gibt es kein Abtasten.

Es ist mir klar, dass diese Sicherheitsvorkehrungen mehr psychologischen Wert besitzen als faktischen. Ich stelle mir vor, wie schockiert die Einkäufer wären, wenn ab Morgen all die Metalldetektoren abgebaut wären? Und erst die ganzen Arbeitslosen Sicherheitsbeamten. Nein, es muss sein: dient es doch dem größeren Zweck, wenn meine Handtasche mehrmals am Tag von Fremdpersonal umgeräumt wird. :yes:

Vermutlich bin ich einfach mal wieder ein Muffel. :yes:

Doch das ist nicht alles: Nun unternimmt die Polizei Mumbais eine Infoaktion, wobei alle Mieter Mumbais untersucht werden. Schließlich könnten wir Terroristen sein. Mieter sind in Mumbai bereits polizeilich erfasst, weil alle Mietverträge, um wirklich gültig zu sein, polizeilich registriert sein müssen. Das heißt, die Polizei weiß schon, wer wir sind und woher wir kommen. Zusätzlich sammeln sie nun Informationen wie Referenzen. Das heißt, wir müssen mindestens zwei Personen in Mumbai angeben, die uns kennen. |-| Gestern abend klingelte aus diesem Grund der Makler, der unsren Vertrag aufgesetzt hat, und ließ uns den Extrafragebogen ausfüllen.

Heissassa. Und all das für Cricket im Wankhede Stadion in Südmumbai. :yes:

Cricket-Tennis-Ball

Es gibt Produkte, die gestalten selbst den langweiligsten Tag gleich ein bisschen interessanter. Cricket-Tennis-Bälle zum Beispiel. :yes:

Sportlich herausragende Zeitgenossen wissen, dass man mit einem Cricketball (aus Leder, hart) kein Tennis spielen kann, oder dass sich ein solcher Versuch zumindest im besten Fall ineffektiv gestalten und im schlimmsten Fall schädlich auf die teuren Tennisschläger auswirken würde. Auch umgedreht eignet sich ein weicher, gefederter Tennisball nicht sonderlich zum Cricketspielen.

Deswegen hat die Firma Vicky, welcher Name allein schon vertrauenserweckend auf unsportliche Menschen wie mich wirkt, einen Hybriden entwickelt, der sowohl Dhoni* als auch Peas** Herzkammerflimmern verursachen würde.

Was ist denn nun ein Cricket-Tennis-Ball?

Ein Cricket-Tennis-Ball sieht aus wie ein Tennisball, also in der wunderbaren fluoreszenten Farbe, bei der kein Mensch weiß, wer um alles in der Welt die erfunden hat, und mit den gewohnten weißen Streifchen. Tennis spielen kann man damit allerdings nicht, denn dieser Ball ist mächtig hart und eignet sich daher vermutlich prima zur Ermordung von ungemochten Mitmenschen. Der Cricket-Tennis-Ball ist:
knochenhart,
ungefedert
und ziemlich schwer,
und man muss davon ausgehen, dass er sich darum wie ein Cricketball verhält, wenn man ihn durch die Kante wirft.

Da es sich bei den Spielern, die ich mit dem Tennis-Cricket-Ball beobachtete, (nach ihren eigenen Aussagen) um minderbemittelte Spieler handelte, die selbst mit einem handsignierten, echten, teuren Ledercricketball kaum einen Sechser geschlagen hätten, kann ich über die tatsächliche Qualität eines Vicky Cricket-Tennis-Balls nichts aussagen. Ich weiß nur so viel:

1. Er tut weh am Schienbein.

2. Er hat mich selbst an einem langweiligen, mürrisch gelaunten Morgen zum Lachen gebracht. Toi, toi, toi!

vicky cricket tennis ball
* ind. Cricketspieler, ** ind. Tennisspieler

Cricket: Der Vater der Unterhaltung

Indiens Obsession mit Cricket ist längst kein Geheimnis mehr. Und endlich gibt es die Indian Premier League, so eine Art Cricket-Bundesliga für alle die, denen die in kurzen Abständen stattfindenden Testspiele, Worldcups, Freundschaftsspiele usw. nicht genügen. Die Teams wurden für viele Rupien ersteigert von den Schönen und Reichen (wie Preity Zinta und Shah Rukh Khan) und den Reichen (wie Mukesh Ambani und Ness Wadia) und den Lebemännern (wie Dr. Vijay Mallya) Indiens. Auch die Spieler (darunter zum ersten Mal auch internationale Spieler) wurden für jede Menge Zaster und unter einigen kritischen Kommentaren („Sklavenmarkt“) verhökert und rennen seit dem 18. April über den Rasen, um Ball zu spielen.

Stolze acht Teams lümmeln also in ihren bunten Trikots in den Cricketstadien Indiens herum und sind dabei, eine ganze neue Industrie aufzubauen. Einige Teams tragen solch inspirative Namen wie „Mumbai Indians“ (Vermutlich eine Anspielung auf die kürzliche Migrantendebatte in Maharashtra, wonach sich Marathen gegen indische Zuwanderer aus anderen indischen Städten wehrten.)
Das Kolkata-Team (früher Kalkutta) gehört Shah Rukh Khan und schimpft sich „Kolkata Knight Riders“. B)
Die „Rajasthan Royals“ (vertreten Jaipur) widerum sind nicht in aller Munde, da sie keinem populären Miedenbubi gehören, sondern Emerging Media Group. Wem??? Eben! 😉

Das Bangaloreteam hingegen trägt den aussagekräftige Namen „Royal Challengers Bangalore“, eine überdeutliche Ersatzwerbung für Royal Challenge (populäre Whiskeymarke). Alkoholwerbung ist in Indien verboten (Blogartikel zum Thema; aktuelles Dossier zum Thema). Das Bangalore-Team trägt nicht nur den Namen des Whiskeys, sondern im Großen und Ganzen auch dessen Logo auf dem Trikot spazieren und wird – logisch – vom Kingfisher-Bier-Mogul Dr. Vijay Mallya am Rupientropf genährt. Ich mag Mallya. Er ist reich, schämt sich dafür nicht und bringt jede Menge Spaß nach Indien. Cheerleader zum Beispiel.

Cheerleader sind, so haben kürzlich diverse Politiker, gelangweilte Hausfrauen, angetrocknete Moralisten und gar einige Vertreter der freien Wirtschaft (wie Werbeguru Santosh Desai) festgestellt, ein unausgezogenes Übel des Westens, das die indische Kultur ruiniere, Frauen degradiere und den Gentleman’s Sport Cricket durch den Dreck ziehe. Die Damen haben sich nun in Städten wie Mumbai etwas übergezogen (nämlich lange Hosen). Und nachdem sich die bösen Buben des indischen Cricket (Harbhajan Singh und Sreesanth) auf dem Rasen geboxt haben, fällt auch der Gentleman-Kommentar flach. Gentleman benützen für sowas ihren Handschuh! 🙄
YouTube zum Thema

Nun, IPL hat geschafft, worauf die Organisatoren gehofft hatten: Es macht Schlagzeilen. Ganz Indien schaute die folgenden Tage den weinenden Sreesanth (der die Ohrfeige eingesteckt hatte) in der Endlosschleife. Später beteuerte Harbhajan Singh (der die Ohrfeige ausgeteilt hatte), Sreesanth sei sein jüngerer Bruder. Sreesanth beteuerte wiederum, Harbhajan sei sein älterer Bruder. Und dann wurde auch das langweilig. Zurück zu den Cheerleadern:

Die wurden jüngst mit leeren Plastikflaschen beworfen. Was die Politiker und Moralisten nicht schafften, brachten Fans fertig: sie jagten die Damen vom Feld.

Doch das Allerschönste an der Indian Premier League sind die kleinen Werbefilme. Im Folgenden die Geschichte von Manos und Ranjans Vater, der ihr ganzes Leben lang mit Abwesenheit glänzt:

Der Spot ist eine Verulkung der in Indien so beliebten Saas-Bahu-Seifenopern (Schwiegermutter/-tochter) und ist darum absichtlich melodramatisch gestaltet. Ihr ganzes Leben lang warten Zwillinge Mano und Ranjan auf ihren Vater, von dessen Rückkehr sie – anders als die Bewohner ihres Dorfes – fest überzeugt sind. Jeder zieht sowohl die Zwillinge als auch ihre Mutter deswegen auf: Der Dorfpriester hält sie zu einer zweiten Ehe an. Der Dorfgoonda (Bully) macht Anspielungen. Und alle fragen immer wieder: Wo ist denn Manos und Ranjans Vater? Während die Jungs immer saftig zurück geben, er wird garantiert zurückkommen.
Besonders schön: die angebrochene Selbstmordszene. Manos und Ranjans Mutter möchte sich à la Saas-Bahu-Tradition in den Brunnen stürtzen.
Doch dann: die Wendung. Manoranjan ka Baap ist da! Mano und Ranjan haben es ja immer gewusst! 😉 Manoranjan heißt „Unterhaltung“. Der Vater (baap) aller Unterhaltungen. Schlechter Scherz, aber sehr gut umgesetzt und im Vorfeld der IPL ein Dauerbrenner auf so ziemlich jedem Sender.

Es steht fest: Cricket ist unverwüstlich! Und macht irgendwie auch Spaß.